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standpunkt
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Gesellschaften brauchen etwas, was sie zusammenhält.
Sie leben aus einem Kosmos von Einrichtungen mit ihren jeweiligen Leitwerten. Wirtschaft, Politik, Sicher- heit, Bildung, Kultur, Religion und Lebensform sind Be- reiche der Gesellschaft, welche solche Einrichtungen und ihnen entsprechende Leitwerte hervorbringen.
Nennen wir diese integrativen Einrichtungen Institutionen.
Sie haben etwas Sakrales. Sie geben sich als etwas immer und überall Gültiges. Sie verleihen Heimat, Ordnung, Orientierung und Sinn. Wir gehören ihnen an von der Wiege bis zur Bahre. Oft haben sie eine Monopol- stellung und einen Ausschliesslichkeitsanspruch. Sie ge- ben den Menschen eine Rolle und eine Identität und gliedern sie als Personenein in das Ganze eines heiligen Kosmos. Im Laufe der Neuzeit, mit der Industrialisierung und zuletzt im Zuge der Globalisierung hat in der westlichen Welt eine rasante Säkularisierung dieses sa- kralen Kosmos eingesetzt.
Wir sind oft nich t meh r als Personengefragt, sondern als Funktionen. Wert und Würde unserer Person sind weniger wichtig als unsere Verwertbarkeit. Die Person hinter der Funktion wird beliebig und unwichtig.
Max Frischs Kommentar zur Schweizer «Gastarbeiterpolitik»
bringt es auf den Punkt: «Braccia: si! – Uomini: no!».
Das trifft uns heute selber. Der Wandel von derPerson zurFunktiongeschieht zusammen mit der Verwand- lung derInstitutionzurOrganisation. Organisationen ent- stehen und vergehen. Sie brauchen uns nur partiell als Funktionsträger. Sie spezialisieren sich auf Ziele und Ziel- gruppen. Sie handeln zweckrational. Ob jemand ihnen angehört oder nicht, das ist eine Frage der Interessen, der Macht und des Aushandelns. Heimat, Ordnung, Orien- tierung und Sinn ziehen wir nicht aus der Zugehörigkeit zu Organisationen. Sie sind Shareholder, nicht Care- holder. Ihr Horizont ist global. Ein Monopol ist ihr Traum.
Harte Konkurrenz ist die Realität.
Emanzipation und Fundamentalismus
Die Verwandlung von Institutionen in Organisationen und von Personen zu Funktionen schmelzt Identitäten auf und setzt Energien frei. Die Globalisierungbricht soziokulturelle, die Individualisierungpsychosoziale Identitäten auf. Die Säkularisierung der Welt ist ein zwie- spältiger Prozess. Er bringt Emanzipation und Verskla- vung, Neureiche und Neue Armut, Mobilität und Beliebig- keit, Flexibilisierung und Willkür, mehr Chancen und mehr Krisen, mehr Initiative und mehr Risiko, mehr
Selbstbestimmung und mehr Krieg. Die Reaktionen der Gesellschaft und der Einzelnen auf dieses Geschehen sind ebenso zwiespältig. Die Zivilgesellschaft hat ungeahnte Freiheiten gewonnen im Vergleich zu obrigkeitsstaat- lichen Zeiten. Aber sie stösst an Grenzen ihrer Selbstorga- nisation, wo der Staat nur noch subsidiär auftritt.
Die Säkularisierung fordert ihr ein grosses Mass an Solida- rität und Akzeptanz von Pluralität ab. Die Einzelnen finden Gefallen daran, sich selber zu erfinden und zu entwerfen. Aber die grosse Freiheit bringt auch Furcht mit sich. Die Säkularisierung mutet den Einzelnen ein grosses Mass an Autonomie und Individualität zu. Die Folge: Mit Säkularisierung und Emanzipation wächst auch der Fundamentalismus und das Bedürfnis nach Ideologien.
Wo ein unterer Grenzwert an institutioneller und perso- neller Identität nicht mehr erhalten bleibt, da werden die Gesellschaft und die Einzelnen sich nicht mehr ent- falten. Dieser Vorrat an Identität bildet sozusagen die Umwelt, welche menschliche Entfaltung möglich macht.
Wo die Säkularisierung grenzenlos wird und diese
«Umwelt» auflöst, da geht sie an sich selber zu Grunde.
Die gesellschaftlich Verantwortlichen, welche in ihrer Jugend den Gewinn von Säkularisierung und Eman- zipation erkämpft und erlebt haben, verkennen leicht die jetzige Situation. Die Front, gegen welche das Leben sich heute wehren muss, ist nicht mehr das einschrän- kende Autoritäre, sondern das unheimlich Schrankenlose der Vereinzelung und der Globalisierung. Das «Um- weltbewusstsein» für das Integrierende, für Einrichtun- gen und Werte, für kulturelle und persönliche Identi- täten ist heute notwendig. Wir brauchen eine Stärkung unseres wertkonservativen Bewusstseins. Das ist nicht zu verwechseln mit Strukturkonservativismus. Wir
brauchen neue Strukturen der Individuation und Soziali- sation, welche uns mündiger und pluralismusfähiger machen. Diese Aufgabe betrifft schwergewichtig das Bil- dungswesen. Individualität und Solidarität sind nicht ästhetische oder moralische Luxusartikel. Sie sind Kompetenzen, welche wir zum Überleben brauchen.
Individualisierung ist nicht eine Strategie zur Vergrösse- rung des Marktes. Kern der Individualisierung ist die Würde der Person. Globalisierung ist nicht eine Strategie zum absoluten Markt. Kern der Globalisierung ist ein globales und «ökologisches» Bewusstsein für eine wohnliche Erde für alle – mit einem hellenistischen Wort: für die «Ökumene».
W u r z e l n a u s r e i s s e n o d e r p f l e g e n ? D a s i s t d i e F r a g e !
Frieder Furlerarbeitet als Theologe in den Gesamtkirchlichen Diensten der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Er nimmt persönlich und als Bürger dieses Staa- tes aus gesellschaftspolitischer Sicht Stellung zum Fach Religion an der Primarschule.
Von Frieder Furler
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Globalisierung und Individualisierung im Bildungswesen
Der Bildungsrat hat am 14. Juli 2003 im Zuge des Sanie- rungsprogramms beschlossen, fürBiblische Geschichtean der Primarschule die Angebotspflicht aufzuheben.
Damit liegt es künftig in der Hand der Schulgemeinden, ob sie das Fach anbieten. Für den Entscheid hat der Bildungsrat finanzielle, nicht pädagogische Gründe ange- geben. Die politischen Umstände, welche zu diesem Entscheid geführt haben, fielen nicht vom Himmel. Sie sind uns bekannt. Es geht nicht um Sündenböcke, sondern um eine grundsätzliche Frage. Was geschieht, wenn ein Bildungsrat nicht mehr pädagogisch argumentiert? Wo bleibt das «ökologische» Bewusstsein fürinstitutionelle Werte und Identitäten, welche mehr sind als Organisation und Funktion? Wird Bildung zu einer Frage der Ökono- mie? Kommen die negativen Ladungen von Globalisierung und Individualisierungim Bildungswesen voll zur Wirkung? Die institutionelle Verantwortung für das Ganze delegiert der Bildungsrat auf die einzelnen Gemeinden und – über das Freifach B mit Anmeldung – auf die Eltern. Diese Individualisierung und Privatisierung ist vom Effekt her ein «Teile und herrsche».
Der Religionsunterricht gehört zur «ökologischen» Substanz, welche Kinder und Jugendliche zum Leben in einer globalisierten und individualisierten Welt befähigt. Vier Argumente begründen, warum er als Bestandteil in den obligatorischen Fächerkanon der Volksschule gehört.
Das bildungspolitische Argument:
Ganzheitliches Menschenbild
Reduzieren wir Welt und Mensch nicht auf Organisation und Funktion, dann brauchen wir ein ganzheitliches Welt- und Menschenbild. Es schliesst eine religiöse Dimen- sion mit ein. Daraus ergibt sich für die Volksschule ein umfassender Bildungsauftrag. Er befähigt Kinder und Ju- gendliche zu echter Individuation und Solidarisierung, also zu positiven Ladungen der zwiespältigen Prozesse der Individualisierung und Globalisierung.
Davon geht das Volksschulgesetz eigentlich aus. In §1 heisst es: «Die Volkschule erzieht zu einem Verhalten, das sich an christlichen, humanistischen und demokrati- schen Wertvorstellungen orientiert.» Und bei der Konzep- tion des neuen FachesReligion und Kulturan der Oberstufe der Volksschule hält der Bildungsrat ausdrück- lich fest: «Die religiöse Dimension gehört zu einer ganz- heitlichen Bildung.» (Bildungsrat, 15. August 2000, S. 4).
Fazit: Bildung umfasst Herz, Kopf und Hand. Darum braucht die Primarschule ein Fach Religion.
Das kulturgeschichtliche Argument: Pflege der Wurzeln
Eine Kultur hat Zukunft, wenn sie um ihre Herkunft weiss und im Dialog mit ihren Traditionen steht. Der Religionsunterricht an der Primarschule dient der Ausei- nandersetzung mit den abendländisch-christlichen Wur- zeln. Sie bilden – unabhängig von unserem persönlichen Glauben – eine wesentliche Grundlage unserer Kultur.
Die Säkularisierung in ihrer ganzen Zwiespältigkeit ist ei- ne Folge jüdisch-christlicher Tradition. Der einzige Weg
heraus aus den negativen Ladungen einer Geschichte ist die Auseinandersetzung mit ihr. Verdrängung führt zum Wiederholungszwang. Die Weitergabe der posi- tiven Ladungen des Erbes geschieht nicht automatisch, sondern in sorgfältig arrangierten Bildungsprozessen.
Der Religionsunterricht an der Volksschule bietet Kindern und Jugendlichen den Raum, in welchem sie sich kon- struktiv und kritisch mit ihren kulturellen Wurzeln auseinandersetzen. Im Lehrplan für die Volksschule des Kantons Zürich heisst es: «Ein Volk lebt in der Weitergabe seines kulturellen, politischen und religiösen Erbes von Generation zu Generation. Jeder Generation ist es aufge- geben, ihr geistiges Erbe zu bewahren und zu erneuern.»
(1991, S.4). Fazit: Ohne Wurzeln wächst kein Mensch.
Darum braucht die Primarschule ein Fach Religion.
Das gesellschaftspolitische Argument:
Orientierung im Pluralismus
Heute leben immer mehr Kinder, Jugendliche und Familien aus anderen Kulturen und mit anderer religiöser Herkunft unter uns. Der Religionsunterricht dient der Auseinandersetzung mit der heute erlebbaren Vielfalt von Religionen und Kulturen. Interkulturelle und inter- religiöse Ansätze im Religionsunterricht geben Kindern und Jugendlichen Impulse für den Aufbau ihrer eigenen religiösen Identität sowie für vertieftes Verständnis anderen Religionen gegenüber. «Unser Land, das vom Zu- sammenleben von sprachlichen, ethnischen, religiösen und kulturellen Mehr- und Minderheiten geprägt ist, baut auf dieses Verständnis der anderen.» (Lehrplan für die Volksschule des Kantons Zürich, 1991, S.4).
Ohne religiöse Identität und Kenntnis der eigenen Wurzeln ist das Gespräch mit anderen Religionen nicht möglich. Ohne Ich kein Du. Der Pluralismus braucht Positionen und Profile von Einzelnen, Gruppen und Kul- turen – nicht zur Abschottung, sondern zur Kommu- nikation. Wer dialogfähig wird im Pluralismus unserer Zeit, verfällt nicht dem Fundamentalismus und übt Akzeptanz ein. Das ist ein wichtiger Beitrag zur sozialen und kulturellen Integration, zum religiösen und
gesellschaftlichen Frieden in einer Zeit verwirrender Viel- falt und vereinfachender Polarisierung. Fazit: Dialog- fähigkeit ist im Pluralismus der Kulturen und Religionen die beste Prävention gegen Desintegration. Darum braucht die Primarschule ein Fach Religion.
Das curriculare Argument: Wurzeln und Frucht
Der nachhaltige Aufbau religiöser Kompetenzen bei den Heranwachsenden erfordert, dass sie den religiösen Fragen bereits auf der Primarstufe begegnen. Nur mit ei- nem früh gelegten Basiswissen über unsere eigenen, multikulturellen – orientalischen, hellenistischen und abendländischen – Wurzeln gelingt später das inter- religiöse Gespräch im neuen Schulfach «Religion und Kul- tur». Fazit: Nur was unten wächst, bringt oben Frucht.
Darum braucht die Primarschule ein Fach Religion.
In der Rubrik «Standpunkt» nehmen Persönlichkeiten Stellung zu einem aktuellen Thema. Die Aussagen sollen kompetent sein, sie dürfen aber persönlich gefärbt und pointiert sein – und müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.
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