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Archiv "Das „gute“ Ozon" (18.10.1990)

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DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Das „gute" Ozon

Emil Heinz Graul und Wolfgang Forth

ie Ozon-Problematik eignet sich oh- ne weiteres auch dafür, einen Bei- trag zur „Wissenschaftspolitik", Ge- sellschaftspolitik und Medienpolitik zu schreiben. Da eine „schlechte Nachricht" für so manchen Journalisten eine gu- te ist, ist nicht verwunderlich, daß eine Sensati- onsmeldung die andere jagt. Auch hier kann na- türlich der Volksmund bemüht werden, der das

„Ozonloch" als Schimpfwort entdeckt hat. Nicht zu Unrecht.

Am Sachstand soll nicht vorbeidiskutiert werden. Möglicherweise ist es der Mensch selbst, der durch anthropogene Substanzen den schüt- zenden Ozonschirm in der Mesostratosphäre (12 bis zirka 50 Kilometer Höhe) zerstört. Das Ozonproblem in diesen Höhen ist nicht neu; be- reits vor zwölf Jahren publizierte einer von uns (E. H. G.) im Berichtsband der MEDICENALE VIII darüber.

Daß der Ozonschirm in der Mesostratosphä- re ein Schutzschirm für das Leben auf der Erde ist, steht außer Zweifel. Kurzwelliges UV-Licht schädigt Pflanzen, Tiere und Menschen. So gese- hen enthält also der Ozonschirm das sogenannte gute Ozon. Auf das „schlechte" Ozon in der so- genannten Troposphäre gehen wir in einer Ubersichtsarbeit in diesem Heft ausführlich ein, so daß wir uns an dieser Stelle auf das „gute"

Ozon in der Mesostratosphäre beschränken kön- nen.

Die Schicht aus Ozon (0 3), der auch an der Entstehung des Treibhauseffektes eine Rolle zu- geschrieben wird, entsteht durch Fotodissoziati- on von molekularem Sauerstoff (0 2) entspre- chend den Formeln:

02 (Photon) (0) . + (0)' *

(0) + 03

Die so entstehende Ozonschicht kann auch wieder zerstört werden. So stellt sich dann in ei- ner bestimmten Höhe eine Gleichgewichtskon- zentration von 03 ein, die einerseits von der In- tensität der UV-Strahlung und andererseits von den Konzentrationen ozonzerstörender Stoffe abhängt. Außerdem spielen noch Transport- und Mischvorgänge eine Rolle. Neben den Fotodis- soziationen sind die nachstehenden Reaktionen beziehungsweise Stoffe für die Zerstörung des Ozonschirms verantwortlich:

• Dissoziationsprodukte des Wassers und des Di-Stickstoffoxids (N 20), Radikale wie OH - , H02 sowie Stickstoffmonoxid (NO);

• zivilistorische Schadstoffe wie Halogene, zum Beispiel Chlor, Brom und Fluor;

• halogenierte Kohlenwasserstoffe wie Methylchlorid, Methylbromid, Tetrachlorkoh- lenstoff und die Chlorfluormethane.

Die letztgenannten halogenierten Kohlen- wasserstoffe sind als Treibgase in vielen Spray- flaschen vorhanden, dienen aber auch in unseren Kühlschränken als Kühlmittel. Es besteht gute Aussicht, diese Gase nächstens durch für die Ozonschicht in der Mesostratosphäre weniger gefährliche Verbindungen zu ersetzen, aller- dings sieht der Toxikologe von uns (W. F.) mit Interesse der Langzeitbewertung der Nachfolge-

*) Stoffe mit radikalischen Eigenschaften sind durch einen Punkt gekennzeichnet

Dt. Ärztebl. 87, Heft 42, 18. Oktober 1990 (39) A-3209

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substanzen entgegen. Wenn diese Gase freige- setzt werden, diffundieren sie auch in die Ozon- schicht der Mesostratosphäre und leiten dort ei- ne Reihe von Folgereaktionen ein, die zum Ab- bau des Ozonschirms führen können.

Aber auch die bei der Verbrennung der Treibstoffe in Düsentriebwerken entstehenden Produkte sind so reaktiv, daß sie beim Zusam- mentreffen mit Ozon ebenfalls zu dessen Zerstö- rung führen. Die Diskussion um die Auswirkun- gen des ständig zunehmenden Flugverkehrs, ins- besondere nördlich des 60. Breitengrades, hat noch gar nicht begonnen.

Die Erforschung dieser Vorgänge steht erst am Anfang. Die Chemie der Stratosphäre er- weist sich als äußerst komplex. Bei der Berech- nung der Gleichgewichte zwischen Bildung und Zerstörung von Ozon muß man über 70 simulta- ne chemische Reaktionen berücksichtigen. Bei- spielsweise sind für die Ozonzerstörung durch Stickoxide die folgenden Reaktionen wichtig:

N20 (Photon) N2 + 0 .*

0 . + N20 -0.- NO" + NO' NO' + 03 NO2 + 02 NO2 + 0 . NO' + 02

Bilanz: 0" + 03 02 + 02

Ähnlich wie der Gebrauch von halogenier- ten Kohlenwasserstoffen in Spraydosen wird auch die in zunehmendem Maße angewendete Düngung mit künstlichem Stickstoff infolge mi- krobieller N20-Bildung als Gefahr für den stra- tosphärischen Ozonschirm betrachtet. N 20 ist ein relativ inertes Gas, welches unverändert bis zum Ozonschirm aufsteigen kann. Allerdings ist die quantitative Seite des Problems bis heute noch nicht ausdiskutiert.

Aus diesen wenigen Daten wird deutlich, wie wenig Sicheres über den Ozonschirm, seinen Aufbau, aber auch seinen Abbau bekannt ist. Bis heute existieren noch nicht einmal weltweit sy- stematische Messungen der Ozonkonzentration, um zu einer quantitativen globalen Bewertung zu kommen. Der Teufel steckt auch hier insofern im Detail, weil die Ozonkonzentrationen in den einzelnen Schichtungen der Troposphäre, aber auch in der Mesostratosphäre nicht homogen sind, was wieder lokal zu ganz unterschiedlichen Auswirkungen führen kann.

*) Stoffe mit radikalischen Eigenschaften sind durch einen Punkt gekennzeichnet

Über die Entstehung des Ozonlochs über der Antarktis hat es in den vergangenen Jahren viele Hypothesen gegeben. Die Wissenschaftler hat vor allen Dingen beschäftigt, wie die sai- sonbedingten Konzentrationsunterschiede des Ozons mit der Mesostratosphäre zu interpretie- ren sind. Eine Hypothese will uns glauben ma- chen, daß bis dahin ungewöhnliche Wetterbedin- gungen geherrscht haben, welche das Gas vom Südpol fernhielten. Keiner von uns hat je eine Hypothese über das Verhalten der Gase in der Atmosphäre gesehen, die sich mit einem rotie- renden Himmelskörper größerer Dichte, näm- lich die Erde, bewegen müssen. Es reicht aber ganz wenig Phantasie dafür aus, sich vorzustel- len, daß sich an beiden Polen des Rotationskör- pers so etwas wie Gasschlieren oder Wirbel bil- den. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß auch über der Arktis ein Ozonloch vermutet wird, dessen Ausmaß aber deutlich geringer sein soll, als das über der Antarktis. Hierfür werden die ungleichen Temperaturentwicklungen ange- schuldigt, denn die antarktischen Minustempe- raturen werden in der Arktis nicht erreicht. Dies soll eine verminderte katalytische Entstehung des Ozons in Kontakt mit den Eiskristallen zur Folge haben.

Das Ausmaß des Ozonlochs über der Ant- arktis wurde am 5. Oktober 1987 mit ungefähr 2,8 Millionen km3 angegeben. Unter Einbezie- hung der Ergebnisse von Boden-Messungen mit Infrarot-Spektrometern wurde festgestellt, daß ein „dramatischer Anstieg" (C. Farmer, zitiert im Berichtsband der MEDICENALE VIII [1988], Seite 25) von Chlorverbindungen mit dem Ozonabfall parallel geht. Unter den Halogenen wurde auch vermehrt Fluor registriert. Da Fluor ausschließlich anthropogener Natur ist, wird dar- aus gefolgert, daß auch das in der Mesostrato- sphäre gefundene Chlor industrieller Herkunft ist. Es darf darauf verwiesen werden, daß bisher weder am Äquator, noch in den gemäßigten Zo- nen Ozonlöcher oder Hinweise auf Verdünnun- gen der Ozonschicht gefunden wurden. Das ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil vorher gar keine verläßlichen Daten über das Ausmaß der Ozonschicht erarbeitet worden sind.

„Weltweit" wurde in den letzten Jahren eine Abnahme des Ozons von drei bis sieben Prozent in der Mesostratosphäre geschätzt. In Anbe- tracht einer natürlichen Fluktuation der 0 3-Kon- zentrationen muß die Frage erlaubt sein, ob die Schädigungen des Ozonschirms wirklich so dra- matisch sind, wie die Sensationspresse immer wieder berichtet. Seit 1977 gibt es die Behaup- tung eines amerikanischen Wissenschaftlers (zi- tiert im Berichtsband der MEDICENALE XIX A-3210 (40) Dt. Ärztebl. 87, Heft 42, 18. Oktober 1990

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[1989], Seite 736), daß in den letzten Jahren al- lein in der Bevölkerung der USA zwei Millionen (!) mehr Hautkrebse im Vergleich zu früheren Zeiträumen induziert worden sind. Hier dann sofort einen Brückenschlag zum zusammenbre- chenden Ozonloch in der Antarktis zu schlagen, darf als kühn bezeichnet werden. Wir wollen jetzt nicht die Frage diskutieren, wie zu bestimm- ten Jahreszeiten UV-Strahlen durch das Ozon- loch nach Nordamerika gelangen können. Die stillschweigende Unterstellung, daß dem Ozon- loch eine Minderung des Ozonschirms im Be- reich des Äquators und einigen tausend Kilome- tern nördlich und südlich davon entspräche, ist aus der Luft gegriffen.

Der Ozonschirm in der Stratosphäre, der in der Höhe von zirka 30 km schichtweise angeord- net ist, schützt das Leben auf der Erde vor inten- siver UV-Strahlung der Sonne nach wie vor. Üb- rigens kann die UV-Strahlung auf der Erde ge- messen werden. Dies ist den Apokalyptikern dringlich anzuraten, wenngleich wir ohne weite- res einräumen wollen, daß bislang Vergleichsda- ten über die UV-Einstrahlung zu früheren Zei- ten ebenfalls nicht verfügbar sind. Aber darauf kommt es ja wohl an, daß in der nächsten Zu- kunft erst einmal die Daten erarbeitet werden, die man für so weitreichende Schlußfolgerungen wie diejenigen, die sich auf die vermehrte Erzeu- gung von Hautkrebsen durch die UV-Bestrah- lung beziehen, eben erst einmal braucht.

Dies trifft übrigens auch für die nicht be- zweifelbare Zunahme des Melanoms in der wei- ßen Bevölkerung zu. Viele selbsternannte Fach- leute wollen imer wieder glauben machen, es sei erwiesen, daß die vermutete Abnahme der Ozonkonzentration in der Stratosphäre die Ursa- che für diese vermehrte Melanombildung durch UV-Strahlen (UV B) verantwortlich ist. Dem ste- hen aber eindeutig Verhaltensnormen gegen- über, die sich offensichtlich in der weißen Bevöl- kerung in der letzten Zeit verändert haben. Die Sonnenanbetung mit Einrichtung von Solarien, um die braune Hautfarbe auch über die sonnen- arme Saison zu retten, ist nicht zu übersehen. C.

E. Orphanos (Bericht in „Die Neue Ärztliche", August 1990), Berlin, hat ungefähr 6000 Mela- nom-Patienten statistisch ausgewertet. Bei Kin- dern fand er jedenfalls keine bestimmte Prädi- lektionsstelle für Melanome, etwa an bevorzug- ten, der Sonne exponierten Hautbezirken.

Es ist erst einmal zu klären, in welchem Um- fange entsprechend der ct-Regel die nudisti- schen Sonnenexpositionen zwangläufig zu einem Anstieg der Krebsinzidenzrate geführt haben, wie entsprechende epidemiologische Untersu- chungen eben auch schon längst gezeigt haben

(Berichtsband der MEDICENALE VIII [1988], Seite 24). Außerdem ist das Augenmerk der Lai- en wie der Ärzte durch die unentwegte Kampa- gne geschärft. Auch dies führt zu einer — glückli- cherweise — vermehrten Erkennung dieser Haut- veränderungen, die, sofern sie frühzeitig ent- deckt werden, einer durchgreifenden Therapie zugeführt werden können.

Auch „wissenschaftlich verbrämte" Schwarz- Weiß-Zeichnungen und Horrormeldungen kön- nen auf die falsche Fährte führen. Der Ozon- Problematik werden wir uns auch in diesem Be- reich sicherlich etwas differenzierter widmen müssen.

Es soll abschließend gar nicht bezweifelt werden, daß die bereits in Gang befindliche Au- ßerdienststellung des FCKW als Treibgas- und Kühlmittel — möglicherweise — ein Schritt in die richtige Richtung ist. Die anderen, aber minde- stens so großen Erzeuger von schädigenden Stof- fen für die Ozonschicht, beispielsweise die Land- wirtschaft und die dort verbreitete Stickstoffdün- gung, dürfen dabei natürlich nicht außer Be- tracht bleiben. Wie die Entwicklung dann einzu- schätzen ist, wenn die auch heute noch unterge- ordneten Erzeugerländer landwirtschaftlicher Produkte in der sogenannten zweiten und dritten Welt das amerikanische oder mitteleuropäische Leistungsvermögen erreicht haben, darf mit In- teresse beobachtet werden. Dies zu regulieren dürfte wenigstens so schwierig sein wie die Be- reinigung der Abgase der Auto- und Flugzeug- motoren, solange Benzin und Dieselkraftstoffe die Hauptenergieträger dieser Fortbewegungs- mittel sind. Den erwähnten Ländern der zweiten und dritten Welt steht übrigens die Motorisie- rung und Entwicklung des Verkehrs erst noch ins Haus. Und wie schwer wir uns tun, den europäi- schen Schwerverkehr nur von der Straße auf die Schiene zu bewegen, muß unseren Lesern nicht erst in Erinnerung gebracht werden.

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Emil Heinz Graul Direktor des Instituts für Environtologie und Nuklearmedizin der Universität Marburg Körnerstraße 36

3550 Marburg/Lahn A-3212 (42) Dt. Ärztebl. 87, Heft 42, 18. Oktober 1990

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