„Wir Karl V. von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germani- en, zu Castillien, Aragon, Le- on, beider Sizilien, Jerusalem, Ungarn, Dalmatien etc. und der Terrae Firma des ozeani- schen Meeres“, so der offizi- elle Titel Kaiser Karls V.
(1500–1558). Kein Fürst vor und nach ihm sollte mehr Ti- tel auf sich vereinen. Er war einer der bedeutendsten Fi- guren der europäischen Ge- schichte, Herrscher eines Reiches, in dem tatsächlich
„die Sonne nicht unterging“.
Eine Büste des Kaisers be- grüßt den Besucher der Bon- ner Ausstellung. Dahinter türmt sich ein einzigartiges Reiter-Ensemble, das Bonn aus den Rüstkammern Ma- drid, Wien, Paris, Berlin und Dresden zusammengeführt hat: Die prunkvollen Harni- sche stehen stellvertretend für die Mächte und Personen, mit denen der Kaiser 40 Jahre um die Vorherrschaft in Eu- ropa rang. Prominent vertre- ten ist sein „Erzfeind“, der französische König Franz I.
und ein türkischer Reiter der neuen osmanischen Groß- macht im Osten.
In neun Kapiteln begleitet die Ausstellung den Kaiser von seiner Geburt in der rei- chen flandrischen Handels- stadt Gent bis zu seinem Tod 1558 in Yuste, einem abgele- gen Ort Kastiliens. Durch Ge- mälde, Bildteppiche, Bücher, Dokumente, Juwelen, Mün- zen, Medaillen und Kupfer- stiche lernt man die Stationen von Kaiser Karls einzigartiger Karriere kennen: mit 15 Jah- ren Herzog von Burgund, ein Jahr später spanischer König, 19-jährig zum Kaiser des Hei- ligen Römischen Reiches ge- wählt. 1555/56, nach mehr als
40 Regierungsjahren, dankte der Kaiser ab und zog sich re- signiert in die Einsamkeit des spanischen Klosters San Jero- nimo de Yuste zurück. Am Ende seines Lebens musste Karl erkennen, dass die enor- men Machtmittel, über die er verfügt hatte, größtenteils vergeudet worden waren. Sei- ne beiden großen Vorhaben waren gescheitert: Weder war es ihm gelungen, Europa unter christlichen Vorzeichen und seiner Führung zu verei- nen, noch konnte er die Re-
formation abwenden und die Spaltung der Kirche verhin- dern. Außerdem zerfiel das Habsburger Imperium in ein spanisches und ein deutsches Reich.
All dies erzählt die Aus- stellung mit 500 Exponaten, zur Verfügung gestellt von mehr als 100 Leihgebern. Vie- le Kunstwerke sind wahrhaft eines Kaisers würdig: Kunst war für Karl ein wichtiges Mittel der Politik und der herrscherlichen Selbstdar- stellung. Dies gilt sicherlich
für seine Porträts von der Hand Tizians, Seiseneggers, Ambergers oder Leone Leo- nis, insbesondere aber für die größte Attraktion der Aus- stellung: Neun Bildteppiche, jeweils zehn Meter breit und über fünf Meter hoch, mit Szenen der Eroberung Tunis feiern Karl V. als obersten Feldherr der Christenheit.
Noch heute im Besitz der spa- nischen Krone, sind sie zum ersten Mal überhaupt außer- halb Spaniens zu sehen.
Die Bonner Ausstellung beschränkt sich nicht auf die Darstellung machtpolitischer Konflikte und Probleme: Die Lebenszeit Kaiser Karls V.
war die Zeit eines großen gei- stigen und kulturellen Um- bruchs zwischen Mittelalter und Neuzeit – mit vielen Par- allelen zur heutigen Zeit.
Breiten Raum nimmt die Re- formation ein, das wichtigste und folgenreichste Ereignis der Zeit.
Es macht den Reiz der Ausstellung aus, dass sie sich nicht mit den Beispielen der kaiserlichen „Hochkunst“ be- gnügt. Glücklicherweise wird aber auch das vielleicht kost- barste Material des Zeitalters gebührend berücksichtigt:
das Papier. Bedrucktes Pa- pier war das einflussreichste Medium des Zeitalters, hier sind viele spannende Ent- deckungen zu machen: Kar- ten und Dokumente, vor al- lem aber einige der schönsten Bücher des Zeitalters.
Auch das wichtigste medi- zinische Buch der Epoche wird gezeigt: „De humani corporis fabrica“ von An- dreas Vesalius (1514/15 bis 1564), Leibarzt Kaiser Karls V. Dieses Buch war der erste wissenschaftliche Versuch, die Organe des Menschen nach eigenen anatomischen Beob- achtungen wirklichkeitsge- treu und detailliert darzustel- len und nicht wie bisher in er- ster Linie auf die Autoritäten der Antike zu vertrauen. Ein Ensemble von fünf kostbaren Uhren, Meisterwerken der Goldschmiedekunst, erinnert an das Interesse Karls für die mechanischen Künste.
Dr. Stefanie Schmid-Altringer A-1079 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 16, 21. April 2000
V A R I A FEUILLETON
Kaiser Karl V.
Informationen:Die Ausstellung „Kaiser Karl V. (1500 bis 1558) – Macht und Ohnmacht Europas“ ist bis 21. Mai in der Bundes- kunsthalle (Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn) zu sehen. Telefon:
02 28/91 71-2 00, Internet: www.bundeskunsthalle.de, Öffnungszei- ten: Dienstag und Mittwoch 10 bis 21 Uhr, Donnerstag und Freitag 9 bis 21 Uhr, Samstag und Sonntag 9 bis 19 Uhr, montags geschlossen (Ostermontag und Pfingstmontag geöffnet)
Tizian: „Karl V. mit Ulmer Dogge“, 1532 bis 1533, Öl/Leinwand, 192 x 111
Macht und
Ohnmacht Europas
Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle erinnert an den 500.
Geburtstag des Kaisers.
Abbildung: Museo Nacional del Prado, Madrid