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Miguel de Cervantes Saavedra: Esperanza. oder So wollen uns die Männer. Eine beispielhafte Novelle

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Academic year: 2022

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Miguel de Cervantes Saavedra:

Esperanza

oder

So wollen uns die Männer.

Eine beispielhafte Novelle

Übertragen von Willem de Haan

(2)

Franzisco José de Goya 1746-1828: Majas auf dem Balkon I.

Die beiden Studenten aus der Mancha wunderten sich in der „Straße der Liebe“ von Sala- manca: Warum sind gerade in diesem Freudenhaus ständig alle Fensterläden geschlossen? – üblich ist hier doch schließlich, dass die Zärtlichkeiten verkaufenden Damen sich schon in den Fenstern zeigen.

Der Haarkünstler nebenan verriet den Neugierigen den Grund: Eine sehr vornehme und offenbar auch wohlhabende Dame wohnt seit kurzem dort und sie hat ihre Nichte Esperanza bei sich, ein sehr schönes und freundliches Mädchen. Die Damen hatten bis jetzt noch keine Besuche, gehen selten zum Essen aus, und wenn, dann begleiten sie ein Diener und zwei Kammerfrauen.

Eigentlich war es nur die pikante Umgebung des Hauses, die Rafael und Ricardo, die in allerlei Amouren erfahrenen Studenten, ein besonderes Abenteuer wittern ließ. Sie beobachteten das Haus und war-teten gespannt. Es war Mittagszeit und sie nahmen an, dass die Bewohnerinnen irgendwo auswärts speisten und bald zurückkommen würden.

Richtig geraten. Von dem Dienstpersonal ehrerbietig begleitet, kam eine reifere, elegante Dame und neben ihr eine auffallend schöne junge Dame, höchstens achtzehn Jahre jung, mit einer

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wundervollen weißen Haut und golden schimmernden Haaren. Sie hatte ihren Blick gesenkt, man sah ihre göttlichen schwarzen Augen noch nicht, und ihr Gang war eher ein Schweben – ein Engel, eine weibliche Kostbarkeit.

Die beiden jungen Burschen waren hingerissen von so viel überirdischer Schönheit; vielleicht hat es ihnen eine Weile den Atem genommen und ihre Schritte gelähmt, denn, als sie auf das Haus zueilen, war die kleine Gesellschaft gerade hineingegangen. Sie sahen nur noch die Türe ins Schloss fallen und hörten, wie von innen abgeschlossen wurde.

Was tun? Sie überlegten: In dieser Straße trifft man seltener Menschen, die - wie sie selbst - die Gesetze studieren und öfter solche, die sie miss-achten. Sollten diese frisch gekommenen Fremden Ausnahmen sein?

Sie nahmen sich schließlich vor, die viel zu kurz gesehene Schöne erst einmal auf die nicht nur bei verliebten Studenten übliche nächtliche Weise zu überraschen: Beim Abendessen baten sie andere Studenten um deren Mitwirkung bei einem nächtlichen Ständchen. Dann besuchten sie einen der vielen stadtbekannten Poeten und bestellten ein schnelles Liebeslied auf den Namen Esperanza.

Der Poet setzte aus einigen bei ihm herumliegenden Gedichten einige Verse zusammen und gab ihnen ein immerhin sogar singbares Lied mit, mit dem sie, wie er fand, selbst Steine erweichen könnten.

II.

Inzwischen war es später Abend geworden und ein stattliches Orchester aus neun auch aus ihrer Heimat stammenden Mitstudenten und mehreren gerne singende und mit Hörnern und Rasseln, Mandolinen und Gitarren musizierenden jungen Leuten sammelte sich auf einem Platz und stimmte sich auf dem Weg zu dem Haus von Esperanza lautstark ein. Das Konzert der vielen nicht sehr auf Zusammenspiel bedachten Spielleute fanden die längst schlafenden Anwohner unpassend und auch vor dem besagten Haus schreckte es alle Nachbarn auf und ließ sie in ihren Nachtgewändern an die Fenster eilen.

Zu den aufjaulenden Klängen der Gitarren und Mandolinen und einem quietschenden Dudel- sack versuchte sich der begehrliche, längst nicht mehr nüchterne Rafael als Sänger. Er besang, von dem genialischen Poeten immer wieder viel zu laut souffliert, mehrere zweifellos hinreißend gestaltete Körperteile und Eigenschaften der bezaubernden Esperanza, ungefähr so: Deine Haut und dein Haar,

Esperanza,

deine Gestalt und dein Gang, Esperanza,

dein Gesicht, deine Augen, Esperanza,

deine Nase und dein Mund, Esperanza,

alles an dir ist schön und rund:

Esperanza, Esperanza, Esperanza.

Ich ahne noch mehr, Esperanza,

was verborgen den Blicken, Esperanza,

was unter den Spitzen, Esperanza,

sich wölbet und strahlt, Esperanza.

Alles an dir ist schön und rund:

Esperanza, Esperanza, Esperanza.

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Ein älteres Semester unter den Zuchauern klatschte frenetischen Beifall, wiederholte aus dem Gedächtnis einige gesungene Zeilen und rief mit vor Aufregung heiserer Stimme, gerade die letzten Zeilen fände er ausnehmend großartig und wert, auf eine Hauswand geschrieben zu werden. Den Lieddichter solle man öffentlich belohnen und er selbst wolle ihm gleich zum Frühstück zwei der Dauerwürste schicken, die er heute in einem Fresspaket von seinen Eltern aus der Heimat erhalten habe.

Die Leute in den Fenstern wussten jetzt natürlich sofort, dass dies ein Estremadurer war und sie merkten sich wahrscheinlich diesen vielversprechenden musisch begabten Mann.

Inzwischen hatte der mitgekommene Poet ein weiteres Lied fertiggedichtet und die Studenten sangen es, von dem Solisten-Orchester begleitet, gleich vom Blatt:

Schöner Engel Esperanza, öffne wenigstens dein Fenster hinter dem Vorhang seh ich dich.

Du wirst unser Lied schon längst genießen

und uns innig danken wollen.

Esperanza, Esperanza, jetzt, wo du wach bist, wo du wunderbar wach bist,

kannst du auch ein Fläschchen Wein, ein kleines Fläschchen roten Wein mit uns trinken.

Einer der Sänger hängte noch eine Zeile an:

Und dann lass uns endlich rein.

Nach einiger Zeit öffnete sich in dem von allen bisher nur mir gierigen Blicken geöffnetem Haus ein oberes Fenster. Eine Kammerfrau rief erstaunlich höflich und umwerfend liebenswürdig:

„Bitte ziehen Sie weiter, meine Herren! Wir können Ihr Konzert nicht recht genießen, weil es uns aus unseren Träumen weckte. Wir würden sehr, sehr gern versuchen, wieder einzu- schlafen. Wir bitten alle Nachbarn um ihre Zustimmung, dass Sie und Ihre begabten Mit- musikanten Ihre Musik und Ihren Gesang vor unserm Haus beenden:“

Die Studenten riefen noch einige Male nach Esperanza, aber da war keine Hoffnung. Nun neigen Trunkene nicht leicht dazu, eine Absicht aufzugeben. Es gab noch ein rasch improvisiertes Lied, das sich, wenn ich mich richtig erinnere, etwa so anhörte:

“Wunderschöne Esperanza, wer dich je ansah,

wird mich verstehen;

ich konnte dich nur flüchtig sehen, aber du hattest Zeit,

mein Herz zu stehlen, Esperanza.

Jetzt verlang ich:

Gib mein Herz zurück oder besser noch, lass uns tauschen, Esperanza,

wunderschööööne Esperanza.“

Der Sänger hatte keine Zeit, auf den Reim zu achten; er hatte schon genug Mühe, seine heimatliche Mundart etwas zu unterdrücken, aber er hatte Erfolg. Wieder öffnete sich ein Fenster. Alle verstummten oder wurden jedenfalls leiser und vernahmen eine andere Kammerfrau:

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„Bitte, ehrenwerte Herren, erweisen Sie meiner Herrin und ihrer Nichte und allen Nachbarn die Güte, weiter ruhen zu dürfen. Ziehen Sie bitte weiter und erweisen Sie sich als aller Ehren werte Herren!“

Leider rief einer der liebedurstigen Studenten, wahrscheinlich war es wieder Rafael, vielleicht aber auch Ricardo, zu der Kammerfrau etwas hinauf, was so klang:

„Bitte, verehrte Dame, holen Sie Esperanza ans Fenster, ich muss ihr dringend etwas sagen, ja, wirklich, notfalls muss ich es singen.“

„Was glauben Sie denn, wer wir sind!“ rief die Kammerfrau empört. „Wie können Sie es wagen, so von einer vornehmen jungen Dame zu sprechen. Sie sollten sich schämen!“

In diesem Augenblick kamen viele Leute die Straße herauf und es war nicht klar, ob es die Stadtpolizei oder eine Diebesbande war. Natürlich geriet man in Streit, aber die Studenten taten so, als wenn sie sich untereinander streiten würden; so ließ man sie in Frieden, aus welchen Gründen auch immer.

Einige waren jetzt dafür, gewaltsam in das so gut gehütete Haus einzubrechen, andere sangen und musizierten unentwegt weiter, bis einer, der noch am nüchternsten war, ein anderes Ziel nannte.

III.

Der Morgen graute schon, als sie Don Felix weckten, einen jungen Edelmann, den sie gut kannten. Er war wohlhabend und gab sein Geld oft mit vollen Händen aus. Natürlich war er ein Frauenheld und er war oft verliebt, im Augenblick aber offenbar nicht. Die bisher wenig Erfolgreichen beschrieben dem Edelmann ihre lüsternen Hoffnungen, aber auch ihre bisherigen Niederlagen.

Der adlige Herr lächelte fein und fand Gefallen an dem Gedanken, den schwärmenden Studenten zu helfen, vielleicht auch, um sich weiter beliebt zu machen, vielleicht hatte er auch Hintergedanken. Don Felix wusste, wie man Damen gewinnt, auch Mütter und Töchter, auch Tanten und Nichten. Auf seinem Briefpapier prangte ein stattliches Wappen und darunter stand sein altbekannter Adelsnamen.

Er schrieb der bereits als Tante bekannten Dame Doña Claudia und bot der neu Zugereisten jegliche Hilfe an - der Aufwand für sie und ihre Begleitung sei ihm völlig unwichtig, so sehr sei er ihrer Nichte Esperanza zugetan; Doña Claudia möge deshalb in jeder Weise über ihn verfügen.

Klang das nicht wie die Einleitung eines Brautwerbens? Der junge Bote des Edelmanns wartete geduldig...

Doña Claudia befahl ihn zu sich und fragte ihn nach seinem Herrn aus: Nach dessen Namen, Stand, Vermögen, Umgang, nach seiner Art und nach seinen Gewohnheiten...

Der Bote wirkte ehrlich; seine Auskunft machte guten Eindruck, seine Antworten fielen umsichtig aus, deshalb wurde er bald entlassen. Später wurde die Kammerfrau Emilia zu Don Felix geschickt.

Emilia kam aufgeregt an und war bald hingerissen von einem ungewöhnlich aufmerksamen Empfang. Sie bekam Erfrischungen, Gelegenheit zum Erholen und wurde hofiert wie eine vornehme Dame. Das gefiel ihr ausnehmend gut.

War der Wein zu schwer? Wurde zu schnell nachgeschenkt? Anfangs stellte Emilia ihre Herrin noch in ein sehr günstiges Licht, rühmte ihre Vornehmheit und Güte und ihren überaus edlen Charakter.

Don Felix versicherte ihr, dass er überzeugt sei von den Tugenden der älteren, Verzeihung, der lebenserfahreneren Dame, aber er interessiere sich nun einmal ganz besonders für die jüngere

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Dame, die schöne Esperanza - das sei anscheinend eine heimlich reisende Prinzessin?

Der lebenskluge junge Edelmann hatte noch eine bewährte Verführerlist bereit: „Hören Sie, verehrte Dame, ich würde zu gern sehen, wie Sie in einem prächtigen Mantel aus mehrfarbiger Seide aussehen würden. Würden Sie mir die Freude machen, so ein Gewand anzunehmen?

Das wirkte. Der hartnäckige Frager erfuhr alles über Esperanza - und das war nun wirklich überraschend. Die zusätzlich vom Wein beflügelte, zum Angeben neigende Emilia plauderte aus, dass die junge Esperanza bereits dreimal erfolgreich vermittelt worden war, „verkauft“

sagte sie sogar und auch an wen und zu welchen Preisen.

Hatten alle Männer richtig vermutet, dass die schöne junge Rose doch käuflich war?

Emilia ließ sich von Don Felix folgenschwer bestechen. Er gab ihr eine beträchtliche Geldsumme, die für die Anschaffung eines Seidenmantels gut reichte - und der Wein, sein bewährter Helfer, bewirkte, dass sie Komplizen wurden: Die Kammerfrau Emilia versprach Don Felix Zugang zum eigentlich fest verschlossenen Haus. Sie wollte ihm ermöglichen, sich im von ihrer Herrin gemieteten Haus zu verstecken.

Emilia schied mit Freude und er durchlebte in der kurzen, ihm aber unendlich lang erscheinenden Wartezeit köstliche Traumbilder.

IV.

Aber die Zeit verstrich endlich, denn alles Kommende beginnt irgendwann einmal.

Don Felix schlich allein, ohne Diener, zum besagten Haus, wo ihm die Kammerfrau öffnete. Mit übertriebener Vorsicht führte sie Don Felix in das Zimmer von Fräulein Esperanza und verbarg ihn dort hinter den Bettvorhängen.

Emilia bat ihn, ja kein Geräusch zu machen; übrigens wisse Esperanza, dass er komme und sie sei einverstanden, ihn auch unter diesen ungewöhnlichen Umständen kennen-zulernen, nur dürfe Doña Claudia nichts bemerken.

Don Felix war gegen neun Uhr ins Haus gekommen. Um diese Zeit saßen Doña Claudia und Esperanza im Kaminzimmer. Das Haus lag im Schweigen. Der Diener war bereits zur Ruhe gegangen, auch eine Kammerfrau. Und die Kammerfrau Emilia hatte ihrer Herrin schon empfohlen, sich schlafen zu legen. Sie hatte sogar die Uhrzeiger vorgedreht, weil sie sich Sorgen wegen Don Felix machte.

Doña Claudia schien noch einmal munter und redselig zu werden. Sie bekam plötzlich Lust, ihrer Nichte die spanische Männerwelt zu erklären. Sie hatte Erfahrung und Lebensart und Esperanza konnte wirklich viel von ihr lernen; das wollte sie auch und hatte es mehrfach bekräftigt.

„Wir sind hier nicht in Piacenza, deiner Geburtsstadt, Liebes, und auch nicht in Zamora, wo du aufgewachsen bist und zu begreifen begannst, wie es in dieser Welt aussieht. Wir sind auch nicht in Toro, wo du bereits die dritte Ernte deiner dir geschenkten Gaben erleben durftest. In diesen gemütvollen Städten leben schlichte Gemüter, die noch unverdorben sind. Aber hier, Esperanza, hier ist Salamanca, die weltberühmte Universitätsstadt mit allein an die zehn- oder zwölftausend Studenten, die allesamt übermütig und lüstern, leidenschaftlich, leichtsinnig und wild auf Frauen sind. Und: das Geld sitzt ihnen locker. Diese Studenten kommen von überall her und sie sind sehr verschiedene Menschen; du musst sie unbedingt unterscheiden lernen:

„Zum Beispiel geizen die hier nur wenigen Biskayer mit Worten, aber wenn sie auf eine Frau scharf sind, zahlen sie jeden Preis.

„Die Männer aus der Mancha sind streitlustig und beharrlich. Und dann treffen wir hier Leute aus Aragonien, Valencia und Katalonien. Unter ihnen haben wir parfümierte und gutgekleidete Männer mit besten Manieren und leeren Köpfen. Leider sind sie völlig humorlos und sehr empfindlich und wenn du es mit ihnen verdirbst, vergessen sie schnell ihre gute Erziehung.

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„Die jungen Männer aus Neukastilien sind freigebig, wenn sie sich`s leisten können und sie verlangen auch nichts, wenn sie gerade blank sind. Die aus Estremadura erinnern an einen Kramladen; sie haben von allem etwas, nicht nur Gutes.

„Für die Andalusier, Tochter, brauchst du fünfzehn Sinne statt fünf: sie sind witzig und gewitzt, ironisch und verschlagen, zum Glück aber nicht knauserig. Galizier aber passen in keine Schublade, man nimmt sie am besten so hin.

„Nach meiner Erfahrung ist es oft sinnvoll, Asturier am Wochenende abzufangen, denn sie tragen dann meist Leckeres vom Markt heim.

„Soll ich dir was über die Portugiesen erzählen? Nein, es lohnt nicht, ihre Eigenarten aufzuzählen, denn die Kerle sind durchweg blöd und verbohrt - und von der Liebe verstehen sie so viel wie ein Bock.

„Ach, Kind, du wirst sie unterscheiden lernen: die Männer sind wie ein dunkler See mit vielen Untiefen. Ein paar Kniffe kann ich dir noch weitergeben, etwas Wissen aus meiner Erfahrung.

Vor allem muss dir immer bewusst sein, dass du eine ungemein kostbare Facht trägst: deine Schönheit, deinen Liebreiz, deine Anmut, deine Süße, deine schimmernden Liebesgaben, nach denen viele gieren werden. Weißt du, so viel, wie ich dir mitgeben kann, könnte dir kein Professor bieten - wenn es in unserer Kunst überhaupt einen gäbe. In der Liebeskunst kenne ich mich aus wie keine andere. Jetzt bin ich sozusagen emeritiert, aber du findest keine, die mir noch etwas vormachen kann.“

Esperanza spielte mit einem Eisen in der Asche des Kaminfeuers; sie hatte aufmerksam zugehört und sich natürlich auch eigene Gedanken gemacht, und als Doña Claudia ihren gutgemeinten Vortrag über die Eigenarten der Männer fortsetzen wollte, erwiderte Esperanza und bewies damit, dass sie schon unerwartet viel gelernt hatte:

„Lassen Sie es genug sein, Tante, es reicht mir und sonst verwirrt es mich noch mehr. Kommt es denn hier nicht darauf an, herauszufinden, welche Besonderheiten die Männer von Salamanca haben? Auch sie werden fünferlei wollen und nur dreierlei können. Einige werden gebildeter sein als andere, aber hilft ihnen das und uns? Die Schlichteren werden vielleicht Schönheit und Zärtlichkeit rascher erkennen und schätzen. Ich bin bereits so eingestellt auf meine Zukunft:

„Es kommt sicher darauf an, die Halbherzigen zu ermuntern, den Schüchternen Mut zu machen und den Kleingebliebenen zuzulächeln. Ich werde die Frechen zügeln müssen, die Schlafmützigen scharf machen, die Unsicheren ins Ziel lenken, die Fortbleibenden anlocken, die Dummen loben, die Klugen ehren, die Reichen verwöhnen und die Geldlosen bald loswerden. Kurz und lebenspraktisch beschrieben und weil alle Männer dies erträumen, will ich ein Engel auf der Straße sein, eine Heilige in der Kirche, eine Schöne im Fenster, eine Tugendhafte im Haus - und ein Teufel im Bett.

„Das alles weiß ich schon, liebe Lehrmeisterin. Selbstverständlich will ich noch Neues lernen, denn viel Lebenserfahrung habe ich nun mal noch nicht, aber für heute bin ich zu müde. Aber etwas will ich noch klären, liebe Tante: Ich will mich nicht länger von Ihnen so schmerzhaft ausbeuten lassen. Sie haben mich schon dreimal als Jungfrau verkauft, jetzt ist es genug. Ich will die Schmerzen nicht mehr durchmachen und nicht mehr den Ekel vor Ihren verqueren Praktiken und nicht mehr die Angst vor der Entdeckung unserer Täuschung.

„Ich will jetzt endlich die Nachlese erleben in meinem Weinberg - sie soll ja oft köstlicher sein als die Ernte. Wenn Sie mich aber unbedingt weiter als unberührte Jungfrau verkaufen wollen, dann denken Sie sich bitte eine weniger schmerzende Art aus, mein Pförtchen zu verschließen, keine mehr, die so weh tut...!“

„Davon verstehst du zu wenig!“ antwortete die alternde Doña Claudia enttäuscht und nannte ihr flink die Vor- und Nachteile von allerlei Weiberlist und Hexenwerk, um eine längst Entjungferte wieder zur Jungfrau zu machen.

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Sie gab aber zu, dass auch Tölpel mit einigen scheinbar eindeutigen Beweisen überlistet werden wollen und sie schwor letztlich wieder auf eine altbewährte Methode mit roten Seidenfäden und einem blutroten Geheimnis: „Die Männer wollen betrogen werden und sie sollen teuer bezahlen für etwas, das sie für seltsam kostbar und begehrenswert halten. Glaub mir, wir werden beide noch eine Weile gut damit fahren!“

Esperanza sah zunächst keine andere Lösung; sie wies aber skeptisch darauf hin, dass wesentlich sicherer Geld ins Haus kommen würde, wenn man „das Ganze“ auf die landes- übliche Art des Gewerbes betreiben würde. Außerdem verspreche sie sich viel mehr davon, zum Beispiel bald nach Sevilla zu fahren, wo ständig Schiffe mit vielen nach Liebe lechzenden Seeleuten ankommen.“ „Denn,“ übertrieb sie maßlos, „meine Blume könnte welken, ehe Ihr sie zum vierten Mal verkaufen könnt. Legt Euch jetzt besser schlafen und bedenkt meine Meinung - seid aber sicher, dass ich Eurem Rat gehorsam folgen werden, denn Ihr seid mir eher eine Mutter als nur eine Tante.“

In diesem Augenblick konnte Don Felix, der dies alles in steigender Erregung mitangehört hatte, einen lange unterdrückten Niesreiz nicht mehr beherrschen. Er entlud das starke Kribbeln in seiner Nase so laut, dass es auf der Straße zu hören war.

Die Frauen sprangen entsetzt auf. Doña Claudia ahnte gleich, wo sie den Urheber dieses Naturgewitters suchen musste: im Zimmer nebenan und hinter dem Bettvorhang von Esperanza. Don Felix trat aber nach Ritterart furchtlos hervor, den blank-gezogenen Degen in der Hand.

Bei seinem Anblick im Kerzenschein schrie Doña Claudia auf und beklagte lauthals, dass dieser Eindringling sie und das ganze Haus in Verruf bringen würde: „Eine Schande, ein Unglück, eine Katastrophe, nicht wieder gutzumachen. Was sollen die Nachbarn denken! Was werden die Leute sagen!“

Don Felix versuchte sie zu beruhigen, bekannte seine große Zuneigung zu Esperanza und schwor bei seinem Rittertum, alles ins Ehrenhafte zu verkehren, er sei ausreichend vermögend und verschwiegen.

Doña Claudia war nicht zu beruhigen, aber Ritter Felix behauptete, dass er sich nur mit völlig unvernünftigen Liebesgedanken hier eingeschlichen habe - wie, wolle er später bekennen -, jedenfalls wolle er alles zu einem guten Ende führen.

Esperanza blieb auffallend stumm, während Doña Claudia weiter jammerte und beklagte, dass alleinstehende Frauen so schutzlos tatendurstigen Männern ausgeliefert seien. Ja, wenn ihr Gemahl noch leben würde, der so früh dahingeschieden Don Juan de Bracamonte – ich stünde nicht schutzlos da in dieser fremden Stadt!“

Sie bedrängte den Edelmann, schleunigst wieder aus dem Haus zu gehen. Später könne man über alles mit Muße und Würde sprechen und schreiben.

Doch Don Felix erwies sich als beharrlich und wohl auch sieggewohnt: „Nein, verehrte Dame, ich bleibe jetzt! Und den Nutzen von meinem Bleiben werden Sie und ich haben. Ich freue mich auf ein wundervolles Vergnügen und Sie sollen als kleinen Beweis meiner Großzügigkeit dieses Schmuckstück erhalten.“ Damit nahm er eine prachtvolle goldene Kette von seinem Hals und legte sie der Zögernden an.

Jetzt mischte sich die inzwischen herbeigeeilte Kammerfrau Emilia ein und redete ihrer Herrin zu, das Geschenk anzunehmen, eher noch weitere zu vereinbaren und dem Ritter nicht länger zu verwehren, wonach er so heftig begehre.

Sofort richtete sich der Zorn Doña Claudias auch gegen die Kammerfrau. Dann forderte sie Don Felix auf, die Kette, die sie immerhin weitertrug, lieber zurückzunehmen und Esperanzas Reinheit und Jungfräulichkeit und dieses würdevolle Haus nicht derart zu missachten. Wenn er anderes vermutet habe, sei dies ein böser Irrtum...

Nun versuchte die Kammerfrau zu vermitteln und ihrer Herrin klarzumachen, dass Don Felix bereits bestens Bescheid wisse.

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Als Doña Claudia nochmals auf die unverletzte, blütenreine Jungfrau zu sprechen kam, warf auch Esperanza einen Satz ein, der vielleicht die Schärfe des Gesprächs mildern sollte:

„Schließlich habe ich eben erst ein reines Hemd angezogen“, sagte sie mit unschuldigem Lächeln.

Don Felix ging sofort darauf ein und sagte kühn und bestimmt: „Gut denn, ich habe sozusagen eine Tuchprobe gesehen und ich will und werde das so schön gestaltete Ganze besitzen, koste es, was es wolle! Übrigens habe ich eben alles mitangehört und ich bin noch begieriger geworden, in Esperanzas Weinberg die Lese zu halten; von mir aus die Nachlese.“

Jetzt machte die Kammerfrau Emilia einen großen Fehler. Sie nahm Esperanzas Hand und legte sie in die des forschen Ritters. Doña Claudia geriet so aus der Fassung, dass sie alle bisher aufgesetzte Würde vergaß, schrie und tobte und mit einem Pantoffel auf die Kammerfrau einschlug.

Emilia rächte sich mit einem rücksichtslosen Griff nach Doña Claudias Haube, unter der sich ein lächerlich kahler Kopf den Blicken darbot.

„Hilfe! Polizei!“ rief die so Bloßgestellte - und sie ahnte nicht, dass die Polizei oder jedenfalls eine Art Bürgergarde bereits seit langem hinter der Tür stand und jetzt wie auf ein Stichwort hin in den Raum trat.

V.

Was allen die Sprache verschlug, hatte diese Vorgeschichte: Der Polizeipräfekt hatte nach Spitzelberichten den Eindruck gewonnen, dass dieses Haus und seine Bewohner irgendwie verdächtig sein könnten. Just für diese Nacht hatte er beschlossen, mit der fast zwanzig- köpfigen Bürgergarde einmal nachzuprüfen, was hinter den Mauern verborgen sein könnte.

Sein Klopfen und Rufen war freilich in der letzten Aufregung oder weil draußen Wagen vorbeirasselten, ungehört geblieben und so hatte er die Haustür aufhebeln lassen. Hinter der Zimmertür hatte er dann Einzelheiten mitgehört, die ihm sein eher vorbeugend geplantes Vorgehen zu rechtfertigen schienen.

Er sprach zunächst das Verhalten der Kammerfrau an und gab damit Doña Claudia wieder Oberwasser: „Das sehen Sie völlig richtig, hochzuverehrender Herr Präfekt“, sagte die bös Zerzauste, „so grob hat mich noch niemand behandelt, mich, eine Dame von Ehre und Stand!“

Der Präfekt hatte jetzt aber von allem genug und befand kurz: „Bedecken Sie Ihre Blößen, meine Damen, auf dem Weg ins Gefängnis wird es kühl.“

„Ins Gefängnis, Herr Präfekt? Höre ich richtig? Dürfen Sie ehrbare Damen so behandeln?“

„Ich hab genug vom Weibergeschrei!“, stellte der Präfekt ruhig fest und befahl seinen Männern:

„Mit allen hier ab ins Gefängnis; auch diese junge Dame, die ihre natürlichen Gaben so lebensklug einzusetzen weiß, muss mit!“

Nun erst zeigte sich Don Felix aus dem Nebenzimmer. Selbstbewusst nahm er den Präfekt bei- seite und wollte mit ihm etwas absprechen. Aber bei Frauen hatte er wohl mehr Glück; der Prä- fekt ließ sich nicht umstimmen: die drei angetroffenen Damen mussten erst einmal mitgehen.

Ein schlimmes Ende schien nahe zu sein, aber zu den Männern der Bürgergarde hatten sich heimlich Rafael und Ricardo, die Studenten aus der Mancha gesellt, die wir schon kennen. Sie schlichen unbemerkt wieder aus dem Haus, fanden schnell einige Mitstudenten und legten sich mit ihnen hinter einem Gebüsch auf die Lauer.

Als die Bürgergarde mit den Gefangenen vorbeikam, inszenierten sie mit großem Geschrei einen dramatischen Überfall, bei dem sie allerdings nur Esperanza befreien konnten.

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VI.

Der Präfekt war am Ende heimgekehrt und beruhigte sich schwer. Don Felix und die Studenten fanden ihre vertrauten Herbergen wieder und der Wein machte alle, die ihre Freiheit noch hatten, wieder friedlicher.

Mit Doña Claudia ging es nicht so gut aus: sie musste zunächst ihre Gefängniszelle mit ihrer Kammerfrau Emilia teilen, später, als ihre Vergehen feststanden, wurde sie gar ausgepeitscht und öffentlich zur Schau gestellt, tatsächlich als abschreckendes Beispiel.

Der Student Ricardo, der Esperanza so mutig und stürmisch vor der Polizei gerettet hatte, fand es nur selbstverständlich, dass ihm jetzt die Schöne gehören müsste. Aus diesen Träumen riss ihn aber sein Freund Rafael, der ein gleiches Recht beanspruchte.

In seiner Not und um Esperanza ja zu behalten, rief Esperanzas letztlich erfolgreichster Held aus: „Ein Liebchen kannst du mir streitig machen, Rafael, aber doch nicht eine Ehefrau! Ja, ich will Esperanza heiraten - wenn sie mich nimmt!“

Damit sah er die Schönheit an seiner Seite, deren Hand er nicht losgelassen hatte, verliebt an und fragte sie formgerecht um ihre Zustimmung zu diesem Angebot, das für Esperanza immerhin eine Umstellung aller ihrer Lebenspläne erforderte.

Statt einer Antwort umarmte ihn Esperanza, die sich schon auf ein viel schlimmeres Ende eingestellt hatte, und küsste ihn lange und herzlich - und manche, die dabei waren, sagten später neidisch: „Sie küsste ihn wieder und wieder.“

Rafael aber, der Verlierer in diesem Spiel, ging traurig und unbeachtet heim.

VII.

Am nächsten Tag fuhr das junge Paar zu Ricardos Eltern weit über Land in die Mancha. Don Alfonso, der sonst so strenge Vater, war hingerissen von der bezaubernden Esperanza und er billigte blindlings das Tun seines Sohnes.

Ricardo hatte ihm weisgemacht, Esperanza sei die Tochter eines muffigen und ungerechten Ritters und er habe sie einfach entführen müssen – freilich gegen das Versprechen, sie umgehend zu seiner Ehefrau zu machen. Don Alfonso durfte die Braut küssen, sie küsste ihn - und ihre Umarmungen waren beseligend.

Gegen Esperanzas Zauber und ihren wunderbaren Duft kamen auch die verleumderischen und vorgeblich aufklärerischen Briefe, die manche Miesmacher schickten, nicht an: Don Alfonso ließ nichts auf seine Schwiegertochter kommen. Und sie versüßte seine letzten Jahre durch ihren Liebreiz und ihre Anmut.

Wer das verzückte Lächeln des Ehemannes sah, wenn er Hand in Hand neben seiner jungen Frau stand, konnte wohl an mancher klugen Lebensweisheit zweifeln - denn, liebe Leser, gebt es zu: im Allgemeinen geht so eine Geschichte von Begierde und Leidenschaft und von schlau überlegten menschlichen Absichten doch ganz anders aus.

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Habt ihr trotzdem etwas gelernt? Das ist die unausgesprochene letzte Frage des Dichters an uns. Die hier wiedergegebene Geschichte ist eine der zwölf „beispielhaften“ Novellen“ des meisterhaften spanischen Erzählers Miguel de Cervantes Saavedra.

Sie sind schon 1613, vor bald vierhundert Jahren, als er sechsundsechzig war, in Spanien erschienen, kamen aber erst ab 1868 übersetzt in deutsche Buchhandlungen, obwohl sich mehrere bewährte Übersetzer für die Werke des genialen Spaniers interessierten und einsetzten. Waren sie ihrer Zeit vielleicht zu weit voraus?

Wenn ihr mehr von dem einmaligen Cervantes lesen wollt, fragt euren Buchhändler auch nach dem unsterblichen „Don Quichote“, seinem späteren Welterfolg, an dessen zwei Teilen (und wer weiß, unter welchen Umständen) er über zwölf Jahre geschrieben hat und den er erst kurz vor seinem Tod vollenden konnte.

Dies ist der vollständige Titel: „Das Leben und die Taten des sinnreichen Junkers Don Quichote aus der Mancha“, Teil 1: 1605, Teil 2: 1615 erschienen, deutsch schon 1621, danach bis heute in vielen Fassungen und Titeln. Meine Einzelübertragung der burlesken Geschichte

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aus seinen beiläufig verfassten Novellen gründet sich auf meine Freude an den so meisterhaft (aber in noch epischerer Breite und landschaftsgebundener Detail-Verliebtheit) geschilderten bühnenreifen Szenen.

In seinem großen Werk erzählt Cervantes mit üppiger Fantasie die tragikomischen Abenteuer des klapperdürren, armen Adligen Don Quichote, der in einer längst vergangenen Traumwelt noch in der Ritterherrlichkeit lebt - in drastischem Gegensatz zu seinem ihm treu ergebenem, wohlbeleibtem Knappen Sancho Pansa. Weltfremder Idealismus und lebenspraktische Schläue prallen hier dauernd aufeinander: die immergrüne Satire, ein Urbild des menschlichen Lebens, wurde zu einem der berühmtesten Werke der Weltliteratur. Etwas schimmert auch in dieser Beispiel-Novelle vom menschlichen Leben durch - leider war das lange vor der Zeit, in der Autoren an Erfolgsbüchern der Verlage wenigstens zu einem geringeren Anteil beteiligt wurden.

Es war über die Jahrhunderte das Schicksal so vieler herausragender Künstler: Cervantes erlebte seine Bucherfolge kaum noch und bekam wohl auch wenig ab von den Erlösen seiner vielen Verleger.

Seine Biographie ist nicht ganz gesichert, vielleicht, weil einem Nationalhelden gern manches angedichtet wird. Allgemein angenommen wird, dass er am 29. September 1547 in der alten Universitätsstadt Alcalá de Henares (im heutigen Großraum Madrid) als viertes von sieben Kindern eines Arztes und Wander-Chirurgen auf die Welt kam. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in einem Jesuitenkloster in Madrid, einen anderen in Toledo, wo ihn die Wanderbühne des Lope de Ruedo nachhaltig beeindruckt haben soll. Er studierte in Sala- manca und Madrid Theologie und verfasste bereits Romanzen, Sonette und einen Schäfer- roman.

Als 21-Jähriger hat er in einem Duell seinen Gegner schwer verwundet, wurde angeklagt und in Abwesenheit verurteilt – angeblich auch zum öffentlichen Abhacken seiner rechten Hand.

Er floh nach Italien und wurde in Rom Kammerdiener und Sekretär eines Kardinals. Nach wenigen offenbar ereignisarmen Monaten meldete er sich freiwillig bei der in Neapel stationier- ten spanischen Armada als Marinesoldat. In der großen siegreichen Seeschlacht bei Lepanto gegen die vordringende Osmanische Flotte bekam er mehrere Schusswunden und seine zerschmetterte linke Hand musste ihm amputiert werden.

Mit 33 Jahren nahmen ihn Piraten gefangen und versuchten ihn als Skaven zu verkaufen.

Nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen wurde er fünf Jahre später durch Ordensleute freigekauft und konnte nach Spanien zurückkehren.

Eine Zeitlang hat sich der vielseitige Cervantes in Spanien durchgeschlagen, meist blieb er aber bettelarm, ohne feste Arbeit und er kam einige Male in Schuldhaft. Immer aber war er besessen vom Schreiben, vom Leben in dieser Gegenwelt, in die er sich auch in Lumpen flüchten konnte.

1584, als 37-Jähriger und nach einer anderen und auf die natürlichste Weise der Welt sogar folgenreichen Liebesaffäre inzwischen (aber wohl nicht anhaltend glücklichmachend) verheiratet, konnte er seinen zweiten Schäferroman „Galatea“ veröffentlichen. Der machte ihn in seiner Heimat bekannt und stärkte ihm den Mut, von der Schriftstellerei zu leben; das misslang ihm gründlich. Aber er verfasste an die dreißig Theaterstücke.

Während einer mehr Geld einbringenden Beschäftigung als Steuereintreiber geriet er in einen Missbrauchsverdacht. Glück im Unglück: Sein schriftstellerischer Durchbruch gelang ihm im Gefängnis. Dort plante und begann er sein Hauptwerk zu schreiben, das ihn in der gebildeten Welt berühmt machte und in viele Sprachen übersetzt wurde; wie international üblich, besserte es seinen Wohlstand nicht sehr.

Einige Jahre nach dem „Don Quichote“ erschienen seine „beispielhaften Novellen“; die von mir hier ins Deutsche gebrachte Novelle wurde erst nach seinem Tod gedruckt.

Wenn ihr zufällig an einem 23. April, seinem Todestag in Madrid im Jahr 1616, ein anständig füllbares Glas in der Hand habt, trinkt nachträglich auf das Wohl von Miguel de Cervantes Saavedra. Er hat wahrscheinlich nichts mehr davon, deshalb trinkt halt in dankbarer

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Erinnerung an den großen Dichter und Menschenkenner, der übrigens am genau gleichen Tag im gleichen Jahr, eben am 23. April 1616, die Welt der Weiterlebenden verließ, wie sein ebenfalls genialer englischer Dichter-Kollege William Shakespeare, allerdings galt damals in Eng-land noch nicht der gregorianische Kalender: man rechnete mit dem juliani-schen Kalender ganze 10 Tage voraus; deshalb nennt man den 3. Mai als Shakespeares Todesdatum – obwohl doch beide am gleichen Tag im Dichter-Himmel angekommen sein werden.

Auf den Dichterkollegen lohnt es auch sehr, ein Glas zu heben (wenn ihr wollt und könnt: das dritte und alle folgenden auf die Dichter aller Zeiten).

Genau genommen muss das ja an keinem besonderen Tag sein - trinkt halt irgendwann ihm und ihnen zu Ehren - wenn ihr Mannsbilder seid und ganz besonders, wenn ihr eins der besseren Gegenstücke zu ihnen seid und längst bemerkt habt, dass auch nach bald vierhundert Jahren in der weiterhin von Männern beherrschten Welt immer noch gilt, was der große spanische Dichter so ganz nebenbei - und von vielen später übernommen und variiert - als die erwartete Rolle der Frau herausgefunden hatte. Er legte es der zauberhaften Esperanza da-mals am Kaminfeuer in den lieblichen Mund. Lohnt es nicht, von ihr zu lernen?

Herzlichst Euer

Willem de Haan

Referenzen

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