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Archiv "Ethik im ärztlichen Alltag: Konfrontation mit einem realen Fall" (08.02.2002)

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Stichworte verdeutlichen (siehe Textka- sten „Sammeln – Ordnen“).

Wichtig ist: Die primäre Datensamm- lung, zum Beispiel die problemorien- tierte EPA, gibt es nur einmal. Ein se- kundäres Register lässt sich daraus mehrmals erstellen, auch nach unter- schiedlichen Selektions- und Klassifika- tionskriterien für unterschiedliche Stu- dien. Sollte sich ein Klassifikationskrite- rium im Zuge der fortschreitenden Wis- senschaft ändern – man denke etwa an die Einordnung des Magenulkus als Stoffwechsel-, Autoimmun- oder Infek- tionskrankheit –, dann kann (strikte Trennung vorausgesetzt) problemlos er- neut klassifiziert werden. Diese Mög- lichkeit der Reklassifikation bei Er- kenntnisfortschritt ist essenziell, nicht nur für die retrospektive Auswertung von Daten, sondern auch für Qualitäts- sicherung, Controlling und anderes.

Die praktikable elektronische Pati- entenakte (EPA) macht Fortschritte.

Besonders erfreulich ist hierbei die Rückbesinnung auf L. L.Weed. Es soll- ten bei den aktuellen Implementatio- nen jedoch nicht die schon seit langer Zeit publizierten Design-Grundsätze vergessen werden, die sich bei den müh- samen ersten Schritten in Richtung auf eine moderne EPA aus Theorie und rei- cher Praxis seit 1968 ergeben haben.

Als Beispiele wurden die Bund-Länder- Vorhaben DIPAS und BAIK schon ge- nannt. Weitere dort publizierte Prüf- steine sind im Web unter www.zinfo.

de/baikbuch beziehungsweise www.zin fo.de/dipas zu finden.

Kollegen, die vor der Einführung ei- ner EPA stehen, sollten die angebote- nen Systeme im Hinblick auf die ge- nannten Kriterien – automatisierte Textanalyse und Klassifikation, doppel- te Sequenzbildung und strikte Tren- nung von primärer und sekundärer In- formation – gründlich prüfen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 344–346 [Heft 6]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Wolfgang Giere

Zentrum der Medizinischen Informatik, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt 60590 Frankfurt

T H E M E N D E R Z E I T

A

A346 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 6½½½½8. Februar 2002

W

ie viele Register der modernen Medizin sollen gezogen wer- den, um einen Menschen zu ret- ten, der vielleicht sein ganzes Leben lang nur leiden wird? Nicht zum ersten Mal steht diese Frage auf der Intensivstation der Kinderklinik im Raum. Die Beden- ken der Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger gelten der erst wenige Tage alten Laura, die aufgrund von Schwanger- schaftskomplikationen 15 Wochen vor dem ausgerechneten Termin zur Welt kam*.

Keine Patentlösungen

Während der Geburt erlitt sie eine In- fektion, der ihr winziger Körper mit sei- nen schwachen Abwehrkräften prak- tisch nichts entgegenzusetzen hat. Hin- zu kommt eine Hirnblutung, die ihren

Allgemeinzustand noch weiter ver- schlechtert. Sie muss beatmet werden, benötigt Bluttransfusionen und Anti- biotika in hohen Dosen. Ob sie durch- kommt, ist ungewiss. Sicher scheint je- doch, dass ihr Gehirn bereits geschä- digt ist und sie schwer behindert sein wird. Ihre Mutter hat bereits mehrere Fehlgeburten erlitten, Laura ist ihr er- stes Kind.

Dr. D., einer der verantwortlichen Kinderärzte, berichtet Monate später im Seminar „Ethik im ärztlichen All- tag“ an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen über diesen Fall. Die 15 Teilnehmer, überwiegend Medizinstu- dierende, debattieren eifrig. Claudia, selbst Mutter, setzt sich leidenschaftlich für eine intensive Weiterbehandlung ein. Markus widerspricht ihr und würde die kleine Patientin lieber nicht mit weiteren Maßnahmen quälen. Martina pflichtet ihm bei und verweist auf Lau- ras ungewisse Zukunft und die drohen- de Behinderung. „Wollen wir sie des-

Ethik im ärztlichen Alltag

Konfrontation

mit einem realen Fall

Anhand eines Fallbeispiels wird über

die Arbeit des Arbeitskreises für Ethik in der Medizin an der Universität Gießen berichtet.

* Szenario anknüpfend an einen realen Fall; alle Namen und Details in der Schilderung sind jedoch fiktiv und die- nen der Illustration.

Foto: epd

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wegen lieber totschlagen? Hat sie des- wegen kein Recht auf Leben wie jeder andere?“ erregt sich Klaus.

Die beiden studentischen Diskussi- onsleiter haben es nicht leicht, den emo- tionalen Disput in geordnete Bahnen zu lenken. Die Einhaltung bestimmter Spielregeln ist immer wieder anzumah- nen: aufeinander hören, am konkreten Fall bleiben, in Ich-Botschaften reden.

Worüber, wann und vor allem durch wen ist eigentlich eine Entscheidung zu tref- fen? Gesprächsmoderation, bei Wirt- schaftsunternehmen schon lange erfolg- reich angewandt, wird im medizinischen Bereich, gerade bei Besprechungen im Stationsteam, vielleicht noch zu wenig genutzt. Dies ist bereits einer der Aspek- te des Seminars. Organisatoren dieser Workshops sind Studierende, die 1996 den „Gießener Arbeitskreis für Ethik in der Medizin“ gegründet haben. Unter- stützt werden sie durch Priv.-Doz. Dr.

med. Fred Salomon, Anästhesist und Lehrbeauftragter für Ethik in der Medi- zin an der JLU.

Ethik nimmt im Rahmen der medizi- nischen Ausbildung an den meisten deut- schen Universitäten einen geringen Stel- lenwert ein. Während in Medien und Öf- fentlichkeit regelmäßig über die Trag- weite neuer Technologien und Möglich- keiten der sich rasant entwickelnden Me- dizin, über Sterbehilfe oder Embryonen- forschung diskutiert wird, spricht man in den Hörsälen, die diese Themen doch ei- gentlich direkt berührt, wenig darüber.

Auch eine Auseinandersetzung mit all- täglichen Aspekten des ärztlichen Be- rufs, die über Fachfragen hinausgeht, findet selten statt. So haben Studierende zum Beispiel kaum Gelegenheit, sich auf den Umgang mit Sterbenden oder un- heilbar Kranken vorzubereiten. Soziale Aspekte ihrer künftigen Tätigkeit wer- den ebenfalls kaum berührt. Gerade jun- ge Ärzte sind deshalb mit derartigen Pro- blemen häufig überfordert. Allerdings bringen längst nicht alle, die Arzt werden wollen, von vornherein entsprechende Moralvorstellungen und Werte in Bezug auf ihren künftigen Beruf mit.

Umstritten ist, in welcher Form me- dizinethische Inhalte vermittelt werden können, lassen sie sich doch nicht in Zahlen und Fakten fassen und auswen- dig lernen – wie im Medizinstudium üb- lich. Es gibt keine Patentlösungen für

die verschiedenartigen Konflikte, die Ärzte täglich im Sinne der Patienten bewältigen müssen. Vielmehr sind in je- dem Einzelfall aufs Neue unterschiedli- che Konstellationen zu berücksichti- gen, die individuelle Entscheidungen erfordern. Daher erscheint auch die theoretische Auseinandersetzung mit bioethischen Themen, die häufig an philosophischen Fakultäten angeboten werden, nicht als Vorbereitung auf den klinischen Berufsalltag geeignet.

Neue Problemfelder

Die Seminare konzentrieren sich auf praktische Aspekte ärztlichen Han- delns. Sie basieren auf einem an der Uni- versität Ulm durch Prof. Helmut Baitsch und Dr. Gerlinde Sponholz entwickelten Konzept, das inzwischen infolge studen- tischer Initiativen an mehreren Hoch- schulen, zum Beispiel München, Erlan- gen, Lübeck und Dresden, umgesetzt wird. Die Teilnehmer werden mit einem realen Fall, den der involvierte Arzt selbst vorträgt, konfron-

tiert und gefordert, sich in die Rolle des verant- wortlichen Mediziners hineinzuversetzen und Stellung zu beziehen. In der Diskussion werden die verschiedenen Aspek- te, die in die Entschei- dung einfließen, heraus- gearbeitet und Hand-

lungsoptionen erörtert. Anhand der kon- kreten Problemstellung ist es möglich, das Erkennen, Analysieren und Bewer- ten ethischer Konflikte im Kontext eige- ner Moralvorstellungen zu üben, ohne dabei den Faden zu verlieren oder in nichtssagende Allgemeinplätze zu ver- fallen.

Oft erfahren die Studierenden in den Workshops auch, dass es in ein und dem- selben Fall nicht nur eine Lösung gibt.

„Bis zur Entscheidung sollte ein Prozess stattfinden, in dem die verschiedenen Möglichkeiten abgewogen werden“, so Dr. Salomon. „Schlecht ist es, wenn – wie so oft in den Kliniken – ohne Überlegung gehandelt wird.“

Auch in Lauras Fall werden verschie- dene Positionen herausgearbeitet: Die Eltern wünschen sich, dass alles medizi-

nisch Mögliche für ihr Kind getan wird.

Die Pfleger und Schwestern, die einen in- tensiven Kontakt zu der Patientin haben, sehen in erster Linie den Leidensprozess und möchten diesen nicht verlängern. Im Seminar regen die Moderatoren an, den Austausch zwischen Ärzten, Angehöri- gen und Pflegepersonal in Form von Rol- lenspielen nachzustellen, auch um den Umgang mit derartigen Gesprächssitua- tionen zu üben. Der Konsens, zu dem die meisten Teilnehmer kommen, ähnelt der tatsächlichen Entscheidung auf Station:

Wenn weitere Komplikationen auftre- ten, sollten keine zusätzlichen therapeu- tischen Maßnahmen mehr durchgeführt werden.

Die gefürchteten Zwischenfälle blie- ben bei Laura aus; sie erholte sich er- freulich schnell von der Krise. Wenige Monate später bestand sogar Hoffnung, dass die Hirnschäden weitgehend abge- heilt waren. Waren die Überlegungen, im Seminar wie auf Station, daher unbe- rechtigt? Sicher nicht. Dr. D., der sich die Entscheidung selbst nicht leicht gemacht hatte, bestätigt, dass bei der Hektik auf Station oft wenig Zeit zum Abwägen bleibt – ein Grund mehr also, sich bereits während des Studiums in Problem- stellungen dieser Art hineinzudenken.

Wie lange die Kurse zur „Ethik im ärztlichen Alltag“ in Gießen wei- terhin stattfinden wer- den, ist fraglich. Der Arbeitskreis schrumpft, bedingt durch den Studienab- schluss der Mitglieder. Nachwuchs lässt auf sich warten; der Stundenplan der Stu- dierenden ist voll genug. Es stellt sich die Frage, ob die Auseinandersetzung der künftigen Ärztinnen und Ärzte mit ethi- schen Konflikten in ihrem späteren Be- ruf allein der studentischen Eigeninitiati- ve und der Freiwilligkeit überlassen sein sollte. Die Entscheidungskonflikte kom- men unausweichlich auf die angehenden Mediziner zu. Die wachsenden Möglich- keiten der Biotechnologie werfen neue Problemfelder auf.

Weitere Informationen im Internet:

www.med.uni-giessen.de/ethik

Sebastian Lindau

Priv.-Doz. Dr. med. Fred Salomon T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 6½½½½8. Februar 2002 AA347

Oft erfahren die Studierenden in den

Workshops auch, dass es in ein und dem-

selben Fall nicht nur

eine Lösung gibt.

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