Die Hausgeburt ist wieder im Kommen
Der Beruf der Hebamme ist eng mit dem Anfang des Lebens, der Ge- burt, verbunden. Die weise Frau, la femme sage, begleitete die Schwan- gere, Kreißende und Wöchnerin, war ihre Beraterin und Helferin in der Zeit der Erwartung auf die Geburt und in der Stillphase. Die Geburt selbst fand im häuslichen Bereich statt. In der Geborgenheit der eng- sten Familienmitglieder kamen die Kinder auf die Welt.
Mit dem Wachsen der medizini- schen Erkenntnisse und der allge- meinen Verstädterung wurden Ge- burten seit dem letzten Jahrhundert zunehmend in Geburtshäusern durchgeführt. Trotzdem hatte die Hausgeburtshilfe noch bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts einen großen Anteil.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Entwicklung hin zur Kli- nikentbindung einerseits durch die nicht mehr akzeptierte Belastung für die frei tätige Hebamme, anderer- seits durch den Anspruch der Klinik, nur dort seien eine optimale Versor- gung und die technische Vorausset- zung für eine Verbesserung der Mor- biditäts- und Mortalitätsrate der Neugeborenen gegeben, vorangetrie- ben. Der Gipfel dieses Glaubens an die technische Machbarkeit und Be- einflußbarkeit ist in der „program- mierten Geburt" zu sehen. Nicht zu übersehen ist allerdings dabei eine Verbesserung der Neugeborenensta- tistik, die uns mit riesigem finanziel- len Aufwand in die Nähe der Welt- spitze brachte. Um eine weitere Ver- besserung auf diesem Gebiet zu er- langen, muß mit einem zusätzlichen finanziellen Einsatz gerechnet wer- den, den die Krankenkassen wohl nicht mehr mittragen werden.
Damit wird ein zunächst ganz natürlicher Vorgang, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Zuhilfe- nahme technischer Hilfsmittel eben- falls seinen krönenden Abschluß fin- det, zum Gegenstand hitziger Dis- kussionen über den Einsatz von Mil- liardensummen zum Aufbau neuer
Krankenhausabteilungen mit neona- tologischen Intensivbetten.
Während diese Entwicklung be- reits eine bedrohliche Eigendynamik entwickelt, hat sich über die Jahre hin ein kleiner Teil der Schwangeren zur Hausgeburt bekannt. Wieso ist das in einer Zeit möglich, wo nur die Kliniksentbindung angeblich optima- le Sicherheit für Mutter und Kind verspricht? Wenn wir über unsere Grenzen schauen, haben nicht alle unsere Nachbarstaaten diese Ent- wicklung mitgemacht. Man kann si- cherlich nicht den Niederlanden un- terstellen, daß sie eine schlechte Po- litik auf dem Gebiet der Geburtsme- dizin vertreten. Für deren Einsatz an Finanzmitteln im Gesundheitswesen sind ganz achtbare Ergebnisse der neonatologischen Statistiken zu se- hen, und das mit einem relativ hohen Anteil an Hausgeburten.
Hausgeburten immer noch „in"
Die Hausgeburtshilfe hat nie aufgehört zu existieren, auch wenn diese Tatsache manchen Kollegen ein Dorn im Auge ist. Vergleicht man die Statistiken der letzten Jahre in der Bundesrepublik von 1987 bis 1991, jeweils das erste Quartal, ge- winnt man den Eindruck, daß die Zahlen der Hausgeburten keines- wegs gefallen sind. Im Gegenteil. Es besteht eine leichte Wachstumsten- denz von 2,5 bis 3 Prozent mit Schwerpunkten in den verschiede- nen Kassenärztlichen Vereinigun- gen. Interessanterweise zeigen gera- de Großstädte wie Berlin, Hannover, der Großraum Ruhrgebiet, der Großraum Frankfurt bis Karlsruhe, Stuttgart und München einen hohen Anteil an Hausgeburten — alles Städ- te mit einem hohen Ausrüstungszu- stand in der Geburtsmedizin.
Dies läßt geradezu den Umkehr- schluß zu, daß.dort, wo angeblich ein hohes Maß an geburtshilflicher Si- cherheit geboten wird, die Zahlen
der Hausgeburtshilfe am stärksten sind. Diesen Tatbestand sollte man nicht mit der Einstellung abtun, daß es eben immer Unzufriedene geben wird, die die angebotene Hand zur Hilfe bei der Geburt ausschlagen und wider alle Vernunft zu Hause entbinden. Besser wäre eine Hin- wendung zu den Argumenten der zu Hause in angstfreier Umgebung Ge- bärenden, wo das Selbstvertrauen in den natürlichen Vorgang der Geburt Ängste abbaut und auch weniger Komplikationen schafft. Zweifellos wird in vielen Kliniken auch diese Komponente der Geburtsmedizin gesehen und der Selbstbestimmung der Gebärenden mehr Freiraum ein- geräumt. Aber gerade Großkliniken mit einem hohen Anteil an Appara- te- und Intensivmedizin schrecken mit ihrem technischen Einsatz Frau- en mit ihrem Wunsch nach einer selbstbestimmten und für sie natürli- chen Geburt ab.
Nicht zuletzt muß man feststel- len, daß der Erfolg der Perinatalme- dizin nicht zuletzt trotz der Hausge- burtshilfe zustande gekommen ist.
Die niedergelassenen Frauenärzte und freiberuflich tätigen Hebammen im Rhein-Neckar-Raum wollen ebenfalls an der Verbesserung der perinatalen Medizin zu Hause mit- wirken.
Ein perinatologischer Erhe- bungsbogen, der an die Perinataler- hebung Baden-Württembergs ange- lehnt ist mit einem speziellem Zusatz für die Hausgeburt, soll ermöglichen, die Argumente gegen die Hausge- burtshilfe zu entkräften.
Natürlich sollten so viel wie möglich hausgeburtlich tätige Ärzte schon zu ihrer eigenen Sicherheit an dieser gemeinsamen Aktion teilneh- men. Nur wenn man aus dem Pro- blem der relativ kleinen Geburten- zahlen herauskommt, ist man argu- mentativ dagegen gewappnet, ein Negativposten in der Statistik der Perinatalmedizin zu sein.
Arbeitsgemeinschaft Haus- und Praxisgeburten Dr. med. Günter Beumer, Friedrichstraße 1,
6922 Meckesheim
Dr. med. Siegfried Schönian Rappenwörthstraße 48 W-7512 Rheinstetten 2
Dt. Ärztebl. 89, Heft 6, 7. Februar 1992 (29) A1-369