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Portal Wissen Zwei 2014

Foto: Roese, Thomas

Foto: Massie, M. Thomas

E d i t o r i a l

„Was ist also 'Zeit'?“ seufzt Augustinus von Hippo im 11. Buch seiner „Confes- siones“ melancholisch, und fährt fort „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.“ Auch heute, 1584 Jahre nach Augustinus, erscheint 'Zeit' immer noch rätselhaft. Abhandlungen über das Wesen der Zeit fül- len Bibliotheken. Oder eben dieses Heft.

Wesensfragen sind den modernen Wissenschaften allerdings fremd. Zeit ist – zumindest in der Physik – unproblematisch. „Time is defined so that Motion looks simple“ erkärt man kurz und trocken, und verabschiedet sich damit vom Augusti- nischen Rätsel oder der Newtonschen Vorstellung einer absoluten Zeit, deren mathematischen Fluss man durch irdische Instrumente eh immer nur näherungswei- se erfassen kann.

In der Alltagssprache, selbst in den Wissenschaften, reden wir zwar weiterhin vom Fluss der Zeit, aber Zeit ist schon lange keine natürliche Gegebenheit mehr. Zeit ist vielmehr ein konventioneller Ordnungs- parameter für Änderung und Bewegung. Geordnet werden Prozesse, indem eine Klasse von Prozessen als Zählsystem dient, um

Liebe Leserinnen und Leser,

andere Prozesse mit ihnen zu vergleichen und anhand der temporären Kategorien

„vorher“, „während“ und

„nachher“ anzuordnen.

Zu Galileis Zeiten galt der eigene Pulsschlag als Zeit- standard für den Flug von Kanonenkugeln. Mit zuneh- mender Verfeinerung der Untersuchungsmethoden erschien das zu unpraktisch:

Die Weg-Zeit-Diagramme frei fliegender Kanonen- kugeln erweisen sich in diesem Standard ziemlich verwackelt, schlecht repro- duzierbar, und keineswegs

„simpel“. Heutzutage greift man zu Cäsium-Atomen.

Demnach dauert ein Pro- zess eine Sekunde, wenn ein 133Cs-Atom genau 9 192 631 770 Schwingungen zwischen zwei sogenannten Hyperfeinzuständen des Grundzustands vollführt hat. Und ein Meter ist die Entfernung, die Licht im Vakuum in exakt 1/299 792 458 Sekunden zurücklegt.

Glücklicherweise sind diese

Daten im General Posi- tioning System GPS hart kodiert, so dass der Nutzer sie nicht jedes Mal aufs Neue eingeben muss, wenn er wissen will, wo er ist.

Aber schon morgen muss er sich vielleicht ein Applet runterladen, weil der Zeit- standard durch raffinierte Übergänge in Ytterbium ersetzt wurde.

Der konventionelle Charak- ter des Zeitbegriffs sollte nicht dazu verführen zu glauben, alles sei irgendwie relativ und daher willkürlich.

Die Beziehung eines Puls- schlags zu einer Atomuhr ist absolut, und genauso real, wie die Beziehung einer Sanduhr zum Lauf der Sonne. Die exakten Wissen- schaften sind Beziehungs- wissenschaften. Sie handeln nicht vom Ding an sich, was Newton und Kant noch geträumt haben, sondern von Beziehungen – worauf schon Leibniz und später Mach hingewiesen haben.

Kein Wunder, dass sich für andere Wissenschaften der physikalische Zeit-Standard als ziemlich unpraktisch erweist. Der Psychologie der Zeitwahrnehmung entnehmen wir – und jeder wird das bestätigen können – dass das gefühlte Alter durchaus verschieden ist vom physikalischen Alter. Je älter man ist, desto kürzer erscheinen einem die Jahre.

Unter der einfachen Annah- me, dass die gefühlte Dauer umgekehrt proportional zum physikalischen Alter ist, und man als Zwanzig- jähriger ein physikalisches Jahr auch psychologisch als ein Jahr empfindet, ergibt sich der erstaunliche Befund, dass man mit 90 Jahren 90 Jahre ist. Und – bei einer angenommenen Lebenserwartung von 90 Jahren – mit 20 (bzw. 40) physikalischen Jahren bereits 67 (bzw. 82) Prozent seiner gefühlten Lebenszeit hinter sich hat.

Bevor man angesichts der

„Relativität von Zeit“ selbst in Melancholie versinkt, vielleicht die Fortsetzung des Eingangszitats von Augustinus: „Aber zuver- sichtlich behaupte ich zu wissen, dass es vergangene Zeit nicht gäbe, wenn nichts verginge, und nicht künftige Zeit, wenn nichts herankä- me, und nicht gegenwärtige Zeit wenn nichts seiend wäre.“ Tja – oder mit Bob Dylan „The times they're a changing“.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Zeit bei der Lektüre dieser Ausgabe.

PROF. DR. MARTIN WILKENS PROFESSOR FÜR QUANTENOPTIK

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