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Archiv "Brief aus Italien: Der erste Schritt zur Auflösung des staatlichen Gesundheitsdienstes" (24.11.1988)

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BLICK INS AUSLAND

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

taliens „Servizio Sanitario Nazio- nale" ist in der Krise: Man kommt mit dem Geld nicht aus.

Viele der „Unitä Sanitarie Locali" , die das Gerüst des Dienstes bilden, waren schon im September 1988 mit den ihnen für das ganze Jahr zuge- wiesenen Mitteln am Ende. Sie ha- ben Glück, wenn sie sich in einer Region befinden, die einen Haus- haltsüberschuß hat: Manchmal kann die Regionalregierung helfen.

Roms Gesundheitsminister Car- lo Donat Cattin (Christdemokrat) ist deshalb auf eine verzweifelte Idee verfallen: Die Selbständigen — Freie Berufe wie Gewerbetreibende — sol- len aus dem Sachleistungssystem herausgenommen und wieder dem Kostenerstattungssystem unterwor- fen werden — jedenfalls für die am- bulante Versorgung. Es ist nicht ganz ersichtlich, wieso dies eine Ein- sparung ergeben soll, denn die Er- stattungen im Rahmen des Kosten- erstattungssystems entsprächen den Aufwendungen im Sachleistungssy- stem, das ohnehin schon eine ganze Reihe von Selbstbeteiligungen ent- hält. Und die verschiedenen Organi- sationen der Handwerker, Kaufleu- te und Freien Berufe sind auch schon auf die Barrikaden gestiegen.

Allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Denn in einigen Verbän- den hat man bemerkt, daß die Ideen von Donat Cattin eine neue Chance eröffnen: Man könnte das alte Sy- stem der „Mutualitä" wieder ein- führen. Bevor es den staatlichen Ge- sundheitsdienst gab, existierte ein duales System: eine Sozialversiche- rung, die die Grundbedürfnisse deckte, und die „Mutualitä", eine Art von Ersatzkassen, die in einem Versicherungssystem das finanzier- ten, was die Grundversorgung nicht gewährte. Sind die Vorstellungen des gegenwärtigen Gesundheitsmi- nisters geeignet, den zehn Jahre al- ten, ungeliebten, ständig defizitä- ren, von den politischen Parteien zur Pfründe für verdiente Funktionäre umgewandelten „Servizio Naziona- le" allmählich wieder in ein vernünf- tiges Versicherungssystem zurückzu- verwandeln?

Verschiedene Organisationen der Selbständigen haben dem Fi- nanzminister vorgeschlagen, für sie

ein neues Einkommensteuer-System einzuführen. Sie sind bereit, für je- weils drei Jahre eine Pauschal-Ein- kommensteuer abzuführen, die sich nach den Steuererklärungen der vor- angegangenen Jahre bemißt. Falls jemand sich dadurch besonders be- nachteiligt fühlt, kann er — so die Vorschläge — natürlich eine Einzel- veranlagung beantragen. Aber das werde, so meint man, kaum jemand tun. Denn die Dreijahrespauschale würde den Steuerpflichtigen der Mühe entheben, eine Unmenge von Buchführungsarbeiten nur aus fiska- lischen Interessen zu betreiben.

Zehn Jahre alt ist auch das

„Gesetz 180", das die italienische

Brief aus Italien

Der erste Schritt zur Auflösung des staatlichen

Gesundheitsdienstes

Psychiatrie praktisch abgeschafft hat. Das auf Betreiben des Psychia- ters Basaglia zustandegekommene Gesetz hat die „Irrenhäuser" abge- schafft und die psychiatrische Be- handlung in die allgemeinen Kran- kenhäuser (mit begrenzten Statio- nen) und in die ambulante Versor- gung delegiert.

In der Region Latium, zu der auch Rom gehört, hat Oberstaatsan- walt Giorgio Amati kürzlich Strafan- zeigen gegen insgesamt 40 Funktio- näre der „Lokalen Sanitätsein- heiten" erstattet: Sie seien ihren Verpflichtungen, das „Gesetz 180"

auszuführen, nur äußerst unzurei- chend nachgekommen. Dies sind die Tatsachen: In der Region, die von etwa fünf Millionen Menschen be- wohnt wird, existieren von den vor- gesehenen 59 Ambulatorien bisher nur fünf. In Rom gibt es insgesamt 45 psychiatrische Betten, die die ganze Region versorgen sollen (al- lerdings hat der Gesundheitsdienst auch Verträge mit einigen privaten psychiatrischen Häusern, aber das ist ein Tropfen auf dem heißen

Stein). Und viereinhalb Milliarden Lire, mit denen fünf neue Stationen in Rom, Frascati und Viterbo ausge- baut werden sollten, sind spurlos versickert.

Zur gleichen Zeit fand in Nea- pel ein Kongreß über die psychiatri- sche Versorgung in Italien statt. Der war natürlich vornehmlich von Ba- saglia-Anhängern besetzt, und er konstatierte, daß alles eigentlich recht gut sei. Zu kritisieren sei ledig- lich, daß es ein Nord-Süd-Gefälle gäbe, was in Italien bei jeder Gele- genheit behauptet wird.

Am 1. Oktober 1988 sind Be- stimmungen in Kraft getreten, von denen gesagt wird, daß sie die An- zahl der Führerscheininhaber in Ita- lien um 25 Prozent reduzieren könn- ten. Jemand, der einen Führerschein bekommt oder besitzt, müsse, so heißt es, eine robuste physische Konstitution haben. Allerdings: Ge- nau ist das nicht definiert, und der Diabetes kann dafür ein Beispiel sein. Es heißt: Keiner darf einen Führerschein haben, der Insulin- spritzen benötigt. Dann die Ein- schränkung: „. . . in einer Weise, die die Fahrsicherheit beeinträch- tigt". Das Dekret des Verkehrsmi- nisters enthält eine große Anzahl solcher unbestimmten Bestimmun- gen, und die Ärztekammer beklagt sich darüber, daß ärztlicher Sachver- stand nicht gefragt worden ist, als das Dekret formuliert wurde.

Man muß dazu wissen, daß ein italienischer Führerschein nur zehn Jahre lang gilt. Dann muß nach dem neuen Dekret ein Autofahrer zu sei- nem Hausarzt gehen und sich unter- suchen lassen; der Hausarzt muß ein Gutachten an die „Lokale Sanitäts- einheit" abgeben, und die leitet das

— mit allen Diagnosen, die der Haus- arzt aufgeschrieben hat — an die Ver- kehrsbehörde weiter. Von Schwei- gepflicht und Vertrauensverhältnis Arzt—Patient ist nicht die Rede. Da- von, daß ältere Autofahrer Defizite durch Erfahrung kompensieren kön- nen, hat der Verkehrsminister auch noch nichts gehört.

Andererseits: Eine Vorschrift, die Sicherheitsgurte obligatorisch macht, ist wohl erst frühestens in der Mitte nächsten Jahres zu erwar- ten . . . Walter Burkart A-3326 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

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