Ausgewogene Wissenschaftsförderung
Balance von Wirtschaftsnähe und Gemeinnützigkeit
Es ist ein Verdienst Gotthard Schettlers als dem Vorsitzenden der Konferenz der Akademien der Wis- senschaften in der Bundesrepublik Deutschland, die Öffentlichkeit der Wissenschaft im allgemeinen und der Forschung im besonderen enga- giert zu fördern. Das am 18. und 19.
Januar 1991 in Heidelberg von ihm veranstaltete Symposion „Wissen- schaft — Wirtschaft — Öffentlichkeit:
Gemeinsames und Trennendes, Brücken und Hürden in der For- schung" kann dafür als exemplarisch gelten. Namhafte Persönlichkeiten aus der universitären wie aus der an- derweitig institutionalisierten For- schung (etwa Akademien, Max- Planck-Gesellschaft), Repräsentan- ten der Wirtschaft, überwiegend aus der Pharmazeutischen Industrie, hochrangige Persönlichkeiten aus Legislative und Exekutive sowie namhafte Wissenschaftsjournalisten diskutierten zwei Tage. Die Doku- mentation darüber verspricht der Veranstaltung ein nachhaltiges Echo zu verschaffen: Es gelang, die The- matik durch Mitwirkung der Philoso- phen Hans-Georg Gadamer (Heidel- berg) und Hermann Lübbe (Zürich) in einen ganzheitlichen Zusammen- hang zu bringen und auch dadurch vertiefte Analysen und lebensnahe Forderungen zu formulieren.
Von besonderer Bedeutung für die künftige Entwicklung können da- bei die Anregungen zu neuen Wegen in der Zusammenarbeit zwischen In- dustrie und Wissenschaft sein, vor al- lem dann, wenn es gelingt, die star- ren Strukturen an den Universitäten auch durch personale Mobilität zwi- schen Industrie und akademischen Institutionen in Bewegung zu brin- gen (Professor Dr. Dieter Simon, Vorsitzender des Wissenschaftsra- tes). Hier hat der Wissenschaftsrat schon vor Jahren mit seiner Stellung- nahme zur Zusammenarbeit zwi- schen Hochschule und Wirtschaft wegweisende Arbeit geleistet.
In den Diskussionen wurde je- doch auch deutlich, daß es für eine optimale Zusammenarbeit nicht ge-
nügt, wenn nur die Beteiligten in richtiger Weise aufeinander zuge- hen. Der Staat muß dafür allgemeine Rahmenbedingungen schaffen und unter anderem folgende Grundpro- bleme angehen:
• Die Überlastung der Wissen- schaftler mit Aufgaben der Lehre, weil dadurch nicht nur die For- schungskapazität minimiert wird, sondern auch die Zeit für die not- wendigen Kontakte zu den Medien sowie zu Wirtschaft und Praxis;
• die Erhaltung der föderativen Vielfalt und Zusammenarbeit, weil nur Pluralität die Freiheit und damit den Fortschritt in Wissenschaft und Wirtschaft gewährleistet;
• die Berücksichtigung der gro- ßen Aufgaben sowohl im Hinblick auf den gemeinsamen Markt in Eu- ropa als auch im Hinblick auf die Entwicklung in den Ländern der ehemaligen DDR, wobei vorrangig neben der quantitativen und qualita- tiven Verbesserung der Personal- struktur an Investitionen in der Wis- senschaft dienenden Sachanlagen zu denken ist, weil mit überalterten An- lagen internationaler Standard von Forschung und Lehre nicht erreicht werden kann;
• wissenschaftsfreundliche Da- tenschutzgesetzgebung im Sinne ei- nes Gleichgewichts von individuellen Rechten und sozialen Pflichten.
Die Politik muß darüber hin- aus spezielle Rahmenbedingungen schaffen, damit die richtige Balance von Wirtschaftsnähe und Gemein- nützigkeit gehalten werden kann:
• Der Anteil der öffentlichen Hand an der Forschungsförderung muß gesteigert werden, damit die Grundausstattung frei von erwerbs- wirtschaftlichen Tendenzen gewähr- leistet bleibt und auch wirtschafts- freie Wissenschaftsentfaltung wei- terhin möglich bleibt.
• Eine Balance ist auch gefor- dert zwischen institutioneller Förde- rung und Projektförderung, weil nur auf diese Weise Grundlagenfor- schung und anwendungsorientierte Forschung miteinander Schritt hal-
ten können, wobei ohnehin zunächst
„zweckfreie" Forschung vielfach breit anwendbare Forschungsergeb- nisse zeitigt, während andererseits zielorientierte Projektförderung nicht selten erfolglos bleibt oder nicht anwendungswerte Erkenntnis- se zeitigt.
• Der Qualitätsplafond in Bil- dungs- und Wissenschaftspolitik muß unter anderem schon im allge- meinbildenden Schulwesen verbes- sert werden, wenn die Wissenschaft in Deutschland international wettbe- werbsfähig bleiben soll, da nur so auch die Wirtschaft, die Forschungs- ergebnisse marktgängig macht, inter- national wettbewerbsfähig bleiben oder werden kann.
• Privates Mäzenatentum durch die Wirtschaft muß unter an- derem durch eine weitere Verbesse- rung des Stiftungsrechtes und der Gemeinnützigkeitsanerkennung ge- fördert werden; dies fördert die Plu- ralität der Wissenschaftsinitiativen und führt der Forschung mehr Mittel zu, weil der Steuerausfall einerseits öffentliche Ressourcen für die Wis- senschaft privatisiert, andererseits steuerliche Vorteile nur greifen, wenn den Steuervorteil übersteigen- de Mittel der Wissenschaftsförde- rung zur Verfügung gestellt werden.
• Die Zusammenarbeit zwi- schen Wirtschaft und Wissenschaft kann durch höhere personale Flexi- bilität nur gefördert werden, wenn das Arbeits- und Sozialrecht die Mo- bilität nicht einschränkt, sondern fördert und ermöglicht.
• Die Weiterentwicklung des Haftungsrechtes darf den Fortschritt in Wissenschaft, Wirtschaft und de- ren Zusammenarbeit nicht lähmen
Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird nur erhalten, vertieft und weiterent- wickelt werden können, wenn der Staat kooperationsfreundliche Rah- menbedingungen schafft und erhält.
Die Gewährleistung und Ermögli- chung von Freiheit in Forschung und Lehre durch föderalen Pluralismus entspricht einer Struktur- und Ord- nungspolitik mit dem Ziel der Erhal- tung und Verwirklichung der sozia- len Marktwirtschaft unter Beach- tung der essentiellen ökologischen Grundlagen. V. D.
A-454 (26) Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991