Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 112|
Heft 7|
13. Februar 2015 [65]KÖRPERBILDER: FÉLIX VALLOTTON (1865–1925)
Irritierender Rollentausch
E
douard Manets Skandalbild „Olympia“ lieferte die Vorlage: Eine schwarze Dienerin reicht ihrer nackt auf einem Kanapee ausgestreckten weißen Her- rin, einer Prostituierten, den Blumenstrauß eines Vereh- rers. Genau 50 Jahre später, 1913, griff der aus der Schweiz stammende Wahlfranzose Félix Vallotton die anrüchige Szene auf und deutete sie revolutionär um:Zwar ist bei ihm auch die weiße Frau die Nackte und die Dunkelhäutige bekleidet – aber hier hören die Ge- meinsamkeiten auch schon auf: In Umkehr traditionel- ler Hierarchien, die den sozialen Status über die Haut- farbe definieren, zeigt er seine Schwarze als selbstbe- wusst-vitale, die Szene völlig beherrschende Figur. Es ist nicht einmal sicher, ob es sich um Herrin und Do- mestikin handelt oder um zwei Freudenmädchen, viel- leicht auch nach gemeinsamem Liebesakt, was die „ge- röteten Wangen der jungen weißen Frau sowie die pro- vokativ ausgerichtete Zigarette der Schwarzen sugge- rieren“, wie die Vallotton-Expertin Ursula Perucchi- Petri meint.
Spannungsgeladen ist die Konfrontation eines wei- ßen Akts mit einer dunkelhäutigen Frau – einer „né- gresse superbe“ (Vallotton) – in jedem Fall. Zumal der Künstler auf dekorative Attribute verzichtete und die
Frauen im kalten Licht eines spartanischen Raums ganz
„auf ihre Körperlichkeit verwies“ (Perucchi-Petri).
Trug Manets weiße Venus noch eine Blüte im Haar und ein kokettes Pantöffelchen, fällt ihr Alter Ego durch Schmucklosigkeit auf. Verkörpert sie eine kärglich le- bende „Petite Femme de Paris“, wie sie Vallotton gerne porträtierte? Zum Rollentausch passt die körperliche Präsenz der Schwarzen, die sich mit der modischen Zi- garette als emanzipierte Pariserin erweist: Sie spiegelt die neue Bewunderung alles Afrikanischen, die Vallot- ton zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris erlebte, das sich zu einem Zentrum der schwarzen Diaspora entwi- ckelt hatte.
Das irritierende Gemälde aus der Schweizer Samm- lung Hahnloser ist bereits zum zweiten Mal in Ham- burg zu Gast – in der Ausstellung „Verzauberte Zeit“.
2008 hatte die Kunsthalle den vielseitigen, in Deutsch- land weniger bekannten Vallotton, einen der bedeu- tendsten Vertreter des Symbolismus, schon in einer um- fassenden Retrospektive vorgestellt. Sabine Schuchart
Félix Vallotton: „La Blanche et la Noire“, 1913, Öl auf Leinwand, 114 × 147 cm:
In völlig passiver Haltung liegt eine weiß- häutige Frau auf einem Bett. Ihr nackter Körper ist dem geringschätzigen Blick einer in ein blaues Tuch gehüllten Schwarzen ausgesetzt, die an ihrem Fußende sitzt, eine Zigarette lässig in den Mund geklemmt. Vallotton inszenierte ein bedroh- lich wirkendes Spiel mit Identitäten.
© Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur; Foto: Reto Pedrini, Zürich
DVD-TIPP:
„Félix Vallotton – Die Filme: Maler gegen die Zeit und Ein Dialog“, 82 Minuten, NZZ (Neue Züricher Zeitung) Film 2008, circa 20 €
AUSSTELLUNG:
„Verzauberte Zeit.
Cézanne, van Gogh, Bonnard, Manguin”
Hamburger Kunsthalle, Glockengiesserwall, Hamburg Di.–So. 10–18, Do. 10–21 Uhr;
20. Februar bis 16. August 2015