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Der Zettel

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Academic year: 2022

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Der Zettel

Matt lehnte sich die Wärme des Sommers an einen wolkenlosen Himmel. Die trockene Luft knisterte.

„Immer noch besser als in der Ziegelfabrik“, dachte Eduard müde.

Seit einer Woche arbeitete er in der Hitze des Brennofens, die seine Haut glühen ließ und ihm den Atem nahm. Doch er brauchte das Geld, sparte für ein Moped und nutzte die Ferientage. Seine Mutter nickte ihm zu und reichte ihm wortlos ein Glas Wasser. Mit seinen vierzehn Jahren begegneten sie sich von der Größe auf Augenhöhe, der schmale, blonde Junge und die brünette Frau, deren Figur die Ge- burten von drei Söhnen gerundet hatten.

Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Hans, Eduards achtjäh- riger Bruder, spielte mit Freunden irgendwo draußen am Bach, und der Mann der Mutter schien unterwegs zu sein.

„Wie war es heute?“, fragte Eduard, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Wie immer“, die Mutter überraschte ihn nicht. Sie sprach nie viel, auch nicht über ihre Arbeit in der Tabakfabrik, wo sie seit einigen Jahren Zigarren aus feinen Tabakblättern rollte. Anfänglich nur mit den Händen, die von Maschinen abgelöst wurden, schneller und prä- ziser. Nur die teuersten und edelsten Zigarren durften nun noch zwi- schen Mutters langen, schmalen Fingern schonend geformt werden.

„Wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen“, wies sie ihn an. Als Eduard zurück in die Küche kam, standen nur zwei Teller auf dem Tisch. Er fragte nicht nach dem Grund. Die Stühle wurden gerückt, sie setzten sich. Beim Anblick der dampfenden Kartoffeln spürte Vater und fühlte sich nicht zugehörig, auch das ein Charakteristikum

vieler „Kriegskinder“.

Die Suche nach dem Vater ist für viele „Kriegskinder“ – und auch deren Kinder – zeit ihres Lebens ein Thema. Im Vordergrund steht die Ergründung der eigenen Identität, die Frage nach den „persönlichen Wurzeln“. Auch das Bedürfnis, diese Lücke in der eigenen Vita zu schließen, unabhängig davon, ob die Betroffenen eine „glückliche“

Kindheit verbrachten, ob sie in einer liebevollen Familie oder in einem Heim aufwuchsen, Diskriminierung ausgesetzt waren, früh oder spät, direkt oder indirekt, zufällig oder durch die Erziehenden gelenkt von ihren Vätern erfuhren. Selbst Kinder, die als Folge einer Vergewalti- gung auf die Welt kamen, widmen sich dieser Lebensfrage.

Die Biografie von Eduard Spörk trägt dazu bei, das jahrzehntelang tabuisierte Thema der Nachkommen von ausländischen Kriegsgefan- genen und österreichischen Frauen sichtbar zu machen. Sie verdeut- licht, wie schmerzlich die Lücke in der eigenen Biografie durch den absenten, lange auch verschwiegenen Vater sein kann. Seine Geschich- te macht gleichzeitig Mut, sich auf die Spurensuche nach den eigenen Wurzeln zu begeben und trotz zahlreicher Rückschläge nicht aufzu- geben.

Eduard Spörk und Britta Lauber sei für dieses Buch gedankt. Es stellt einen wichtigen Beitrag dar, die vielfach bis heute vorhandene Mauer des Schweigens, die zahlreiche „Kriegskinder“ in ihrer unmit- telbaren Familie und Nachbarschaft umgibt, einzureißen.

Graz, im April 2015 Doz. Dr. Barbara Stelzl-Marx

stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung

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12 13 Eduard keinen Hunger, sondern seine Nervosität. Zu selten hatte er

die Mutter für sich allein.

„Ich bin wieder nach meinem Vater gefragt worden“, platzte es aus ihm heraus. „Bitte, Mutter, erzähle mir von ihm! Irgendetwas! Seinen Namen. Wie er war. Ich muss es wissen!“ Unter der Flut der Worte erstarrte sie. Die Gabel klirrte gegen den Tellerrand.

„Lass es, Edi!“, flüsterte sie kraftlos.

„Immer sagst du, lass mich in Ruh! Nein, Mutter, ich muss es wis- sen! Ich muss!“

Es schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, an dem sie ihn nicht mehr mit einem Blick zum Schweigen bringen konnte. Seine jugend- liche Energie sprengte gegen die verkrustete Hülle, die ihre wunde Seele umschloss.

Sie stand auf und suchte für einen Moment den Halt in ihren Handflächen auf der Tischplatte. Eduard wagte nicht, ihr in das blasse Gesicht zu sehen. Er spürte ihren Schmerz wie seinen eigenen. Erst Eduards französische Großeltern Antoine und Anne Ménan mit ihrer Familie 1936 – sein Vater steht in der hinteren Reihe ganz rechts.

als sich die Mutter wegdrehte, hob er enttäuscht den Kopf. Seine Fra- gen sollten wieder ohne Antwort bleiben.

Eduard hörte den schweren Atem der Mutter und Schritte, die die Last ihrer inneren Qual trugen. Eine Schublade im hölzernen Kü- chenschrank wurde geöffnet und dumpf zugeschoben. Für einen Mo- ment bewegte sich niemand von beiden, und Eduard fragte sich, was sie gesucht hatte. Dann bemerkte er, dass sich die Mutter schwerfällig wieder auf den Stuhl neben ihn setzte, einen Bleistift und ein Stück Papier in der rechten Hand haltend. Eduards Herz schlug so heftig, dass er es in seinem ganzen Körper spüren konnte.

Während sie mit gebeugtem Kopf und zusammengepressten Lip- pen schrieb, verharrte Eduard regungslos und wagte kaum zu atmen.

Nichts sollte die Mutter unterbrechen.

Stumm schob sie ihm den Zettel zu. Zwei Wörter. Ein Datum.

Ansonsten Leere, die sich für Eduard langsam mit Vergangenheit zu füllen begann. Und Zeichen, die eine Zukunft versprachen:

Antoine Ménan 26. 11. 1917

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