MEDIZIN DISKUSSION
Herpes-simplex- Enzephalitis
Therapie nichts Neues
Die Klinik der Virus-Enzephali- tis ist bereits 1959 exakt von van Bo- gaert in drei Gruppen unterteilt wor- den, wobei Erstarrung, Jackson-An- fälle und Geruchshalluzinationen be- schrieben wurden sowie ein- und dop- pelseitige Paresen und eine Liquor- pleozytose. Bereits 1967 gelang es Marshall, einen Fall von HSE mit Joddesoxiuridin und Trepanation er- folgreich zu behandeln.
In den folgenden 27 Jahren ha- ben sich die diagnostischen Möglich- keiten durch MRT, CT und immuno- logische Nachweismethoden, wie PCR, erheblich verbessert.
Auch heute ist die Diagnose der Herpes-simplex-Enzephalitis schwie- rig, da initial uncharakteristische Sym- ptome vorhanden sind und der fulmi- nante Verlauf dem Arzt wenig Zeit zum Handeln läßt. Da 90 Prozent aller Erwachsenen latent mit dem Herpes- simplex-Virus infiziert sind, ist erst ein vierfacher Antikörpertiter-An- stieg beweisend für eine Erkrankung.
Die PCR hat zur schnelleren Diagno- se einer HSE beigetragen. Ausschlag- gebend für das akute und dramatische Krankheitsbild ist der entzündlich be- dingte, raumfordernde Prozeß im Ge- hirn, der nach Woolf, Hont (54), Cer- vos-Navaro (55) und andere zu Zirku- lationsstörungen im Areal der Arteria cerebri posterior führt. Die hierdurch bedingte Drosselung der Durchblu- tung führt zu Hirnödembildung und zur Druckerhöhung in der Schädel- kapsel, wodurch der Circulus vitiosus eingeleitet wird.
Vielleicht ließe sich die relativ hohe Letalität der HSE durch die mo- dernere und auch schnellere Diagno- stik und die Kombination einer antivi- ralen Therapie mit einer gleichzeiti- gen chirurgischen Intervention zur Hirndrucksenkung verringern.
Dr. med. H.-B. Roleff Alter Markt 49
41061 Mönchengladbach
Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.
Hilmar W. Prange in Heft 47/1994
Schlußwort
Herrn Kollegen Roleff ist für sei- ne vor allem medizinhistorisch wichti- gen Anmerkungen zu danken. Sein Beitrag ist Anlaß für uns, noch einmal auf die folgenden fünf Punkte hinzu- weisen:
1. Da das kraniale CT während der ersten vier Krankheitstage einer Herpes-simplex-Enzephalitits (HSE) negativ ist, hat es lediglich eine Be- deutung zum Ausschluß anderer dif- ferentialdiagnostisch in Frage kom- mender Erkrankungen (zerebrale Gefäßprozesse, Hirnabszeß, Hirntu- mor). Für die Erkennung der HSE ist es in der Phase im Gegensatz zur Ma- gnet-Resonanz-Tomographie (MRT) nicht hilfreich.
2. Die Liquor-PCR bietet erst- malig die Möglichkeit, eine HSE schon in den ersten Krankheitstagen mit hoher Sensitivität und Spezifität zu verifizieren. (Der klinische Ver- dacht auf HSE leitet sich aus Vorge- schichte, Neurostatus, Liquor- und MRT-Befund her.)
3. Der Nachweis eines vierfa- chen Antikörper-Titer-Anstieges (im Serum) ist ebenso wie der Nachweis einer HSV-spezifischen Antikörper- Synthese im ZNS erst während des Krankheitsverlaufes möglich. Er hat für die initiale Therapieentscheidung keine Relevanz.
4. Die Therapie mit Aciclovir muß auf den HSE-Verdacht hin am ersten oder spätestens am zweiten Krankheitstag beginnen. Hirndruck-
prophylaktische Maßnahmen ein- schließlich ICP-Messung sind von Anfang an sinnvoll. Nach eigenen Er- fahrungen machen frühe Aciclovir- Gabe und kontinuierliche Kontrolle des intrakraniellen Druckes (ICP), ggf. mit gezielter ICP-senkender The- rapie (Osmotherapie, Barbiturat-Ko- ma, Hyperventilation), den Einsatz einer osteoklastischen Kraniotomie zur Hirndruckentlastung absolut überflüssig.
5. Gewiß treten bei entzündli- chen ZNS-Prozessen früher oder spä- ter immer lokale Zirkulationsstörun- gen auf. Ihr Pathomechanismus ist vielfältig, abhängig von Inflamma- tionsprozeß, lokalem Ödem, Gewebs- nekrose, hämostasiologischen Fakto- ren (DIC) und anderem.
Da sich der Krankheitsprozeß der HSE primär vorzugsweise in lim- bischen Strukturen des Temporallap- pens abspielt, ist tatsächlich das Ver- sorgungsareal der A. cerebri posteri- or besonders betroffen.
Allerdings treten die Entzün- dungsherde nicht nur in den medio- basalen Anteilen des Temporallap- pens, sondern auch frontobasal und im Gyrus cinguli auf.
Diese Regionen sind anderen Gefäßarealen zuzuordnen.
Ungeachtet vorgenannter De- tailaspekte besteht bei der HSE das klinische Dilemma vor allem in der zu späten Krankheitserkennung. Das Leiden tritt zu selten auf, als daß der erstbehandelnde Kliniker, bei dem es sich'keinesfalls immer um einen Neu- rologen oder Neuropädiater handelt, gleich auf die richtige Diagnose käme.
Die Verzögerung der Krankheitser- kennung verhindert in vielen Fällen den rechtzeitigen Therapiebeginn und verschlechtert die Aussichten des Patienten auf eine Restitutio ad inte- grum.
Prof. Dr. med. Hilmar W. Prange Neurologische Universitätsklinik Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 31/32, 7. August 1995 (51) A-2143