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Archiv "Hygiene-Skandal in Bremen: Auf der Suche nach den Schuldigen" (02.12.2011)

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A 2586 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 48

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2. Dezember 2011

HYGIENE-SKANDAL IN BREMEN

Auf der Suche nach den Schuldigen

Nach dem Tod dreier Frühgeborener im Klinikum Bremen-Mitte ist der Chefarzt fristlos entlassen worden. Experten sollen nun die näheren Umstände klären. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt.

A

m Klinikum Bremen-Mitte herrscht Ausnahmezustand:

drei tote Frühgeborene, eine ge- schlossene neonatologische Inten- sivstation und ein fristlos gekündig- ter Chefarzt – das ist die bisherige Bilanz des dortigen „Hygiene- Skandals“. Nach und nach kommen immer mehr Einzelheiten ans Licht.

So hatte der entlassene Chefarzt of- fenbar vor Personalengpässen ge- warnt. Außerdem war aus den Qua- litätsdaten des Klinikums bekannt, dass es bei der Hygiene in der Neo- natologie Nachholbedarf gibt.

Wie es im konkreten Fall zu den Infektionen kam, ist unterdessen unklar. Erste Medienberichte, nach denen Nährlösungen verunreinigt waren, wurden nicht bestätigt. Ein Expertenteam des Robert-Koch-In- stituts (RKI) war vor Ort und wird einen Bericht dazu vorlegen. Au- ßerdem soll sich ein parlamentari- scher Untersuchungsausschuss der Bremischen Bürgerschaft mit dem

Vorfall befassen. Die Staatsanwalt- schaft ermittelt ebenfalls.

Anfang November war bekannt- geworden: Drei Frühgeborene sind an einer Sepsis gestorben, nachdem sie sich mit multiresistenten Kleb- siellen infiziert hatten. Bei 23 Ba- bys sind die Bakterien nachgewie- sen worden, davon sind mindestens neun erkrankt. Informationen über die Geschehnisse gelangten nur häppchenweise an die Öffentlich- keit. Mittlerweile steht fest, dass der Keim schon im April auf der Station nachgewiesen wurde. Zum ersten Todesfall kam es Anfang Au- gust. Das Gesundheitsamt wurde im September informiert. Bei der nachgewiesenen Klebsiella pneu- moniae handelt es sich um einen ESBL-bildenden Stamm (Extend - ed-Spectrum-Betalaktamase). Die- ser ist zunächst einmal nicht melde- pflichtig. Allerdings sieht das In- fektionsschutzgesetz eine Melde- pflicht vor, wenn es zu einer Häu-

fung nosokomialer Infektionen kommt, bei denen ein Zusammen- hang wahrscheinlich ist. Karen Ma- tiszick, Sprecherin der Bremer Kli- nik, bewertet das Vorgehen aus jet- ziger Sicht so: „Wir gehen davon aus, dass das nicht korrekt war.“

Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der „Hygiene-Skandal“ mit der fristlosen Entlassung des Chef- arztes Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz. Eine Weiterbeschäfti- gung von Huppertz sei mit dem ho- hen Qualitätsanspruch des Klini- kums Bremen-Mitte und des ge- samten Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno) nicht vereinbar. So die Begründung von Geno-Geschäfts- führer Priv.-Doz. Dr. med. Diet- helm Hansen. Huppertz habe als verantwortlicher Chefarzt nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Keims zu verhindern. Huppertz war der Geno zufolge zugleich der hygieneverant- wortliche Arzt des Krankenhauses.

Vielleicht sollte die Kündigung Ruhe in die Sache bringen. Geno- Geschäftsführer Hansen bewirkte damit aber genau das Gegenteil und löste eine Welle der Empörung aus – nicht nur in Bremen, sondern bundesweit. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Ju- gendmedizin (DGKJ) sowie weite- re pädiatrische Verbände und Fach- gesellschaften die Entlassung. Die Delegierten der Ärztekammer Bre- men fordern in einer Resolution ebenfalls eine sachbezogene Auf- klärung. Tatsächlich muss man fra- gen: Passt es zu einem modernen Fehlermanagement, frühzeitig und vor Abschluss der Ermittlungen ei- ner Einzelperson die Alleinverant- wortung zu geben?

Huppertz’ Rauswurf hat auch auf politischer Ebene zu Streit geführt.

Für die Bremer CDU, die derzeit in der Opposition sitzt, ist er ein Bau- Welche Rolle

spielte Personal- mangel? Die Neo- natologie des Klini- kums Bremen-Mitte soll unterbesetzt gewesen sein.

Foto: dapd

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Deutsches Ärzteblatt

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2. Dezember 2011 A 2587 ernopfer. Der Fraktionsvorsitzende

Thomas Röwekamp forderte eine Suspendierung des Geschäftsfüh- rers Hansen. Dieser war unter Be- schuss geraten, als bekannt wurde, dass der entlassene Chefarzt vor Personalengpässen gewarnt hatte.

Im August sollen zudem Ärzte und Pflegekräfte in einem Brief an die Geschäftsführung eine Unterbeset- zung beklagt haben. „Wenn sich die Informationen bestätigen und Herr Hansen den Personalnotstand billi- gend in Kauf genommen haben sollte, trägt er eine maßgebliche Mitverantwortung an den Vorgän- gen im Klinikum Bremen-Mitte“, sagte Röwekamp. Hansen steht für ein umfassendes Sanierungskon- zept der Geno, einem Verbund der kommunalen Bremer Kliniken. Die Maßnahmen sind mit einem deutli- chen Personalabbau verbunden.

Die Geno bestätigte, dass der Chefarzt in den vergangenen Mona- ten mehr Mitarbeiter verlangt hatte.

Der Betriebsrat teilte darüber hin - aus mit, dass es von April bis Okto- ber 13 „Überlastungsanzeigen“ aus der Abteilung gegeben hat. Das be- deutet: Die Mitarbeiter teilen mit, dass sie die Verantwortung für ihre Arbeit nicht mehr übernehmen kön- nen. Geschäftsführer Hansen stellte jedoch in einem Interview mit Ra- dio Bremen klar, dass die personel- le Besetzung auf der Frühchen-Sta- tion der Vorstellung von Fachge- sellschaften entsprochen habe.

Die Neonatologie in Bremen- Mitte hatte 16 Betten. Die Auslas- tung lag im Schnitt bei 65 Prozent.

Nach Angaben der Geno waren in der Regel im Frühdienst vier Pfle- gekräfte eingesetzt, in der Spät- und Nachtschicht drei. Allerdings, räumte Hansen ein, habe es 2011 krankheitsbedingt fünf Tage gege-

ben, an denen nachts nur zwei Pfle- ger in der Schicht waren. Verbindli- che Vorschriften für den Personal- schlüssel gibt es nicht, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf Anfrage mitteilte. Der Gemein- same Bundesausschuss hat zwar ei- ne Vereinbarung zur Qualitätssiche- rung in der Neonatologie erlassen.

Darin findet man aber nur Vorgaben für die Qualifikation, nicht für die Gesamtzahl des Pflegepersonals.

Schon vor dem Tod der Frühchen war bekannt: Das Klinikum Bre- men-Mitte hat bei der Hygiene Ver- besserungsbedarf. Die Zahl noso- komialer Infektionen in der Neona-

tologie war höher als in vergleich- baren Kliniken. „90 Prozent der größeren Neonatologie-Abteilun- gen weisen bessere Ergebnisse auf“, sagt Günther Heller, Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswe- sen (AQUA). Das AQUA-Institut sammelt bundesweit die Qualitäts- daten von Kliniken. Übermittelt wurden sie in diesem Fall von der Landesgeschäftsstelle für Qualitäts- sicherung, angesiedelt bei der Bre- mer Krankenhausgesellschaft. Da- mit es zu einem „strukturierten Dia- log“ kommt, hätte das Klinikum bei diesem Kriterium zu den schlech- testen fünf Prozent gehören müs- sen. Dann hätte die Landesge- schäftsstelle Kontakt aufgenom- men. Man kann aber davon ausge- hen, dass der Abteilung die Daten vorlagen. Sie beteiligt sich laut Ge- no-Sprecherin Matiszick auch an NEO-KISS, einem Surveillance- System für nosokomiale Infektio- nen auf neonatologischen Intensiv- stationen. Zusätzlich zum RKI- Team hat die Geno Hygiene-Exper- ten aus Freiburg mit der Überprü- fung der Standards beauftragt.

Die „Hygiene-Skandale“ schei- nen sich zu häufen. Immer wieder gibt es entsprechende Medienberich- te. Hat sich die Hygiene-Situation in der Neonatologie verschlechtert?

Davon geht Prof. Dr. med. Norbert Wagner, Vizepräsident der DGKJ, nicht aus. Ihm seien keine entspre- chenden Daten bekannt. Seiner Meinung nach darf man nicht ver- gessen, dass es sich bei den Frühge- borenen um sehr anfällige Patienten handelt. „Wir befinden uns hier in dem vulnerabelsten Bereich der Päd - iatrie“, sagt er. Das Immunsystem bei Frühgeborenen sei noch nicht ausgereift, und etwa ein Drittel der Todesfälle sei auf Infektionen zu- rückzuführen. Wagner betont, dass Hygienestandards generell mehr Aufmerksamkeit im Klinikalltag er- halten und auch nicht als isoliertes Problem gesehen werden sollten. Er wünscht sich eine differenzierte Diskussion, die auch den unkriti- schen Einsatz von Antibiotika ein- schließt – sowohl in der Humanme- dizin als auch in der Tierhaltung

Dr. med. Birgit Hibbeler Der Bremer Chefarzt Profes-

sor Huppertz ist entlassen worden. War das ein Fehler?

Wagner: Die fristlose Kündi- gung ist eine Vorverurteilung ei- nes erfahrenen und engagier- ten Kollegen. Es wird Aufgabe des Robert-Koch-Instituts und der Staatsanwaltschaft sein, die Vorgänge in Bremen zu beurtei- len. Erst danach kann man sa- gen, ob nicht korrekt gehandelt wurde und wer dafür verant- wortlich ist.

Wenn es Mängel in der Hy- giene gibt, sind dann eher Einzelpersonen oder Struktu- ren schuld?

Wagner: Das ist eine Mischung.

Wo Menschen arbeiten, passie- ren auch Fehler. Die Frage ist, welches Ausmaß sie haben und wie man mit ihnen umgeht. Ent- scheidend dabei ist die Fehler- kultur. Man muss Fehler offen ansprechen, aus ihnen lernen, Arbeitsabläufe überprüfen und gegebenenfalls ändern.

Viele Krankenhäuser müssen sparen. Geht das zulasten der Qualität?

Wagner: Wir arbeiten in den Kliniken unter enormem wirt- schaftlichem Druck. Die Perso- nalkosten sind mit rund 70 Pro- zent der Ausgaben eine kriti- sche Größe. Eine gute Versor- gung ist aber nur mit genügend und qualifiziertem Personal möglich. Das zeigt sich beson- ders in einem sensiblen Bereich wie der Neonatologie.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. med. Norbert Wagner, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin

Ein Bauernopfer?

Chefarzt Hans-Iko Huppertz wurde fristlos entlassen.

Foto: Klaus Friedrich Koch

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