Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 3027. Juli 2007 A2141
K U LT U R
Die ausgestopfte Giraffe „Brownie“
von Peter Friedl starb im Jahr 2002 bei is- raelischen Angriffen im Zoo Qalqiliyah im Westjordanland. Sie ist eines der Wahr- zeichen der docu- menta 12.
G
ut, dass 1 001 antike chinesi- sche Stühle über alle Aus- stellungsorte verteilt nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Aus- ruhen freigegeben sind, denn an- strengend ist der Parcours durch Ro- ger M. Buergels 12. documenta in Kassel allemal, insbesondere wenn man die anspruchsvollen Wortkas- kaden der drei Leitmotive, der Fra- gen nach der Moderne, nach dem bloßen Leben und nach der Bildung, nicht aus dem Kopf kriegt.Da sollte man sich eher von der Leichtigkeit der Herkuleskaskaden und Reisterrassen im Bergpark Wil- helmshöhe inspirieren lassen. Dann versteht man zwar immer noch nicht, warum der chinesische Künstler Ai Weiwei im Rahmen sei- ner Performance „Fairytale" tau- send und einen Chinesen nach Kas-
sel bringen wird, bekommt aber eher ein Gespür für die Hoffnungen und Träume, die Romuald Hazoume´ mit seiner aus 421 Kunststoffkanistern gebauten Boot-Installation im Aue-Pavillon heraufbe- schwört und ist vollends fas- ziniert von seinen Dogon- Masken. Diese Masken, de- ren frühe Vorfahren schon Pi- casso zu seinen kubistischen Porträts inspiriert haben, ver- raten erst auf den zweiten Blick, dass auch sie aus Ka- nistern und anderen moder- nen Abfallprodukten gebaut sind, und dennoch sind sie legiti- me und würdige Teile der viertau- sendjährigen afrikanischen Kultur.
Überhaupt ist die Ausstellung dort am stimmigsten, wo nicht Text- tafeln im Vordergrund stehen, son- dern alle Sinne angesprochen wer- den, so bei der Klanginstallation der Geistergitarren von Saädane Afif im Aue-Pavillon oder der Tanzperfor- mance von Trisha Brown im Muse- um Fridericianum. Dort ziehen Tän- zerinnen ihre Bahnen durch ein schwebendes Meer von Stoffen und korrespondieren damit zwanglos mit der lichten Installation von Iole de Freitas im Raum gleich nebenan.
Die gebogenen Stahlrohre und durchsichtigen Polykarbonplatten scheinen ebenfalls durch den Raum zu tanzen und durchdringen an der Südwestseite des Gebäudes die Wände. Auf diese Weise beziehen sie die Außenhaut des Museums mit ein – ein schönes Sinnbild für die angestrebte Lockerheit der docu- menta und ein gelungenes Beispiel für den Slogan von der Migration von Formen.
Lobenswert ist auch die Idee, erstmalig in der Geschichte der do- cumenta die Gemäldegalerie im Schloss Wilhelmshöhe mit einzube-
ziehen. Doch dort offenbart sich das Manko der buergelschen Inszenie- rung: Zuerst kommt das Konzept und dann die Auswahl der passen- den Künstler. Nicht nur im Kontext mit den alten Meistern Dürer, Franz Hals, Rubens und Rembrandt ver- lieren die Gemälde der documenta- Künstler Yan Lei, Kerry James Marshall und Charlotte Posenenske.
Auch ohne diese schwergewichtige Konkurrenz vermögen die Gemälde von Monica Baer oder Juan Davila im Aue-Pavillon nicht zu überzeu- gen. Wäre es wirklich so falsch ge- wesen, diejenigen Künstler zu zei- gen, die nach dem Ende der Avant- garde das Tafelbild wiederbelebt ha- ben, seien es die jungen Maler der Dresdener und Leipziger Schule oder Individualisten wie Peter Doig, Eric Fischl oder die Maler der Grup- pe „Zebra“? Doch jeder ist aufgeru- fen, nach Kassel zu kommen und seine eigenen Entdeckungen auf dieser documenta zu machen. Es lohnt sich allemal. n Dr. med. Helmut Jaeschke
DOCUMENTA
Wort- und Kunstkaskaden
Erstmalig in der Geschichte der Ausstellung wird
die Gemäldegalerie im Schloss Wilhelmshöhe mit einbezogen.
Fotos:Gerda Jaeschke
Die Maske „Dogone“
von Romuald Hazoumé, 1996
A
Auusssstteelllluunnggssddaauueerr::bis 23. September. Öffnungszeiten:
täglich von 10 bis 20 Uhr. Tageskarte: 18 Euro, Zweitages- karte: 27 Euro. Dauerkarte: 90 Euro. Informationen unter Telefon: 0 18 05/11 56 11.