Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 17|
27. April 2012 A 875E
mil Nolde, als Emil Hansen am 7. August 1867 im Dorf Nolde geboren, zählt nicht nur zu den bedeutendsten deutschen Ma- lern des Expressionismus, er hat sich auch als Schriftsteller und Au- tobiograf, als Zeichen- und Gewer- belehrer, als Grafiker und Illustrator einen Namen gemacht. Seine vier autobiografischen Lebensberichte und Skizzen verdeutlichen, wie ihn seine Heimat, das norddeutsche Marschland, prägte, aber auch seine abwechslungsreichen Stationen in den schweizerischen Bergen und vor allem seine Südseereise. Im- pressionen bei Sonnenaufgang, Ge- witterstimmungen und auch fast dämonisch-intensiv erscheinende Wechsellagen rund um sein Bau- ernhaus bei Seebüll an der Nordsee- küste fing er in Öl- und Aquarellfar- ben ein. Davon zeugen Gemälde von Landschaften in der Marsch, Südseestränden, Blumenbilder und Porträts.Obwohl Nolde nie ein Tagebuch führte, hat er doch seine Kindheits- und Jugendjahre fast minutiös in Worte gefasst, ursprünglich nicht zur Publikation bestimmt, dennoch
bereits 1881 im ersten Nolde-Band als „Das eigene Leben“ veröffent- licht. Dort wird eine Symbiose von schriftstellerischer Beobach- tung und künstlerischem Schaffen sichtbar. Nolde-Biografen berichte- ten, er habe wie im Arbeitsrausch
„bis zur Ekstase“ gemalt. Von 1892 bis 1898 wohnte er in Sankt Gallen.
Seine Aufgabe ab Januar 1892: ge- werbliche Entwürfe für die Hand- werker der Stadt anzufertigen, dazu das Unterrichten im farbigen und ornamentalen Zeichnen. Nur im Ornamentalen suchte er „tastend“
nach seinem eigenen Gepräge. Noch unter E. Hansen verfasste er aller - lei Geschichten. In seinem Schwei- zer Refugium entstanden ab 1894 seine „Bergpostkarten“, 30 klein - forma tige Werke, in denen er dem Gebirgsgestein und den Viertausen- dern der Alpen märchenhaft- menschliche Züge verlieh. Die Ver- öffentlichung seiner Bergpostkarten bringen Nolde finanziellen Erfolg und damit die Grundlage, den unge- liebten Beruf als Gewerbelehrer aufzugeben. Diese werden nun in einer Ausstellung in Seebüll im Nolde-Museum erneut gezeigt.
In den Zwanziger- und Drei - ßigerjahren folgten immer wieder Urlaube und Klettertouren in der Schweiz und in Österreich, und noch 1948 unternahm Nolde seine Hochzeitsreise (zweite Ehe) in die Eidgenossenschaft. Zu den „Unge- malten Bildern“ – zwischen 1938 und 1945 während des nationalso- zialistischen Malverbots geschaffen – zählen Bergmotive und Natur- landschaften. So sehr die in seiner norddeutschen Heimat entstande- nen Gemälde von einer direkten Umsetzung der Eindrücke in der Natur zeugen, sind seine mehr als 1 300 Aquarelle und Ölbilder in der Periode seines Malverbots eher Traum- und Sehnsuchtsbilder.
Seine im Verborgenen gemalten Bergmotive sind zum Teil freie Er- findungen. Die Momenteindrücke, in grellen, eindringlichen Farben festgehalten, sind tatsächliche oder nur schemenhafte, flüchtige Beob- achtungen. Als Maler hat er für sei- ne Beobachtungen eine erprobte Methode: „Eine zwölftel Sekunde genügt, ein Objekt mit dem Auge zu erfassen.“ Und wenn er Men- schen nur halb ansehe, würden sie für ihn einfacher und größer, dra- matischer in Öl und Farbe zu por- trätieren sein. Im Kontrast zu seinen in Norddeutschland ge - malten dunkelblauen, dramatisch rotbraunen und grünen Land- schaftsbildern, Porträts und Blu- menstillleben kennzeichnen helle, leuchtende Farbtöne seine Bilder aus der Bergwelt. Obwohl Natur- und Winterlandschaften überwie- gen, zeigen sie auch fast surrea - listisch erscheinende Motive, wie etwa „Klatschmohn, Vorbergland- schaft“ und „Blaue Bergspitze über weißen Wolken“.
Die 56. Jahresausstellung „Emil Nolde: Der Maler zwischen Seebüll und Berlin“ ist bis 2. Dezember in der Nolde-Stiftung Seebüll zu se- hen. Informationen: www.nolde-
stiftung.de.
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Harald Clade
EMIL NOLDE
Refugium in Berglandschaften
Im Kontrast zu Noldes in Norddeutschland entstandenen dunkel - blauen, rotbraunen und grünen Landschaftsbildern kennzeichnen helle Farbtöne die Bilder aus der Bergwelt.
Emil Nolde, Jungfrau, Mönch und Eiger, Bergpostkarte 1894
Foto: Nolde Stiftung