• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Morbus Bechterew: Alte Mythen und neue Therapien" (05.04.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Morbus Bechterew: Alte Mythen und neue Therapien" (05.04.2002)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

F

rüher war der Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) eine an Schwere und Häufigkeit unter- schätzte Erkrankung. Die Diagnose wurde erst gestellt, wenn im Röntgen- bild Frakturen an der Wirbelsäule fest- stellbar waren. Bis dahin hatte der Pati- ent jahrelang Schmerzen erlitten, wert- volle Zeit für die Bremsung der Ver- knöcherung war ohne sachgerechte Therapie verstrichen. Heute stellt sich die Situation wesentlich besser dar, wenn auch noch nicht optimal. Wäh- rend es bei den um 1950 Erkrankten im Mittel noch 15 Jahre dauerte, bis die Diagnose gestellt wurde, betrug die Diagnoseverzögerung bei den 1980 Er- krankten „nur“ 7,5 Jahre. Heute sei die Frühdiagnose durch Methoden wie zum Beispiel die Kernspintomogra- phie erleichtert, dennoch betrage die Dunkelziffer immer noch ein Vielfa- ches der diagnostizierten Fälle, berich- tete Prof. Ernst Feldtkeller (Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V.) bei einer Pressekonferenz des Kompe- tenznetzes Rheuma in Hannover.

Zählt man nur die routinemäßig dia- gnostizierten Morbus-Bechterew-Pati- enten, kommt man auf eine Häufigkeit von 0,1 bis 0,15 Prozent der Bevölke- rung. Die Arbeitsgruppe um Prof. Jo- chen Sieper vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin ermittelte jedoch 1999 in einer Untersuchung an Berliner Blutspendern eine Häufigkeit von 0,9 Prozent der erwachsenen Be- völkerung. Demnach wäre mit circa 800 000 Morbus-Bechterew-Patienten in Deutschland zu rechnen – ebenso viel, wie an rheumatoider Arthritis leiden.

Die Zahl der entzündlichen Wirbelsäu- lenerkrankungen (Spondylarthopathi- en) ist etwa doppelt so hoch wie die des klassischen Morbus Bechterew.

Neben der Häufigkeit müssen auch bei der Geschlechterverteilung des Morbus Bechterew die Lehrbücher um-

geschrieben werden. Die Krankheit scheint bei weitem nicht so „männerla- stig“ zu sein, wie früher angenommen.

So zeigt eine Befragung, die Feldtkeller unternahm, dass der Frauenanteil über die Zeit kontinuierlich angestiegen ist und dass sich unter den erst kürzlich dia- gnostizierten Morbus-Bechterew-Pati- enten gleich viele Frauen wie Männer befinden. Das üblicherweise angegebe- ne Häufigkeitsverhältnis männliche zu

weiblichen Patienten von 2 : 1 „stellt al- so eine Altlast dar, die darauf beruht, dass in früheren Jahrzehnten der Mor- bus Bechterew bei Frauen seltener er- kannt wurde als bei Männern“, meint Feldtkeller. Auch verlaufe die Erkran- kung bei Frauen keineswegs „milder“, wie oft behauptet. „Wie unsere Unter- suchung zeigt, geht die Häufigkeit star-

ker Schmerzen bei männlichen Patien- ten nach langer Krankheitsdauer deut- lich zurück, während sie bei weiblichen Patienten eher zunimmt“, sagte Feldt- keller in Hannover. Therapeutisch gab es für die Betroffenen bisher nur weni- ge Optionen:

❃ NSAR und Analgetika, um die Schmerzen zu lindern,

❃ Krankengymnastik und physikali- sche Therapie, um der Versteifung und Verkrümmung der Wirbelsäule entge- genzuwirken, und

❃ Bremsung der Gelenkentzündung durch das Basistherapeutikum Sulfasa- lazin.

Eine Möglichkeit, die zugrunde lie- gende Wirbelsäulenentzündung wirk- sam einzudämmen, bestand nicht. Denn im Gegensatz zu anderen entzündlich- rheumatischen Erkrankungen seien Cor- ticoide und immunmodulierende Sub- stanzen hier kaum oder gar nicht wirksam, erklärte Prof. Henning Zeid- ler von der Medizinischen Hochschule Hannover. Neue Hoffnungen knüpfen sich an die Blockade des Zytokins Tu- mor-Nekrose-Faktor-(TNF-)alpha, das wesentlich an der Aufrechterhaltung der chronischen Entzündung beteiligt zu sein scheint.

In einer aktuellen Studie mit dem TNF-alpha-Blocker Infliximab (Remi- cade®) zeigten mehr als 80 Prozent der Behandelten eine klinische Besserung, und bei mehr als 50 Prozent wurde die Krankheitsaktivität sogar um über die Hälfte reduziert. Die Studie verdanke aber ihre zügige Durchführung der Ver- netzung im Kompetenznetz Rheuma, betonte Zeidler. Sieben rheumatolo- gische Kliniken brachten Patienten in die Studie ein; beteiligt waren auch Forscher des Deutschen Rheuma-For- schungszentrums in Berlin (Publikation am 20. 4. 2002 in „Lancet“). Schon jetzt gilt die Studie als Meilenstein in der Be- handlung der zum Teil deletär verlau- P O L I T I K

A

A910 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 99½½Heft 14½½5. April 2002

Morbus Bechterew

Alte Mythen und neue Therapien

Frauen erkranken inzwischen ebenso häufig wie Männer. Die Blockade des Zytokins Tumor-Nekrose-Faktor-alpha erweist sich als effektive Behandlungsoption.

Medizinreport

Morbus Bechterew: Die Pfeile weisen auf die typischen Veränderungen an der Wirbelsäule. Foto: MMH

(2)

fenden Wirbelsäulenentzündung. Ne- ben dem Netzwerkcharakter sind zwei Dinge daran bemerkenswert:

1. Es handelt sich um die weltweit er- ste placebokontrollierte Studie mit TNF-alpha-Blockern bei ankylosieren- der Spondylitis.

2. Die Initiative dazu ging von den Untersuchern aus und nicht von der Pharmaindustrie.

70 Patienten mit aktiver ankylosie- render Spondylitis erhielten randomi- siert entweder je eine Infliximab-Infusi- on (5 mg pro Kilogramm KG) in Woche null, zwei und sechs (n = 35) oder ein Placebo (n = 35). Die TNF-alpha-Blok- kade führte zu einer raschen und oft dramatischen klinischen Besserung.

Nach zwölf Wochen war die Krank- heitsaktivität bei 53 Prozent der Inflixi- mab-Patienten um mindestens die Hälf- te zurückgegangen.

Eine vergleichbare Besserung zeig- ten nur neun Prozent der Placebo-Pati- enten. Alltagsfunktion und Lebensqua- lität besserten sich signifikant unter In- fliximab, nicht aber unter Placebo. Die NSAR-Einnahme konnte bei 56 Pro- zent der Infliximab-Patienten versus 19 Prozent der Placebo-Patienten um mehr als die Hälfte reduziert werden.

Entzündungsparameter im Blut (CRP) fielen nur unter Infliximab signifikant ab, nicht dagegen unter Placebo.

Der TNF-alpha-Blocker wurde von den meisten Patienten gut vertragen. In drei Fällen zeigten sich jedoch relevan- te Nebenwirkungen: Ein Patient ent- wickelte eine Tuberkulose, ein Patient eine allergische Granulomatose der Lunge und ein weiterer eine vorüberge- hende Leukopenie. Alle Nebenwirkun- gen konnten erfolgreich behandelt werden, vor allem die Tuberkulose ist aber natürlich eine ernste Komplikati- on. „Deshalb muss vor jeder Behand- lung mit TNF-alpha-Blockern zwingend ein sorgfältiges Screening auf eine Tu- berkulose erfolgen“, betonte Zeidler.

Nach Ansicht des Rheumatologen sollte die neue Therapie zunächst nur in Zentren mit spezieller rheumatolo- gischer Erfahrung eingesetzt werden.

Langzeitdaten stehen noch aus, mög- licherweise kann aber die effektive Unterdrückung der Entzündung der gefürchteten Wirbelsäulenversteifung vorbeugen. Dr. med. Julia Rautenstrauch

Bio-Zement richtet gebrochene Wirbel wieder auf

Patienten mit gebrochenen Wirbelkör- pern kann durch ein Verfahren am Uni- versitätsklinikum Heidelberg geholfen werden: Um den Wirbel wieder aufzu- richten, wird mithilfe einer Kanüle ein spezieller Bio-Zement eingespritzt. Das schonende Verfahren befreit rasch von Schmerzen und erspart den meist älte- ren Patienten die Bettlägerigkeit und schwere Komplikationen.

Die minimalinvasive Methode der Kyphoplastie (Wirbelaufrichtung) wur- de in den USA entwickelt und wird an einigen Zentren in Deutschland ange- wendet. Am Universitätsklinikum Hei- delberg ist nun ein weiterer Fortschritt erzielt worden. Zur Stabilisierung des gebrochenen Wirbelkörpers wird ein neuer Bio-Zement verwendet, der ent- scheidende Vorteile hat: Er wird bei normaler Körpertemperatur fest, so- dass die verbliebenen gesunden Kno- chenzellen nicht zerstört, sondern sogar zum Wachstum angeregt werden.

„Bislang wurde dafür der Kunststoff Methylmetacrylat verwendet. Beim An- härten wird er bis zu 80 Grad Celsius heiß und schädigt dadurch lebendes Knochengewebe“, sagt Priv.-Doz. Dr.

Hans-Christian Kasperk. Seit 2001 konn- ten in Heidelberg 18 Patienten mit der neuen Methode erfolgreich behandelt werden, wobei die Ergebnisse im Rah- men einer Studie am Universitätsklini- kum auch im Verlauf systematisch un- tersucht werden.

Der Eingriff unter Röntgenkontrolle dauert nur 30 bis 40 Minuten. Der Pati- ent liegt in Vollnarkose auf dem Bauch.

Durch zwei kleine Stiche rechts und links des betroffenen Wirbels wird eine Kanüle vorgeschoben. Dadurch wird ein Ballon eingeführt, der mit einer Flüssigkeit aufgeblasen wird und den Wirbel zunächst aufrichtet. Der Ballon wird wieder entfernt; dann wird der stabilisierende Bio-Zement eingespritzt.

Auch Patienten, die an Wirbelbrü- chen durch Knochenmetastasen leiden, können unter bestimmten Vorausset- zungen mit der Kyphoplastie behandelt werden. Dr. med. Annette Tuffs

Gastrointestinale Tumoren werden in Japan früher erkannt

In Japan werden 50 bis 60 Prozent aller Magenkarzinome und 30 bis 40 Pro- zent der Karzinome von Ösphagus und Kolorektum bereits im Stadium ei- nes Frühkarzinoms diagnostiziert, die bei entsprechender Therapie eine 5-Jahres-Überlebenszeit von 90 bis 95 Prozent haben. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu den westlichen Län- dern, wo die Karzinome des Gastroin- testinaltraktes in weniger als 15 Prozent als Frühkarzinome entdeckt werden.

Einer der Gründe für die Unterschie- de ist, dass in Japan Vorsorgeuntersu- chungen mit radiologischen Methoden und dem Nachweis von okkultem Blut im Stuhl – auch im Rahmen arbeitsme- dizinischer Untersuchungen – viel häu- figer durchgeführt werden als in westli- chen Ländern, wie Prof. R. J. Schlemper (Fukuoka-Universität) auf dem Kon- gress der Deutschen Gesellschaft für Endoskopie und bildgebende Verfahren in München berichtete. Außerdem wür- den bereits Patienten mit geringgradi- gen „Bauchbeschwerden“ einer Endo- skopie zugeführt. Damit die Ärzte mit den verschiedenen Erscheinungsbildern der Frühkarzniome vertraut seien, wür- den diese speziell trainiert. In jedem ja- panischen Krankenhaus werden die Be- funde systematisch dokumentiert und in wöchentlichen Konferenzen von Exper-

ten begutachtet. EB

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 99½½Heft 14½½5. April 2002 AA911

Minimalinvasive Methode der Kyphoplastie

Foto: Kyphon

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

D as Verständnis der rheumatischen Erkran- kungen ist weiterhin im Fluss: Nach den seit 1984 geltenden modifizierten New York-Kriterien ist ein Morbus Bech- terew definiert

Da davon nur ein kleiner Teil – vielleicht nur 10 % – eingezahlt werden muss, kann sich dieser Betrag durch die Beteiligung der Europäer durchaus noch erhöhen.. Die Gründung

Soweit nicht anders verordnet, erhalten Kinder ab 6 Jahren morgens und abends je ein Retard-Dragee Tricodein für Kinder mit etwas Flüssigkeit zum Einnehmen..

Wer Krankenhäusern in Ent- wicklungsländern helfen will, kann über Spenden Medika- mente kaufen bei der Firma Sanavita, die speziell für Ent- wicklungsländer notwendige

Nach der Publikation einer deutschen Studie zu Infliximab (Lan- cet 2002; 359: 1187–1193) stellt eine US-Gruppe im New England Journal of Medicine (2002; 346: 1349–1356) ih-

Patienten mit gebrochenen Wirbelkör- pern kann durch ein Verfahren am Uni- versitätsklinikum Heidelberg geholfen werden: Um den Wirbel wieder aufzu- richten, wird mithilfe

Die Einbuße der Funktionsfähigkeit ist nicht allein auf den körperlichen Bereich beschränkt, sondern es liegt auch eine Einschränkung der Lebensqualität,

Das Problem kann nur gelöst werden durch eine Überwachung der Resi- stenzentwicklung, die Suche nach neu- en Wirkstoffen, eine Reaktivierung der Grundlagenforschung sowie