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OSTASIENWISSENSCHAFTEN

Leitung: H. Steininger

JIN HE'S KURZGESCHICHTE

„DIE FISCHER UND DIE ANGLER"

- von den Schwierigkeiten der neuen Beamten

im heutigen China*

Von Lutz Bieg, Berlin

Das Leben Ein Netz Bei Dao'

Noch immer ist der „winzige Bestandteil der Essenz Kunst", den Pasternaks Doktor Schiwago, wie er in seinem Tagebuch notierte, als „die Seele, das Wesen

und die Grundlage des Ganzen" in einem Werk ansaht in der chinesischen

Gegenwartsliteratur klein und schwach - zumindest von einem wesdichen Ver¬

ständnis von Literatur und Kunst aus gesehen. Nicht .unsere Sache' wird hier

verhandelt, kommt zur Sprache und rührt uns von daher an, sondern es ist eine

in ihrer Themenstellung uns ferne, überwiegend didaktische Literatur, die vor¬

gegebenen Zielen und Anforderungen gerecht zu werden sucht, die politische

Leitvorstellungen - konfuzianisch gesprochen: das dao j|. - umsetzen und ver-

* Überarbeitete und um Anmerkungen erweiterte Fassung eines auf dem 23. Deutschen Orientalistentag in Würzburg am 19. September 1985 gehaltenen Vortrags.

1 Vgl. für den Text des Gedichts „Aufzeichnungen aus der Stadt der Sonne", aus dem hier der letzte Vers (Ein Netz) zusammen mit seinem Untertitel ziüert ist. Bei Dao jt^A'orei from the City of Sun. Poems by Bei Dao. Edited and uanslated by Bonnie S. McDougall. Revised edition 1984. Ithaca, New York: China-Japan Program, Cornell University 1984, S. 87/88.

2 Boris Pasternak: Doktor Schiwago, Frankfurt: Fischer 1960, S. 336. - Anlaßlich einer Konferenz, die sich mit Problemen der „chinesischen kommunistischen Literatur" beschäf¬

tigte, entwickelte Cyril Birch aus diesem Pasternak-Zitat den Titel seines Einleitungsreferats The Particle of An, m: Chinese Communist Literature. New York: Praeger 1963, S. 3-14.

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breiten, lehren und popularisieren solP. Allerdings ist sie dadurch andererseits

hervorragend geeignet, über die Werte und Wertveränderungen, kurz: über das

Gesicht hinter der Maske Auskunft zu geben, das Innere der uns nach wie vor

verschlossenen chinesischen Gesellschaft zu zeigen".

Was ich damit meine, möchte ich im folgenden mit einem Blick auf die

chinesische Prosa der Gegenwart verdeutlichen, die in Gestalt einer ständig

wachsenden Kurzgeschichtenliteratur seit 1978 in ungeahnter Weise aufgeblüht ist-nicht als sich frei entwickelnde, experimentierende Kunst, sondern als eine, deren „soziale Verpflichtung", dies der heutige Begriff, der Mao Zedongs For¬

demng von 1942, Kunst und Literatur hätten dem Volk zu dienen, abgelöst hat^

nicht nur von den Politikern Chinas betont, sondern auch von den für die

Modernisierung und Entwicklung des Landes so überaus wichtigen Natur¬

wissenschaftlern formuliert wird. So haben die Schriftsteller nach der Meinung

des Shanghaier Quantenchemikers Wen Yuankai mit ihen Texten u.a. die Auf¬

gabe, literarische „Unterwasserbomben" herzustellen, die die tiefsten Tiefen der

chinesischen Gesellschaft erschüttem und umwälzen sollen mit dem Ziel, die

Umwandlung Chinas in eine modeme, entwickelte Gesellschaft vorzubereiten

und voranzutreiben - im Sinne der seit 1978 immer wieder betonten „Befrei¬

ung des Denkens"*.

Die Fülle der Erzählungen, die in den literarischen Zeitschriften Chinas

erschienen sind und weiter vorgelegt werden - für einen einzelnen ist diese

3 Vgl. hierzu meinen Aufsatz „Parteisekretär" und „General" in Literatur und Realität. Die Gemen von Ironie und Stire in der neusten chinesischen Literatur, in: Cologne-Workshop 1984 on Contemporary Chinese Literature I Kölner Workshop 1984 Chinesische Gegen¬

wartsliteratur. Hrsg. V. H. Martin. Köln: Deutsche Welle 1986, S. 149-168.

4 Für diesen Ansatz verweise ich auf Perry Linie: The use of literature to study value change in modern China: The state of the art in: Contemporary China 1,8 (Boulder 1977), S. 12-16, Stanley R. Munro: Modern Chinese literature as a tool in the investigation of Chinese social problems '\n:JournaloftheChineseLanguageTeachersAssociationl7 ,1 (Columbus 1982), S. 15-34 sowie meine unveröffentlichte Studie Tendenzen der chinesischen Kurzgeschichte seit 1978.

5 Für Mao Zedong, vgl. z.B. Mao Tse-tung: Ausgewählte Werke. Bd. 3. Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1969, S. 84, für die „soziale Verpflichtung" sei stellvcruetend für viele andere, ähnliche Aussagen auf die Rede Zhou Yangs hingewiesen, die im Aprilheft 1981 der Wenyi bao veröffendicht wurde und in der er vom „Verantwortungsgefühl" der Schriftsteller sprach sowie ausdrücklich betonte „Kein Werk kann veröffendicht oder aufgeführt werden, ohne seine gescllschafüiche Wirkung in Betracht zu ziehen. Dies ist die Minimalforderung an die Verpflichtung des Schriftstellers dem Volk gegenüber".

6 S. hierzu das Gespräch mit Wen Yuankai, das die Wenxue bao am 26. Mai 1983 ver- öffenüichte. - Den Hinweis auf Wens Aussagen verdanke ich der Freundlichkeit Herm Harro von Sengers.

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Masse bereits unübersehbar geworden' - zwingt den Betrachter nach Schlüs¬

selstücken Ausschau zu halten, die aus dem Durchschnitt der Hervorbringungen herausragen und von chinesischer Seite - um unsere Sicht, unseren Geschmack so weit wie möglich zurücktreten zu lassen - als ,ausgezeichnet' angesehen und propagiert werden.

Eine solche 1984 veröfentlichte, in ihrer Thematik höchst aktuelle Kurz¬

geschichte ist die Erzählung des Autors Jin He n *. B^f5 *. * (Dayude he diaoyude;

wörtlich: Die mit dem Netz Fische fangen und die mit der Angel fischen).

Niedergeschrieben im September 1983 wurde sie zuerst in Heft 1 des Jahrgangs

1984 der Sichuaner Lieraturzeitschriffa-'^'f«-X/'anda/ zuojialModern Writers

veröffentlicht* - als eine von vielen Kurzgeschichten dieses Jahres. Doch mitt¬

lerweile ist sie zu einem gleich dreifach hervorgehotjenen .ausgezeichneten' Text avanciert, wurde doch diese Erzählung 1.) am 16. März 1985 auf Platz 5 der

18 „besten mit einem Preis ausgezeichneten Kurzgeschichten des ganzen Lan¬

des im Jahre 1984" gesetzt', 2.) am 4. und 5. April 1985 in der Zeitung Chinas, der im ganzen Lande millionenfach verbreiteten offiziellen a. k ati^Renmin ribao (Volkszeitung) nachgedruckt und 3.) fast gleichzeitig über eine Bildergeschich¬

te, eine Comic-Version in 36 Bildern mit entsprechenden knappen Bildunter¬

schriften im Aprilheft des Jahrgangs 1985 der in Millionenauflagegedruckten Bildergeschichten-Zeitschrift4_tf.Ä)ji.Lia/i/j«a«/2M<3 bao^° auch Chinas semilite-

raten Massen - 230 Millionen Analphabeten oder halbe Analphabeten wurden

in der Volkszählung von 1982 ermittelt" - zugänglich gemacht.

Warum? Was ist das Besondere an dieser Kurzgeschichte von rund 10.000

Zeichen? Was zeichnet diesen Text des 1943 geborenen ^-'A^Xu Hongzhang,

der unter dem Schriftstellemamen Jin He (=Goldfluß) seit 1978 schreibt,

aus, daß er so massenhaft verbreitet wurde? Was mögen die Gründe dafür gewe¬

sen sein? Bevor ich mit meiner Interpretation - zumindest im Ansatz - eine

Antwort auf diese Fragen zu geben suche, sei zunächst die Erzählung in ihren

Grundzügen vorgestellt:

An einem Feiertag, einem 1. Mai, dem „Tag der Arbeit" auch in China, zu Anfang der 80er Jahre fährt ein „neuer" Kader Tan Diqing - nach Studium und Tätigkeit als Techniker ist er, ein Mittvierziger, seit einem Jahr im Wasser¬

konservierungsbüro eines Kreises als leitender Beamter tätig - zusammen mit

7 Aus den Leservorschlägen in den bislang sieben nationalen Kurzgeschichtsprämierungen (1978-1984) läßt sich auf eine Gesamtproduktion von wenigstens 24.000 Kurzgeschichten schließen.

8 S. Xiandai zuojialModern Writers 1 (Chengdu 1984), S. 6-13.

9 Vgl. Renmin ribao (Beijing), 17. März 1985, S. 3.

10 Diese Zeitschrift, die zu den auflagestärksten Chinas gehört, wurde 1982 mit einer Auflage von 10,5 Millionen Ex. pro Monat verlegt.

11 Für die Zahlen, vgl. China aktuell (Hamburg), November 1984, S. 638,16).

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Parteisekretär Guo, seinem wesentlichi älteren örtlichen Gastgeber auf dem

Lande, sowie dem Sekretariatsleiter Dong und dem Chauffeuer Xiao Lin - die

beiden letzteren haben Tan aus der Kreisstadt auf seiner Inspektionsreise be¬

gleitet - über einen Stausee, an dessen Bau Tan vor acht Jahren als Techniker beteiligt war und den er einmal wiedersehen möchte.

Auf ihrer Besichdgungs-Vergnügungs-Fahrt - eigendich hatte Tan an die¬

sem Feiertag allein den See besuchen wollen, doch schließlich vermochte er sich

der Liebenswürdigkeit des um ihn bemühten, ständig Anordnungen für seine

Wohlfahrt treffenden Parteisekretärs nicht zu entziehen und gUtt so sich fügend in das von Guo ausgespannte „Netz" eines organisierten Ausflugs - legen sie,

wie vom Parteisekretär angekündigt, an einer Insel an, um auf ihr spazieren zu

gehen. Einige von Guo dazu abgeordnete Männer, die sie begleitet haben, müs¬

sen während dieser Rast - trotz des Feiertags - Fische, die wie Guo nicht müde wird zu betonen, einzige Spezialität dieser Gegend, mit einem großen Netz fan¬

gen. Angeblich ist dieser Fischzug notwendig geworden, weil eine andere

Einheit, der Guo verpflichtet ist und der er deshalb einen Gefallen zu erweisen hat, diese ,Delikatesse' benötigt, in Wahrheit jedoch ist die Beute in erster Linie

für die geehrten Gäste aus der Kreisstadt bestimmt, für die, wie die meisten

Chinesen, hochwertige, frische und gute Nahrungsmittel nicht so selbstver¬

ständlich und einfach zu erlangen sind.

Nachdem sich die vier Herren erholt haben und der Fischfang erfolgreich

abgeschlossen ist, fährt man zurück. Aber die Fahrt wird gestört, denn Güo

erspäht plötzlich vier Arbeiter, die, obwohl es verboten ist, im Reservoir fischen -jeder mit einer Angel. Einer von ihnen ist ein alter Bekannter Tans aus der Zeit

des Staubeckenbaus, Chang Hongquan. Obwohl Tan um Milde bittet, bestraft

Parteisekretär Guo, voll aufgebrachter Entrüstung über diese Regelverletzung,

die Männer hart, ja zu hart: Er verlangt von jedem der Angler 15, bzw. aus

vermeindichem Großmut, weil es das erste Mal sei, schließlich 10 yuan Strafe

was noch immer fast ein Siebtel eines durchschnittlichen Monatslohns eines

Industriearbeiters in China sein dürfte, undkonfisziert,um seiner Forderung, die die vier natürlich gar nicht sofort befriedigen können, Nachdruck zu verleihen,

vorübergehend ihre Fahrräder, was die Arl^eiter, 15 km von ihren Wohnungen

entfemt, an einem Feiertag, da kein Bus fährt, in eine sehr mißliche Lage bringt.

Auch der Versuch Tans, den Arbeitern wenigstens die Beschlagnahme der

Fahrräder zu ersparen, wird von Guo unterlaufen: Nachdem Tan damit gedroht

hatte, falls die Arbeiter ihre Fahrräder nicht zurückbekämen, das Motorboot

nicht zu besteigen, und er von Guo, der ihn mit dem Hinweis beschwichtigt, er

beabsichnge die Arbeiter nur zu erschrecken, d.h. er wolle ihnen nach einem

scheinbaren Ablegemanöver schließlich ihre Fahrräder wieder zurückgeben, an

Bord geholt worden ist, legt das Schiff ab und fährt ohne weiteren Aufenthalt

direkt zum Ausgangspunkt ihres Ausflugs zurück, während die Arbeiter, die

hilflos und stumm ihren entschwindenden Fahrrädem nachstarren, am Ufer

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stehen. Ohne die hauptsächlich für ihn gefangenen frischen Fische anzuneh¬

men, d.h. ohne sie von Sekretär Guo .preiswert' zu kaufen und auch ohne das

natürlich schon vorbereitete Abendessen noch bei seinem Gastgeber Guo einzu¬

nehmen, bricht Tan nach der Landung sofort „völlig erschöpft" in die Stadt auf.

Ein Problemkreis vor allem wird in dieser Erzählung thematisiert, wird von

dem Autor Jin He, der, wie alle seine Schriftstellerkollegen, nach der Meinung

des oben zitierten Naturwissenschaftlers wegen seiner Möglichkeiten, die Ge¬

sellschaft zu beeinflussen, von besonderer Wichugkeit ist, mit, wie die m.E.

koordinierte, massenhafte Verbreitung beweist, wohl ausdrücklicher Billigung hoher und höchster Parteigremien den chinesischen Lesern als „Unterwasser¬

bombe", als Stoff zum Nachdenken und zur Diskussion, vorgelegt. Es ist der der Beziehungen, der „Verfilzung" der allgegenwärdgen Bürokratie, die schon vor

längerem, wie man manchmal in China hören kann, eine neue Diziplin, die k i

guanxi xue („Beziehungswissenschaft"), hat aufblühen lassen. Seit dem Tode

Mao Zedongs am 8. September 1976 ist davon immer mehr sichtbar geworden;

vor allem aufseheneregende Reportageliteratur-Beispiele - das wohl bekann¬

teste dürfte Liu Binyans „Zwischen Mensch und Dämon" von 1979 sein''^ -

haben auf diesen Entwicklung und Modernisierung behindernden Sachverhalt

hingewiesen.

Die maoistische Formel „Dem Volke dienen" - wohl immer schon mehr eine

Aufforderung, ein Appell, dem man nacheifern sollte (dem jedoch im kon¬

fuzianisch-kommunistischen Kontext nur selten Folge geleistet wurde) ist in den

dreißig Jahren der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas von

einem Verfügungs- und Besitzdenken der Kader verdrängt worden, das Staats¬

eigentum - so wenigstens charakterisiert es Jin He in seiner Erzählung - als

„Hinterhof, d.h. als Privatbesitz lietrachtet, über den ein Kader, ein Staats¬

diener, uneingeschränkte Verfügungsgewalt besitzt. Für den örtlichen Partei-

seketär Guo ist so das Staubecken, der künsdich geschaffene See, der ja allen

dienen soll - er läßt sich auf einer Interpretadonsebene durchaus als Symbol ei¬

nes von Menschen geschaffenen, entwickelten Wohlstands verstehen - etwas,

über das er wie über ein Privatgärtchen frei verfügt, wobei seine wohltätige

Gunst allerdings nur denen zuteil wird, die ihm wichtig erscheinen: Denen

„verkauft" er augenzwinkemd, scheinbar korrekt - ausdrücklich verwahrt er

sich dagegen.'daß es etwa seine Absicht sei, die Gäste aus der Kreisstadt zu

„bestechen" - die Beute ... aus seinem Netz und fängt sie zugleich in seinem

„Beziehungsnetz". Dieses Netzes aber können sich nur einige bedienen, denn die

wenigsten haben die Möglichkeiten, wichtige, Beruf und Karriere fördernde

Beziehungen aufzubauen und zu nutzen, die die heutige chinesische Gesell¬

schaft charakterisieren. Dabei geht es - dies sei hier nochmals betont - nicht um 12 Für die deutsche Übersetzung dieses Beispiels von Reportageliteratur unter dem Titel Unter Menschen und Dämonen, vgl. Literatur und Politik in der Volksrepublik China. Heraus¬

gegeben von Rudolf G. Wagner. Frankfurt: suhrkamp 1983 (ediüon suhrkamp 1151) S.

186-247.

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offene Korruption, sondem um den ganz ,natürlichen' Aufbau von Verbin¬

dungen, mit denen man andere, die sich ihrer bedienen möchten oder müssen,

sich verpflichtet und durch die derjenige, der sie besitzt, für andere bedeutsam

und letztendlich einflußreich und mächtig wird. Das verhängnisvolle Krebsge¬

schwür der Beziehungen ist in der chinesischen Gegenwartsliteratur so durchaus erkannt: Das Eigeninteresse steht im Vordergmnd, dann erst erfolgt die Orien¬

tierung auf ein übergeordnetes Ziel. Das, was in der Kurzgeschichte auf der

Mikroebene eines Landkreises über Parteisekretär Guos Nutzung des Stausees

für seine Zwecke illustriert wird, wiederholt sich gröber und direkter in der

Realität auf allen Stufen, denn immer neue Fälle von Wirtschaftskriminalität werden in der chinesischen Presse enthüllt".

Über den Auf- und Ausbau des Rechtssystems (seit 1978) hofft man ei¬

nerseits des Üheh Herr zu werden, mit Hilfe der Literatur andererseits aber

versucht man zu zeigen, daß die chinesische Führung um das Problem weiß und

es deshalb diskutiert werden kann.

Auf das engste verbunden mit den schädlichen „Beziehungen" ist das

Personalproblem; für den Tenor von Jin He's Erzählung ist bezeichnend, daß der

alte Kader, Parteisekretär Guo, der Beziehungsexperte ist, während Tan, der

neue Kader, derjenige ist, dem es in diesem Falle gelingt - unter beträchtlichem

Kraftaufwand - aus diesem Netz auszubrechen. Werden die jüngeren Kader, die

als ausgebildete, studierte Beamte von nun an die Entwicklung des Landes

vorantreiben sollen, wenn sie als „dritte Staffel" allmähhch die erste und zweite

Riege der Bemfspolitiker im Alter der Veteranen des Langen Marschs wie Deng

Xiaoping (81), bzw. der etwas jüngeren wie Ministerpräsident Zhao Ziyang (65)

und Parteivorsitzender Hu Yaobang (69) ersetzt hal>en, nicht genau so wie ihre

Vorgänger werden? Werden sie sich den Verlockungen der Macht, der Ver¬

fügungsgewalt über das ihnen anvemaute große Netz gewachsen zeigen? Das

sind Fragen, die China zur Zeit bewegen, die sich auch uns, den Beobachtem

des Verjüngungsprozesses der Fühmng (von dem Deng Xiaoping schon 1981

gesagt hatte, er sei eine Sache auf Leben und Tod fürdie Partei, ein strategisches

Problem, das die gesamte Zukunft des Landes bestimmen werde) stellen, wenn

es gilt, die nationale Delegiertenkonferenz der Kommunistischen Partei Chinas

vom September 1985 zu kommentieren, deren erklärtes Ziel es war, eine Reihe

von jüngeren Kadem im Alter zwischen dreißig und fünzig Jahren ins Zen¬

tralkomitee zu entsenden, bzw. ältere Kader dort durch diese „dritte Staffel"

ersetzen zu lassen'".

13 Fiir einige gravierende Fälle von Wirtschaftskriminalität in jüngster Zeit, vgl. vor allem China aktuell (Hamburg), Febmar 1985, S. 78-80, 17) und März 1985, S. 143, 11).

14 Für die Verändemngen in der Führung, die auf der am 18. September 1985 eröffneten Delegiertenkonferenz beschlossen wurden, wie z.B. den Aufstieg von 64 neuen Mitgliedern ins Zentralkomitee, vgl. Asiaweek (Hongkong), 4. October 1985, S. 23-28 (Enter Deng's Men).

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Jin He's „Die Fischer und die Angler" reflektiert die aktuellen Schwie¬

rigkeiten der neuen Beamten im alten Beziehungsnetz mit literarischen Mitteln.

Den insgesamt vier alten und neuen Vertretern staatlicher Macht, gruppiert um

die gegensätzlichen Charaktere Guo und Tan, dessen beide städtischen Begleiter

übrigens, darüber bleibt kein Zweifel, in ihem Verhalten Guo zuneigen, Men¬

schen, die die Möglichkeit haben, mit dem Netz für sich fischen zu lassen -

gesichts- und konturlos bleibende Arbeiter haben am Ende 60-70 Pfund Fisch

für sie gefangen - was auch von allen, mit Ausnahme Tans, als normal em¬

pfunden wird, also diesen vier Vertretern der politischen Herrschaft stehen vier

Arbeiter, Vertreter der in der Vergangenheit immer wieder beschworenen werk¬

tätigen Massen, weitgehend stumm und sprachlos gegenüber. Nur einer von

ihnen, nämlich Chang, der Bekannte Tans, hat Namen und Stimme; er ist der

einzige, der sich artikuliert. Die Arbeiter haben, was die Erzählung indirekt rügt,

eine Regelüberschreitung begangen: Sie haben entgegen dem Verbot des Fi¬

schens einpaar Fische für sich selbst geangelt. Doch Changs Hinweis auf ihre

bedrängteSituation, die ihnen, wenn sie frische Fische essen möchten, keinen

anderen Auswegläßt als sich über die Gebote und Verbote hinwegzusetzen,

relativiert ihr Fehlverhalten, entschuldigt im Kontext der Geschichte gesehen ihr Verhalten mehr als das Guo's.

Objektiv gesehen ist Guo's strafendes Vorgehen gegenüber den Arbeitern

gerechtfertigt - Regeln müssen eingehalten werden - subjektiv ben-achtet ist es

allerdings angesichts seiner Selbstbedienungsmentalität in Bezug auf Staats¬

eigentum - dessen Nichtrespektierung er ja gerade den vier Arbeitern vorwirft - falsch und verlogen. Tan, der dies durchschaut, kann das sich daraus für ihn ergebende Dilemma, das noch durch die alten, privaten, freundschaftlichen Kon¬

takte zu Chang auf der einen und die neuen, offiziellen, Loyalität zum Amts¬

kollegen implizierenden Beziehungen zu Guo auf der anderen Seite verschärft

und kompliziert wird, nur dadurch lösen, daß er, sosch werihm dies auch fällt, das

Beziehungsnetz an dieser Stelle zerreißt, indem er sich nicht chinesisch

verbindlich, sondem westlich brüsk und rechtlich verhält -er nimmt die Ge- und Verbote ernst, die in China nach der langen rechtsfreien Zeit vor 1978 durch¬

zusetzen, noch sehr viel Zeit und Mühen kosten wird.

Dieses unchinesische Verhalten - Tan kommt weder seinen „Ver¬

pflichtungen" dem Freunde noch dem Amtskollegen gegenüber nach - er läßt

beide stehen - dürfte Ursache für seine am Ende der Kurzgeschichte betonte

Erschöpfung sein.

Auf einen anderen Aspekt der Erzählung sei hier noch kurz aufmerksam

gemacht: In der zugespitzten Situation am Ufer des Sees gibt es zwischen Füh¬

rung und Geführten letztlich keine andere Verbindung mehr als die von Urteil

und Strafe, Befehl und Gehorsam. Meines Erachtens wird hieran sichtbar, daß

die enge Vebindung zwischen Leitung und Massen, die in den Anfangsjahren der

Literatur der Volksrepublik China stets propagiert wurde, nicht (mehr) besteht.

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Die zwischen Chang und Tan einst existierende, auf einer gemeinsamen Ar¬

beitserfahrung in der Vergangenheit beruhende .Freundschaft' läßt sich als

Hinweis darauf verstehen, daß sie möglich war, jedoch heute, entsprechend der

Entwiclclung einer differenzierter werdenden Gesellschaft, in der die Durch¬

setzung von Rechtsvorschriften Vorrang haben soll, aufgegeben worden ist.

Auch wenn ich mir eine detailhertere Interpretadon hier versagen muß. so

viel ist doch, wie ich hoffe, deutlich geworden, daß nämhch die Erzählung unter einer nicht sehr bewegten Oberfläche Entscheidendes, Icritisch Zugespitztes

mitteilt. Damit zeichnet sich aber auch schon die Beantwortung der eingangs

gestellten Fragen ab, warum diese Erzählung in dem genannten Maße in China

verbreitet worden ist.

Zweifelsohne vebinden sich mit der Verjüngung des Führungsapparates,

über deren spektakulärste Auswirkungen im September 1985 auch die deutsche

Presse ausführlich berichtete, viele und große Hoffnungen der Chinesen: auf

raschere Entwicklung, größeren materiellen Wohlstand, mehr Freiheiten. Dies

sind, sagt Jin He's Erzählung, berechtigte Hoffnungen; allerdings, das drückt die Geschichte ebenfalls aus, der Weg zur Erfüllung dieser Hoffnungen ist lang und beschwerlich.

Jin He's „Botschaft" ist dabei zweifacher Art: Sie wendet sich zum einen

nach oben und zum anderen nach unten. Bei den Massen wirbt die Erzählung

über die Darstellung der komplexen Schwierigkeiten eines neuen Beamten in¬

nerhalb der bestehenden Strukturen um Verständnis für diese jungen Mitglieder

der Führung, die „Freunde" der Massen, ob ihres schwierigen Wegs hin zu

anderen, besseren Verhältnissen, den neuen Kadern de „dritten Staffel" aber will

Jin He Mut machen, das fesselnde (andererseits aber absichernde und Macht

gewährende) Netz zu zerreißen - trotz der Mühen, die dies macht.

Wunder sind nicht zu erwarten, können auch angesichts der schwierigen

Verhältnisse nicht erwartet werden. Die Darstellung der mehr oder weniger

durchschnittlichen Protagonisten der Kurzgeschichte, verstrickt in sehr erd¬

hafte (meilenweit von unseren westhchen Ängsten und Sorgen entfernte)

Probleme einer immer noch überwiegend von Armut geprägten Gegenwart,

macht dies mit Nachdruck sichtbar. Auch die ranghöchste Figur der Erzählung,

wie immer in Texten aus sozialistischen Literaturen kann sie bis zu einem

gewissen Graße als stellvertretend für die oberste Führung des Landes betrach¬

tet werden, der zweifelsohne die Sympathien des Autors gelten, ist kein über¬

lebensgroßer Held: Tan ist jemand, der versucht, sich anders zu verhalten als z.B.

Guo, der alte Parteisekretär und Beziehungsvirtuose. Tan, der neue Kader,

mißbraucht sein Amt nicht für seine privaten Ziele - damit ist er ein Vorbild

gegenüber all den Kadern, die über die chinesische Reformpolitik - nach Deng

Xiaoping stellt sie Chinas zweite Revolution dar - gestolpert sind, sich in große oder kleine Wirtschaftsverbrechen verstrickt haben. Wegen dieses gedämpften Optimismus bei duchaus kritischer Sicht der Verhältnisse - Jin He's Darstellung

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des Parteisekretärs Guo hätte m.E. vor acht Jahren garantiert, daß seine Er¬

zählung nie gedruckt worden wäre! - diirfte die Partei, bzw. die Gruppe der

Reformpolitiker um Deng Xiaoping, die die Unterstützung der Intellektuellen,

der Schriftsteller, für das große Ziel, die Modernisierung Chinas, suchen,

veranlaßt haben, diese Kurzgeschichte Jin He's in so auffälliger Weise in China

verbreiten zu lassen - zur literarischen Illustration und werbenden Unter¬

stützung ihrer politischen Ziele und Absichten.

DAS TAO-TSANG PROJEKT

Von Max Kaltenmark, Paris

Der Vortrag war Teil einer Feierstunde, die zu Ehren von Hans Steininger am 17. September 1985 während des 23. Deutschen Orientalistentages im Toscana Saal der Würzburger Residenz stattfand.

Sehr geehrte Anwesende

Herr Professor Steininger hat mich gebeten, einige Sätze über das Tao-tsang Projekt zu sagen. Nun soll die Geschichte dieses Forschungsvorhabens hier nicht

im Detail dargestellt werden. Es scheint mir jedoch wichtig, auf die große Be¬

deutung des Projektes hinweisen, auf die enorme Arbeit, die dafür geleistel

wude, sowie auf den Teilbereich, der in Würzburg unter der Leitung von Pro¬

fessor Steininger schon fast fertig geworden ist.

Ich möchte nur in Erinnemng rufen, daß die Idee eines solchen Vorhabens

im September 1976 in Paris auf der 26. Konferenz der European Association of

Chinese Studies entwickelt wurde. Herr Professor Schipper schlug dieser Ver¬

sammlung vor, sie solle auf europäischer Ebene das Projekt fördern, einen

deskriptiven Katalog zum Tao-tsang zu erstellen, jenem Korpus der taoisdschen

Schriften, das im Jahre 1445 unter der Ming Dynastie herausgekommen war. Der

Tao-tsang ist eine riesige Sammlung von mehr als 1482 Werken. Darin sind fast

die gesamten Quellen zum Taoismus enthalten. Ohne Zweifel ist Ihnen bekannt,

daß dieses philosophisch-religiöse System in den letzten 15 Jahren auf wach¬

sendes Interesse gestoßen ist, sogar in der breiteren Öffentlichkeit. Dieses Inter¬

esse ist völlig gerechtfertigt, weil wir in dem Maß, in dem sich unsere Kenntnisse von China verfeinern, gewahr werden, daß der Taoismus die chinesische Gesell¬

schaft viel tiefer durchdringt als wir bisher angenommen hatten. Die konfuzia¬

nische Fassade hat den taoistischen Anteil an der chinesischen Zivilisation

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