• Keine Ergebnisse gefunden

Redeverbot [zur Documenta 11]

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Redeverbot [zur Documenta 11]"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Redeverbot

iiKevine Prange Die Kommentarbedürfligkeit der mo­

dernen Kunst folgte nach Arnold Geh­

len huh dem von ihr selbst nicht mehr geHlilll.cn Verlangen, Mich beim Sehen der Bilder etwas denken zu können. So lieferten die Künstler gleich daH begriff­

liche Werkzeug zu ihrem Verständnis mit. Ihre Weltanschaungsproduktion hatte vor allein einen Inhalt: Kunst .eil­

te nichts mehr mit akademischen Re­

geln, umsomehr aber mit den Gesetzen des natürlichen und kulturellen Univer­

sums schlechthin gemein haben. Beuy- sens Wort von der sozialen Plastik hat den romantisch-revolutionären Gestus dieser Entgrenzung von Kunst ins (bes­

sere) Ixdien auf den Punkt gebracht.

Während die Avantgarde das traditio­

nelle Kunstwerk in seine Einzelteile zer­

legte, behauptete ihr Kommentar den mythischen Charakter dieser kritischen Operation. Der erweiterte KunstbegrifT interpretierte den Ikonoklasmus der künstlerischen Moderne als ihre Synthe­

se mit gesellschaftlicher Praxis.

Die documenta 11 setzt diesen Kom­

mentar absolut. Nicht um Positionen zeitgenössischer Kunst, sondern um die kulturelle Praxis soll es gehen. Aus dem kosmischen Jargon der Kritiker des Abstrakten ist die neue Existenzialspra- che der Globalität und des postkolonia- len Blicks geworden, der das Hybride und Kreolische als emanzipatorischc Kraft einer neuen Subjektivität feiert.

Die Institution Ausstellung wurde, jedenfalls nominell, ersetzt durch das Prinzip der Plattform, in dem Enwezor ein „nichthierarchisches Modell der Repräsentation“ bereitstellen will, ge­

gen die Einheitszwänge der Globalisie­

rung.

Neu ist jedoch nicht seine Kritik an der autonomen Kunst, sondern die strik­

te Abriegelung des diskursiven Gesamt­

kunstwerks documenta. Universitäre Plattformen zum Beispiel sind auf der Plattform documenta offenbar nicht vor­

gesehen, schon gar nicht erwünscht, wie ich mit meinem Frankfurter Semi­

nar feststellen musste. Nach Referat und lebhufter Diskussion über Schlüs- selbegriffe wie Postkolonialität, Exterri- torrinlitat, TranHkulturalität und Creo- litö betraten wir

dus Fridericia- num, erpicht da­

rauf nun der Fra­

ge nachzugehen, ob die Exponate tatsächlich den Blick von außen auf die europäi­

sche Zivilisation

wiedergäben oder aber, wie Kritiker vor- brachten, von einer kulturimperialisti­

schen Verlängerung des westlichen Blicks Zeugnis oblegen. Doch kaum wa­

ren wir in Chorch Feyzdjous endzeitlich geschwärzten Archiv-Installationen an­

gelangt und hatten uns um die nächste Referentin geschart, da unterbrach uns eine obrigkeitliche Nachfrage: Ob ich ein Guide sei, wollte der Herr in Grau mit den documenta-Farben wissen und nach einigem verständnislosen Hin und Her musste ich bekennen, nicht über ei­

nen documenta-Pass für gelernte Gui­

des zu verfügen. Nur solche, erklärte der Mann, dürften Führungen abhal­

ten, Fremdführungen seien verboten.

Dass wir, unerlaubt, eine Führung ver­

anstalteten, wusste er aus eigener An­

schauung; immer wieder insistiert er:

„Ich habe Sic beobachtet“. Angesichts solcher Nachdrücklichkeit, mit der unse­

re seminaristischen Aktivitäten als illegiti­

me gebrandmarkt und wir vor die gleicher­

maßen strafenden Alternativen des Still­

schweigens oder der Entfernung vom Aus­

stellungsort gestellt wurden, keimte in mir der (erlösende) Verdacht auf, unverse­

hens in eine künstlerische Aktion, als Mit-

Eine Besucherin versucht die Übermalung von Fablen Maracclo zu verstehen. (Bild: dpa) künstlerin sozusagen, geraten zu sein, die das befugte und unbefugte Reden über Kunst und damit deren elitären Raum, mithin den westlich kodierten Blick auf die Kunst, zum Thema haben könnte. Die­

se Sinnvermutung stellte sich aber leider als ganz haltlos heraus, denn die Bot­

schaft war ernst gemeint. Gruppen dürfen nicht, sondern sollen gemäß der Envesor- schcn documenta-Ordnung die in Kursen geschulten Guides engagieren. Ist es eine banale ökonomische Rechnung, die diesen Zwang zum Envesorschen Kunstkommen­

tar motiviert? Oder das vom Künstler auf den Kurator übertragene Sendungsbe- wuüt8ein? Vermutlich beides. Jedenfalls rettete nur listige Taktik unser Seminar.

Die drohende Eskalation konnte nach 15-minütigem Disput nicht etwa durch die subtile Differenzie­

rung zwischen Führung und Semi­

nar, sondern nur durch die wiederhol­

te rhetorische Ver­

sicherung abgewen­

det werden, dem Verbot Folge zu leisten, d.h. keine Führung zu veranstalten - eine Anpas- sungslcistung, die auch danach immer wieder gegen die Mißbilligung der docu- menta-Uniformierten vollzogen werden musste.

Die Episode hat, kühler betrachtet, symptomatischen Charakter. Das Redever­

bot für Fremde beharrt auf dem Eigenen, bei aller Propagierung des globalen Aus- tauschs der Kulturen. Es ist aber logisch im Rahmen einer kuratorisch-künstleri­

schen Simulation von gesellschaftlicher Wissensproduktion. An diesem Punkt tota­

ler Entgrenzung der Kunst zeigt sich, dass die mit ihr gemeinte Autonomiekritik viel eher eine Verteidigung des autonomen Kunstwerks ist, das sich mittels der fünf Plattformen Envezors als die einzige, wenn auch imaginäre Öffentlichkeit setzt.

Keyine Franye lehrt Kunstyeschielite an der Goethe-Universität Frankfurt.

Originalveröffentlichung in: Frankfurter Rundschau, 10. August, Nr.

184 (2002), S. 18

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Immer wieder finden sich Reflexionen über den eigenen Vater, und im Wort "Dad" hat der gesamte Roman seinen Fluchtpunkt, wenn es heißt: "Alles was fehlte, war der über

Riegl selbst ging diesen Weg nicht weiter, sondern konzentrierte sich in seinen folgenden Schriften auf wahrnehmungspsychologische Fragen, die jedoch auch schon in der

Selenocyclical Growth Phases of Edible Bolete, Slippery Jack, Parasol Mushroom,.. Saffron Milk Cap, Field Mushroom, Honey Fungus and

Frost Degrees in Winter 2012, Comparison with Stag Beetle and Other Insects, and Biochronology and Cryochronology of the Moselle Apollo..

Auch wenn Sie Ihre Ausbildung in diesem Beruf nicht beendet haben sollten, oder einen Wiedereinstieg in diesen Beruf suchen, sollten wir uns kennen lernen. Terminvereinbarung unter

Oktober 2021 um 18:30 Uhr in ihrem Vortrag „Die documenta als Dokument ihrer Zeit" über die Geschichte und Gegenwart der wichtigsten Ausstellung für?. zeitgenössische Kunst

Wert hat, kann sich der Säure- schutzmantel der Haut bis zum nächsten Händewaschen nicht mehr regenerieren.. Sie wird an- fälliger gegen äußere Einflüsse wie Mikroorganismen

Les intéressés sont priés de bien vouloir adresser leurs candidatures, composées d´un curriculum vitae, d´une lettre de motivation, ainsi que d´une lettre de recommandation