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Archiv "Ein Arsenal sensitiver Kräfte" (18.03.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FEUILLETON

Zum siebten Mal versammelten sich die im Landesverband Baden- Württemberg der deutschen Schriftsteller-Ärzte zusammenge- schlossenen literarisch tätigen Me- diziner unseres Landes zu ihrer schon traditionellen Jahrestagung in Stetten im Remstal, die, wie im- mer, souverän und geistreich von dem Böblinger Radiologen Ger- hard Vescovi geleitet wurde.

Vormittags referierte Käte Hambur- ger, die Literatur-Professorin der Universität Stuttgart, über Rainer Maria Rilke und sein Werk in unse- rer Zeit, am Nachmittag stellten sich dann die schriftstellernden Ärzte mit Kostproben aus ihren li- terarischen Werken vor.

Käte Hamburger bewunderte in ih- rem wissenschaftlich fundierten, textinterpretatorischen Vortrag, mit Karl Krolow, das „Arsenal sensiti- ver Kräfte" bei Rilke, dessen ei- gentümliche Sprachbehandlung sie hervorhob. Bilder zu finden, um die Dinge zu sagen, das Sichtbare, das Anschaubare zu verdeutlichen, die beseelte Oberfläche zu zeigen, das seien die Intentionen dieses Dich- ters gewesen. Dabei sei sein Weg vom Sichtbaren ins Unsichtbare gegangen, um es damit unvergäng- lich zu machen. „Die anschaubare Innerlichkeit der Dinge" bezeich- nete Käte Hamburger als den Kern des Werkes von Rainer Maria Rilke, einem Lyriker, der nicht von sei- nen Gefühlen spricht, der vielmehr einem Gegenüber zugewandt ist, der sich einer lyrischen Sprache bedient, um Bilder zu finden, um die Dinge zu sagen. Dabei meinte sie, der zum Rühmen bestellte Dichter müsse zuerst der zum Schauen bestellte sein. Und so konnte sie auch die Schlußfolge- rung aus ihren Untersuchungen ziehen: „Schauen und Rühmen

sind die Pfosten, die den Bogen tragen, der Rilkes Dichtung um- spannt."

Mit ihrem Arsenal sensitiver Kräfte machten dann die Schriftsteller- Ärzte bekannt, die teilweise ihr Schreiben auch als Therapie be- zeichneten. Willy Pfeiffer aus Ran- gendingen im Hohenzollerischen las eine Kurz-Prosa über Rilkes

„Cornet" als eine eigentümliche

„Weise von Liebe und Tod" in der Kriegsgefangenschaft. Gerhard Jörgensen, Göttinger Medizinpro- fessor und Präsident des Bundes- verbandes deutscher Schriftsteller- Ärzte, trug satirisch-kabarettisti- sche Gedichte vor. Karl Hille- brand, ein Pforzheimer HNO- Arzt, berichtete von seinen For- schungen über die Kunst der Ziegler. Der Reutlinger Psychiater Michael Soeder, der unter dem Pseudonym Achim Anderer schreibt, gedachte des „Rosendok- tors" Ludwig Finckh, der in diesem Frühjahr hundert Jahre alt gewor- den wäre. Günter Neumann, ein beamteter Arzt aus Böblingen, nahm sich aktueller Ereignisse in witziger Gebrauchsdichtung an.

Der Esslinger Arzt Arthur lgnatius, ein bekannter Romancier, plauder- te über die Pläne in seiner Schrift- steller-Werkstatt, über einen Roman, der in Madeira spielt, und über ei- nen Entwurf mit dem Titel „Im Sternbild der Zwillinge", einen großangelegten Roman mit Schau- plätzen in vier Erdteilen. An einem Roman arbeitet auch der Waiblin- ger Arzt Hugo Schneider, der sich bislang einen Namen als feinsinni- ger Lyriker gemacht hat — kleine, zarte Gebilde, die er in Stetten re- zitierte, erinnerten nicht nur formal, sondern auch qualitativ an Gedich- te von Eduard Mörike. Dunkel nahm sich dagegen die moderne

Dichtung des Gailinger Psychiaters und Psychologen Bernhard Rauch aus. Hatte dieser Schriftsteller-Arzt jedoch ein „Anliegen", so machte sich sein Kollege Walter Picard aus Rodenbach gekonnt und wit- zig, vor allem aber mit viel Humor, über die sogenannte moderne Dichtung lustig, die er persiflierte.

Armin Jüngling, der jetzt in Unter- wössen im Chiemgau wohnende Schriftsteller, der dreißig Jahre lang praktischer Arzt in Neckars- ulm war und der bereits eine An- thologie Ärzte-Lyrik und davor eine Sammlung Ärzte-Prosa herausge- geben hat, berichtete über seinen nächsten Plan, ein Novum in der deutschen Literatur, eine Zusam- menstellung von Mundart-Dichtung der verschiedenen deutschsprachi- gen Volksstämme.

Vielleicht wird man darüber mehr hören, wenn sich die Schriftsteller- Ärzte aus der Bundesrepublik vom 23. bis 27. Mai 1976 in Bad Mergent- heim zu ihrer Bundestagung tref- fen.

Dieter Schnabel Römerhofstraße 1 7257 Ditzingen

Arzt—und Poet dazu Dieter Pannen

Sein Werdegang ist „unauffällig":

Dieter Pannen, Frauenfacharzt, Düsseldorf 13, Corneliusstraße 24, wurde 1940 in Krefeld geboren. Er studierte in Marburg, Kiel, Wien und Tübingen. Charakteristisch für seine Art zu schreiben ist: Kaum je ein Satz, fast nur aneinanderge- reihte Bilder ohne Verb. Eine Fülle neuer Bilder, neu gesehener Zu- sammenhänge: „Jemand baut eine Waage / für Gefühle ... / ... mit Haut bespannte Antworten ... / Be- rührung entfaltet sich.../ zwischen Gaumen und Zunge / das Loch Schweigen .../ ...Früchte / vor der Reife gezählt" Ich kann aufschla- gen, welche Seite des umfängli- chen Manuskripts ich will: Ich finde stets eine Aussage, die für mich

Ein Arsenal sensitiver Kräfte

Zur 7. Jahrestagung der Schriftsteller-Ärzte von Baden-Württemberg in Stetten

840 Heft 12 vom 18. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen Arzt — und

Poet dazu

die Welt an einem kleinen oder größeren Zipfelchen anders ausse- hen läßt als vorher. Als Beispiel für viele folgendes Gedicht:

Gegen unendlich Zwischen Gaumen und Zunge

das Loch Schweigen.

Blind zusehen, wie sie die letzte Insel

erobern, die Libellen aufspießen.

Entropie des Wissens.

Unter jedem

Stein, den man aufhebt, Worte. Früchte,

vor der Reife gezählt.

Neuland: übermaltes Meßtischblatt. Besuch in Thelem,

Erewhon.

Man erwidert Blicke aus Spiegeln.

Wie sollte man das, was hier aus- gesprochen wird, in eine andere Sprache transponieren, etwa in die juristische? Sollte man „Früchte, vor der Reife gezählt" als „unlaute- res Geschäftsgebaren", als „bio- logische Ungeduld" oder wie sonst

„beschreiben"? Es geht nicht. Das Genaue, das Spezifische dieser Naturferne läßt sich nicht anders ausdrücken.

Umrisse des Zufalls Mühsam

entgehen die Worte dem Papier.

Einzelne Finger treiben im Licht und überzählige Augen.

Durchsichtige Mädchen töten ihre letzten Bedenken.

Ziellose Gesten ordnen sich.

Die Gewohnheit kann stattfinden.

Wer wüßte einen dichteren Aus- druck für „die Gewohnheit kann stattfinden"? Noch ein Beispiel:

Warten, bis

faulige Rinde bricht von den Rätseln. Darunter ein Wort,

das verständlich wird im uralten Schrei.

Nie. Oder nie.

Bis unters Dach steigt die Flut; neue, ungeklärte

Zusammenhänge.

Nur noch dasitzen, Blätter zerreißen. Milchigen Saft auf der Zunge.

Mit angezogenen Beinen warten,

bis

die Nabelschnur nachwächst.

Dieses durch keine Logik erklärba- re „Nie. Oder nie..." reizt mich. Es regt mich an. Es ist lebendig, wahr, obgleich, wie gesagt, unerklärlich.

Noch ein Beispiel:

Gelöste Rätsel

Jemand hält der Zukunft das Gesicht hin,

flüstert unstillbaren Schaum

in den Wind.

Bleiche Worte, in Watte erstickt,

entgehen der Wiederholung.

Überwältigte Sphinx.

Antworten, die sie selbst nicht kennt.

Ihr Blick

ändert die Dinge.

Das ist's: das ist, in seiner Sprache ausgedrückt, was mich an den Ver- sen fesselt: „Antworten, die sie selbst / nicht kennt. / Ihr Blick / än- dert die Dinge." Es ist der halb un- terbewußte Vorgang dessen, was ein

„Dichter" vollzieht. Edith Engelke

PERSONALIA

Konstituierung eines internationalen

Arbeitskreises für Klinische Hygiene

Unter der Federführung von Prof.

Dr. 0. H. Just, Heidelberg, hat sich im deutschsprachigen Raum (Österreich, Schweiz, Bundesrepu- blik Deutschland) ein internationa- ler Arbeitskreis für Klinische Hy- giene gebildet, der sich aus Vertre- tern verschiedener klinischer Diszi- plinen (Anästhesiologie, Chirurgie, Pädiatrie, Unfallchirurgie) und Krankenhaushygienikern zusam- mensetzt.

Anstoß bzw. Ausgangspunkt für diese Initiative ist die dringende Notwendigkeit, praktikable Hygie- nemaßnahmen zu erstellen. Ziel der Arbeitsgruppe ist die Ausarbei- tung von Maßnahmekatalogen für den klinischen Routinebetrieb zur Bewältigung bestimmter hygieni- scher Schwerpunkte, die durch eine fundierte Literaturauswahl un- termauert werden sollen.

Den Themenkreisen „Anästhesiolo- gie" und „Intensivpflege" wurde besondere Dringlichkeit in der Be- arbeitung eingeräumt. AKH

Professor Dr. med. H. Ewerbeck, Köln, wurde zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- heilkunde gewählt. Die neue An- schrift lautet: Deutsche Gesell- schaft für Kinderheilkunde, Städti- sche Kinderklinik, Amsterdamer Straße 59, 5000 Köln. DGfK

Dr. med. Karl-Heinz Francke, Arzt für Allgemeinmedizin in Hanno- versch-Münden, wurde vom Mün- dener Ruderverein des Deutschen Ruderverbandes zum dritten Male der Wanderpokal überreicht. Dr.

Francke legte im Jahre 1975 im

„Einer"-Wanderruderboot 5 914,6 Kilometer zurück. EB

842 Heft 12 vom 18. März 1976 DEUTSCHES _ÄRZTEBLATT

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