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A2268 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 34–35½½½½26. August 2002
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uch ohne Kenntnis des sozialen und spirituel- len Hintergrunds ver- mag diese Skulptur den Be- trachter sofort in einer ganz spezifischen Weise anzuspre- chen. Mit weit aufgerissenem Maul, die Zähne gebleckt, nähert sich ein vierfüßiges Untier. Große, zum Teil ab- gebrochene Hauer unterstrei- chen die Wehrhaftigkeit die- ses archaisch anmutenden Wesens, das weder Augen noch Ohren kennt. Stattdes- sen wächst aus seinem rück- wärtigen Bereich der Ober- körper einer männlichen Fi- gur heraus, die das Clan- Oberhaupt oder einen bedeu- tenden Krieger verkörpert.Der ausdrucksstarke Mund und die tief unter der vorge- wölbten Stirn liegenden Au- gen verleihen der Figur einen strengen Ausdruck, der durch die hohe Stirn mit den für die Skulpturen und Masken der Urhobo typischen parallelen
Narbentätowierungen unter- strichen wird.
Die im Spannungsfeld von Angriff und Verteidigung ste- henden Aufgaben dieser so genannten Ivwri-Figuren las- sen sich bei der hier vorge- stellten Skulptur am ehesten im Sinne des Schutzes und der Verteidigung interpretie- ren. So setzt die männliche Fi- gur mit jeder Hand einen Stab, bekrönt von einer weib- lichen Büste, auf den Rücken des Untiers. Vor diesen Figu- renstäben sind zwei Tiere auf- genagelt, sodass insgesamt der Eindruck erweckt wird, dass es hier Haus und Hof zu schützen gilt.
In der westlichen Kultur, die durch eine Flut von Be- richten über Kriege und Ver- brechen ebenso geprägt ist wie von vielen der Fantasie entsprungenen Horrorgestal- ten (zum Beispiel den „Orks“
und anderen Monstern in der Verfilmung „Der Herr der
Kunst und Psyche
Ivwri-Figur der Urhobo
Ivwri-Figur der Urhobo, Nigeria, Holz, bemalt, Höhe 80 cm
Urhobo:Volksgruppe im westlichen Teil des Nigerdeltas in Nigeria,Westafrika. Das religiöse Weltbild konzentriert sich auf die Verehrung in der Natur wirkender Kräfte (Flüsse, Bäume und anderes). Diese Kräfte werden „edjo“ genannt und manifestie- ren sich in Lehmaltären und geschnitzten Figuren. Typische Kennzeichen der aus- drucksstarken Skulpturen und Masken sind die parallel über die Stirn verlaufenden Narbentätowierungen und die zumeist scharfkantige Mundgestaltung. Die Figuren werden überwiegend weiß gefärbt, gelegentlich aber auch gelb oder rot.
Literatur
1. Ikime O: Niger Delta Rivalry. Longmann, London 1969.
2. Schädler KF: Lexikon afrikanischer Kunst und Kultur. Klinkhardt & Biermann, Mün- chen/Berlin, 1994
Foto:Eberhard Hahne
Ringe“), lässt sich eine Di- stanz herstellen zu ethnologi- schen Objekten wie der hier gezeigten Ivwri-Figur. Da sie außerdem nicht als spirituell aufgeladen wahrgenommen wird, mag sie zwar beein- drucken, nicht aber ängstigen.
Trotzdem vermittelt sie viel von der Kraft und Macht, die der Schnitzer in Nigeria ihr einst mitzugeben imstande war und Mitglieder vom Stamme der Urhobo vorsich- tig und respektvoll mit ihr umgehen ließ. Hartmut Kraft
Leben, Trinken und Lieben
Die Malerin Barbara Gauger stellt mit der Ausstellungsrei- he „Hoch Ihr Damen! Hoch Ihr Herren!“ das Werk des schwedischen Dichters und Musikers Carl Michael Bell- man (1740 bis 1795) vor. Zu sehen sind Ölgemälde, Pastel- le, Zeichnungen und Grafiken zu den Episteln und (Trink-) Liedern des Stockholmer Zeitgenossen Mozarts.
Schon die Bildertitel wie
„Ullas Verhaftung“, „Im Wirtshaus“ oder „Stolze Stadt“
zeigen, worum es in Bellmans
Liedern geht: sie beschreiben auf überraschend direkte Weise das Leben,Trinken und Lieben in einer europäischen Großstadt.
Das Ganze wird untermalt von den Bildern beigefügten Bellman-Texten in Nachdich- tungen Ulrich Hermanns und von dessen musikalischen Darbietungen bei den Eröff- nungsveranstaltungen. Die Ausstellung, die bereits in mehreren Städten zu sehen war, wird vom 15. September bis 16. November im Landes- museum/Schloss Engers, Ko- blenz, gezeigt. Informationen:
Dr. Wilhelm Gauger, Telefon:
0 30/8 55 92 06. EB
Wolfgang- Mattheuer- Retrospektive
Der 75. Geburtstag des im vogtländischen Reichenbach geborenen Wolfgang Matt- heuer ist der Anlass, um eine repräsentative Auswahl von 130 seiner Werke in den Räu- men der Chemnitzer Kunst- sammlung zu zeigen. Mit den so ganz anders gearteten
„Großmalern“ der DDR stand 1977 auch ein Bild von Wolfgang Mattheuer auf der Documenta 6 in Kassel für die DDR-Malerei. Es vermittelte früh auch im Westen Deutsch-
lands einen Eindruck davon, dass es neben Sittes futurisie- rendem Staatsbarock, Heisigs explodierender Farbdynamik und Tübkes epigonaler Mit- telalterei auch noch etwas an- deres gab. Eben jene subversi- ve Poesie und stille Größe von Mattheuers Realismus. Die Chemnitzer Kunstsammlung ist für ihre Ausstellung zusätz- lich belohnt worden: Der Pri- vatsammler Hartmut Koch hat dem Museum das komplette grafische Werk von immer- hin 500 Arbeiten geschenkt.
Die Ausstellung in Chemnitz ist bis 22. September zu sehen. Informationen: www.
chemnitz.de/kunstsammlungen Dr. Joachim Lange