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Archiv "Adieu, blaue Tristesse" (09.04.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Adieu, blaue

Tristesse

Wolf D Konenkamp

Die Bürger haben den Kleiderlu- xus wiederentdeckt und damit Abschied von Textilien genom- men, bei denen, zumindest vor- dergründig, das Praktische do- minierte. Die blaue Tristesse von

„Jeans und Jackets" scheint fürs erste vorüber zu sein, die schlich- ten uniformen Jeans wandeln sich ins Topmodische mit Bunt- druck, Lederapplikationen, Pai- letten. Sie sind aufgemotzt.

Gleichzeitig allerdings propagie- ren die zwei größten US-Jeans- Hersteller, Levis und Wrangler, die Rückkehr zu den klassischen Arbeitshosen. Wie aber kam der kometenhafte Aufstieg der Jeansmode überhaupt zu- stande?

Seinen Oldie

„501" bietet Levis jetzt

„stonewashed"

an. Keine Ein- laufsitzung in der Wanne mehr, wie noch zu Deans Zeiten

„Jeans in alle Ewigkeit" so lau- tete die Überschrift auf einem Poster des Jeans-Herstellers Le- vi-Strauss, San Francisco. Rich- tig ist daran, daß die über hun- dert Jahre, in denen man Jeans trägt, für den Textilmarkt durch- aus eine kleine Ewigkeit darstel- len. Es ist aber auch nicht zu übersehen, daß das goldene Jahrzehnt der Jeans-Branche, das etwa 1970 begann, zu Ende ist; seit 1980 stagnieren die Um- sätze.

Jede zweite Hose in diesem Lan- de war eine Jeans, jede zehnte eine Levi's, Wrangler oder Mu- stang, das einzige deutsche Fa- brikat in diesem Reigen. Die glänzende Fassade des Jeans- Ruhms hat längst Risse bekom- men. Auch dieses Textil, das seit fünfzehn Jahren aus der Klei- dungskultur der ganzen westli- chen Welt nicht mehr fortzuden-

ken war, bleibt letztlich den Ge- setzen des Marktes unterworfen, der Dauer oder gar Ewigkeit nicht kennt. Die Mode, „des Ka- pitalismus liebstes Kind", wie schon 1902 der Wirtschaftswis- senschaftler W. Sombart formu- lierte, lebt vom Wandel.

Von der Arbeitshose zum Freizeitlook

Als 1873 der Aufstieg dieser Beinkleider begann, war der an- haltende immense Erfolg nicht vorauszusehen. In diesem Jahr 1046 (64) Heft 15 vom 9. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Jeans gestern und heute

verkaufte der polnische Schnei- der Jacob Davis dem Haushalts- und Kurzwarenhändler Levi Strauss Anteile an einem Patent für Hosen, die an strategisch wichtigen Nähten mit Nieten ver- stärkt waren; Strauss stieg ein, verbesserte die Konfektionie- rung und kleidete Farmer, Me- chaniker und Bergleute. Den Stoff „Jeans" hat er freilich nicht erfunden. Der ist um Jahrhun- derte älter: Ursprünglich wurde er von Genueser (geanes) See- leuten getragen und dann über- all in Europa, wo es auf strapa- zierfähige Kleidung ankam, um 1800 etwa von Hamburger Schauerleuten oder sächsischen Bauern.

In den USA blieben die Jeans bis in die dreißiger Jahre reine Ar- beitskleidung, meist als Overall oder Latzhose, erst danach ver- breitete sich über Freizeit-Ran- ches für Weekend-Cowboys die heutige „pants"-Form, die ei- gentlich für Reiter gedacht war.

Sehr verbreitungsfördernd war die Ausstattung von US-Army und -Navy mit diesen Hosen; die heimkehrenden Soldaten behiel- ten die bequemen Buxen bei, die sehr bald zum unentbehrlichen Freizeitartikel avancierten.

Es liegt keine Übertreibung in der Feststellung, daß die US-Ge- nerationen nach 1950 in diesen Hosen groß geworden sind — ein Stück Amerika wie Candy und Coca-Cola — und wie diese ge- langten die Jeans mit den US- Besatzern ins Nachkriegs- deutschland, und schon bald (1948) bastelte die Firma Her- mann in Künzelsau die ersten 300 „Röhrleshosen", die damals noch nicht „Mustang" hießen.

Schon 1952 schneiderte man 40 000, 1954 mehr als doppelt so viele. Im selben Jahr bot Necker- mann für die ganze Familie „Nie- tenhosen" an: Cowboyhosen für die Männer, „Girlhosen" für das weibliche Geschlecht. Betont wurde das Praktische und so fand man Nietenhosen bei Klep- permantel und Motorradklei- dung. Doch schon am Ende die- ses Jahrzehnts setzt sich auch der Freizeitaspekt durch:,,ldeal für Sport und Freizeit".

Hauteng ging es/

frau/man durch die Siebziger; reversi- ble Fertilitätsstö- rungen waren beim Mann oft Folge vom Hineinzwän- gen mit vereinten Kräften

Erst als die Jeans-Welle in den Siebzigern als Springflut daher- kam, nahm die Presse von ihr Notiz und das nicht ohne interes- sierte Nachhilfe. 1975 feierte Le- vi Strauss 125jähriges Firmenju- biläum und versorgte aus die- sem Anlaß die Zeitungen mit Ma- terial zur Jeans-Geschichte.

Wie aber haben die journalisti- schen Hüter der Volksmoral die Jeans-Welle aufgenommen? Sie haben zwischen 1950 und 1970 in vielen Zeitungsartikeln dieje- nigen verantwortlich gemacht, die auch die Elternherzen mit Abscheu und Unruhe erfüllten:

den wilden Marion Brando, Elvis Presley, den Rock'n Roll, die Beatles, die Hippies und die pro- testierenden Studenten. Tat- sächlich zu Recht? Nein. Diese

Foto: dpa

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 15 vom 9. April 1986 (67) 1047

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Jeans gestern und heute

Zusammenhänge sind kon- struiert und daher leicht zu wi- derlegen: Brando gab in seiner schwarzen Lederjacke eher ein Vorbild für böse Buben ab und schied damit als positives Identi- fikationssynnbol aus, Presley und Co. traten meist im Anzug auf, die englischen Beatmusiker nie in Jeans — das entscheidende Kriterium, sich von der Erwach- senen-Kultur abzusetzen, waren die langen Haare.

Die Hippies trugen Jeans — aber alle anderen amerikanischen Ju- gendlichen auch, schließlich wa- ren sie allesamt darin aufge- wachsen. Und der Studenten- Protest? Man sehe sich einmal Abiturienten- oder Demonstra- tionsfotos zwischen 1966 und 1970 an ... Wenn Studenten heute so bieder gekleidet wären wie damals, würden sich ihre Professoren Sorgen machen!

Protest und Jeans, die zwei ka- men einfach nicht zusammen.

Dagegen gab es genügend

„klassische" Identifikationsfigu- ren, mit hohem Sozialstatus und damit Vorbildcharakter, zumeist aus der Unterhaltungsbranche, die sich schon früh mit Jeans die gewisse Prise jugendlicher Inter- nationalität verschafften. Dazu zählen so unterschiedliche Figu-

ren wie Hardy Krüger und Georg Thomalla, Hildegard Knef und Juliette Gröco, Romy Schneider und Horst Buchholz. Der Diffu- sionsprozeß der Jeans, das zei- gen „Neckermann" und „Film- stars", verlief ganz normal. Wie aber ist die „andere" Meinung in unseren Köpfen verankert wor- den?

Von einem Image zum nächsten

Betrachtet man die Anzeigen der Jeans-Hersteller in Jugendzeit- schriften (und anderswo), so fällt bis 1970 ihre Biederkeit auf. Sie betonen den modischen Aspekt, den Chic, sogar die Pflegeleich- tigkeit. Erst danach benutzte

Those were the days, my friend:

Schon Anno To- bak pries Levis sei- ne Cowboykluft für den pomadigen Falschpieler an; als später Optimie- rung nur noch durch Weglassen möglich schien, waren HotPants überall dabei, wo es heiß herging

man den jugendlichen Protest für die eigenen (Werbe-)Zwecke.

Von nun an ist „Freiheit" aus den Anzeigen nicht mehr fortzu- denken. Zwar unterschieden sich Jeans hierin nicht von ande- ren Markenartikeln („Honda- Freiheit" z. B.), die Werbung ging hier aber glaubwürdiger vor, durch einen simplen Trick:

Sie verkehrte die längst alltäg- lichen Hosen der aufsässigen Ju- gend in „Protest-Hosen".

Dieses Image wurde gepflegt, bis der jugendliche Markt gesät- tigt war, dann, 1975, taufte man die Hosen der Freiheit wieder um in solche der Freizeit—von da an galt es, die älteren Jahrgänge anzusprechen. Stabilisiert wur- den diese Jeansbilder in unseren Köpfen durch die „Werbung in

der Werbung", d. h. wo immer ein Produkt Jugendlichkeit, Dy-

namik und Lebensgenuß ver- sprechen sollte, trugen die Ak- teure Jeans. Zu solchen Artikeln zählten „Lord-Extra" und der

„Jeans-Käfer", Waschmittel und die Bundesbahn.

Auch Ex-Präsident Carter ließ sich ja nicht deswegen so gern in Jeans ablichten, weil er Erd- nußfarmer war, sondern weil sie ihm ein jugendliches Image ver- schaffen sollten. Die Amerikaner wählten ihn dennoch nicht wie- der, vielleicht ein Indiz dafür, daß die Bilder der Werbung nicht zwangsläufig unser Verhalten steuern, jedenfalls in Bereichen, die den Erwerb von Hosen nicht unmittelbar betreffen.

Dr. phil. Wolf D. Könenkamp Wöhrdstraße 2 b

8400 Regensburg 1048 (68) Heft 15 vom 9. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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