BILDUNGSMONITOR 2012 – BILDUNGSSYSTEME DER LÄNDER IM VERGLEICH
Ostdeutsche Länder an der Spitze
Sachsen und Thüringen haben die besten Betreuungsbedingungen für Kinder unter drei Jahren und die am besten ausgebaute Förderinfrastruktur.
Deshalb können sie auch in allen anderen Bildungsbereichen punkten.
S
achsen hat das leistungsfä- higste Bildungssystem aller Bundesländer, dicht gefolgt vom Nachbarland Thüringen. Zu diesem Ergebnis kommt der Bildungsmoni- tor 2012, eine Vergleichsstudie des arbeitgebernahen Instituts der deut- schen Wirtschaft (IW) in Köln im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Bil- dungsmonitor, der zum neunten Mal veröffentlicht wurde, bewerte- te anhand von Indikatoren, inwie- weit die einzelnen Länder unter an- derem die Bildungsinfrastruktur von der Krippenbetreuung bis zum Hochschulstudium verbessern unddie Teilhabechancen von Migran- tenkindern und Kindern aus bil- dungsfernen Schichten sichern und somit die Wachstumskräfte stärken.
Besonders stark verbessert hat sich Bremen in den letzten Jahren und steht nun auf Platz fünf im Ver- gleich der 16 Bundesländer (Gra- fik). „Große Stärken weist das Land der Bildungsextreme bei der Aka- demisierung und der Orientierung auf die MINT(Mathematik, Infor- matik, Naturwissenschaft und Tech- nik)-Fächer auf“, erläuterte Huber- tus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM, bei der Präsentation der Stu- die. „Großer Verbesserungsbedarf
Die Bundesländer im Bildungscheck:
Auf der Seite www.
insm-bildungsmoni tor.de kann das Län- derranking auch je- weils nach Kriterien wie Betreuungsbedin- gungen, Schulquali- tät, Integration, Aka- demisierung et cetera sortiert abgerufen werden.
schlechter besser
B I L D U N G
besteht aber weiterhin bei der Ausgabenpriorisierung, der Bekämpfung von Bildungsarmut und der Schulqua- lität.“ Berlin gibt seinen letzten Platz im Ranking ab an Schleswig-Holstein und steigt auf Platz 15. Die Bun- deshauptstadt konnte mit Stärken bei der Forschungs- orientierung, der Förderinfrastruktur und den Betreu- ungsbedingungen punkten.
Die Spitzenreiter Sachsen und Thüringen haben die besten Betreuungsbedingungen für Kinder unter drei Jahren und die am besten ausgebaute Förderinfrastruk- tur. Thüringen gibt pro Kopf am meisten Geld für die Bildung seiner Bürger aus. „Frühkindliche Bildung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Reduzierung von Bildungsarmut“, erklärte Prof. Dr. Axel Plünnecke, stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs Bil- dungspolitik und Arbeitsmarktpolitik des IW.
Das Angebot an Betreuungsplätzen für unter dreijäh- rige Kinder ist dem Bildungsmonitor zufolge bundes- weit zwar in den letzten fünf Jahren von 13,6 auf 25,2 Prozent gestiegen – mit der stärksten Dynamik (von knapp neun Prozent auf 20 Prozent) in Baden-Würt- temberg. Die Schwaben liegen in der Rangliste gleich auf Platz drei. „Trotzdem reichen die Fortschritte in der Betreuung der unter Dreijährigen noch nicht aus“, kriti-
sierte Plünnecke: „Das Tempo beim Kita-Ausbau muss noch einmal angezogen werden.“
Tagesbetreuung ab dem ersten Lebensjahr erhöht für Kinder aus bildungsfernen Schichten und für Migran- tenkinder die Möglichkeiten auf eine Berufsausbildung oder ein Studium. „Kinder aus Migrantenfamilien be- suchen häufiger das Gymnasium, wenn sie früh geför- dert werden und Ganztagsgrundschulen besuchen“, be- richtete Plünnecke. Außerdem entschieden sich ange- hende Studenten aus bildungsfernen Schichten häufiger für MINT-Fächer, in denen die Wirtschaft nach wie vor dringend Fachkräfte benötigt.
Der Ausbau von Ganztagsgrundschulen ist bundes- weit grundsätzlich vorangekommen: Vier Prozent der Grundschüler besuchten im Jahr 2000 eine solche, 2010 waren es schon circa 23 Prozent. Der Ausbau der Kindertagesstätten in den Neunzigerjahren hat bereits dazu geführt, dass Jugendliche mit Migrationshinter- grund heute weniger häufig die Schule abbrechen: der Anteil von Migrantenkindern ohne Schulabschluss sank von ungefähr 20 Prozent im Jahr 2000 auf etwa 13 Prozent 2010. Gleichzeitig stieg die Studienberechti- gungsquote unter Migranten im selben Zeitraum von 13 auf 23 Prozent. Trotzdem bleibe auch hier noch viel zu tun, denn Schüler aus Migrantenfamilien und aus bil- dungsfernen Haushalten blieben weiterhin hinter den anderen Schülern zurück, urteilen die Verantwortlichen des Bildungsmonitors.
„ Frühkindliche Bildung hat
unmittelbare Auswirkungen auf die Reduzierung von Bildungsarmut.
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Axel Plünnecke, Institut der deutschen Wirtschaft
A 2538 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 50|
14. Dezember 2012B I L D U N G
Die Fortschritte bei der Infra- struktur und den Teilhabechancen zahlen sich bereits ökonomisch aus.
So hat die seit dem Jahr 2000 gestiegene Hochschulabsolventen- quote dazu geführt, dass es heute et- wa 556 000 zusätzliche Akademi- ker in Deutschland gibt, davon 168 000 in den MINT-Fächern.
Nach Berechnungen des IW und der INSM bedeutet das für 2010 be-
reits eine zusätzliche Wertschöp- fung von mehr als 9,4 Milliarden Euro für die Volkswirtschaft.
„Wir haben eine Bildungsexpan- sion erlebt in den letzten zehn Jah- ren, aber es reicht noch nicht aus“, sagte Pellengahr. „Wir müssen alle Bildungsreserven erschließen.“ Da- zu seien eine verstärkte Sprachför- derung und die Etablierung von Bil- dungsplänen bereits im Kindergar-
ten erforderlich. Wichtig sei auch, die Durchlässigkeit im Bildungs- system zu steigern. Außerdem müs- se der Lehrerberuf aufgewertet wer- den. Vor allem die Verbeamtung setze einen falschen Anreiz, ein leistungsorientiertes Vergütungs- system sei besser. „Es gibt noch viel zu tun“, schlussfolgerten die Wirtschaftswissenschaftler.
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Petra Bühring