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Archiv "Narratives Theater: Der magische Moment . . ." (06.05.2011)

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A 1002 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 18

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6. Mai 2011

D

as Bühnenstück „Staats- Sicherheiten“ handelt von Untersuchungshaft und Verhören durch die Stasi. Der Witz (im erns- ten Sinne des Wortes) ist dabei, dass die 15 Stasiopfer, die auftreten, ihre eigene Geschichte erzählen und spielen. Der Regisseur Cle- mens Bechtel hat dafür gesorgt, dass nicht form- und uferlos geredet wird, sondern ein spannendes Dra- ma auf die Bühne kommt, in dem die Stasierfahrungen aus unter- schiedlicher Perspektive dargestellt werden. So wechselt der Beschul- digte auch mal die Rolle und nimmt die Sicht des verhörenden Offiziers ein. Der Erfolg des Stückes hat selbst die Macher überrascht. Das Hans-Otto-Theater in Potsdam hatte zunächst drei Aufführungen ange- setzt. Seit der Premiere am 18. Ok- tober 2008 wurde es etwa 30-mal gespielt, nicht nur in Potsdam, son- dern auch andernorts in Ostdeutsch- land und zweimal im Westen. Hier wohl eher als Botschaft aus einer fremden Welt, im Osten hingegen vor einem „erfahrenen“ Publikum.

Das Konzept zu „Staats-Sicher- heiten“ stammt von Lea Rosh und Renate Kreibich, und die hatten ein

politisches Stück über die Auswir- kungen der DDR im Sinn. Deren Wunsch sei es gewesen, „dem Pu- blikum etwas entgegenzuschleu- dern“, interpretiert eine der Akteu- rinnen. Im Nebeneffekt aber wirkt das Stück the- rapeutisch. Die Auffüh- rungen hätten ihm mehr geholfen als 60 Therapie- stunden, bemerkt einer der Akteure. Andere emp- finden emotionale Entlas-

tung. Die kann bei Akteuren auf der Bühne wie auch bei Zuschauern, die unwillkürlich eigene Erlebnisse verarbeiten, einsetzen.

Mit solchen Wirkungen beschäf- tigt sich Lea Hermann, eine Medi- zinstudentin, die an dem Thema der

„schau spielerischen Verarbeitung des Traumas von Haft und Zersetzung in der SED-Diktatur“ arbeitet. Her- mann beobachtete bei den Ak - teuren, dass die gemeinsame Er - arbeitung des Theaterstücks und schließlich dessen Aufführung das Selbstwertgefühl steigerte und die Er fahrung, „dass die Gruppe hinter mir steht“, vermittelte. Die Aner- kennung des Publikums werde als eine Art Entschädigung für erlitte-

nes Unrecht empfunden. Theater befreit anscheinend Stasiopfer von dem Gefühl, nichts wert und gesell- schaftlich isoliert zu sein, einer per- fiden Wirkung der Zersetzungsstra- tegie der Stasi.

Hermann schreibt derzeit am Berliner „Zentrum Überleben“, in dem etwa 500 Folteropfer und trau-

matisierte Kriegsflüchtlin- ge behandelt werden, ihre Doktorarbeit. Zu dessen Team gehört auch Prof.

Dr. med. Christian Pross, einer der frühen Initiato- ren des Behandlungszen- trums für Folteropfer.

Pross initiierte auch eine internatio- nal besetzte Tagung zu „Theater und Trauma“, die vom 3. bis 5.

März unter dem Dach der Bundes- stiftung Aufarbeitung der SED- Diktatur stattfand.

Bei der Tagung wurden zwei weitere Projekte des „narrativen Theaters“ vorgestellt. Narrativ im weiteren Sinne, wenn man auch den Tanz als erzählende Aus- drucksform ansieht. Die beiden Beispiele stammen aus Afrika und schildern zwei sehr unterschiedli- che Ansätze, Gewalt in einer Ge- sellschaft darzustellen.

Die Psychologin Yvonne Sliep (Durban, Südafrika) berichtete von Versuchen, Hutu und Tutsi wieder . . . wenn der Funke von der Bühne auf das Publikum überspringt.

Schauspiel und Tanz helfen, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten.

NARRATIVES THEATER

Der magische Moment . . .

Die Anerkennung des Publikums wird als eine Art Entschädigung

für erlittenes Unrecht empfunden.

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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6. Mai 2011 A 1003 ins Gespräch zu bringen. Sie mo-

derierte in Burundi, unterstützt von Dorfältesten, kleine Gruppentref- fen, bei denen Erlebnisse erzählt und nachgespielt wurden. Kleine Dramen: Die Akteure spielen vor einem wissenden Publikum. Die Zuschauer beobachten sich, wenn der Funke überspringt, gleichsam selbst und erkennen im Spiel der anderen, was sie angerichtet ha- ben. So kommt es vor, dass jemand auf der „Bühne“ (dem Dorfplatz unter einem Baum) vom Spiel ab- weicht oder ein anderer auf den Rängen (der Grasfläche rundum) aufsteht und sich entschuldigt.

Hinterher wird diskutiert. Sinn sol- cher Treffen zum Theater ist es, Probleme offen anzusprechen, das schwelende Misstrauen zu überwinden und gemein- schaftliches Tun zu erle- ben. Dem dient auch die Erinnerung an die guten Seiten der gemeinsamen Geschichte. So sollen wie- der Selbstbewusstsein und kollektives Vertrauen ent-

stehen. Sliep hält wenig von den offiziellen „reconciliations“, die von oben angeordnet würden. Die kollektive Heilung müsse von un- ten ausgehen und sich ausbreiten.

In Burundi arbeiteten etwa 1 300 dörfliche Komitees, die von mehr

als 100 (Psycho-)Sozialarbeitern moderiert würden.

Einen anderen Ansatz verfolgt die Regisseurin und Theaterprodu- zentin Melissa Eveleigh. Sie produ- zierte (mit Partnern) 2010 „Tariro“, ein Stück, das Sprech- und Tanz- theater höchst professionell mit - einander verbindet und die Ge- schichte Simbabwes thematisiert.

Zwar musste im benachbarten Ma- lawi produziert werden, doch konn- te Tariro schließlich auch in Sim- babwe selbst aufgeführt werden, in Absprache mit lokalen Machtha- bern. Theaterspielen ist im Land gleichwohl nicht ohne Risiko. Den- noch lebt Eveleigh seit kurzem in Simbabwe. Sie hat eine Mission, nämlich das Land vor dem Verlust seiner Geschichte zu be - wahren. Tariro erzählt von Gewalt, Weiß gegen Schwarz und Schwarz gegen Schwarz. Die Titelheldin möchte den Zirkel der Gewalt durch- brechen, denn sie (Ar- beiterklasse, Schwarz) liebt Robert (Sohn von Kolonial- herren, Weiß). Die Gewalt wird tänzerisch fast brutal umgesetzt, Eveleigh nennt es „realistisch insze- niert“. Das müsse auch so sein, um glaubhaft zu sein, denn das Publi kum kenne ja Gewalt, als Opfer wie als

Täter oder auch beides. Die ganze Wahrheit müsse ans Licht. Auch Eveleigh setzt auf die Transformati- on: Das Publikum erkennt sich in den Darstellern wieder. Da wird es leichter, Scham und Schuld einzu- gestehen. Das drama tische Gesche- hen auf der Bühne provoziert zu Zwischenrufen auf offener Szene und zur Diskussion. Ein Heilungs- prozess?

Auf der Berliner Tagung gingen die Meinungen darüber, ob Theater

„als neuer Ansatz, Traumata zu be- handeln“ (Pross) anzusehen sei, auseinander. Das lag auch daran, dass nicht klar nach Individuen oder Gesellschaften, die zu thera- pieren seien, unterschieden wurde.

Folgt man Sliep und Eveleigh oder den beiden Psychotherapeuten Na- tan Kellerman und Armand Volkas lassen sich zumindest kollektive Traumata erfolgreich mit dem nar- rativen Theater angehen. Und die individuellen? Die Darsteller von

„Staats-Sicherheiten“ wirkten im- merhin selbstbewusst. Psychothera- peut Volkas, ein bekannter Vertreter des Psychodramas aus Oakland, be- zeichnete Theater als „Therapie- werkzeug“, wenn das auch für man- chen Künstler beleidigend klinge.

Das bestätigte sogleich Regisseur Bechtel: „Ich behandele nicht.“

Theater habe seine eigenen Geset- ze, seine festen Termine. Die müss- ten eingehalten werden, „und dann ist Schluss,“ während Patienten nach ihren Bedürfnissen behandelt würden. Tatsächlich hat aber gerade Bechtel mit „Staats-Sicherheiten“

ein Stück gemacht, das eine thera- peutische Wirkung zu entfalten ver- mag, nicht nur auf die Akteure, son- dern auch auf die Zuschauer. Das Geheimnis liegt in der Übertra- gung. Um es mit Kellerman (Jeru- salem), der in der Behandlung von Holocaustopfern erfahren ist, aus- zudrücken:

„Something magic happens.“

Das Holocaustopfer erzählt seine Geschichte. Daraus wird ein Dra- ma, das auf die Bühne kommt. Und dann passiert eben die Transforma- tion: Das Opfer sieht seine Ge- schichte „von außen“ und kann sich

lösen. ■

Norbert Jachertz

Das dramatische Ge- schehen auf der Bühne provoziert zu Zwischen- rufen auf offener Szene

und zur Diskussion.

Ein Heilungsprozess?

„Staats-Sicher- heiten“ – ein Stück, in dem 15 Stasiopfer ihre Geschichte erzählen und das im Neben- effekt eine thera- peutische Wirkung hat.

Fotos: dpa

T H E M E N D E R Z E I T

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