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Untersuchungen zur Bedeutung der Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens für die Einschätzung der Wiederkauaktivität von Milchkühen

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Academic year: 2022

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(1)

und dem Institut für Tierernährung

der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig

Untersuchungen zur Bedeutung der Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens

für die Einschätzung der Wiederkauaktivität von Milchkühen

INAUGURAL - DISSERTATION

Zur Erlangung des Grades eines

Doktors der Veterinärmedizin (Dr. med. vet.)

durch die Tierärztliche Hochschule Hannover

Vorgelegt von

Yared Hailu Jile, MVSc.

aus Jima / Äthiopien

Hannover 2003

(2)

Wissenschaftliche Betreuung: Apl.- Prof. Dr. M. Kaske

Univ.- Prof. Dr. agr. G. Flachowsky

1. Gutachter: Apl.- Prof. Dr. M. Kaske

2. Gutachter: Univ.- Prof. Dr. W. v. Engelhardt

Tag der mündlichen Prüfung: 21. 11. 2003

(3)

Im Grunde bewegen nur zwei Fragen die Menschheit;

wie hat alles angefangen und wie wird alles enden?

Stephen Hawking

MEINER MUTTER UND

MEINEN GESCHWISTERN

(4)
(5)

INHALTSVERZEICHNIS

VERZEICHNIS DER VERWENDETEN ABKÜRZUNGEN...9

1. EINLEITUNG...11

2 SCHRIFTTUM ...13

2.1 Allgemeines zur Verdauungsstrategie der Wiederkäuer ... 13

Morphophysiologie des Kopfabschnitts des Verdauungssystems... 15

2.2 Speichel ... 17

2.3 Futteraufnahme ... 20

2.3.1 Kauen bei der Futteraufnahme ... 21

2.3.2 Charakteristika des Futteraufnahme- und Kauverhalten... 21

2.3.3 Einflussfaktoren auf das Futteraufnahme- und Kauverhalten ... 22

2.4 Wiederkauen... 25

2.4.1 Charakteristika des Wiederkauverhaltens... 28

2.4.2 Untersuchungen der Wiederkauaktivität ... 30

2.4.2.1 Einflussfaktoren auf das Wiederkauverhalten ... 32

2.4.2.2 Einfluss des Rohfasergehalts auf die Wiederkauaktivität... 33

2.4.2.3 Einfluss der physikalischen Struktur auf die Wiederkauaktivität... 35

2.4.2.4 Einfluss der Höhe der Futteraufnahme auf die Wiederkauaktivität ... 36

2.5 Ruktus ... 39

2.6 Die Regulation der Futteraufnahme beim Wiederkäuer ... 41

2.6.1 Die peripartale Futteraufnahme der Milchkuh ... 43

2.6.2 Die Bedeutung des Pansenvolumens für die Höhe der Futteraufnahme 44 2.7 Zusammenfassende Betrachtung der Literatur... 45

3. MATERIAL UND METHODEN ...48

(6)

3.1 Überblick über die durchgeführten Versuche ... 48

3.2 Versuch I-1... 49

3.2.1 Fragestellungen ... 49

3.2.2 Versuchsablauf ... 49

3.2.3 Versuchstiere, Haltung und Fütterung... 49

3.2.3.1 Versuchstiere ... 49

3.2.3.2 Haltung der Tiere ... 49

3.2.3.3 Fütterung... 51

3.2.4 Erfassung der Charakteristika des Wiederkauverhaltens... 54

3.2.4.1 Umfang der Datenerfassung ... 55

3.2.4.2 Erfassung der täglichen Dauer des Wiederkauens ... 57

3.3 Versuch I-2... 58

3.3.1 Fragestellung ... 58

3.3.2 Versuchsablauf ... 58

3.3.3 Versuchstiere, Haltung und Fütterung... 58

3.3.4 Bestimmung der Geschwindigkeit der Grundfutteraufnahme... 58

3.4 Versuch I-3... 60

3.4.1 Fragestellung ... 60

3.4.2 Versuchsablauf ... 60

3.4.2.1 Versuchstiere ... 60

3.4.2.2 Haltung und Fütterung der Tiere ... 61

3.4.2.3 Erfassung der Charakteristika des Wiederkauverhaltens... 61

3.5 Versuch II... 61

3.5.1 Fragestellungen ... 61

3.5.2 Versuchsablauf ... 62

3.5.2.1 Versuchstiere ... 62

3.5.2.2 Haltung der Tiere ... 63

3.5.2.3 Fütterung... 63

3.5.2.4 Erfassung der Charakteristika des Wiederkauverhaltens... 64

3.6 Statistische Auswertung ... 64

(7)

4. ERGEBNISSE...66

4.1 Versuch I-1... 66

4.1.1 Prüfung der Reproduzierbarkeit der erfassten Parameter (intraindividuelle Varianz) ... 66

4.1.2 Interindividuelle Varianz der Charakteristika des Wiederkauverhaltens . 67 4.1.2.1 Dauer der Wiederkauzyklen... 67

4.1.2.2 Dauer der Pause zwischen zwei Wiederkauzyklen... 70

4.1.2.3 Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens... 72

4.1.3 Tägliche Wiederkaudauer ... 75

4.1.4 Die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens als Parameter zur Abschätzung der Wiederkauaktivität ... 77

4.2 Versuch I–2 ... 82

4.2.1 Charakterisierung des Futteraufnahme-Verhaltens... 82

4.2.2 Charakterisierung des Futteraufnahme-Verhaltens bezogen auf 24 Stunden... 86

4.2.3 Prüfung von Korrelationen ... 88

4.3 Versuch I-3... 94

4.3.1 Beeinflussung der Charakteristika des Wiederkauverhaltens durch die Ration... 94

4.3.2 Intraindividuelle Variabilität von Fnet... 96

4.4 Versuch II... 98

4.4.1 Dauer der Wiederkauzyklen... 98

4.4.2 Dauer der Pause zwischen zwei Wiederkauzyklen... 99

4.4.3 Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens... 100

5. DISKUSSION ...103

5.1 Diskussion der Methodik ... 103

5.1.1 Versuchstiere ... 103

5.1.2 Das Haltungssystem der Versuchstiere ... 104

5.1.3 Durchführung der Beobachtungen ... 104

5.1.4 Umfang der Untersuchungen ... 105

(8)

5.2 Diskussion der Ergebnisse ... 106

5.2.1 Die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens ... 106

5.2.2 Bedeutung der intra- und interindividuellen Variabilität ... 108

5.2.3 Einfluss der Ration auf die geprüften Parameter ... 111

5.2.4 Einfluss der Geschwindigkeit der Futteraufnahme...113

5.2.5 Zusammenfassende Betrachtung ...114

5.2.6 Offene Fragen...116

6. ZUSAMMENFASSUNG ...118

7. SUMMARY...121

8. LITERATURVERZEICHNIS...124

9. ANHANG...142

DANKSAGUNG ...143

(9)

VERZEICHNIS DER VERWENDETEN ABKÜRZUNGEN

Abb. Abbildung

ADF acid detergent fiber ca. circa (ungefähr)

cm Zentimeter

d day (Tag)

Fbrutto Kieferschläge pro Minute (Kieferschläge/((Zyklusdauer + Pause)/60) FCM Fett-korrigierte Milch

FCM/d Fett-korrigierte Milch pro Tag

Fnet Kieferschläge pro Minute (Kieferschläge/(Zyklusdauer/60)

g Gramm

g/m Gramm pro Minute

GR Gras- und Rauhfutterfresser

h Stunde

IM Intermediärtyp

kg Kilogramm

KS Konzentrat-Selektierer; Kieferschläge KS/d Kieferschläge pro Tag

KS/min Kieferschläge pro Minute

l Liter

LM Lebendmasse

Max Maximalwert

min Minute

Min Minimalwert

MJ Mega-Joule

ml Milliliter

mm Millimeter

MW arithmetischer Mittelwert MWinter interindividueller Mittelwert

N Anzahl

n.s. nicht signifikant NDF neutral detergent fibre

NEL Nettoenergie Laktation

(10)

NfE Stickstofffreie Extraktstoffe OS Organische Substanz p Irrtumswahrscheinlichkeit

p.p. post partum

r Korrelationskoeffizient

SD Standardabweichung

SDinter interindividuelle Standardabweichung SDintra intraindividuelle Standardabweichung

sec Sekunde

SEM Standardfehler

Std. Stunde

Tab. Tabelle

TMR Total Mixed Ration TS Trockensubstanz

TS/d Trockensubstanz pro Tag US ursprüngliche Substanz VK Variationskoeffizient

VKinter interindividueller Variationskoeffizient VKintra intraindividueller Variationskoeffizient

VP Versuchsperiode

(11)

1. EINLEITUNG

Für alle zur Unterordnung der Wiederkäuer (Ruminantia) und Schwielensohler (Tylo- poda) zählenden Spezies stellt das Wiederkauen ein typisches Verhalten dar, das die effektive Nutzung zellulosereichen Futters begünstigt. Als Wiederkauen wird der Vor- gang bezeichnet, durch den das Futter aus dem Hauben-Pansenraum in die Mund- höhle zurückbefördert wird, um erneut gekaut und eingespeichelt zu werden. Mittels Wiederkauens wird faserhaltiges Grundfutter zusätzlich zum Kauen während der Fut- teraufnahme zerkleinert und damit eine größere Oberfläche für die Mikroorganismen im Retikulorumen geschaffen. Es stimuliert die Speichelsekretion (HAGEMEISTER u.

KAUFMANN 1970; BAILEY 1961; LENK et al 1985; NORGAARD 1985; CASSIDA u.

STOKES 1986; CARTER u. GROVUM 1988; ERDMAN 1988; BEAUCHEMIN 1991;

ALLEN 1997) und sichert somit die Lebensbedingungen für Mikroorganismen.

Die Wiederkauaktivität von Rindern und Schafen wird vor allem durch Art, Menge und Zerkleinerungsgrad des Strukturfutters, die Höhe der Futteraufnahme sowie den Anteil des Kraftfutters beeinflusst (BEAUCHEMIN 1991). Das Interesse an den Ein- flussfaktoren auf die Wiederkauaktivität beruht auf deren Bedeutung für die Effektivi- tät der mikrobiellen Fermentation im Pansen; so korreliert die Wiederkauaktivität mit der Speichelsekretion, der Verfügbarkeit von Substrat für die Mikroorganismen und der Höhe der Passagerate der Ingesta aus dem Retikulorumen (WILSON 1963;

WELCH 1982; ULYATT et al 1986).

Die Quantifizierung der Wiederkauaktivität erfolgt allgemein über die Messung der Wiederkaudauer pro Tag unter den jeweiligen Fütterungsbedingungen (z. B. WELCH u. SMITH 1969; DADO u. ALLEN 1994). In der Literatur bleibt bislang nahezu unbe- rücksichtigt, dass die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens offen- bar interindividuell erheblich variiert. Die für die Zerkleinerung der Ingesta vermutlich entscheidende Wiederkauleistung – definiert als die Anzahl der Kieferschläge pro Tag - kann sich somit zwischen Tieren mit gleicher Wiederkaudauer erheblich unter- scheiden.

In einer Studie mit Schafen, die ausschließlich Heu erhielten, wurden hohe interindi- viduelle Unterschiede im Hinblick auf die Frequenz der Kieferschläge während des

(12)

Wiederkauens nachgewiesen; dabei erwies sich der intraindividuelle Varianz als sehr gering (KASKE et al. 2002). Die Frequenz der Kieferschläge wurde darüber hinaus durch die Höhe der Futteraufnahme signifikant beeinflusst (KASKE et al. 2002). Un- ter den gewählten Versuchsbedingungen erwies sich die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens als ein unkompliziert und schnell messbarer Parameter, der mit nahezu der gleichen Präzision eine Einschätzung der Wiederkauleistung (Kieferschläge/d) erlaubte wie die ungleich aufwändigere Erfassung der Wiederkau- dauer pro Tag.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde geprüft, ob die Frequenz der Kieferschlä- ge während des Wiederkauens auch bei Milchkühen einen für die Einschätzung der Wiederkauleistung wichtigen Parameter darstellt. Im Einzelnen wurden folgende Fra- gen untersucht:

1. Welche interindividuelle und intraindividuelle Variabilität existiert im Hinblick auf die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens bei Milchkühen ? 2. Wird die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens bei Milchkü-

hen durch den Anteil an Strukturfutter in der Ration beeinflusst ?

3. Korreliert die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens bei Milchkühen mit der Geschwindigkeit der Futteraufnahme von Grundfutter ? Hin- tergrund dieser Frage ist der experimentell belegte Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit der Futteraufnahme und der täglichen Futteraufnahmeka- pazität (DESWYSEN et al. 1987).

(13)

2 SCHRIFTTUM

2.1 Allgemeines zur Verdauungsstrategie der Wiederkäuer

Die Verdauungsstrategie der Unterordnung Ruminantia hat sich im Laufe der Evolu- tion als sehr erfolgreich erwiesen. Vertreter der drei wichtigsten Familien Bovidae (z.

B. Rind, Schaf, Ziege, Antilopen) Cervidae (z. B. Reh, Elch) und Giraffidae (z. B. Gi- raffe, Okapi), besiedeln heute mit insgesamt 158 Spezies nahezu alle Klimazonen der Erde (KASKE 2002).

Die Phylogenese der Ruminantia ist verbunden mit der Entwicklung einer be- sonders effizienten Nutzung von Gräsern als Futtergrundlage. Gräser sind auf- grund des hohen Anteils an Gerüstsubstanzen (u. a. Cellulose, Hemicellulose und Lignin) und des häufig auch niedrigen Proteingehalts qualitativ minderwerti- ges Futter, an dessen effektive Nutzung sich Wiederkäuer im Laufe der Evoluti- on adaptiert haben. Der biologische Vorteil des Verdauungssystems der Wieder- käuer mit Vorverlagerung der bakteriellen Fermentation in den Vorderdarmbe- reich bei zunehmender Anpassung an faserreiche Nahrung liegt vor allem

• in der relativ hohen Verdaulichkeit von pflanzlichen Zellwandbestandtei- len,

• der möglichen Nutzung des im Vormagensystem gebildeten Mikroben- proteins im Dünndarm,

• der Rezirkulation von Harnstoff als Endprodukt des Eiweißstoffwechsels in das Retikulorumen, wo dieser erneut nach Spaltung durch bakterielle U- rease als Stickstoffquelle zur Synthese von Mikrobenprotein genutzt wer- den kann (HOFMANN 1995).

Die Überlegenheit der Wiederkäuer bei der Nutzung von zellulosereichem Futter ver- glichen mit monogastrischen Herbivoren ergibt sich insbesondere aus der langen Verweilzeit der Ingesta im Vormagensystem. Wiederkäuer können so den Nachteil des langsamen Abbaus der Zellwandbestandteile weitgehend kompensieren (KASKE 1996).

(14)

Nach vergleichenden Untersuchungen an 76 der weltweit ca. 150 rezenten Wieder- käuerarten und aufgrund von Nahrungswahlkriterien morphophysiologischen Schwerpunkten und 39 morphologischen Merkmalsgruppen am gesamten Verdau- ungsapparat (HOFMANN 1989, 1992) werden die Wiederkäuer nach ihrem evolutio- nären Entwicklungsgrad in drei sich überlappende Ernährungstypen eingeteilt (Abb.

1):

• Konzentrat-Selektierer (KS; 40 % aller rezenten Wiederkäuerarten); diese entwickelten sich bereits vor der Ausbreitung der Gräser im Miozän und selek- tieren besonders nährstoffreiche, leichtverdauliche Pflanzen bzw. Pflanzentei- le; cellulosereiche Pflanzen werden gemieden;

• Gras- und Rauhfutterfresser (GR; 25 % aller Wiederkäuerarten), insbesondere Bovini, die überwiegend monokotyledone Pflanzen nichtselektiv aufnehmen und deren Zellwand vor allen im voluminösen Vormagensystem mikrobiell fermentativ aufschließen,

• Intermediärtypen (IM; 35 % aller Wiederkäuerarten), die als opportunistische Gruppe sich je nach Qualität und Verfügbarkeit der Nahrungspflanzen dem KS- oder GR-Typ annähern (regional oder saisonal), stets aber eine mono- und dikotyledone Mischnahrung aufnehmen und dabei faserreiche Teile stär- ker meiden als GR.

Bei den Hauswiederkäuern gehört die Ziege zum IM-Typ mit jahreszeitlicher Tendenz zum KS, das Schaf ist ein selektiver GR und das Rind ein nicht-selektiver GR. Aus der Gruppe der KS wurde das Rentier teildomestiziert.

(15)

Abb. 1: Die europäischen Wiederkäuerarten und ihre Stellung im System der Er- nährungstypen. Von links: Reh, Elch, Ziege, Gemse, Rothirsch, Stein- bock, Damhirsch, Wisent, Mufflon, Hausschaf, Rind, Auerochse (HOF- MANN 1988)

Insbesondere bei KS- und IM-Spezies werden offenbar in der Mundhöhle beim Kauen des Futters Nährstoffe gelöst, die über die lebenslang voll funktionsfähige Magenrinne (Sulcus ventriculi) unter Umgehung des Vergärungssystems in den Labmagen abgeleitet werden; dazu scheint ein reflektorischer Schluss der Rin- nenlippen nicht erforderlich zu sein (HOFMANN 1995). Außerdem können wech- selnde Mengen besonders von Hemicellulose-Blattgerüsten der Pansenvergärung entgehen („ruminal escape"; ULYATT et al. 1975), um im Dickdarm aufgeschlossen zu werden; dies gilt wiederum insbesondere für die KS und IM.

Morphophysiologie des Kopfabschnitts des Verdauungssystems

Die prehensilen Organe der Wiederkäuer sind Lippen, Zunge, Unterkiefer- Schneidezähne und Dentalplatte. Ihr unterschiedlicher Gebrauch hängt von Form und Breite der Schnauze bzw. des Schneidezahnbogens, von der Beweglichkeit der

(16)

Lippen, der Größe der Mundspalte und der Länge des freien Teils der Zunge ab. So erfolgt die Futteraufnahme bei Rinder mit dem typischen breiten Flotzmaul völlig an- ders als bei Schafen oder Gazellen, die ein schmales Rostrum besitzen und besser selektiv Pflanzen bzw. Pflanzenteile aufnehmen können. Eine besondere Beweglich- keit der Lippen ist typisch für den selektiv fressenden Elch, während Giraffe, Okapi oder Gerenuk als primäre zungenselektiverer gelten. Die Incisivi der „pflückenden"

KS/IM sind schmal und meißelförmig, die der weidenden GR (und IM) breit- schaufelförmig (HOFMANN 1995).

Der harte Gaumen ist mit dem Zungenrücken (v. a. dem wiederkäuertypischen Wulst/Torus) für den Abtransport aufgenommener Pflanzenteile zuständig. Er ist je nach Ernährungstyp unterschiedlich gestaltet - eine starke Papillierung der Gaumen- staffeln und eine relativ kurze Dentalplatte gehören stets zu einem blätterfressenden KS, eine starke Verhornung von Gaumen- und Zungenschleimhaut zeichnet die GR aus. Das Muster der Zungenpapillen ist nahezu artspezifisch (stets gröber bei den GR). Die grasfressenden Wiederkäuer-Arten besitzen erheblich mehr Geschmacks- rezeptoren (v. a. in den umwallten Papillen am Zungengrund) als die KS, die primär aufgrund olfaktorischer Reize selektieren (HOFMANN 1995).

Der gesamte Kauapparat der KS und IM ist stärker strukturiert und offenbar primär zum Quetschen und nicht zum Zermahlen der Nahrung angelegt: die Unterkieferäste sind schmal mit ausgeprägtem Winkelfortsatz, sie ermöglichen damit dem kompakt gebündelten M. masseter nur eine kleine Ansatzfläche; mit den synergistisch wirken- den M. pterygoideus und M. temporalis wirkt dieser auf saftige Blätter und Früchte vertikal effektiver auf die Backenzähne ein als der stärker seitwärts mahlende Kau- apparat der GR. Dieser stützt sich auf einen massigeren Unterkiefer mit großen An- satzflächen; der Masseter ist fächerförmig ausgebreitet und stärker sehnig durchsetzt (HOFMANN 1995).

Das Wiederkauen dient primär der Zerkleinerung faserreicher Pflanzenteile, um den zellulolytischen Bakterien bessere Ausgangsbedingungen zu verschaffen. Entspre- chend sind die Backenzähne der GR breitflächig-selenodont und damit besser zur mahlenden Zerkleinerung auch harter Pflanzenfasern in langen Wiederkauperioden geeignet. Die Backenzähne der KS tragen demgegenüber enge Schmelzfalten, Kun- den und besitzen spitze Kauränder; das selektiv aufgenommene und qualitativ

(17)

hochwertigere Futter der KS wird weniger intensiv wiedergekaut. In Verbindung mit einer kürzeren Retentionszeit der Ingesta im Vormagensystem verglichen mit den GR scheiden KS auch größere Futterpartikel unverdaut aus; im Pansen wird so schneller Platz für neu aufgenommenes Futter verfügbar und die Futteraufnahmenkapazität ist höher (HOFMANN 1995).

2.2 Speichel

Die Bedeutung des Speichels unterscheidet sich trotz ähnlicher Mikrostruktur erheb- lich zwischen Wiederkäuern und monogastrischen Omni- und Herbivoren. Die be- trächtlichen Speichelmengen bei Wiederkäuern (Rinder je nach Strukturanteil des Futters 90 – 350 l/d, Schafe 6 - 16 l/d) sorgen mit ihrer hohen Phosphat- und Bikar- bonatpuffer-Konzentration (Abb. 3) für die Erhaltung eines für die vorwiegend anae- roben Pansenbakterien optimalen pH-Wertes um 6,5 („steady state") trotz fluktuie- render Anflutung kurzkettiger Fettsäuren; darüber hinaus hat der Speichel wesentli- che Bedeutung für die pansentypische Suspensionsflüssigkeit und damit die Aus- flussrate aus dem Retikulorumen („dilution rate") (BAILEY u. BALCH 1961a;

BAILEY u. BALCH 1961b; KAY 1966; SUDWEEKS et al. 1981; CASSIDA u.

STOKES 1986; HOFMANN 1995; PITT et al. 1996).

Abb. 2: Die Lage der wichtigsten Speicheldrüsen beim Schaf (KAY 1960) 1 = Parotis; 2 = Unterkieferspeicheldrüse; 3 = inferior molar; 4 = Unter- zungenspeicheldrüse; 5 = buccale Drüsen; 6 = labiale Drüsen.

(18)

Abb. 3: Die Pufferkapazität der Pansenflüssigkeit und des Wiederkäuer-speichels (TURNER u. HOGETTS 1955)

A) von Schafen, die Luzerne- und Weidelgras weiden

B) Pansenflüssigkeit von Schafen, die Weizen- und Haferspreu erhielten ‚ C) Pufferkapazität des Parotisspeichels

In der Evolution der Wiederkäuer haben sich die Speicheldrüsen regressiv entwickelt (Abb. 4), was auf weitergehende Funktionen bei KS und IM hinweist: Ihr Gesamtge- wicht (im Durchschnitt aller untersuchten Arten) beträgt bei KS 0,36 % der Körper- masse, bei IM 0,26 % der Körpermasse und bei GR nur noch 0,18 % der Körper- masse. Die relative Drüsenmasse der Parotis ist unabhängig von der Körpergröße bei KS (z. B. Reh) mehr als dreimal größer als bei einem GR (z. B. Schaf) (HOF- MANN 1989). Unter den Hauswiederkäuern besitzt die Ziege die relativ größten Speicheldrüsen.

(19)

Abb. 4: Evolutionär funktionsbedingte Regression der Speicheldrüsen bei Wie- derkäuern von Konzentratselektierern bis Gras-und Rauhfutterfressern (HOFMANN 1989)

Das seröse Sekret der Parotis wird bei Wiederkäuern mehr od. weniger kontinuierlich freigesetzt. Das dünnflüssige Sekret wird bereits beim Kauen frischer, saftiger Pflan- zenteile als Lösungsmittel für Pflanzenzellinhalt verfügbar und wäscht offensichtlich wesentliche Mengen löslicher Nährstoffe in die Magenrinne (Kurzschluß zum Lab- magen, wie er beim Milchtrinken der Jungtiere benutzt wird (HOFMANN 1995)). Die höhere Speichelproduktion selektiver Kraut- und Blattfresser wirkt sich auch auf den rascheren Abtransport teilweise größerer Partikel aus dem Retikulorumen aus; so ist die Retentionszeit der Futterpartikel bei den selektiver fressenden Ziegen signifikant kürzer als bei Schafen als Vertreter der GR (LECHNER-DOLL et al. 1990). Offenbar verwenden KS den Speichel auch zur Neutralisation polyphenolhaltiger, aber beson- ders eiweißreicher Nahrungspflanzen. In deren Speicheldrüsen werden bestimmte Proline gebildet, so dass meist bereits in der Maulhöhle Eiweiß-Tannin-Komplexe

(20)

gebildet werden, die problemlos durch das Vormagensystem geschleust werden können.

Sowohl Kauen als auch Wiederkauen erhöhen die Speichelproduktion über die Ba- sissekretion hinaus (CASSIDA u. STOKES 1986). Kauaktivität und Speichelsekretion sind positiv korreliert (BAILEY 1961; LENK et al. 1985; NORGAARD 1985;

CASSIDA u. STOKES 1986; CARTER u. GROVUM 1988; ERDMAN 1988;

BEAUCHEMIN 1991; ALLEN 1997).

Tab. 1: Einfluss der Ration auf die Speichelbildung von Kühen (BAILEY 1958). Speichelbildung

Futtermittel Futteraufnahme

(g/min) (ml/min) ml/g Futtermittel

Pelletiertes Futter 357 243 0,68

Frisches Gras 283 266 0,94

Silage 83 280 1,13

Getrocknetes Gras 83 270 3,25

Heu 70 254 3,63

2.3 Futteraufnahme

Beim Rind ist die lange und bewegliche Zunge das Hauptorgan für die Futterauf- nahme (KOLB 1989; BEAUCHEMIN 1991). Grasbüschel und längere Pflanzenteile werden durch Herumschlagen der Zunge erfasst, in das Maul hineingezogen und durch Andrücken der Schneidezähne an die Dentalplatte des Zwischenkiefers ab- gebissen, wobei der Vorgang durch ruckartige Bewegungen des Kopfes unterstützt wird. Die rauhe Beschaffenheit der Zungenoberfläche infolge der aboral gerichteten Wärzchen verhindert ein Abgleiten von den Grasbüscheln. Die Lippen sind infolge ihrer begrenzten Beweglichkeit nur von untergeordneter Bedeutung, bei der Auf- nahme von jungem, saftigem Gras auf der Weide und beim Verzehr von Futterparti- keln geringer Größe, wie z. B. Körnern, Schrot und Pellets, sind sie jedoch in stär- kerem Maße beteiligt. Heu wird als Büschel erfasst und mit der Zunge in die Maul- höhle überführt. Silage, gehäckseltes Grobfutter und Körner werden durch Zungen- und Lippenbewegungen aufgenommen, von unzerkleinerten Rüben werden Stücke

(21)

abgebissen. Die kleinen Wiederkäuer setzen beim Grasen vorwiegend die Unterkie- ferschneidezähne und die Zunge ein, wobei der letzteren jedoch nicht die Bedeu- tung wie beim Rind zukommt. Kleine Futterpartikel können vom Schaf mit der be- weglichen Oberlippe erfasst werden, die generell eine im Vergleich zum Rind eine stärker selektive Aufnahme des Futters ermöglicht (KOLB 1989).

2.3.1 Kauen bei der Futteraufnahme

Das Kauen bei der Futteraufnahme dient nicht in erster Linie der Partikelzer- kleinerung (ULYATT et al. 1986). Vielmehr soll das aufgenommene Futter durch Kau- en und Einspeicheln zu einem abschluckfähigen Bolus geformt werden. Dabei wer- den lösliche Bestandteile im Futter teilweise freigesetzt. Die mit dem Kauvorgang verbundene Desintegration des pflanzlichen Zellgewebes ermöglicht den Beginn des mikrobiellen Abbaus im Retikulorumen (POND et al.1982; KOLB 1989; BEAUCHE- MIN 1991).

Schafe scheinen das Futter sorgfältiger zu kauen und somit stärker zerkleinert abzu- schlucken als Rinder. Der Anteil großer Partikel (> 1 mm) im abgeschluckten Bolus ist bei Schafen ca. 50 % niedriger als im Futter (REID et al. 1979); bei Rindern wurde eine Abnahme des Gehalts an großen Partikeln um 30 - 40 % (LEE u. PFEARCE 1984) bzw. 23 - 27 % (CHAI et al. 1984) gemessen. Der Kauvorgang ist individuell außerordentlich unterschiedlich effektiv (RUCKEBUSCH 1970; LEE u. PEARCE 1984). Mit zunehmendem Rohfasergehalt bzw. Reifegrad des Futters sinkt der Zer- kleinerungsgrad des abgeschluckten Bolus (POND et al. 1985).

2.3.2 Charakteristika des Futteraufnahme- und Kauverhalten

Folgende Parameter werden zur Charakterisierung des Futteraufnahme- und Kau- verhaltens von Wiederkäuern herangezogen (KOLB 1989):

Futteraufnahme: gesamte innerhalb von 24 h aufgenommene Futter- menge (Frischmasse oder Trockenmasse, absolut oder relativ zur Körpermasse).

(22)

Fressperiode: Zeitraum, in dem ohne Unterbrechung durch größere Kaupausen oder Wiederkauperioden Futter aufge- nommen wird (Anzahl/Tag, min/Fressperiode).

Fresszeit: Summe der Zeiträume aller Fressperioden innerhalb von 24 Stunden (min).

Futteraufnahmegeschwindigkeit: (min /kg TS bzw. g TS/min).

Kauintensität: Anzahl von Kaubewegungen beim Fressen/Tag, Fressperiode, Bissen oder min; Anzahl von Bis- sen/min oder Tag.

Zur Einschätzung der Kauaktivität bei der Verabreichung einer bestimmten Ration ist die Gesamtzahl der pro Tag ausgeführten Kaubewegungen bei der Futteraufnahme und beim Wiederkauen ein aussagekräftiger Parameter (KOLB 1989). Die Gesamt- zahl von Kaubewegungen schwankt beim Rind beim Verzehr von Rationen mit aus- reichendem Gehalt an pansenmotorisch wirksamer Rohfaser (etwa gleicher Auf- wand/kg Frischsubstanz) zwischen 10.000 und 20.000, beim Schaf zwischen 10.000 und 45.000, zu denen noch im Mittel 25.000 bzw. 40.000 Kieferschläge beim Wie- derkauen kommen. Insgesamt ergibt sich dann eine Gesamtzahl von 35.000 – 45.000 Kaubewegungen beim Rind und 35.000 – 85.000 Kieferschläge/Tag beim Schaf.

2.3.3 Einflussfaktoren auf das Futteraufnahme- und Kauverhalten Das Futteraufnahme- bzw. Kauverhalten von Wiederkäuern wird beeinflusst durch

• vom Tier abhängige Faktoren Tierart

Rasse

Körpermasse

Reproduktionsstadium individuelle Besonderheiten Energiebedarf

(23)

• vom Futtermittel abhängige Faktoren verfügbare Futtermenge Art der Futtermittel

Gehalt an Gerüstsubstanzen (Lignin, Cellulose u. a.) physikalische Form (Partikelgröße, Dichte, Härte) Wassergehalt (Silage)

„Schmackhaftigkeit"

• von der Fütterungstechnik

Verfügbarkeit des Futters (ad libitum, restriktiv) Stallfütterung oder Weidegang

Frequenz der Futtervorlage Fütterungsdauer

Tier-Fressplatz-Verhältnis

Reihenfolge der Verabreichung einzelner Rationsbestandteile

• von der Umwelt des Tieres

Ort der Fütterung (Stallfütterung, Weidegang) Jahreszeit

Tageszeit

In Tabelle 3 ist der Einfluss einiger ausgewählter Faktoren auf das Fress- und Kau- verhalten von Kühen und Schafen dargestellt.

Mit steigender täglicher TS-Aufnahme wird die TS weniger intensiv gekaut, da die tägliche Gesamtkaudauer bei etwa 1000 min/d limitiert zu sein scheint (MERTENS 1997).

Die für die Futteraufnahme notwendige Kauaktivität ist in erster Linie von der ver- zehrten Futtermenge und von der physikalischen Beschaffenheit der Grob-futtermittel abhängig. Ein Häckseln von Langheu senkt die Anzahl der täglichen Kaubewegun- gen bei der Futteraufnahme, nicht jedoch beim Wiederkauen. Ein Häckseln und Pel- letieren bzw. Mahlen und Pelletieren bedingen eine Verminderung der Anzahl dersel- ben sowohl bei der Futteraufnahme (drastisch) als auch beim Wiederkauen. Auch die Form der Partikel beeinflusst die physikalische Effektivität (MERTENS 1997). Legu- minosenpartikel sind eher kubisch, Graspartikel hingegen länglich. (TROELSEN u.

CAMPBELL 1968). MERTENS et al. (1984); MERTENS (1997) beobachteten, dass

(24)

das Verhältnis von Länge zu Breite des gesiebten Materials aus Faeces von 3:1 bei leguminosenreicher Fütterung bis zu 10:1 bei Fütterung von Gras variiert .

Die Verzehrsgeschwindigkeit eines bestimmten Futtermittels hängt in erster Linie von dessen Wassergehalt bzw. der physikalischen Struktur ab (Tabelle 2). Wasserreiche Futtermittel erfordern eine kürzere Kauzeit und weniger Kaubewegungen als was- serarme Komponenten oder Rationen.

Tab. 2: Fressgeschwindigkeit und Wiederkauzeit von Kühen beim Verzehr einzelner Futterstoffe oder Rationen (BALCH 1962)

Dauer [ min/kg TS ] Verzehrtes Futter-

mittel oder

Verabreichte Ration Fresszeit Wiederkauzeit gesamte Kauzeit Futtermittel

Heu – mittlere Qualität 20 - 40 63 – 87 103 - 109 Heu - gute Qualität 27 - 31 55 – 74 87 - 105

Grassilage 31 - 58 60 – 83 99 - 120

Pelletiertes Kraftfutter 4 - 10 (0 - 25)* (4 - 29)*

Gras, getrocknet 8 - 18 33 – 39 44 - 53

Gras, fein gemahlen 5 - 12 (0 - 11)* (5 - 18)*

Haferstroh 41 - 58 94 – 133 145 - 191

Rationen

Haferstroh und Harn-

stoff 23 - 40 67 – 79 98 - 117

Heu und Konzentra- te

(Heuanteil)

67 % 19 47 66

44 % 18 42 60

31 % 15 37 52

17 % 11 24 35

8 % 21 19 40

7 % 16 20 36

0 % 10 0 10

*obere Werte des Schwankungsbereiches betreffen irreguläres Kauen (Pseudo- Wiederkauen) bei feingemahlenen Futtermitteln.

(25)

Tab. 3: Futteraufnahme- und Kauverhalten des Rindes und Schafes beim Weidegang (KOLB 1989)

Parameter Rind Schaf Einflussfaktoren

Fressperioden Anzahl/Tag 4 - 5 4 - 7

Dauer [min] 26 - 42

Fresszeit Stunden/Tag

6 - 11 3 - 13 Wichtigste Einflussfaktoren sind

• Energiebedarf des Tieres,

• Höhe des Aufwuchses,

• Art des Aufwuchses (Blatt- Stengel-Verhältnis)

• Temperatur, Niederschlag Diurnale Vertei-

lung

bei Rind und Schaf zyklisches Verhalten mit Hauptaktivitäten in den Morgen- (bei Tagesanbruch beginnend) und Nachmit- tags- bis Abendstunden (bis Sonnen- untergang), Aufnahme von im Mittel 25 (Rind) bzw. 20 - 33 % des Tagesverzehrs (Schaf) während der Nacht, insbe- sondere in langen, mondhellen Nächten und bei hohen Tagestemperaturen

Kaufrequenz

Anzahl/min 25 - 80 18 - 73 höhere Frequenz bei jungem Aufwuchs Anzahl/Tag 24000

2.4 Wiederkauen

Das Wiederkauen dient primär der Zerkleinerung faserreicher Pflanzenteile (MINSON 1990). Die resultierende Desintegration von Epidermis und Cuticula der Partikel er- möglicht das Eindringen von Pansenflüssigkeit und Mikroorganismen in das Zellinne- re (KASKE u. v. ENGELHARDT 1990). Im Retikulorumen wird so der Austausch von Luft in Hohlräumen der Partikel gegen Flüssigkeit sowie Hydrations- und Adsorpti- onsprozesse durch das Wiederkauen begünstigt. Konsekutiv steigt die Dichte der Ingestapartikel (VAN SOEST 1994), so dass die Retentionszeit im Retikulorumen verkürzt wird (SUTHERLAND 1988; KASKE u. v. ENGELHARDT 1990). Wiederkau- en stimuliert zudem die Speichelsekretion (HAGEMEISTER u. KAUFMANN 1970;

BAILEY 1961; LENK et al 1985; NORGAARD 1985; CASSIDA u. STOKES 1986;

(26)

CARTER u. GROVUM 1988; ERDMAN 1988; BEAUCHEMIN 1991; ALLEN 1997) und stabilisiert so das Milieu und damit die Lebensbedingungen für die Mikroflora.

Jeder Wiederkauzyklus umfasst die Rejektion von Panseninhalt, das eigentliche Wiederkauen, das Abschlucken des wiedergekauten Bissens und die Pause bis zur folgenden Rejektion (BEAUCHEMIN 1991). Äußerlich sichtbar fällt zunächst die ge- streckte Kopf-Hals-Haltung des Tieres in Verbindung mit einer tiefen Inspiration auf.

Im Bereich der Drosselrinne ist dann ein mit einer oral gerichteten Bewegung des Halsoesophagus verbundenes Aufsteigen von Inhalt zu beobachten.

Das Wiederkauen wird über die mechanische Reizung sensibler Rezeptoren in der Mukosa der Haube, insbesondere im Bereich von Kardia und Haubenrinne, eingelei- tet und über das Wiederkauzentrum in der Medulla oblongata gesteuert. Es handelt sich um einen komplizierten Reflex, der durch endogene und exogene Faktoren be- einflusst wird. Die Rejektion erfolgt unmittelbar vor der biphasischen Haubenkontrak- tion. Die Haube kontrahiert sich, ein Bolus wird reflektorisch in die Cardia angesogen („up bolus“) und mit einer antiperistaltischen Welle in die Maulhöhle befördert. Flüssi- ge Anteile werden sofort wieder abgeschluckt („tail bolus“). Der Bolus wird dann etwa 40-50 Sekunden mit 40-60 mahlender Kieferbewegungen gekaut und eingespeichelt.

Das Abschlucken des Wiederkaubissens („down bolus“) erfolgt in der gleichen Weise wie bei der Futteraufnahme und geht mit einer kurzen Atempause einher. Der wie- dergekaute Bissen gelangt abermals in den Hauben-Pansen-See und vermischt sich mit dem dortigen Inhalt. Etwa 5 Sekunden nach dem Abschlucken wird der nächste Bolus rejiziert (DZIUK 1984; ULYATT et al. 1986; KOLB 1989).

Wiederkauen ist ein essentieller Vorgang bei Schaf und Rind. Die Verhinderung des Wiederkauens verlängert sehr deutlich die Retentionszeit der Ingesta im Retikuloru- men (BAUCHOP 1989). WELCH (1982) verhinderte das Wiederkauen bei Rindern durch enge Fiberglasmasken. Diese wurden nur für vier Stunden am Tag zum Fres- sen abgenommen. Die Rinder reduzierten ihre Futteraufnahme um etwa 60 %. Nach Abnahme der Masken begannen sie sofort wiederzukauen, obwohl sie hungerten und frisches Futter zur Verfügung stand.

KENNEDY (1985) beziffert für Rinder den Beitrag des Wiederkauens zur Gesamtzer- kleinerung großer Partikel mit 85 %; beim Schaf scheint der Prozentsatz niedriger zu

(27)

liegen (WELCH 1982). Der Anteil großer Partikel (> 3,35 mm) im up-Bolus wird nach CHAI et al. (1984) bei Rindern durch das Wiederkauen um 58-78 % reduziert. Bei Schafen wurde eine Verringerung des Anteiles großer Partikel (> 1 mm) um 39 – 69

% beim Vergleich von up- und down-Bolus festgestellt (ULYATT 1983; ULYATT et al.

1986).

Die tägliche Wiederkauzeit schwankt zwischen 11 Stunden (grobes Raufutter ad libi- tum) und 1 Stunde (gemahlenes Raufutter). Wird eine Ration verfüttert, die aus- schließlich aus gemahlenem Konzentrat besteht, so kann das Wiederkauen völlig verschwinden; die unphysiologisch hohe Osmolarität und der niedrige pH-Wert im Pansen stellen dann jedoch schon einen mehr oder weniger pathologischen Zustand dar.

Wiederkauen setzt stets ein Mindestmaß an Wohlbefinden voraus; Schmerzen, Fie- ber und Stress hemmen die Wiederkauaktivität. Damit ist das Wiederkauen ein guter Indikator für die Gesundheit des Tieres (KASKE 2000).

Als Pseudo-Wiederkauen wird eine Aktivität bezeichnet, bei der Boli rejiziert werden, ohne dass sich Perioden rhythmischer Kaubewegungen anschließen. Pseudo- Wiederkauen wird vor allem bei Fütterung von strukturarmen Rationen beobachtet (Abb. 5). Ursache dürfte die ungenügende mechanische Stimulation der peripheren Mechanorezeptoren sein. Pseudo-Wiederkauen gilt als Ausdruck der zentralen Kom- ponente an der Auslösung des Wiederkauvorgangs (CAMPION u. LEEK 1996).

(28)

Abb. 5: Einfluss des Rauhfutteranteils auf die Wiederkau- und Pseudowieder- kauaktivität von Schafen (modifiziert nach CAMPION u. LEEK 1996).

2.4.1 Charakteristika des Wiederkauverhaltens

Zur Charakterisierung des Wiederkauverhaltens werden folgende Parameter heran- gezogen (KOLB 1989):

Wiederkauperiode: Zeitraum, der ohne Pause (über 3 min) zum Wiederkauen verwendet wird (Anzahl/Tag, min/

Wiederkauperiode);

Wiederkauzyklus: Zeitraum für Rejektion. Einspeichelung, Wie- derkauen und Abschlucken des rejizierten Bis- sens (Anzahl/Wiederkauperiode, Anzahl/Tag, Anzahl/kg Trockensubstanz. Anzahl/kg Rohfa- ser);

Dauer der Pause: Zeitraum zwischen den Kaubewegungen zweier Wiederkauzyklen innerhalb einer Wiederkaupe- riode [ sec ];

(29)

Wiederkauzeit gesamt („brutto“): Summe der Zeiträume aller Wiederkauperioden innerhalb von 24 h (min);

Wiederkauzeit reine („netto“): Wiederkauzeit insgesamt minus Bissenpausen- zeit innerhalb von 24 h (min);

Wiederkauintensität: Anzahl der Wiederkaubewegungen (Kiefer- schläge)/min reine Wiederkauzeit, Anzahl der Wiederkaubewegungen/ Tag, Anzahl der Wie- derkaubewegungen/Wiederkauperiode, Anzahl der Wiederkaubewegungen/Bissen.

In Tabelle 4 ist der Schwankungsbereich verschiedener zur Charakterisierung des Wiederkauverhaltens benutzter Parameter für Rind und Schaf dargestellt. Beim Rind ist mit 10-20 Wiederkauperioden (BEAUCHENIN 1991) im Verlaufe eines Tages zu rechnen, die sich bei Stallhaltung über die Tages- bzw. Nachtstunden verteilen. Sie können in ihrer Länge von einigen Minuten bis zu Stunden variieren (BEAUCHENIN 1991) und dauern im Mittel 40 - 50 min. Die Wiederkauaktivität wird durch zahlreiche Faktoren des Futters, der Art und Weise der Futterdarbietung, des Tieres und solche der Umwelt bestimmt.

Tab. 4: Übersicht zum Verhalten von Rind und Schaf beim Wiederkauen (KOLB 1989)

Rind Schaf

Wiederkauperioden [24 h] 10 - 20 12 – 20 Wiederkauzeit [h/Tag] 4 - 9 8 – 10 Dauer der Wiederkauperioden [min] 40 - 50 1 – 120 Anzahl der Kieferschläge/min 42 - 62 73 – 101 Anzahl der Kieferschläge/„Bissen" 40 - 60 60 – 87 Anzahl der Wiederkauportion/Tag 360 -790 480 - 720 Dauer der Kauzeit/„Bissen" [s] 45 - 50 49 – 68

(30)

2.4.2 Untersuchungen der Wiederkauaktivität

Zur Quantifizierung der Wiederkauaktivität werden meist die Wiederkaudauer (BALCH 1952; RUCKEBUSCH 1970; WELCH u. SMITH 1969), seltener die Anzahl der Kieferschläge bzw. der rejizierten Boli (PEARCE u. MOIR 1964; NAGEL 1974;

KASKE 2002) herangezogen.

Für die Registrierung wurden unterschiedliche Techniken eingesetzt:

• In älteren Untersuchungen wurden meist die Kieferschläge während des Wie- derkauens mittels pneumatischer Übertragung auf einen Schreiber übertragen (BALCH 1958; FREER u. CAMPLING 1965). NAGEL et al. (1975) entwickel- ten ein digitales Gerät mit der Bezeichnung RMBZ (Rinder-Maul-Bewegungs- Zähler). Mit Hilfe der elektronisch gesteuerten Apparatur konnte die Anzahl der Kaubewegungen für das Fressen und Wiederkauen sowie die Anzahl der Boli quantitativ erfasst werden. Parallel dazu erfolgte die Aufzeichnung der Kaubewegungen mit Hilfe eines Schreibers.

• Einen mit Schaumgummi gefüllter Gummischlauch, der am Halfter unter- halb des Unterkiefers befestigt wurde, verwendeten KASKE u. GROTH (1997) bzw. KASKE et al. (2002). Der Gummischlauch wurde über einen Polyethylenschlauch mit einem Druckwandler (Statham P23Db; H. Sachs, Freiburg) verbunden. Die typischen Druckänderungen während des Fressens und Wiederkauens wurden auf einem Mehrkanalschreiber (Watanabe WTR 331; H. Sachs, Freiburg) bei einem Papiervorschub von 10 mm/min registriert.

Zur Erfassung der Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens wurde der Schreibervorschub auf 100 mm/min erhöht.

• Andere Gruppen untersuchten die Wiederkauaktivität unter Nutzung von Tel- lertastern, die in Halftern integriert waren (LENK et al. 1985; DITTRICH 1986, 1987 ; SCHIRMBECK et al. 1989). Jede Unterkieferbewegung induziert die Änderung eines elektrischen Stromkreises. Je Bewegungsaktivität entsteht ein Signal bzw. typische Impulsgruppenbilder für spezifische Aktivitäten des Tie- res (z. B. Fressen, Wiederkauen).

(31)

• Nach DÄBERITZ et al. (1989) erfolgt die messtechnische Erfassung und Be- wertung der Kaubewegungen auf der Grundlage eines vereinfachten Modells eines schwingenden Masse-Feder-Systems (REICHERT 1968; LENK 1973).

Ein einseitig in einem Gelenk gelagerter Hebelarm (Unterkiefer) wird durch ein

„Federsystem" (Muskulatur) gestützt. Zwischen Unter- und Oberkiefer werden bei Kaubewegungen dynamische räumliche Kraftkomponenten wirksam, die anteilig eine Funktion der Zerkleinerung und Mischung von Futterpartikeln sind. Diese Kraftkomponenten verhalten sich gemäß dem zweiten Newton- schen Axiom proportional zu den entsprechenden Beschleunigungskompo- nenten, die mit Hilfe mechanisch-elektrischer Wandler in Spannungssignale umgeformt werden können. Es besteht so die Möglichkeit, diese zeit- und in- tensitätsabhängig auszuwerten. Die Beschleunigungskomponenten enthal- ten stets Nutz- und Störsignalanteile. Die verzehrs- und wiederkaubeding- ten Beschleunigungskomponenten der Unterkiefermasse ergeben die Nutzsignale, Bewegungen des Tierkörpers oder des Kopfes ergeben Stör- signale. Nutz- und Störsignale sind voneinander zu trennen. Dieses kann durch ein Paar datengleicher Beschleunigungswandler für Ober- und Un- terkiefer mit nachfolgender Signaladdition erreicht werden.

Abb. 6: Kopplung der Funktionseinheiten (DÄBERITH et al.1989)

(32)

Abbildung 6 zeigt die prinzipielle Möglichkeit der Kopplung wesentlicher Funkti- onseinheiten mit analogen Ausgabebeispielen, die im Hinblick auf den raschen Fortschritt moderner Datenverarbeitungstechnik neuesten Trends (rechnerge- stützte Auswertung) angepasst werden können.

• Alternativ können Dehnungsmessstreifen am Tier befestigt werden, die über einen Transducer mit einem elektronischen Datenerfassungssystem verbunden sind. Teilweise werden diese mit einem analogen Signaltrans- ducer kombiniert (BEAUCHEMIN 1997).

• Eine modifizierte Technik setzten TAFAJ et al. (1999) ein. Milchkühen wurde unter dem Maul ein Gummiball an einem Lederhalfter befestigt. Dieser war über einen Schlauch mit einem ca. 10 cm langem Glasrohr (Innendurch- messer = 7 mm) verbunden. In dem Glasrohr war ein beweglicher PVC- Kolben eingebaut. Durch die Kaubewegungen entstanden Luftstöße, welche den Kolben im Glasrohr hin und her bewegten. Die Kolbenbewegungen wur- den mit einer einfachen Gabel-Lichtschranke erfasst. Der Sensor bestand aus einem Gummischlauch mit Photozelle. Beim Biegen des Schlauches induziert die geänderte Lichtintensität eine Spannungsschwankung, die ein Differenz- verstärker in einen Impuls umsetzt. Die Impulse werden zeitabhängig über ei- nem Computer gespeichert. Die Aufzeichnung und Auswertung der Daten er- folgte mit einem speziell entwickelten Computerprogramm. Die Wiederkaupe- rioden konnten durch Darstellung aller Impulse auf dem Bildschirm eindeutig erkannt und vom Fresskauen differenziert werden. Zur Charakterisierung des Kauverhaltens wurden so die Gesamtzahl der Kieferschläge, Kauzeit, Wieder- kauzeit, die Anzahl der rejizierten Bissen während der Wiederkauperioden und die Kauschläge pro Bolus bestimmt.

2.4.2.1 Einflussfaktoren auf das Wiederkauverhalten

Das Wiederkauverhalten wird im Wesentlichen durch die gleichen Faktoren beein- flusst wie das Futteraufnahme- und Kauverhalten, demzufolge spielen eine Rolle

• vom Tier abhängige Faktoren,

(33)

• vom Futtermittel abhängige Faktoren,

• von der Fütterungstechnik,

• von der Umwelt des Tieres abhängige Faktoren.

Besonders intensiv untersucht wurde die Beeinflussung der Wiederkauaktivität

• durch den Gehalt der Ration an Rohfaser bzw. Zellwandbestandteilen (GOR- DON 1968; WELCH u. SMITH 1969a),

• der physikalischen Form des Grobfutters (BALCH 1952; RUCKEBUSCH 1970) sowie

• der Höhe der Futteraufnahme (GORDON 1961; WELCH u. SMITH 1969b).

Infolge unterschiedlicher anatomischer Gegebenheiten sind die Differenzen zwischen Rind und Schaf beträchtlich (WILSON et al. 1973), wobei die Anpassung des Rindes an wenig strukturiertes Futter deutlich länger dauert als beim Schaf (RUCKEBUSCH 1970). Auch zwischen den Rinderrassen bestehen deutliche Differenzen (WELCH et al. 1970).

2.4.2.2 Einfluss des Rohfasergehalts auf die Wiederkauaktivität

Die Wiederkaudauer ist mit dem Gehalt des Futters an Zellwandbestandteilen positiv korreliert (FREER et al. 1962; VAN SOEST 1965; WELCH u. SMITH 1969a; WELCH 1982; Abb. 7 A und B). ROBLES et al. (1981) fütterten Schafen drei Rationen mit unterschiedlichen Stengel- bzw. Blattanteilen von Luzerneheu, wobei die Partikelgrö- ße des Futters nahezu gleich war. Die Wiederkauaktivität stieg mit zunehmendem Stengelanteil und die mittlere Partikelgröße der Panseningesta war bei höheren An- teilen von Zellwandbestandteilen deutlich geringer. Entscheidend für die Wiederkau- aktivität scheint somit der Grad der taktilen Stimulation von Mechanorezeptoren im Vormagen durch grobes Futter zu sein.

(34)

A

B

C

Abb. 7: Der Effekt von Rauhfutter auf die zum Wiederkauen aufgewendete Zeit bei Schafen:

(A) Wiederkauaktivität bei Aufnahme von fünf verschiedenen Rauhfuttermitteln und unterschiedlicher TS-Aufnahme (WELCH u. SMITH 1969)

B) Das Verhältnis zwischen Wiederkauzeit und Aufnahme von Zellwandbestand- Teilen (große Zahlen und durchgehende Linie); dies ist enger als die Beziehung zur TS-Aufnahme (durchgezogene Linie in A). Die mit Wiederkauen verbrachte Zeit pro g aufgenommener Zellwand (gestrichelte Linie und kleine Zahlen)

(35)

Fortsetzung der Legende zur Abb. 7:

steigt mit zunehmendem Anteil an Zellwandbestandteilen (WELCH u. SMITH 1969).

(C) Eine Erhöhung der Futteraufnahme (+) ist verbunden mit einer Abnahme der Wiederkauzeit pro g aufgenommener Zellwandbestandteile (∆) (BAE et al.

1979)

2.4.2.3 Einfluss der physikalischen Struktur auf die Wiederkauaktivität

Das Pelletieren von Stroh führt bei Kühen zu einer Verminderung der Wiederkaudau- er um etwa 70 %, der Aufschluss mit Natronlauge induzierte eine Reduzierung eine etwa 50 %. Junges, hochwertiges Trockengrünfutter (Luzerne) stimuliert das Wieder- kauen bei Kühen nach dem Pelletieren kaum (PIATKOWSKI u. NAGEL 1975). Durch die Variation der Häcksellänge und der Art der Futteraufbereitung bei der Ernte sowie der Art des Häckslertyps wird die Teilchengröße des Futtermittels erheblich beein- flusst (WEIGAND et al. 1993; SCHWARZ et al. 1997). Bei stärkerer Partikelzerkleine- rung der Futterpartikel sinkt die Wiederkauaktivität (DE BOEVER et al. 1993; WEI- GAND et al. 1993). Aber auch die ruminale Passagerate kann sich durch die Größe der Futterpartikel verändern und dadurch die Höhe der Futteraufnahme beeinflussen (KASKE 1987; KASKE u. v. ENGELHARDT 1990; KASKE et al. 1992; DE BOEVER et al. 1993; KASKE u. GROTH 1997).

Mehrere Untersuchungen (u. a. GORDON 1958b; WELCH u. SMITH 1970; HOOPER u. WELCH 1982; WELCH 1982; VAN SOEST 1994; SHAVER et al. 1986; DE BOEVER et al. 1990; BEAUCHEMIN 1991; DE BOEVER et al. 1993) bestätigen die negative Wirkung einer starken Abnahme der Partikelgröße des Grundfutters auf die Wiederkauaktivität und infolge von Änderungen der Milieubedingungen in den Vor- mägen aufgrund geringerer Speichelsekretion auch auf die Pansenfermentation (CARTER et al. 1990). Der Literatur zufolge weisen die Angaben für eine kritische Partikelgröße (DE BRABANDER et al. 1999), bei der noch keine negative Wirkung auf Kauaktivität und Pansenfermentation festzustellen ist, aufgrund verschiedener Messmethoden und unterschiedlicher Eigenschaften des Grundfutters eine große Streubreite auf (SCHIRMBECK et al. 1989).

(36)

PIATKOWSKI et al. (1977) untersuchten das Wiederkauverhalten von Kühen bei un- terschiedlicher TS-Aufnahme und unterschiedlicher physikalischer Bearbeitung von Heu. Sämtliche Parameter zur Beschreibung der Wiederkauaktivität unterschieden sich nicht signifikant zwischen Lang- und Häckselheu (Tabellen 5), bei pelletiertem Heu lagen die Werte demgegenüber um ca. 65 % niedriger. Das Mahlen des Heus vor der Pelletierung hatte keinen nachweisbaren Einfluss auf die Wiederkauaktivität.

Tab. 5: Kau- und Wiederkauaktivität von 3 nichtlaktierenden Kühe bei Fütte- rung von Grasheu verschiedener physikalischer Form (PIATKOWSKI et al. 1977)

Langheu Häckselheu Pellets aus Häckselheu

Pellets aus Heumehl

Zahl der Messtage 8 11 11 8

Kieferschläge in 24 Std. [Anzahl]

Für Futteraufnahme 13942 ± 4742 6909 ± 750 1631 ± 1450 2695 + 917 Für Wiederkauen 20132 + 3.088 21349 ± 2.272 7870 ± 928 6968 ± 2254 Wiederkaubissen/24 h.

[Anzahl] 487 ± 58 476 ± 28 142 ± 36 119 ± 43 Wiederkaubewegungen

je kg Rohfaser [Anzahl] 11445 12241 4562 4032 je kg TS [Anzahl] 3355 3803 1319 1175 Wiederkaudauer [h/d] 6,1 ± 0,9 6,3 ± 0,6 2,3 ± 0,8 2,0 ± 0,6

Besonders auffällig war andererseits die deutliche Beeinflussung der Geschwindig- keit der Futteraufnahme durch das Häckseln des Heus; hier wurde eine Halbierung der Anzahl der Kieferschläge nachgewiesen (Tab. 5).

2.4.2.4 Einfluss der Höhe der Futteraufnahme auf die Wiederkauaktivität Mit höherer Futteraufnahme sinkt die Wiederkauzeit pro Gramm Trockensubstanz (Abb. 7C; WELCH u. SMITH 1969; PIATKOWSKI et al. 1977; DULPHY et al. 1980;

(37)

FAICHNEY 1986); gleichzeitig erhöht sich die mittlere Partikelgröße im Kot geringfü- gig (VAN SOEST 1982).

PIATKOWSKI et al. (1988) fanden bei Verdopplung der TS-Aufnahme von Heu auch eine Verdopplung der Kieferschläge für Fressen und Wiederkauen. In analoger Wei- se stieg auch die Wiederkauzeit pro Tag. Auch die Kühe mit hoher TS-Aufnahme (16,6 kg) kauten nicht länger wieder als etwa ein Drittel des Tages. Die Zahl der Wie- derkauperioden blieb – verglichen mit der geringeren TS-Aufnahme - ebenso kon- stant wie die Anzahl der Kieferschläge pro Bolus (Tab. 6). Bezogen auf 1 kg Rohfa- ser bzw. TS sank die Anzahl der Wiederkaubewegungen um 12 %.

WELCH (1982) postulierte, dass Wiederkäuer maximal 9-10 h/d für das Wiederkauen aufwenden. Entsprechend lässt sich bei strukturreichen Rationen die Wiederkaurate als limitierender Faktor für die Futteraufnahme kalkulieren (VAN SOEST 1994). Die durchschnittliche Wiederkaurate liegt bei etwa 0,02 g x kg Körpergewicht - 1 x min - 1, die maximale Rate etwa doppelt so hoch (VAN SOEST 1994). Unter der Annahme einer maximalen Wiederkauzeit von 10 h pro Tag liegt die durchschnittliche Rate bei 12 g x kg - 1 x d -1 Zellwandbestandteil und die maximale Rate bei 24 g x kg - 1 x d-1 (VAN SOEST 1994). Wenn der Zellwandgehalt einer Ration bekannt ist, kann ge- mäss VAN SOEST (1994) die maximale TS-Aufnahme berechnet werden. Die Wie- derkaurate (g Zellwandbestandteil/min) ist direkt korreliert mit der Größe des Tieres (WELCH u. SMITH 1969). Bei Heu von geringer Qualität (50 % Verdaulichkeit bei 70

% Zellwandgehalt) muss ein Wiederkäuer mindestens 490 kg wiegen, um über die- ses Futter seinen Erhaltungsbedarf decken zu können (VAN SOEST 1994). Um die Energieaufnahme eines Wiederkäuers zu maximieren, kann andererseits nicht der Strukturgehalt beliebig verringert werden. In der modernen Milchviehhaltung treten infolge eines Mangels der Futtermittelstruktur Erkrankungen auf, die als „Leistungs- krankheiten" bezeichnet werden (GASTEINER 2001). Hierunter fallen verminderte oder wechselnde Futteraufnahme, reduzierte Verdauung und Gewichtszunahme, ab- nehmende Leistung, verringerter Milchfettgehalt (MERTENS 1997; DE BRABANDER et al. 1999), Lahmheit (MERTENS 1997; NOCEK 1997) und besonders die subklini- sche Pansenazidose, die bei Hochleistungskühen relativ häufig auftritt und starke Leistungseinbußen verursacht (NOCEK 1997; OWENS et al. 1998). Entsprechend ist ein gewisser Anteil an strukturellen Bestandteilen in der Futterration zur Aufrechter- haltung einer leistungsfähigen Mikroorganismenpopulation und Pansenfunktion eines gesunden Rindes notwendig (Abb. 8).Der Gerüstsubstanzgehalt kann für praktische

(38)

Belange zur Kennzeichnung der Futtermittelstruktur durch den Rohfasergehalt cha- rakterisiert werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Strukturwirksamkeit in erster Linie durch den Lignifizierungsgrad bedingt ist; entsprechend bietet sich der Ligningehalt der Ration zur Einschätzung der Strukturwirksamkeit an (HOFFMANN 1990).

Die Gesamtkauzeit ist negativ korreliert mit dem NDF-Gehalt der Ration (BEAU- CHEMIN 1991; SHAVER et al. 1986; WOODFORD u. MURPHY 1988) und der mitt- leren Partikelgröße des Futters (GRANT et al. 1990b, c; SHAVER et al. 1988).

Abb. 8: Bedeutung der Futtermittelstruktur beim Rind (HOFFMANN 1983)

Das Pseudo-Wiederkauen ist gegenüber dem echten Wiederkauen eine Aktivitäts- verlagerung, wenn die Ration physikalisch nicht grob ist, um effektiv wiedergekaut zu

(39)

werden. Hypomotilität der Vormägen (Parese), Gasansammlung im Pansen (Meteo- rismus), mangelnde Erneuerung der Pansenwandzellen (Ruminitis), eventuelle man- gelhafte Absorption kurzkettige Fettsäuren (energetische Störungen) sind unmittelba- re Folgen eines völligen Entzugs grober Futterbestandteile (RUCKEBUSCH 1970).

Tab. 6: Kau- und Wiederkauaktivität von 6 Kühen bei unterschiedlicher TS- Aufnahme einer gemischten Ration (PIATKOWSKI et al. 1977)

TS-Aufnahme [ kg/Tag ]

8,3 kg 16,6 kg

Messtage 11 18

ges. Kaubewegungen in

24 h [Anzahl] 18205 ± 3943 37473 ± 4995 Kaubewegungen für Futter-

aufnahme [Anzahl] 5807 ± 1.720 13935 + 3067 Kaubewegungen für Wie-

derkauen [Anzahl] 12398 ± 2952 23538 ± 3955 Wiederkaubissen / 24 h

[Anzahl] 290 ± 87 559 ± 122

Wiederkauperioden

[Anzahl] 22 23

Wiederkaubewegungen [Anzahl]

je kg Rohfaser 7785 6727

je kg TS 1589 1422

Wiederkaudauer [h/d] 3,7 ± 0,9 7,0 ± 1,2

2.5 Ruktus

Während der mikrobiellen Fermentation entstehen in den Ingesta Gasbläschen (vor allem Kohlendioxid und Methan),die emporperlen und sich in einer voluminösen

(40)

Gasblase im dorsalen Pansensack sammeln. Im Hinblick auf die enormen Mengen Gas, die gebildet werden (500 - 1500 l/d beim Rind), ist eine regelmäßige Abgabe des Pansengases über den Ruktus zwingend notwendig (KASKE 2000). Der Ruktus erfolgt als vago-vagaler Reflex ein- bis zweimal pro Minute, und zwar in Verbindung mit einer Kontraktion des dorsalen Pansensacks. Bei Störungen des Ruktus kann sich schnell eine lebensbedrohliche Tympanie entwickeln (KASKE 2000).

Den auslösenden Reiz für den Ruktus stellt der intraruminale Gasdruck dar. In der Gegend der Kardia kommen in einem relativ kleinen Bezirk Rezeptoren vor, deren Reizung je nach der Reizqualität die Auslösung oder Hemmung des Ruktus zur Fol- ge hat. Für die Rezeptoren an der Kardia stellt die Insufflation von Gasen in den Pansen einen adäquaten Reiz dar (KOLB 1989).

Drei muskulöse Elemente des Oesophagus wirken als Schließmuskel: der kraniale Sphincter wird durch den M. cricopharyngeus gebildet, der bei seiner Kontraktion den Ösophagus durch Druck gegen die Ringknorpelplatte verschließt. An der Durch- gangsstelle des Oesophagus durch das Zwerchfell (Hiatus oesophagus) befinden sich stärkere zirkuläre Muskelfasern, die das Lumen verschließen. Am Vormagenein- gang schließlich liegt der kaudale Sphinkter in Form der Kardiamuskelschleife. Die Ruktus erfolgt koordiniert mit der Vormagenmotorik: unmittelbar bei Beginn der Kon- traktion des dorsalen Pansensackes im Zusammenhang mit einer sog. B-Kontraktion tritt Gas in die zu diesem Zeitpunkt relaxierte Haube über, wobei die Pansen- Haubenfalte den gleichzeitigen Übertritt von flüssigem Inhalt in die Haube erschwert.

Dann öffnen sich nach Kontraktion und anschließender Dilatation des Oesophagus die beiden kaudal gelegenen Sphinkteren, während der kraniale verschlossen ist.

Infolge des Druckgefälles gelangt das Gas in den Oesophagus, der sich nun durch die Betätigung beider kaudal gelegenen Muskeln schließt. Durch eine starke antipe- ristalische Welle mit einer Geschwindigkeit von 227 cm/sec werden die Gase, be- günstigt durch den ansteigenden Intrapleuraldruck bei geschlossener Glottis, durch den sich öffnenden kranialen Sphinkter in die Mundhöhle entleert. Im Augenblick des Ruktus wird die Atmung unterbrochen, das Gaumensegel hebt sich und schließt den Nasenraum ab. Da zugleich die Lippen geschlossen bleiben und die Zunge am Gaumen anliegt, gelangt das Gas zum größten Teil über die Trachea in die Lunge, wo es sich im Alveolarraum verteilt und teilweise ins Blut übertritt. An jede Eruktation schließt sich deshalb eine Zunahme an CO2 in der alveolaren Luft und im arteriellen

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Blut an. Während der folgenden Atemzüge wird das Pansengas stark verdünnt aus- geatmet. Geruchsstoffe aus dem Pansen können auf demselben Wege von der Lun- ge resorbiert und über den Blutweg in die Milch übergehen (HILL 1969; KASKE 2000).

Wichtige Voraussetzung für den geordneten Ablauf des Reflexes ist, dass die Kardia während der Kontraktion des dorsalen Pansensackes nicht von Ingesta bedeckt ist, da bei Überfluten der Kardiagegend mit Flüssigkeit der Ruktus nicht erfolgen kann.

Liegt ein Wiederkäuer in Seiten- oder Rückenlage, so ist der Ruktus erschwert oder nicht möglich. Dies ist einer der Gründe, weshalb Operationen beim Rind im allge- meinen im Stehen unter Lokalanästhesie durchgeführt werden (KASKE 2000).

Auch eine Schlundverstopfung (z.B. durch Rübenstücke) kann zu einer Störung des Ruktus führen, so dass die Tiere zunehmend aufgasen („Tympanie"). Innerhalb we- niger Stunden können dann Atem- und Kreislaufstörungen, vor allem aufgrund des Vordrängens des Zwerchfells nach cranial, auftreten. Eine erhöhte Gasproduktion (z.B. durch Verfüttern leicht fermentierbaren Futters) oder auch das experimentelle Einleiten von Gas in den Pansen führen demgegenüber nicht zur Tympanie. Bei be- stimmten Fütterungsbedingungen entsteht jedoch im Reticulorumen feinblasiger Schaum; das enthaltende Gas kann dabei nicht mehr eruktiert werden („schaumige Gärung"). Es resultiert dann in kurzer Zeit ein lebensbedrohlicher Zustand mit enor- mem Druckanstieg im Pansen (KASKE 2000).

2.6 Die Regulation der Futteraufnahme beim Wiederkäuer

Langfristiges Ziel der Regulation der Futteraufnahme ist die Erhaltung eines Ener- giegleichgewichts. Eine Fülle unterschiedlicher Signale beeinflusst die Futteraufnah- me; diese können übergeordnet dem Verdauungstrakt zugeordnet sowie als humora- le, metabolische und nervale Signale wirken (Abb. 9; LANGHANS 1989). Der Hypo- thalamus nimmt die Signalintegration vor, und als „feedback-Wirkung'' gelangt die Information zur Feinregulation von Mahlzeitgröße und -frequenz zurück (LANGHANS 1989).

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Abb. 9: Prinzipien der Regulation der Futteraufnahme (nach LANGHANS 1989)

Eine Vielzahl von summativen Einzelinformationen, die sich teilweise zusätzlich ge- genseitig beeinflussen, bestimmen die Höhe der täglichen Futteraufnahme (DULPHY u. DEMARQUILLY 1994; MERTENS 1994; FAVERDIN et al. 1995; FORBES 1995).

Meist wird zwischen kurzfristigen und langfristigen Kontrollmechanismen unterschie- den. Kurzfristig können sich z. B die ruminale Anflutung von kurzkettigen Fettsäuren, die Speichelproduktion und deren Einfluss auf den ruminalen pH-Wert oder auch physikalische Parameter wie das Pansenvolumen auf die Futteraufnahme auswirken.

Übergeordnet sind langzeitige Veränderungen, die sich als Folge der Aufrechterhal- tung des Energiestatus z. B in Abhängigkeit von der Milchleistung und der Zunahme an Körpermasse oder als Folge einer erlernten Präferenz für bestimmte Futtermittel ergeben. Diese Kontrollmechanismen der Futteraufnahme können im einzelnen wie- derum dem Futter, der Fütterungstechnik und dem jeweiligen Zustand des Tieres zugeordnet werden (PIATKOWSKI 1987). Der Strukturanteil der Ration spielt dabei eine zentrale Rolle für die Höhe der Futteraufnahme (Abb. 10); die Effekte Futter- struktur auf die Verdaulichkeit des Futters bzw. die Retentionszeit in Vormagen wer- den wiederum unmittelbar durch die Wiederkauaktivität bzw. Effektivität determiniert.

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Abb. 10: Einflussfaktoren auf die Futteraufnahme und Zusammenhänge zur Regu- lation der Futteraufnahme (PIATKOWSKI 1987)

Rassespezifische Unterschiede in der Grundfutteraufnahme zugunsten von Schwarzbunten gegenüber Red-Holstein x Rotbunt (HAFEZ et al. 1989) oder von Red Holstein x Fleckvieh gegenüber Fleckvieh oder Brown Swiss (GRUBER et al. 1991) wurden nachgewiesen; zwischen Holstein Friesian und dem Schwarz- bunten Milchrind waren keine Unterschiede in der Höhe der Futteraufnahme nachweisbar (SCHMIDT u. SCHÖNMUTH 1995).

2.6.1 Die peripartale Futteraufnahme der Milchkuh

Der Energiebedarf beeinflusst entscheidend die Verzehrshöhe der Milchkuh. Aller- dings ist diese Regulation übergeordnet und nur langfristig wirksam. So war keine Korrelation zwischen Futteraufnahme und Leistung bei Milchkühen nachweisbar, die 4 - 10 Wochen eine einheitliche Mischration erhielten (LINDNER et al. 1981). Dem- gegenüber konnte zwischen Grundfutteraufnahme und Milchmenge trotz leistungs- bezogener Kraftfutterversorgung eine signifikanter Korrelation (r = 0,34) ermittelt werden (SCHWARZ et al. 1996).

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Besondere Bedeutung hat die peripartale Futteraufnahme der Milchkuh. Die in den letzten Tagen vor der Geburt deutliche Reduzierung der Futteraufnahme dürfte weni- ger auf das infolge des Uterusvolumens eingeschränkte Pansenvolumen zurückzu- führen sein, sondern vielmehr auf dem verzehrsdepressiven Effekt der zunehmenden Östrogenkonzentration beruhen (KASKE u. GROTH 1997).

Trotz des infolge der einsetzenden Laktation hohen Energiebedarfs steigt die Futter- aufnahme erst allmählich an, um 6 – 10 Wochen post partum ein Plateau zu errei- chen. Viele hochleistende Milchkühe geraten dadurch in den ersten Wochen post partum in eine negative Energiebilanz. Noch immer herrscht Unklarheit über die kau- salen Faktoren. Sicher spielt jedoch für die postpartale Futteraufnahme neben der Rationsgestaltung (z. B. Grund - Kraftfutter - Verhältnis und Anteil pflanzlicher Ge- rüstsubstanzen) und der Qualität der Grundfutterkomponenten die Energieversor- gung der Milchkühe ante partum eine entscheidende Rolle. Kühe bei energetischer Überversorgung ante partum zeigen eine verringerte Futteraufnahme post partum (SCHWARZ et al. 1995). Stoffwechselmetabolite wie z. B. die im Zusammenhang mit einer massiven Lipolyse in hohen Konzentrationen anflutenden nicht-veresterten Fettsäuren (NEFA) werden als Einflussfaktoren diskutiert (SCHWARZ et al. 1995).

2.6.2 Die Bedeutung des Pansenvolumens für die Höhe der Futteraufnahme Grundsätzlich herrscht in der Literatur Einigkeit, dass die Aufnahme von Rauhfutter wesentlich auch durch das Pansenvolumen bzw. die Passagerate der Ingesta limitiert werden kann (z. B. VAN SOEST 1994; FORBES 1995). Begründet wird dieses Kon- zept durch den Nachweis von Dehnungs- und Mechanorezeptoren in der Wand des Retikulorumens (insbesondere im Bereich von Haube, Hauben-Pansen-Falte und Pansenvorhof (GROVUM 1986; LEEK 1986) und die Auswirkungen einer experimen- tellen Änderung des Vormagenvolumens auf die Futteraufnahme (z.B. CAMPLING u.

BALCH 1961; CARR u. JACOBSON 1967; GROVUM 1979; CRUICKSCHANK et al.

1987; ANIL et al. 1993). So führt das Einbringen von wassergefüllten Ballons in den Pansen von fistulierten Schafen und Rindern zu einer linearen Abnahme der Futter- aufnahme in Abhängigkeit vom Volumen der Ballons. bezieht man das Volumen der wassergefüllten Ballons auf das Volumen der Ingesta, das durch Zugabe der Ballons verdrängt wird, so wird deutlich, dass die Zugabe des Äquivalentes von 1 g Ingesta-

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TS zu einer Abnahme der Futteraufnahme um 0,59 g führt. Entsprechend der expe- rimentell abgeleiteten Bedeutung des Vormagenvolumens für die Futteraufnahme wurden u. a. französische und dänische Bewertungssysteme zur Futtermittelbewer- tung entwickelt, die darauf basieren, dass jedes Futtermittel pro kg TS ein bestimm- tes Volumen im Vormagen einnimmt ("fill unit system") und dadurch die Futterauf- nahme in unterschiedlichem Maß beeinflusst (z. B. HYPPÖLÄ u. HASUNEN 1970;

KRISTENSEN 1983; JARRIGE et al. 1986; INGVARSTEN 1994).

Die Futteraufnahmekapazität nimmt mit zunehmendem Reifegrad des Grobfutters ab, da das aufgenommene Futter aufgrund des zunehmenden Lignin- bzw. Struktur- anteils (MINSON 1990; VAN SOEST 1994) während des Fressens und Wiederkau- ens langsamer zerkleinert wird (MINSON 1990; VAN SOEST 1994) und die Futter- partikel länger im Retikulorumen retiniert werden (MINSON 1990). Die ruminale Pas- sagerate ist entscheidend von der Größe und Dichte der Futterpartikel abhängig, die wesentlich durch die Fress- und Wiederkaudauer beeinflusst werden (KASKE u. v.

ENGELHARDT 1987; KASKE et al. 1992). Verschiedene Autoren postulieren, dass die Aufnahme von Raufutter durch die Wiederkauaktivität limitiert werden kann (POPPI et al. 1985; KENNEDY u. MURPHY 1988; VAN SOEST 1994); andere Stu- dien sprechen dagegen (KASKE u. GROTH 1997).

Eine erhöhte Futteraufnahme ist entsprechend nur bei einer Verminderung des An- teils an Gerüstsubstanzen im Futter - und damit einer geringeren Füllung des Retiku- lorumens - möglich. Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Grundfutteraufnahme sind damit die Verdaulichkeit der organischen Masse des Grundfutters, der Energie- gehalt und der Anteil pflanzlicher Gerüstsubstanzen (Rohfaser) (MERTENS 1994;

FORBES 1995).

In der praktischen Fütterungspraxis wird zur Maximierung der TS-Aufnahme Struktur- futter durch Futtermittel mit hoher Verdaulichkeit (Kraftfutter) ersetzt.

2.7 Zusammenfassende Betrachtung der Literatur

Das Wiederkauen repräsentiert ein für Vertreter der Ruminantia typisches und essentielles Verhalten. Bei artgemäßer Ernährung mit zellulosereichen Futtermit- teln ermöglicht erst das Wiederkauen die für eine intensive mikrobielle Fermen- tation in den Vormägen notwendige Zerkleinerung der Ingestapartikel. Der mit

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dem Wiederkauen einhergehende, gegenüber der basalen Sekretion erhöhte Speichelfluss begünstigt den Ablauf von Durchmischungs- und Entmischungs- vorgängen der Ingesta im Retikulorumen, sichert ein den Bedürfnissen der Mik- roorganismen angepasstes ruminales Milieu und ermöglicht eine adäquate Pas- sagerate der Ingesta aus dem Vormagensystem in den Labmagen. Somit beein- flusst die Wiederkauaktivität wesentlich den Füllungsgrad des Retikulorumens.

Dieser wiederum ist – neben metabolischen Faktoren – eine wesentliche Deter- minante für die Höhe der täglichen Futteraufnahme („physikalischen Regulati- on“). Im Hinblick auf die insbesondere bei Hochleistungskühen angestrebte Ma- ximierung der Futteraufnahme überrascht es deshalb nicht, das den Einflussfak- toren auf die Wiederkauaktivität in der Literatur große Beachtung geschenkt wurde.

Die wichtigsten Faktoren, die die Wiederkaudauer pro Tag determinieren, sind die Höhe der Futteraufnahme, die Menge sowie der Anteil an Zellwandbestandteilen in der Ration und der Zerkleinerungsgrad des Rauhfutters. Die quantitative Bedeutung dieser Parameter für die Dauer des täglichen Wiederkauens wurde sowohl beim Rind als auch beim Schaf intensiv untersucht. Weitgehend unbeachtet blieben demge- genüber die tierspezifischen Einflussfaktoren auf die Wiederkauaktivität (d. h. die An- zahl der Kieferschläge während des Wiederkauens pro Tag). In mehreren Studien wurde lediglich darauf hingewiesen, dass die Dauer des täglichen Wiederkauens bei einer Ration mit konstanter Zusammensetzung sowohl intraindividuell von Tag zu Tag als auch interindividuell bei einem Vergleich mehrerer Tiere erheblich differiert.

Ein quantitativ für die Wiederkauaktivität mindestens ebenso wichtiger Parameter, nämlich die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens, blieb demgegenüber bislang praktisch unbeachtet. Von Schafen ist jedoch bekannt, dass sich die Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkauens zwischen verschiedenen Individuen bei einheitlicher Fütterung erheblich unterscheidet (VKinter

12 – 20 %) und zusätzlich durch die Höhe der Futteraufnahme signifikant beeinflusst wird, andererseits aber intraindividuell nur wenig variiert (VKintra 2 - 4 %). Damit erscheint die methodisch sehr einfach erfassbare Frequenz der Kieferschläge als ein potentiell wertvoller Parameter für die Einschätzung der Wiederkauaktivität.

Zusätzlich könnte eine Beurteilung der Frequenz der Kieferschläge hilfreich sein, um besonders effektiv wiederkauende Tiere zu identifizieren.

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Aufgrund der gegenwärtig fehlenden Referenzwerte im Hinblick auf die inter- und intraindividuelle Variabilität der Frequenz der Kieferschläge während des Wiederkau- ens war es das Ziel der vorliegenden Arbeit, diesen für die Einschätzung des Wie- derkauverhaltens offenbar wichtigen Parameter für Milchkühe näher zu charakterisie- ren. Zusätzlich wurde der Einfluss der Ration auf die Frequenz der Kieferschläge ge- prüft und evaluiert, ob das Wiederkauverhalten bzgl. der Frequenz der Kieferschläge mit der Geschwindigkeit der Aufnahme an Grundfutter bzw. der Höhe der täglichen Grundfutteraufnahme korreliert.

Referenzen

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