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ERIC WALZ. Die Schleier der Salome

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Academic year: 2022

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ERIC WALZ

Die Schleier der Salome

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Buch

Der Tag ihrer Geburt vor 2000 Jahren ist einer der dunkelsten Mo- mente in der Geschichte Judäas. Es ist der Tag, an dem ihr Großva- ter König Herodes aus Angst vor jener Weissagung, es sei ein Feind seines Reiches geboren worden, alle neugeborenen Jungen im Land ermorden lässt, und auch Salomes Leben ist von der ersten Stunde an bedroht. Doch gegen den Widerstand von Neidern und Intrigan- ten gelingt der jungen Frau der Aufstieg zur Fürstin von Ashdod, das unter ihrer Hand zu einem Zentrum der Wissenschaften und Küns- te erblüht. Doch Salome regiert in einer unruhigen, von strengen Priestern und gewalttätigen Sektenführern beherrschten Zeit, und stets hängt ihre heimliche Liebe zu dem griechischen Architekten Timon wie ein Damoklesschwert über ihr. Für Timon begeht sie

schließlich den größten Fehler ihres Lebens!

Von ihrem Volk enttäuscht und als Verräterin verstoßen, führt sie ihr Weg zunächst ins Rom der Cäsaren, doch sie kehrt zurück ins Hei- lige Land, wo der letzte Kampf um die Krone Judäas beginnt …

Autor

Eric Walz, geboren am 29. März 1966 in Königstein im Taunus, be- gann nach einer kaufmännischen Ausbildung mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, aber seine Leidenschaft galt schon immer his- torischen Stoffen. Sein Aufsehen erregender Debütroman »Die Her- rin der Päpste« wurde von Lesern und Kritikern gleichermaßen hymnisch gefeiert. Eric Walz ist Mitglied und Pressesprecher von

»Quo Vadis«, dem Autorenkreis Historischer Romane. Er lebt in Berlin, wo er als freier Personaltrainer arbeitet, und schreibt seinen

nächsten Roman.

Von Eric Walz ist bereits erschienen Die Herrin der Päpste. Roman (35950)

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Eric Walz

Die Schleier der Salome

Roman

BLANVALET

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Umwelthinweis:

Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend.

Der Blanvalet Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House.

1. Auflage Originalausgabe März 2005 Copyright © 2005 by Eric Walz und Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagfoto: Corbis Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Titelnummer: 36183 MD · Herstellung: Heidrun Nawrot

Made in Germany ISBN 3-442-36183-4 www.blanvalet-verlag.de

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Für Christian

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Prolog

An dem Abend, an dem die Frau geboren wurde, die von ihrem Volk sowohl bewundert als auch gehasst, von Propheten bekämpft und in den Schriften verachtet wurde und die ihrem Land eine letz- te, kurze Blüte inmitten des Zerfalls bescherte, empfing König He- rodes eine für ihn wichtige und höchst erfreuliche Botschaft.

»Die Kinder sind tot.«

»Alle?«

Der Offizier zögerte einen Moment, die Antwort kam ihm nur schwer über die Lippen. Doch ein Blick seines Königs ließ ihn die Sprache schnell wiederfinden. Er schluckte. »Alle.«

Stille breitete sich im Großen Saal der Festung Masada aus. Nie- mand von der königlichen Familie rührte sich. Nur das Licht der Fackeln zuckte, von den Wänden reflektiert, im Raum umher.

Herodes legte den Kopf in den Nacken, als versuche er, Wider- spruch und Verrat im Raum zu wittern. »Schön«, sagte er schließ- lich. »Gut gemacht. Damit ist die Gefahr gebannt, die von dem un- bekannten Säugling ausging.«

»Ja, mein König«, bestätigte der Offizier zähneknirschend.

»Der Messiasist tot.«

Herodes drückte seinen wuchtigen Körper ruckartig aus dem Thronschemel hoch. »Der Feind der Königreiche ist tot«, brüllte er den Mann vor ihm an. »Niemand hat von einem Erlöser gespro- chen, vom Messias. Die Prophezeiung meines Sternendeuters be- sagte, dass …«

Herodes keuchte. Er griff sich an den massigen Unterleib und an die Brust, dann setzte er sich wieder und schickte den Offizier aus

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dem Raum. »Heute«, fuhr er leiser fort, »ist ein Feind des König- reiches geboren worden, und zwar irgendwo auf dem Weg des wan- dernden Sternes, den wir seit einigen Tagen auf der Strecke zwi- schen Masada und Bethlehem am Himmel sehen. Deshalb mussten alle Säuglinge auf dieser Strecke sterben.«

Archelaos, Herodes’ ältester Sohn, beobachtete, dass niemand Anzeichen von Entsetzen oder Traurigkeit über diese grauenhafte Nachricht vom vielfachen Kindesmord zeigte. Er war mit den Ge- wohnheiten an diesem Hof und im Umgang mit seinem Vater He- rodes nicht vertraut, da er erst vor wenigen Tagen hierher zurück- gekehrt war, nachdem er neun Jahre in Rom erzogen worden war.

Dort herrschten Recht und Ordnung. Kaiser Augustus regierte das Imperium mit strenger Hand, aber umsichtig. Was für ein Gegen- satz war dazu Judäa: Ein Massenmord an Säuglingen! Archelaos war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Mit seinen dürren, zittri- gen Fingern hob er den Weinkelch zum Mund und trank hastig.

»Was schaust du so dämlich?«, fragte Herodes. »Hat man dich in Rom verhätschelt? Oder passt dir irgendetwas nicht?«

Archelaos bemerkte, dass sein Vater ihn argwöhnisch beäugte.

Es war gefährlich, das Misstrauen des Königs zu erregen. Archela- os’ ältere Brüder waren schon vor Jahren wegen nie bewiesener Ge- rüchte über Verschwörungen hingerichtet worden, und er selbst könnte leicht der Nächste sein, denn er hatte noch drei jüngere Brüder, die bereitstanden, seinen Platz als Nachfolger auf dem Thron des Heiligen Landes einzunehmen. Also riss er sich zusam- men und spülte seinen Schrecken mit einem weiteren Schluck Wein hinunter. Wie üblich beruhigte ihn der Rebensaft schnell. Er hörte auf zu zittern und schaffte es sogar, seinen Vater anzulächeln.

»Nein, Vater. Ich war nur überrascht. Das ist alles.«

»Es war nötig, den Befehl zu geben«, erklärte Herodes. »Ein Kö- nig hat die oberste Pflicht, seine Herrschaft zu sichern. Nichts an- deres. Vernachlässigt ein König diese Pflicht, ist sein Leben keine Drachme wert. Der Feind der Königreiche war mein Feind. Unser aller Feind. Darum musste er sterben, bevor er gefährlich werden konnte. Ich habe es für meine Söhne getan, vor allem für dich, Ar- chelaos, denn du bist jetzt der Älteste.«

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Archelaos fühlte sich unwohl, da sein Name mit dem Mord an kleinen Kindern in Verbindung gebracht werden sollte. Was, wenn sich das bis zu seinen Freunden in Rom herumspräche? Die wür- den ihn für einen Barbaren halten und niemals wieder einladen.

»Nicht wahr, ihr alle seid mir dankbar für meine Weitsicht?«, gellte Herodes und blickte in die Gesichter seiner Söhne, die unter- schiedlicher nicht sein konnten.

Archelaos konnte mit keinem seiner Brüder etwas anfangen, wie er nach seiner Ankunft festgestellt hatte. Antipas war trotz seiner erst achtzehn Jahre bereits dick und unförmig und beugte häufiger den Rücken vor seinem Vater als die Sklaven. Er war ein Widerling.

Philipp wiederum, mit fünfzehn der Jüngste, war blass und schweigsam wie eine Figur aus Elefantenholz, und seine matten Augen spiegelten die ganze Humorlosigkeit seines Wesens wider.

Im Vergleich zu ihnen, fand Archelaos, war er der Einzige, der den Titel Prinz verdiente.

»Moment«, rief Herodes. »Einer von euch fehlt. Alle meine Söh- ne sollten hier sein, um mir zu danken und sich mit uns zu freuen.

Archelaos, wo ist Theudion?«

Archelaos war froh, dass sein Vater endlich ein anderes Thema gefunden hatte. Es lag ihm nicht, lange über ernste Dinge zu reden.

Bei den Reichen und Edlen in Rom gab es ein Spiel, wonach derje- nige, der als Erster ein ernstes Thema zur Sprache brachte, drei Be- cher Wein nacheinander und ohne abzusetzen trinken musste. An den hunderten geselligen Abenden war ihm diese Strafe nur ein einziges Mal auferlegt worden. Jemand hatte ihn gefragt, welche Späße es am Jerusalemer Hof gebe, woraufhin er in ein allzu lan- ges Lamento über die Freudlosigkeit des dortigen Hoflebens ver- fiel. »Früher war mein Vater ein lustiger Mensch«, erklärte er sei- nen Freunden, »der jede Woche wenigstens zwei Feste gab, und alle seine Kinder durften bis spät in die Nacht daran teilnehmen, so jung sie auch waren. Meine Familie machte Ausflüge, zum Beispiel zu den blühenden Gärten Jerichos, wo ich und meine acht Ge- schwister Faltern nachjagten und auf Ölbäume kletterten, oder zum See Genezareth, wo mein Vater Herodes selbst, bis zu den Knien im Wasser stehend, Netze auswarf und Fische fing. Doch ei-

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nes Tages ließ er meinen ältesten Bruder auspeitschen und befrag- te ihn nach einer angeblichen Verschwörung. Obwohl mein Bruder nichts zu sagen wusste, peitschte man weiter und weiter. Bis er starb. Und danach war nichts mehr wie vorher. Unser Leben wur- de eng und …«

»Haha, verloren«, unterbrach einer seiner Freunde lachend.

»Du musst drei Becher Wein trinken. Du warst zu ernst.«

Er trank sie, und danach gewöhnte er sich schnell an die römi- sche Art zu leben, an Wein und Heiterkeit und lange Nächte, die ihn alles Gemeine und Schlechte vergessen ließen. Er sprach nie mehr über Jerusalem.

Und jetzt, wo er sich wieder bei Hofe befand und seinen Vater ständig sah, hätte er am liebsten die Augen geschlossen, die Hän- de auf die Ohren gepresst und sich vorgestellt, im Kreis der lusti- gen Senatorensöhne zu sitzen. Das Leben an diesem Hof machte ihn ganz krank.

Archelaos ergriff schnell die Möglichkeit, über seinen Bruder Theudion zu reden, und gewann ein wenig seine natürliche Heiter- keit zurück. »Ja, hast du es denn vergessen, Vater?«, schmunzelte er. »Theudion läuft wie ein Besessener durch die Gänge, krank vor Sorge, und sein Gesicht ähnelt mehr denn je dem eines Geiers, ganz eingefallen, nur die riesige Nase ragt unerschütterlich hervor. Ich habe ihn eben noch gesehen, kurz bevor wir uns hier wegen … nun ja«, beendete Archelaos seinen Redeschwall.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Herodes mit zusammenge- zogenen Augenbrauen. »Wovon redest du, Kindskopf? Und hör auf zu grinsen, das ist ja nicht auszuhalten.«

Archelaos trank einen weiteren Schluck Wein. »Theudions Frau, deine Schwiegertochter, Herodias … erinnerst du dich nicht?«

Herodes sah angestrengt aus, so als fiele es ihm schwer, sich an Herodias zu erinnern. Sein Gedächtnis ließ merklich nach, und sei- ne Familie war groß: Kinder aus neun Ehen, zahlreiche Schwieger- kinder, Neffen, Nichten, Enkel, Großneffen, Schwägerinnen … Fast jedes Jahr kam ein neues Mitglied hinzu und ein anderes ging.

Frauen wurden geheiratet und wieder in die Wüste geschickt, Le- ben und Tod feierten gleichermaßen ihre Feste am herodianischen

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Hof, und selbst Archelaos hatte Mühe, diese vielen Namen und Nasen auseinander zu halten.

»Was ist mit ihr?«, fragte Herodes ungeduldig.

»Sie liegt im Kindbett.«

»Im …« Herodes stockte der Atem. Er stemmte sich langsam aus dem Thronschemel. »Heute? Wieso erfahre ich das erst jetzt?«

Archelaos versuchte, dem Blick standzuhalten. Was hatte er denn nun schon wieder falsch gemacht? Es war schwierig für ihn, sich den plötzlich wechselnden Launen seines Vaters anzupassen.

Aus Unsicherheit antwortete er auf die Weise, die er aus Rom kann- te – mit einem Scherz.

»Herodias ist Monate lang mit einem Bauch herumgelaufen, als habe sie drei Bälle und eine Gans verschluckt, und du, Vater, hast es nicht bemerkt?«

Herodes blies die Backen auf. »Dass sie heute niederkommt, das, du bartloser Dummkopf, habe ich nicht gewusst. Weißt du denn nicht, was das möglicherweise bedeutet? Keiner von euch?«

Sein Blick blieb auf Antipas haften. »Du auch nicht?«

»Vielleicht, Vater«, antwortete Antipas zögerlich, »wenn du es uns erklären würdest …«

Antipas krümmte unter dem Gebrüll des Herodes den Rücken wie unter einem Peitschenhieb.

»Das werde ich auf der Stelle tun«, schrie Herodes. »Folgt mir.«

Theudion blickte hinaus in die Nacht. Das Salzmeer, in dem kein Fisch und keine Pflanze leben konnte, lag ausgestreckt wie eine Leiche vor ihm. Er hasste dieses tote Gewässer. Helles Mondlicht reflektierte vom Gestein des Berges, auf dem die Festung Masada erbaut war, und verlieh dem Wasser einen rötlichen Schimmer. Die Sterne des Firmaments glitzerten auf der spiegelglatten Oberflä- che.

Und doch war das Salzmeer nichts anderes als eine Verlängerung der Ödnis, von der es umgeben war – und ein Symbol für die töd- liche Macht des Herodes. Denn sein Vater hatte in den dreißig Jah- ren als König von Judäa an den Ufern des Salzmeeres einen Gürtel von Festungen errichtet, von denen Masada die größte war, die ge-

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waltigste und unbezwingbarste, ein Manifest seiner Herrschaft.

Die Mauern ragten fünf Mann hoch unmittelbar vor dem Abgrund auf, so dass von dort niemand eindringen konnte. Nur ein einziger Pfad wand sich den Berg hinauf, so schmal, dass nicht einmal zwei Esel nebeneinander gehen konnten. Jahr um Jahr waren die Ge- steinsblöcke von Tieren und Sklaven hinaufgeschafft worden, jeder Einzelne eine Herausforderung und Gefahr. Tausend Kamele, Pfer- de und Menschen waren den steilen, hundert Meter hohen Felsen hinuntergestürzt, bevor ganz oben der letzte Stein gesetzt war. Ma- sada nannte sich Festung, es war jedoch eine Stadt nur für Hero- des, eine Anlage mit Sälen, Hallen und Gärten, Türmen und Lager- räumen sowie mit Quartieren für Hunderte von Soldaten. Mit er- bitterter Kraft war der Berg besiegt worden. Man riss ihn innerlich auf, schlug riesige Quader aus ihm heraus, bohrte tiefe Löcher in ihn hinein und nutzte diese Wunden nun als unterirdische Getrei- desilos und Brunnenschächte. Masada konnte nicht ausgehungert werden und nicht verdursten, und seine Mauern konnten nicht stürzen. Masada ließ jeden zurückschrecken, der diese Festung be- kämpfen wollte, aber es ging das Gerücht um, dass der Berg sich eines Tages für die erlittenen Qualen rächen werde.

Da Theudion seinen Vater hasste, hasste er auch Masada und das Tote Meer. Warum musste sein ersehntes erstes Kind ausge- rechnet hier das Licht der Welt erblicken?

Herodias’ Schreie klangen einsam, noch war kein Sohn da, der sie im Schreien ablöste. Theudion konnte es kaum abwarten, ihn auf dem Arm zu halten. Gott, es musste ein Sohn werden. Er wür- de bei ihm alles anders machen, als es in seiner eigenen Kindheit gewesen war und bis heute anhielt. Neunzehn schreckliche Jahre!

Sein Junge sollte eine glücklichere Jugend erleben, dafür wollte er sorgen und um das hatte er den Herrn gebeten.

Schritte hallten durch die Gänge heran. Noch bevor Theudion sehen konnte, wer sich ihm näherte, spürte er seinen Vater. Wie im- mer in solchen Augenblicken zogen sich seine Organe zusammen, und sein Herz klopfte heftig.

Die gewaltige Gestalt seines Vaters stand vor ihm, die Familie im Gefolge.

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»Nun?«, fragte Herodes.

Theudion wunderte sich über das Interesse seines Vaters; ein

›Nun‹ war mehr, als man erwarten konnte. Nicht einmal bei der Geburt seiner eigenen Kinder hatte Herodes – wie in anderen Fa- milien üblich – im Vorraum gewartet, sondern er war anderen Be- schäftigungen nachgegangen. Manchmal, so die Gerüchte, schlief er bei einer Frau, wenn eine andere gerade in den Wehen lag. Und jetzt dieser Aufwand für ein Enkelkind?

»Sie hat es noch nicht überstanden«, berichtete Theudion.

»Weiß man schon das Geschlecht des Kindes?«

»Woher soll ich das wissen? Es ist jedem Mann verboten, die Ge- burt zu stören.«

Herodes ging ohne ein weiteres Wort an Theudion vorbei und öffnete die Tür, die zum Geburtsraum führte. Er ignorierte ebenso Theudions Proteste wie auch die entsetzten Mienen der Ammen und Helferinnen. Ein Mann, noch dazu der Schwiegervater, gehör- te nicht hierher. Doch wer konnte es wagen, dies auszusprechen!

Einige der Frauen warfen Decken über die schamhaften Stellen der werdenden Mutter.

Herodias blieb nur der Moment eines Lidschlages, um zu erfas- sen, dass ihr Schwiegervater, ihr Gemahl, ihr Schwager und noch einige mehr sie bei der Geburt beobachteten, dann wurde sie erneut vom Schmerz gepackt und wölbte schreiend ihren Körper hoch.

»Du beleidigst Herodias«, rief Theudion und stellte sich vor He- rodes, um ihm die Sicht zu erschweren, doch dieser Versuch schlug fehl. Theudion war dünn wie sein Bruder Archelaos, wenn auch aus anderem Grund. Während Archelaos fast nur Wein zu sich nahm und deshalb ausgemergelt wirkte, ernährte Theudion sich vorwiegend von geistiger Nahrung. Er las täglich etwa sechs Stun- den in den heiligen Schriften und versenkte sich morgens, mittags und abends je eine Stunde ins Gebet. Gegen seinen Vater wirkte er wie eine Ziege vor einem alten Elefanten. Das Einzige, worin er sei- nen Körper mit dem von Herodes messen konnte, war die Länge und Dichte des schwarzen Bartes, der Wangen und Kinn vollstän- dig bedeckte.

Herodes schob ihn einfach zur Seite. »Mach dich nicht lächer-

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lich«, brummte er. »Ich habe schon weitaus verführerischere Wei- ber als deine Frau gesehen.«

Antipas dachte anders darüber, denn er sah zum ersten Mal eine nackte Frau. Er schob sich, unbemerkt von den anderen, die nur für den Zwist zwischen Vater und Sohn Augen hatten, nahe an das Bett der Herodias heran und starrte sie an. Ihr Gesicht gefiel ihm nicht, denn es war feucht, aufgedunsen und gerötet von den Qua- len der Geburt, Brust und Bauch waren mit Laken bedeckt. Anders die Arme, sie waren weiß und glatt und wurden zu beiden Seiten von Ammen gehalten, als wären sie an ein Kreuz geschlagen. Und die Schenkel, so prall und …

Plötzlich packte Theudion ihn am Kragen und zerrte ihn zur Sei- te. »Du Kröte! Hast du keine Ehrfurcht vor meinem Weib?«

»Was Vater darf, darf ich auch.«

»Antipas«, rief Herodes ihn zur Ordnung, woraufhin Antipas den Rücken krümmte. »Ja, Vater?«

»Du hast mich doch vorhin gefragt, warum die bevorstehende Niederkunft der Herodias mich interessiert. Nun will ich es dir sa- gen, euch allen sagen.« Herodes’ linker Arm beschrieb eine weit ausholende Geste, während sein rechter langsam unter sein Ge- wand schlüpfte. »Die Prophezeiung besagt, dass heute ein Feind der Königreiche geboren werde.«

»In Bethlehem«, stimmte Antipas ein.

»Nein, nicht ganz.«

Eine Frau trat aus dem Pulk des Gefolges hervor: Akme, die Schwester des Königs. Als sie ihre Hand hob und damit Herodes’

bärtige Wange streichelte, klimperten ihre schweren goldenen Armreife, um die sie von den anderen, weiblichen Mitgliedern der herodianischen Familie beneidet wurde. Sie lächelte Herodes mit jenem Ausdruck an, den er offenbar schätzte und den andere an ihr fürchteten. Hatte sie nicht ebenso gelächelt – so ging das Gerede –, als sie ihrem Bruder die angebliche Verschwörung seiner ältesten Söhne zutrug und ihnen damit die Schlinge knüpfte? Als sie einige der Frauen des Königs der Verbannung in die Wüste zutrieb? Nie war jemand dabei, wenn sie ihr Netz webte, und gerade darum war sie allen unheimlich.

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Was sie diesmal zu sagen hatte, konnte allerdings jeder der An- wesenden unterschreiben. »Niemand hier versteht, worauf du hi- nauswillst, Herodes. Deine Sorge um das Königreich, die Prophe- zeiung, die Kinder von Bethlehem, dein Befehl, das alles konnten wir noch nachvollziehen. Warum wir nun jedoch hier bei deiner Schwiegertochter stehen …«

Ein langgezogener Schrei der Herodias unterbrach Akme und lenkte die Aufmerksamkeit für einen Augenblick wieder auf die Tatsache, dass jeden Augenblick ein wunderbares Ereignis stattfin- den würde.

»Es ist so weit«, rief eine der Ammen, und sofort lief jede der Frauen los, um die nötigen Hilfsmittel herbeizuholen. Der Geruch von Blut klebte in der Luft.

Langsam und sorgfältig, als säße er zu Gericht, erklärte Hero- des: »Der genaue Wortlaut des Astrologen besagt, dass der Feind zwischen Bethlehem und Masada geboren wird. Er könnte also auch hier zur Welt kommen.«

Sein rechter Arm löste sich aus den Falten seines Gewandes, und seine Faust hielt einen Dolch umklammert, den Herodes zur Si- cherheit immer bei sich trug. Wie ein Wind zog nun ein vielstim- miges Aufheulen durch den Raum, ein Gemisch aus Angst, Schre- cken und ungläubigem Entsetzen.

Theudion rührte sich einige Augenblicke lang nicht von der Stel- le, dann stürzte er sich auf Herodes, doch dieser warf ihn zurück und befahl Antipas, seinen Bruder festzuhalten.

Herodes beugte sich zum Gesicht seiner Schwiegertochter hi- nunter, die ihn mit großen Augen anstarrte. Der Schmerz erfasste immer wieder ihren Leib, sie versuchte, Worte zu formen, die ihr in der Kehle stecken blieben, und sie warf ihren Kopf auf dem Kissen hin und her wie ein stummes, heftiges Nein.

»Solltest du einen Knaben gebären«, raunte Herodes ihr zu, »so ist er des Todes, bevor er den ersten Atemzug machen kann.«

Herodias rang nach Luft. Ihr Unterleib schien zu zerreißen, ihr Kopf zu zerspringen. Auf ihren Lippen spürte sie den Atem des He- rodes.

»Wenn es hingegen ein Mädchen ist, so soll es leben, denn eine

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Frau kann niemals das Königreich bedrohen. Bemühe dich also, Herodias, dass es ein Mädchen wird. Bemühe dich um deinetwil- len.«

»Du bist ein Verbrecher«, schrie Theudion. Seine Augen waren wie glühende Kohlen. »Ein wahnsinniger Mörder. Ich hasse dich, Herodes, alle Welt hasst dich.«

In diesem Moment stieß Herodias einen gewaltigen Schrei aus, um gleich darauf zu verstummen. Kurz danach ertönte ein zweiter Schrei. »Es sind zwei Kinder«, rief die Amme. »Gelobt sei Gott.«

Herodes beugte sich steif über seine Schwiegertochter. Schließ- lich trat er einen Schritt auf die Amme zu, die die Neugeborenen, in eine Decke gewickelt, auf dem Arm hielt. Schweigend schlug er die Decke zurück. Seine Hand krampfte sich um den Dolch.

Nachdem Herodes mit seiner Gefolgschaft wieder im Thronsaal war, schritt er die Wandmosaike ab, die im flackernden Licht all das lebendig werden ließen, was er in seinem Leben erreicht hatte.

Da war sein Schlachtensieg über die vor ihm herrschende Hasmo- näerdynastie, die er mit Stumpf und Stiel ausrottete, um seine eige- ne Herrschaft zu manifestieren. Gleich daneben sein Treffen mit Kaiser Augustus auf Rhodos, nach dessen Sieg über Kleopatra.

Herodes war zuvor mit der ehrgeizigen Königin vom Nil verbündet gewesen, wechselte nach deren Niederlage jedoch bedenkenlos die Seite, um einer Eroberung Judäas durch das Römische Imperium zuvorzukommen. Weitere Mosaike zeigten die Einweihung der Stadt Sebaste, eine von vielen Gründungen, die den neu erworbe- nen Reichtum Judäas verkörperten; weiterhin die Anlage riesiger Gewürzhaine bei Jericho, deren Duft nicht nur über das halbe Land zog, sondern auch römischen Kaufleuten gefiel. Gleich dane- ben der Ausbau der gigantischen Festung Masada, in der sie sich jetzt befanden, mit dem Land zu Füßen, das Gott den Juden zuge- wiesen hatte. Und schließlich das Beste und Vollkommenste, das er geschaffen hatte: der Tempel des Einen Gottes, der wie die Pyrami- den der heidnischen Ägypter für die Ewigkeit gebaut war. Der Tem- pel war das Herz und die Seele der Juden – ihr Kopf war er selbst, Herodes. Alles geschah nach seinem Willen.

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Der heutige Tag war ein Beispiel dafür. Er hätte die männlichen Nachkommen Theudions ohne Zögern getötet, doch das war nicht nötig geworden. Eines der Kinder, ein Junge, war bereits blau und kalt zur Welt gekommen. Das andere, ein Mädchen, war kränklich und schwach.

»Es wird später schwierig sein, sie zu verheiraten«, brummte er und blickte dem Säugling in die Augen. »Sie hat etwas Glanzlo- ses.«

»Gib sie mir zurück«, forderte Theudion.

»Einen Moment noch. Ich werde ja wohl meine Tochter im Arm halten dürfen.«

»Ich bin der Vater.«

»Ich weiß, dass du das glaubst. Aber ist dir nie der Gedanke ge- kommen, dass Herodias und ich …«

Theudion erbleichte. »W-was sagst du da?«, stammelte er.

Herodes lachte und lachte. »Ein Scherz, mein Sohn. Wie kann jemand, der so widerspenstig ist wie du, immer wieder auf meine Scherze hereinfallen? Du liest zu viele fromme Bücher, sage ich dir.

Das vernebelt den Geist.«

Theudion knirschte mit den Zähnen und nahm das Mädchen seinem Vater aus den Armen.

»Übrigens«, fügte Herodes hinzu. »Ich will, dass sie nach mei- ner Großmutter benannt wird.«

»Nein«, erwiderte Theudion trotzig und schickte sich an, den Saal zu verlassen.

»Du wirst sehen, dass es nach meinem Willen geht, wie immer.

Sie wird nach meiner Großmutter benannt werden. Sie wird Salo- me heißen.«

Als Theudion verschwunden war, ließ Herodes sich auf einen Schemel sinken. Er war bester Laune, wie immer, wenn er einen Sohn getroffen und besiegt hatte. Er wusste genau, was jetzt in Theudion vorging – Fromme waren allzu leicht zu durchschauen.

Gott, so dachte Theudion, hatte ihm den ersehnten Knaben vor- enthalten, weil er, Herodes, diesen sonst ermordet hätte. Obwohl er den Knaben nicht angerührt hatte, würde Theudion ihm die Schuld an dessen Tod geben. Oh, wie sehr würde der Hass auf ihn

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wachsen! Und wie oft würde das Mädchen vorgeworfen bekom- men, dass es überlebt hatte, während der Bruder elend zugrunde gegangen war! Was für eine Zukunft konnte ein derart kränkliches und unerwünschtes Kind schon haben?

Er schickte sein Gefolge und die Familie hinaus, außer seiner Schwester Akme, die stets an seiner Seite blieb. Dann ließ er seinen persischen Astrologen kommen. »Wie lautet das Horoskop für meine jüngste Enkelin?«, fragte er ihn.

Der alte dunkelhäutige Mann in seinem nachtblauen Gewand trat vor den König und hielt ihm ein Pergament vor, auf dem Punk- te und wirre Linien gezeichnet waren. »O König, mächtige Gestir- ne stehen zu dieser Stunde miteinander im Wettstreit. Ich deute Stärke und Zorn, List und Vernunft, Widerstand und Hingabe, doch ich kann nicht erkennen, welche Seite obsiegen wird. Sie wird zerrissen sein und Zerrissenheit bringen. Sie ist zu Großem gebo- ren, doch mächtige Gegenkräfte stemmen sich gegen sie und könn- ten sie zu Fall bringen. Sie wird Unruhe erzeugen. Ihr schlimmster Feind ist sie selbst.«

Herodes lehnte sich zurück und blickte seine Schwester amüsiert an. »Endlich mal wieder eine typische Herodianerin.«

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Erster Teil

… und schütte

Deinen Zorn über sie

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Eric Walz

Die Schleier der Salome Roman

ORIGINALAUSGABE

Paperback, Broschur, 704 Seiten, 14,0 x 20,6 cm 2 s/w Abbildungen

ISBN: 978-3-442-36183-0

Blanvalet

Erscheinungstermin: März 2005

Salome, Prinzessin von Judäa – von ihrem Volk als Verräterin beschimpft und in den christlichen Schriften als Mörderin gebrandmarkt, regt sie seit Jahrtausenden die Fantasie von Dichtern, Malern und Komponisten an. Doch bekannt ist nur die Femme fatale, ihr berüchtigter Tanz der sieben Schleier und die Enthauptung von Johannes dem Täufer. Wer kennt schon die anderen Seiten dieser außergewöhnlichen Frau? Die Fürstin, die vor 2000 Jahren mutig und versöhnend die Geschicke Judäas lenkte, die Friedenstifterin und die Liebende? Denn um der Liebe willen, beging sie den größten Fehler ihres Lebens...

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