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Adolf Schlatter Das Verhältnis von Theologie und Philosophie II

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Adolf Schlatter

Das Verhältnis von Theologie und Philosophie II

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Manfred Seitz (1928–2017),

dem wegweisenden Theologen und Seelsorger zum bleibenden Gedenken

(4)

Das Verhältnis von

Theologie und Philosophie II

Adolf Schlatter

Die Berner Vorlesung (1883):

Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis

Calwer Verlag Stuttgart

Im Auftrag der Adolf-Schlatter-Stiftung herausgegeben von Harald Seubert

und Werner Neuer

Unveröffentlichte Manuskripte Band 3

(5)

ISBN 978–3–7668–4497–2

© 2019 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten.

Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags.

Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlaggestaltung: Karin Class, Calwer Verlag

Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii –

05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de Internet: www.calwer.com

E-mail: info@calwer.com

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Adolf-Schlatter-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4499–6

(6)

Inhalt

I. Theologische Einführung (Werner Neuer) . . . 7

II. Philosophische Einführung (Harald Seubert) . . . . 27

Danksagung der Herausgeber . . . 63

Zu den editorischen Grundsätzen . . . 64

Adolf Schlatter: Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis Berner Vorlesung im Sommersemester 1883 . . . 67

§ 1 Die Begrenzung der Aufgabe. . . 69

§ 2 Das Erklennen . . . 71

§ 3 Die Beziehung des Erkennens auf Gott. . . 82

§ 4 Der Begriff der Erkenntnis Gottes . . . 89

§ 5 Kritik der traditionellen Gottesbeweise . . . 91

§ 6 Überblick über einige andre theologische Standpunkte. . . 101

1. Das kantische Verbot der Theologie . . . 101

2. Der scholastische Standpunkt . . . 104

3. Rothes Definition der spekulativen Theologie . . . 112

4. [Schleiermachers dogmatischer Ansatz] . . . 119

5. Der Biblizismus . . . 126

§ 7 Glaube und Erkenntnis . . . 130

§ 8 Das Zeugnis Gottes in der Natur . . . 136

a) Die Natur als die Manifestation der Kraft . . . 136

b) Die Natur als Manifestation der Unendlichkeit . . . . 141

c) Die Natur als Manifestation der Intelligenz . . . 142

d) Die Konstanz in der Natur . . . 146

e) Die Natur als Manifestation des Willens . . . 148

(7)

f) Die Natur als Manifestation der Güte . . . 151

g) Die der Natur entnommenen Gegeninstanzen gegen das Dasein Gottes . . . 152

§ 9 Das Gotteszeugnis im geistigen Leben . . . 156

a) Das Gewissen nach seinem formalen Verlauf . . . 158

b) Der Inhalt des Gewissens . . . 164

c) Das Erkennen . . . 171

d) Die Religionen als nach Gott suchendes Streben . . . 174

§ 10 Die Selbstbezeugung Gottes in der Prophetie Israels und in Christus . . . 182

a) Ergebnis der Geschichte Israels . . . 182

b) Die Genesis der alttestamentlichen Religion . . . 194

c) Das Gotteszeugnis in Christo . . . 205

d) Die Stellung der Apostel zu Gott . . . 219

§ 11 Das Gotteszeugnis durch die Schrift . . . 223

a) Das Verhältnis der Schrift zum Wort . . . 223

b) Der göttlich-menschliche Charakter des Schriftwortes . . . 225

c) Die Grenzen des Kanons . . . 234

d) Autorität und Infallibilität der Schrift . . . 240

Anhang Adolf Schlatter – Habilitationsvorlesung zum Zusammenhang von Dogma und Geschichte . . . 249

Personenregister . . . 259

Sachregister. . . 262

Bibelstellenregister. . . 264

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Werner Neuer

I. Theologische Einführung

Die Vorlesung Adolf Schlatters (1852–1938)1 »Wesen und Quel- len der Gotteserkenntnis« lag bislang als unveröffentlichtes hand- schriftliches Manuskript im Stuttgarter Schlatter-Archiv [Nr. 191].

Schlatter hatte sie im Sommersemester 1883 als junger Privatdozent in Bern gehalten. Vertieft man sich in ihren Inhalt, so stößt man auf eine Darlegung, die über viele Seiten hinweg (vor allem in den Paragraphen 2 und 5, 8 und 9) philosophische Sachverhalte erörtert und diese auf dem Hintergrund der klassischen griechischen und der neuzeitlichen Philosophie einer detaillierten und tief schürfen- den Analyse unterzieht. Wüsste man nichts Näheres über Verfas- ser und Kontext könnte man in den genannten Paragraphen ohne Weiteres auf den Gedanken kommen, hier ein überwiegend philo- sophisches Werk vor sich zu haben. Dass es sich um die Abhandlung eines Theologen (noch dazu eines Dozenten für Neues Testament und Dogmengeschichte!) handelt, würde ein nicht informierter Le- ser nicht unbedingt vermuten, obwohl dort gelegentliche Hinweise auf Bibelstellen vorkommen. Aber diese Verweise sind in der Regel nicht Ausgangspunkt einer Begründung oder Beweisführung, son- dern eine vom Duktus der Darstellung her nicht unbedingt erfor- derliche zusätzliche Bestätigung der vorgetragenen empirischen und systematischen Überlegungen. Allerdings machen der einführende Paragraph 1, die Paragraphen 2 und 4, 6 und 7 und die beiden letzten Paragraphen dann doch deutlich, dass es sich um eine theo- logische Vorlesung handelt.

1 Zu Leben und Werk Schlatters vgl. meine umfangreiche Biographie:

Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, Stuttgart 1996.

(9)

Dass Schlatter in einer theologischen Darlegung so stark die Philosophie einbezieht, könnte den Verdacht wecken, er sei der Gefahr jener von Karl Barth im Vorwort zu seiner letzten Vorlesung kritisierten Mixophilosophicotheologia erlegen, die auf einer unsach- gemäßen Verquickung von Theologie und Philosophie beruht, die weder einer offenbarungsorientierten Theologie gerecht wird noch einer Philosophie, die bewusst auf jedwede Offenbarung verzich- tet.2 Dieser Verdacht wird aber nicht nur durch die sieben bereits genannten eindeutig theologischen Paragraphen widerlegt, sondern auch durch den Gedankengang der anderen Kapitel, deren innere Orientierung an der biblischen Offenbarung immerhin an den ge- legentlichen Verweisen auf Bibelstellen unübersehbar ist:

Schon das erste Kapitel macht unmissverständlich deutlich, dass Schlatters Vorlesung die Gottesfrage im Unterschied zur Philosophie auf der Basis der »Theologie als Wissenschaft von Gott« zu beant- worten sucht (M 1f., Hervorhebung W.N.). Allerdings setzt sie die Gewissheit einer dem christlichen Glauben zugrundeliegenden er- kennbaren Offenbarung nicht einfach thetisch voraus, sondern stellt sich dem in der neuzeitlichen Philosophie verbreiteten »Zweifel, ob Theologie überhaupt möglich sei« (ebd.). Aufgrund dieser keineswegs nur philosophischen, sondern zugleich fundamentaltheologischen Fra- ge nach Bedingung und Möglichkeit von Theologie überhaupt ord- net Schlatter die Vorlesung der »systematischen Theologie im Unter- schied von der historischen« zu (ebd., Hervorhebung W.N.). Darüber hinaus rechnet Schlatter sein Kolleg aufgrund seines »vorbereitenden und darum grundlegenden Charakter[s]« der »theologische[n] Prin- cipienlehre« bzw. »Fundamentalwissenschaft« zu, also dem Bereich, der heute in der evangelischen Theologie meist als »Prolegomena« zur Dogmatik bezeichnet wird. Vollends deutlich wird der theologische Charakter der Vorlesung jedem Leser in den Kapiteln 1, 3 und 4,

2 Vgl. Karl Barth: Einführung in die evangelische Theologie, (Zürich 1962) München und Hamburg 1968, 8. Der Ausdruck Mixophiloso- phicotheologia stammt von dem orthodoxen lutherischen Theologen und Philosophen Abraham Calov (1612–1686).

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6 und 7 und in den beiden letzten Kapiteln (10, 11), die quantita- tiv weit über 50 % der Vorlesung ausmachen. Gerade diese letzten Paragraphen, welche »Die Selbstbezeugung Gottes in der Prophetie Israels und in Christus« (§ 10) bzw. »Das Gotteszeugnis durch die Schrift« (§ 11) behandeln, erörtern in sehr komprimierter Form die Erkenntnisgrundlage einer biblisch-heilsgeschichtlichen Theologie und lassen nicht den geringsten Zweifel am theologischen Charakter der Vorlesung zu. Gleichwohl ist die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der Ausführungen aus weitgehend philosophischen Erörterungen be- steht, für eine evangelisch-theologische Vorlesung ungewöhnlich und macht die Originalität, Besonderheit und Kühnheit von Schlatters Kolleg aus. Die vorliegende Edition trägt dieser Eigenart Rechnung, indem mein Kollege Harald Seubert als Philosoph durch eine eigene philosophische Einführung (II.) und durch eine ausführliche, von mir nur ergänzte Kommentierung in den Fußnoten einen wesentlichen Bei- trag zum Verständnis dieser Vorlesung leistet. Ich bin Harald Seubert dankbar, dass er darüber hinaus nicht nur (auch aus philosophischen Gründen!) den entscheidenden Anstoß zur Herausgabe dieser bislang noch nicht publizierten Vorlesung des jungen Schlatter gab, sondern auch die maßgebliche Vorarbeit zur gemeinsam verantworteten Tran- skription geleistet hat.

Um das hiermit der Öffentlichkeit präsentierte, in vieler Hin- sicht ungewöhnliche Werk Schlatters theologisch besser einordnen und nachvollziehen zu können, möchte ich im Folgenden einige Hinweise zum adäquaten Verständnis dieser Vorlesung geben:

1. Die Voraussetzung der Vorlesung:

Schlatters Berner Habilitationsrede

Ein wesentlicher Schlüssel zu ihrem Verstehen ist seine am 6. Mai 1881 in Bern gehaltene Habilitationsrede. Denn sie legt die kon- zeptionellen Grundlagen offen, die für die gesamte akademische

(11)

Lehrtätigkeit nicht nur des jungen Privatdozenten, sondern auch des späteren Theologen Schlatter gelten. Besonders aber trifft dies für die Vorlesung »Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis« zu. Auf- grund ihrer fundamentalen theologischen Bedeutung für Schlatters gesamtes exegetisches und systematisches Werk wurde die Habili- tationsrede diesem Buch im Anhang beigefügt, zumal sie bislang gleichfalls noch unveröffentlicht ist. Denn diese als programma- tisch anzusehende Rede erörterte ganz grundsätzlich die Grundla- gen theologischer Wahrheitserkenntnis und damit einen wesentlichen Teil jener Thematik, die Schlatter dann erheblich ausführlicher in der Vorlesung »Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis« konkret zu entfalten suchte.

Schon in seiner ersten Berner Vorlesung »Ausgewählte Abschnitte aus der alttestamentlichen Theologie« [1881] hatte Schlatter heraus- gearbeitet, dass die dem christlichen Glauben zugrunde liegende Wahrheit trotz ihrer universalen (und insofern übergeschichtli- chen!) Geltung ganz auf der geschichtlichen Offenbarung Gottes be- ruht: »An sich freilich ist die Wahrheit das Ungewordene und Un- veränderliche, das Übergeschichtliche, Ewige. Doch dies nur, sofern sie Inhalt des göttlichen Seins und Denkens ist. Als in menschliches Sein und Bewusstsein eingehend gewinnt sie eine Geschichte.«3

In seiner wenige Monate später gehaltenen Habilitationsrede nutzte Schlatter dann die Gelegenheit, »die Beziehungen der Ge- schichte zur Gotteserkenntnis«4 näher darzulegen: In dieser Rede betonte Schlatter mit großer Entschiedenheit, dass alle Theologie auf »Empirie« beruhe, d.h. auf »der realen Wechselwirkung zwi- schen dem Seienden und dem Geiste«, die sich in realitätskonfor- men »Wahrnehmungen« dokumentiere: »Nur was zuerst Moment unsres Lebens ist, kann Moment unsres Denkens werden« (7f.).

Insofern ist diese Vorlesung ein eindrucksvolles programmatisches Plädoyer für das von Schlatter lebenslang vertretene Konzept einer 3 Ausgewählte Abschnitte aus der alttestamentlichen Theologie 1f. [Nr.

190] (Hervorhebung W.N.).

4 Brief an seine Schwester Christine, 15.5.1881 [Nr. 464/1].

(12)

»empirischen Theologie« bzw. einer »Theologie der Tatsachen«.5 Diese prinzipielle Voraussetzung präzisierte Schlatter dahingehend, dass die christliche Theologie auf »bestimmten geschichtlichen Tat- sachen«, nämlich der »historische[n] Gestalt Jesu« – und damit auf der Geschichte – beruhe (1):6 »Im historischen Elemente liegt die produktive Kraft, welche … den gesamten Prozess christliche[r]

Gedankenbildung hervorgerufen hat« (ebd. 2). Die ganze christli- che Dogmengeschichte sei trotz aller manchmal gewagten Spekula- tion »dominirt von der Geschichte«. Maßstab für alle dogmenhisto- rische Begrifflichkeit sei stets das geschichtliche »Faktum« gewesen (ebd. 4f.).

Schlatter grenzt seinen konsequent an beobachtbaren Tatsachen orientierten »empirischen« Ansatz in der Rede zugleich konse- quent ab von der Begründung der Theologie auf eine geschichtslose

»Mystik« oder auf die im damaligen Protestantismus beliebte gleich- falls geschichtslose Theologie des »christlichen Bewusstseins«:

Theologisches »Wissen und Wahrheit« kann es nach seiner theolo- gischen, aber auch philosophischen Überzeugung einzig und allein durch die in der Empirie wahrnehmbare Wirksamkeit Gottes geben (ebd. 12)!

In seiner Berner Antrittsvorlesung hat Schlatter den ihm eige- nen Ansatz einer ganz in der Geschichte und in der erfahrbaren Wirklichkeit begründeten Theologie scharf und deutlich markiert.

Er vollzog damit nicht nur eine Abgrenzung von den Strömungen der rationalistischen, liberalen und vermittelnden Theologie seines 5 Adolf Schlatter, Briefe über das christliche Dogma, Stuttgart 21978, vgl. dazu meine Dissertation Der Zusammenhang von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter, Giessen/Basel 1986, 26–28 und mei- ne Schlatter-Biographie, aaO 160f. (s.o. Anm. 1). Zum systematisch- theologischen Recht und zur Grenze einer »empirischen Theologie«

vgl. Werner Neuer, Art. »Empirische Theologie«, in: ELThG I. 22017, 1655–1658.

6 Schlatter unterscheidet – im Unterschied zu vielen Vertretern der neueren Theologie – bewusst nicht zwischen »Historie« und »Ge- schichte«.

(13)

Jahrhunderts, sondern auch von den unter biblizistischen, konfessio- nalistischen oder (von Schleiermacher beeinflussten) subjektivisti- schen Voraussetzungen stehenden Spielarten der zeitgenössischen positiven Theologie: In seiner zukünftigen theologischen Arbeit versuchte Schlatter ein eigenes Konzept einer »positiven Theolo- gie« zu entfalten, das sich zwar auch an Schrift und Bekenntnis orientierte, vor allem aber auf jene in der Habilitationsrede pro- grammatisch anvisierte »Theologie der Tatsachen« zielte. Diese war eindeutig biblisch, aber nicht biblizistisch, sie sah sich dem refor- matorischen Erbe mit seiner Christozentrik verpflichtet, war aber nicht konfessionalistisch, und sie fand ihre Erkenntnisgrundlagen nicht subjektivistisch im »frommen Bewusstsein«, sondern in der das Bewusstsein transzendierenden objektiven Realität von (Heils-) Geschichte und Schöpfung.

2. Die Vorlesung als Konkretisierung einer »empirischen Theologie«

Schlatters Kolleg »Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis« (Som- mersemester 1883)war für ihn eine willkommene Gelegenheit, sei- ne Konzeption einer »empirischen Theologie« zwei Jahre später sy- stematisch-theologisch zu konkretisieren und näher zu begründen.

Wie in der Habilitationsrede, so ging er auch hier von der Prämisse aus: »Die Grundform alles Erkennens ist Empirie. So ruht alles Erkennen in einem Wesensverhältnis zwischen dem Ich und dem Seienden, in einem lebendigen Verband zwischen beiden. Das Prius alles Erkennens ist ein Realkontakt, ein Wesensverband zwischen der erkennenden Seele und dem erkannten Gegenstand« (M  3).

Wie schon in der Habilitationsrede setzte Schlatters Vorlesung den klassischen Wahrheitsbegriff (im Sinne des erkenntnistheoretischen Realismus) voraus: Wahrheit ist für ihn »Kongruenz unsrer Gedan- ken mit dem Seienden« (ebd.). Während er in § 2 unter Rückgriff

(14)

auf die Philosophiegeschichte das Erkennen wie in der Rede auf die

»Wahrnehmung« gründet, sucht er jetzt die Erkenntnis im Sinne einer empirisch begründeten Erkenntnislehre als Dreischritt von

»Wahrnehmung«, »Analyse« und »Synthesis« zu entfalten. Bei der Skizzierung der Grundlagen der Gotteserkenntnis (§ 3) ist Schlatter allerdings genötigt, die prinzipiellen Grenzen einer rein empirischen Vorgehensweise aufzuzeigen, indem er zwei naheliegende Einwände erörtert:

Einerseits stellt er klar: »Unmittelbare Wahrnehmung Gottes haben wir nicht.« Empirische Gotteserkenntnis kann es also nur geben durch mittelbare, d.h. durch Empirie vermittelte Wahrneh- mung: »Alles, was wir von Gott aussagen können, ist uns durch die Welt vermittelt« (ebd. 13). Da die geschöpfliche Welt als ganze Gottes Werk ist, gilt daher, dass »wir Gott nur aus seinen Werken«

kennen (ebd. 15). Aufgrund der Geschöpflichkeit der Welt haben wir deshalb »kein Recht«, »von vornherein irgendein Gebiet der er- fahrbaren Welt auszuschließen als unfähig, uns Erkenntnis Gottes zu vermitteln« (ebd.).

Andererseits haben wir nach Schlatter kein Recht zu postulieren,

»dass jedes Ding und Ereignis der Welt in selbiger Deutlichkeit und Vollständigkeit Zeuge Gottes an uns sei« (ebd. 16). Die prin- zipielle Universalität der Erkennbarkeit Gottes muss daher faktisch eingeschränkt werden auf jene Werke Gottes, wo wir ihn »in sei- nem Handeln an uns und für uns« erfahren können (ebd. 16).

Entscheidend für die Möglichkeit empirischer Gotteserkenntnis ist allerdings nach Schlatter nicht ein dem Menschen eigenes »natür- liches« Erkenntnisvermögen, sondern die »Selbstbezeugung« Gottes, wie sie vor allem in der biblischen »Offenbarung«, aber auch in der Schöpfung vorliegt!7 Daher wird im vorletzten Paragraphen zunächst die (im Alten Testament dokumentierte) Geschichte Israels und dann vor allem die (neutestamentlich bezeugte) Geschichte Jesu 7 Schlatter gebraucht den Begriff »Selbstbezeugung« in der Vorlesung zweimal, häufiger dagegen die Begriffe »Selbstzeugnis« (9 mal) und am häufigsten die Begriffe »Offenbarung« und »offenbaren« (41 mal).

(15)

Christi erörtert, da in dieser nach Schlatters Überzeugung Gottes Selbstmitteilung am unmittelbarsten und insofern auch am deut- lichsten erkennbar ist: »die Offenbarung Gottes … geschieht nicht nur durch ihn, er ist sie« (ebd. 156, Hervorhebung W.N.). Schlatter schließt im letzten Kapitel mit der Bibel (§ 10), weil diese beide geschichtlichen Selbstbekundungen Gottes in ihr dokumentiert und ausschließlich durch sie erkennbar sind.

Fundamentaltheologisch ausschlaggebend für das Verständnis von Schlatters Konzeption ist an dieser Stelle die Einsicht, dass empirische Erkenntnis und Gottes Offenbarung keine sich aus- schließenden Gegensätze sind! Was zunächst nur als menschlich- vernünftige Erkenntnis einer speziellen religiösen Geschichte erscheint, erweist sich bei tieferer Betrachtung zugleich als Selbstkundgebung Gottes, der sich auf diese Weise dem Menschen als seinem Geschöpf zu erkennen gibt! Schlatter beruft sich in diesem entscheidenden Punkt ausdrücklich auf Röm 1,19f., wo Paulus die menschliche Vernunft ausdrücklich als Adressaten dieser Selbstbezeugung Gottes hervor- hebe: Paulus leite den »natürlichen Erkenntnisbesitz des Menschen

… aus den Werken Gottes ab und zwar durch Vermittlung des noein, d.h. vernünftiger Überlegung« (ebd. 18).

3. Die Vorlesung als konkrete Aktualisierung der kirchlichen Lehre von der Schöpfungsoffenbarung

Schlatter versteht in seiner Berner Vorlesung die sog. »natürliche Got- teserkenntnis« im Lichte der Heiligen Schrift strikt offenbarungstheo- logisch: Die dem Menschen geschenkte cognitio naturalis ist nach Schlatter zugleich theologia naturalis, weil sich in der »natürlich- vernünftigen« Erkenntnis faktisch Gottes Selbstoffenbarung ereignet, der dem Menschen auch als Sünder sein Dasein und seine Werke kund tut! Schlatter vertritt hier die alte kirchlich-theologische Lehre von der Schöpfungsoffenbarung bzw. revelatio generalis (oft auch

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– missverständlich – als theologia naturalis bezeichnet), welche die Kirche der Sache nach seit der apostolischen Zeit unter Berufung auf Röm 1,19f. u.a. vertreten hat.8 Diese Theologie der Schöpfungsoffen- barung verankerte alle sog. »natürliche« Gotteserkenntnis nicht (wie der Begriff nahelegen könnte) in einem offenbarungslosen »natürli- chen« Erkenntnisvermögen des Menschen, sondern in der Selbstmit- teilung Gottes. Wilhelm Lütgert (1867–1938), der wohl kongenialste spätere Schüler Adolf Schlatters, hat diese Einsicht 50 Jahre später (1934) in dem prägnanten Satz zusammengefasst: »Alle Erkenntnis Gottes beruht auf einer Selbstmitteilung Gottes. Wir erheben uns nicht zu Gott, wenn Gott sich nicht zu uns herabläßt.«9

Diese Feststellungen haben axiomatischen Charakter und sind wichtig, um die in der Bibel begründete kirchliche Lehre richtig zu verstehen und zu interpretieren. Sie zeigen nämlich klar, dass die Lehre von der Schöpfungsoffenbarung hat also nicht – wie es im 20.

Jahrhundert vor allem Karl Barth unterstellte10 – der »natürlichen«

Vernunft einen eigenmächtigen Zugriff zu Gott (an dessen Offen- barung vorbei) zugeschrieben, der Gott zum bloßen Objekt mensch- lichen Erkennens machen würde, sondern Gottes absolut souveräne Selbstoffenbarung voraussetzt, welche die Vernunft zum Objekt ihres Handelns macht. Der Erlanger lutherische Dogmatiker Paul Althaus (1888–1966), ein anderer später berühmt gewordener Schüler Schlat- ters, hat diesen Sachverhalt in die gleichfalls prägnante Formulierung gefasst: »Nicht unsere Vernunft ist der Offenbarung mächtig, aber die Offenbarung ist unserer Vernunft mächtig.«11

8 Vgl. dazu Paul Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dog- matik, Gütersloh 81972, 51–56.

9 Wilhelm Lütgert, Schöpfung und Offenbarung, Gießen/Basel, (1934)

21984, 136. Die lutherische Orthodoxie war sich immer bewusst, dass Gott der Urheber aller (auch der sog. »natürlichen«) Gotteserkenntnis ist. Vgl. dazu Carl Heinz Ratschow, Gott existiert. Eine dogmatische Studie, Berlin 1966, 30–36.

10 Vgl. Karl Barth, KD 1,142ff., 148ff.

11 P. Althaus, aaO 34 (s.o. Anm. 8).

(17)

Schlatter hat sich in seiner Vorlesung also – wenn auch in einer sehr eigenständigen, keineswegs »traditionalistischen« Weise – in eine alte biblisch-kirchliche Lehrtradition hineingestellt, die zu je- nem Zeitpunkt zumindest von solchen Dogmatikern noch akzeptiert werden konnte und auch vertreten wurde, die sich an der Schrift und der kirchlichen Tradition auszurichten suchten. Dies gilt zum Beispiel für den leider zu Unrecht vergessenen Leipziger lutherischen Dogmatiker Christoph Ernst Luthardt (1823–1902), der in seinem damals weit verbreiteten »Kompendium der Dogmatik« (1882) ein Jahr vor Schlatters Vorlesung ähnlich pointiert wie dieser sein Ka- pitel über die »natürliche Gottesoffenbarung« mit der jedes Missver- ständnis ausschließenden Feststellung begonnen hatte: »Alles Wissen von Gott ruht auf Offenbarung.« Denn Wissen von Gott habe stets

»zur Voraussetzung, dass Gott … aus s[einem] In und für sich Sein herausgetreten« ist.12 Diese sich auf Röm 1,19f. u.a. stützende Tradi- tion einer revelatio generalis (oder manifestatio naturalis) wurde in der Theologiegeschichte und in der Geschichte der Naturwissenschaft über viele Jahrhunderte hinweg als doppelte Offenbarung Gottes im »Buch der Schrift« und im »Buch der Natur« verstanden, die beide inhaltlich übereinstimmen, auch wenn die Offenbarungsweise der beiden Bücher unterschiedlich ist.13 Diese Sicht war geeignet, die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft im christlichen Europa zu fördern, so dass sich Theologie und Naturwissenschaft bis ins 19. Jahrhundert hinein meist nicht als Konkurrenten, sondern als sich gegenseitig befruchtende Ergänzung verstanden.14 Erst im 12 Christoph Ernst Luthardt, Kompendium der Dogmatik. Leipzig

61882, 74. Vgl. auch ders., wenig später in: Die christliche Glaubens- lehre gemeinverständlich dargestellt, 1898 (= 21906), 94: »Alle Got- teserkenntnis ruht auf Gottesoffenbarung. Denn von uns selbst aus finden wir Gott nicht; nur durch Gott selbst wissen wir von ihm.«

13 Vgl. dazu die instruktive Abhandlung von Fritz Büsser: Das Buch der Natur. Grosse Theologen über Schöpfung und Natur, Stäfa 1990, die diese Tradition anhand zahlreicher Texte von Theologen und Naturwis- senschaftlern bis ins 20. Jahrhundert hinein eindrucksvoll dokumentiert.

14 Die gewiss beklagenswerte, aber oft falsch interpretierte Verurtei-

(18)

20. Jahrhundert wurde die biblisch wohl begründete und kirchlich anerkannte Lehre von der Schöpfungsoffenbarung im Protestantis- mus aufgrund der Dialektischen Theologie Karl Barths grundsätzlich problematisiert und infrage gestellt15 (s.o.).

4. Die Vorlesung als Synthese von biblischer Schöpfungs- offenbarung und moderner Naturwissenschaft

Dennoch war es schon im ausgehenden 19. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich, dass Schlatter in seiner Vorlesung noch an der traditionellen Sicht der Schöpfungsoffenbarung festhielt, ja sogar die seit Kant scheinbar widerlegte Tradition der Gottesbeweise in eigenständiger, aber grundsätzlich positiver Weise aufgriff (s.u.

§ 5). Denn im Gefolge von Kants These einer prinzipiellen Uner- kennbarkeit Gottes aus der Empirie schien Schlatters Konzept einer empirischen Theologie philosophisch wie theologisch gleichermaßen fragwürdig zu sein. Erst recht gilt dies für seine durchaus kritisch reflektierte Bejahung der Tradition der Gottesbeweise, die bekannt- lich auch von der reformatorischen Theologie der Sache nach nie verworfen wurde und seit Melanchthon16 auch im Protestantismus vor Kant durchaus Anerkennung fand.

Ähnlich gewagt und problematisch schien Schlatters prinzipielle Bejahung der überlieferten Lehre von der Schöpfungsoffenbarung,

lung Galileis durch die römisch-katholische Kirche (vgl. dazu Carl Friedrich von Weizsäcker, Die Tragweite der Wissenschaft, Stuttgart

61990, 96–117) ist für die jahrhundertelang von der Christenheit ak- zeptierte und von vielen christlichen Naturwissenschaftlern sogar we- sentlich mitgestaltete naturwissenschaftliche Forschung nicht typisch (man denke nur an Bacon, Kepler, Newton und Leibniz)!

15 Vgl. dazu P. Althaus, aaO 51–61 (s.o. Anm. 11).

16 Vgl. dazu Günter Frank: Die theologische Philosophie Philipp Me- lanchthons (1497–1560), Leipzig 1595, 183–339.

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zumal die Jahrhunderte alte, lange Zeit unangefochtene Annah- me einer Übereinstimmung von Naturwissenschaft und christlicher Schöpfungstheologie schließlich noch aus einem ganz anderen Ge- sichtspunkt: gerade zum Zeitpunkt der Vorlesung fraglich oder sogar scheinbar unhaltbar zu werden drohte: Denn ein Jahr davor war der international berühmte Biologe Charles Darwin (1809–1882) verstor- ben und in der Westminster Abbey ehrenvoll begraben worden, der vor allem durch seine Publikationen »Die Entstehung der Arten« (1859) und »Die Abstammung des Menschen« (1871) eine epochale Wende in den zeitgenössischen Naturwissenschaften herbeigeführt hatte. Der durch Darwin ausgelöste Paradigmenwechsel hatte nämlich zur Folge, dass viele damalige Naturwissenschaftler (und maßgebliche Teile der Gesellschaft) den biblischen Bericht von der speziellen Erschaffung des Menschen durch Gott in Frage stellten und dadurch auch die bislang allgemein vertretene Überzeugung von der absoluten Sonderstellung des Menschen gegenüber der Tierwelt zweifelhaft wurde.17 Nur wenige Jahre später (1899) publizierte der deutsche Biologe und glühende An- hänger Darwins Ernst Haeckel sein in viele Sprachen übersetztes Buch

»Welträtsel«, das enorm zur Verbreitung der Evolutionslehre Darwins beitrug und der biblischen Offenbarung eine scheinbar durch Darwins Erkenntnisse begründete18 materialistisch-pantheistische »monistische

17 Vgl. zur noch immer tiefgreifenden Wirkungsgeschichte Darwins die Darstellung des bekannten Wissenschaftshistorikers Ernst Peter Fi- scher: Gott und der Urknall. Religion und Wissenschaft im Wechsel- spiel der Geschichte, Freiburg i.Br. 2017, 179–210.

18 Dass man freilich zwischen der Auffassung Darwins und der Weltan- schauung des Darwinismus erheblich unterscheiden muss, ist histo- risch gesichert und muss wissenschaftshistorisch beachtet werden. Vgl.

dazu Hans Kessler, Kein Atheist: Wie Darwin zu Religion und Schöp- fungsglauben stand, in: tabularasa. Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken, (Ausgabe 39/Januar 2010) und John Hedley Brooke, Charles Darwin über die Religion, April 2013 (in: https://www. theologie- naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/darwin-ueber-die- religion.html). Zum Streit um den Darwinismus als naturwissen- schaftliche Theorie und als Weltanschauung vgl. zusammenfassend;

(20)

Religion« entgegenzusetzen suchte. Haeckels »Welträtsel« wurde »von London bis San Franzisko und Sidney« eines der am meisten gelesenen Sachbücher der damaligen Zeit.19 Auch Schlatter nahm die damalige Entwicklung des Naturbildes von Darwin bis Haeckel aufmerksam zur Kenntnis, wies aber den evolutiven Monismus Haeckels schon am Anfang seiner Tübinger Lehrtätigkeit wegen seiner »die Grenzen der Beobachtung weit überschreite[nden]« »spekulative[n] Kühnheit« als unseriös und unhaltbar zurück.20

Bedenkt man die skizzierte geistesgeschichtliche Situation, war es jedenfalls alles andere als selbstverständlich, dass Schlatter in seiner Berner Vorlesung nicht nur an der jahrhundertelang üblichen theologischen Übereinstimmung von Glaube und Naturwissen- schaft festhielt, sondern diese sogar mit originellen theologischen und philosophischen Argumenten geistreich und durchaus offensiv zu verteidigen und zugleich zu vertiefen suchte: Dass sich Schlatters Vorlesung um den Nachweis bemühte, dass sich das christliche Ver- ständnis der Welt und des Menschen als Schöpfung Gottes und die naturwissenschaftliche Sicht in keiner Weise widersprechen müs- sten, solange die Naturwissenschaft frei bleibe von unsachgemäßen weltanschaulichen Überinterpretationen, war angesichts der dama- ligen Lage durchaus eine Herausforde-rung an die Hörer, zumal die evangelische Theologie im 19. Jahrhundert – im Unterschied zu Schlatter und nicht repräsentativen Außenseitern wie Luthardt – den Bereich der Natur weitgehend den Naturwissenschaften oder der spekulativen Philosophie überließ. Schlatter sah sich demge- genüber aus biblisch-theologischen Gründen, aber auch aus Grün- den einer auf beobachtbaren Tatsachen beruhenden Naturphilosophie genötigt, einem weltanschaulich überhöhten Darwinismus ebenso

Thomas Kirchhoff, Nicole C. Karafyllis u.a., Naturphilosophie. Ein Lehr- und Studienbuch, Tübingen 2017, 68ff.

19 Vgl. Ernst Haeckel: Die Welträtsel. Mit einer Einleitung von Iring Fetscher, Stuttgart 1984, V.

20 Vgl. Adolf Schlatter: Die philosophische Arbeit seit Cartesius, Ihr ethischer und religiöser Ertrag, Stuttgart 31923 (= Gießen 51981), 279.

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zu widersprechen wie dem sich damals ebenfalls verbreitenden Na- turalismus, da dieser die Gottesfrage nicht nur methodisch, sondern auch prinzipiell ausblendete, so dass eine atheistische Naturbetrach- tung zur unvermeidlichen Konsequenz wurde.

Die vorliegende Vorlesung macht auf eindrucksvolle Weise deut- lich, wie Schlatter mit beachtlichem Scharfsinn und bedenkenswer- ten Argumenten aufzuzeigen suchte, dass Menschsein und Natur nicht aus sich selbst heraus, sondern erst unter der Voraussetzung eines Schöpfergottes hinreichend verstanden werden können, so dass die gesamte kreatürliche Realität das menschliche Denken trotz der naturwissenschaftlichen Fortschritte noch immer unausweichlich vor die Wirklichkeit Gottes des Schöpfers stellt. Dass Schlatters Argu- mentation dabei auch einen in der Sicht heutiger Forschung z.T. über- holten Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis widerspiegelt, ist nach über 130 Jahren nicht verwunderlich. Eher überraschend ist die Tatsache, dass viele seiner theologischen und naturphilosophischen Einsichten (z.B. seine Verdeutlichung der erstaunlichen Intelligibi- lität der Natur,21 ihrer verblüffenden mathematisch beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten,22 ihrer in der organischen Welt unübersehbaren teleologischen Strukturen,23 ihrer qualitativen ontologischen Stufen- ordnung24) durch neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse25 oder

21 Vgl. dazu die Bücher der berühmten britischen Mathematiker Ro- ger Penrose, Der Weg zur Wirklichkeit, Heidelberg 2010 und John Lennox, Hat die Wissenschaft Gott begraben? Eine kritische Analyse moderner Denkvoraussetzungen, Witten, 82009, 83ff., 211ff.

22 Vgl. dazu außer R.  Penrose, aaO 9–37 u.ö. die Ausführungen des Physikers und Philosophen Karl Friedrich v. Weizsäcker, aaO 61ff. u.

127 (s.o. Anm. 14).

23 Vgl. dazu die philosophische Analyse von Robert Spaemann/Reinhard Löw, Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleo- logischen Denkens, München 21985, v.a. 239–296 u.a.

24 Vgl. dazu die Entfaltung der geistigen Stufenordnung der Natur durch den theoretischen Physiker und Naturphilosophen Walter Heitler, Die Natur und das Göttliche, Zug 1974.

25 Vgl. z.B. den erst in zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert von den Phy-

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eine Wiederbelebung alter naturphilosophischer Einsichten26 seither in ihrer grundsätzlichen Berechtigung bestätigt wurden! Dies kann hier natürlich nicht im Einzelnen dargestellt oder diskutiert werden.

Die Publikation dieser Vorlesung könnte aber – so ist jedenfalls zu hoffen – dazu beitragen, dass die gegenwärtige christliche Theologie sich wieder neu auf die in der Heiligen Schrift bezeugte Gutheit, Le- bensdienlichkeit, Sinnhaftigkeit und Herrlichkeit der uns Menschen von Gott anvertrauten Schöpfung und auf die sittlich relevante Heil- samkeit ihrer Ordnungen besinnt und sich aufmacht, diese wieder ganz neu zu entdecken!

5. Die Vorlesung als Versuch einer schöpfungsgemäßen und daher realistischen Theologie

Für Schlatter war sein in zeitgenössischer Sicht provozierendes Festhalten an der göttlichen Weisheit und Liebe in der Schöpfung nicht nur erforderlich wegen der unabdingbaren Bibelgemäßheit der christlichen Theologie oder ihrer – für ihn ebenso unverzichtbaren – apologetischen Begründbarkeit angesichts der weltanschaulichen

sikern entdeckten sog. Urknall, der die materialistische These der An- fangslosigkeit und Ewigkeit der Welt in Frage stellte und die biblische Sicht eines Weltanfanges bestätigte (vgl. W.L. Craig, Die Existenz Gottes und der Ursprung des Universums, Wuppertal 1989, 52–86), oder die – ebenfalls erst von der modernen Physik entdeckte –, ver- blüffende extrem unwahrscheinliche Feinabstimmung der kosmischen Naturkonstanten, ohne die menschliches Leben auf der Erde völlig unmöglich wäre u.a.

26 Vgl. die Rehabilitation aristotelischer Naturphilosophie durch den namhaften Wiener Philosophen Erich Heintel in: Die beiden Laby- rinthe der Philosophie. Systemtheoretische Betrachtungen zur Fun- damentalphilosophie des abendländischen Denkens, Bd.  1, Wien/

München 1968, 72–159 u.ö.

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Herausforderungen ihrer Zeit, sondern zutiefst auch eine Frage ih- rer Wirklichkeitsadäquatheit: Die von ihm intendierte empirische

»Theologie der Tatsachen« konnte sich nicht auf die in der Bibel bezeugten geschichtlichen Grundlagen des Heils in Israel und in Christus beschränken, sondern musste auch Natur und Menschsein als schöpfungsmäßige Voraussetzung christlicher Dogmatik und Ethik angemessen berücksichtigen. Schlatter hat dies später in sei- ner und in eindrucksvoller Weise zu realisieren versucht. Es ist von den Interpreten seiner Theologie zu Recht immer hervorgehoben worden, dass sich seine eigene systematische Theologie dogmatisch und ethisch durch eine ungewöhnlich starke Bejahung und Berück- sichtigung von Schöpfung und Natur auszeichnete (s.u. 6.).27

Die betont schöpfungstheologische Ausrichtung, die für Schlatters gesamtes (vor allem systematisches) Werk kennzeichnend ist, könnte für die evangelische Theologie angesichts der zunehmenden Schöp- fungsfeindlichkeit gerade heute wegweisend und impulsgebend sein, die leider heute für den Protestantismus gerade bei ethischen Fragen in hohem Maße kennzeichnend ist. Denn diese droht mehr und mehr zu einem schwerwiegenden ökumenischen Hindernis zu wer- den und vertieft die ohnehin schon bestehende Spaltung der einen Kirche Jesu Christi in einer bedenklichen Weise. Dass das Verständ- nis der Natur als Schöpfung Gottes von enormer Tragweite gerade für den ethischen Umgang mit der uns umgebenden Natur ist, hat zwar auch der zeitgenössische Protestantismus mit Hilfe der ökologischen Bewegung inzwischen verstanden und bemüht sich, dem durch eine angemessene Tier-, Pflanzen- und Umweltethik Rechnung zu tragen.

Nicht hinreichend erkannt hat er aber, dass die ökologische Frage und die Schöpfungsethik nicht auf Umwelt oder Klima reduziert werden darf, sondern auch die heute höchst bedrohte, bislang aber

27 Zu Schlatters Schöpfungsethik und seiner theologischen Bejahung von »Schöpfungsordnungen« vgl. meine Dissertation: Der Zusam- menhang von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter. Eine Un- tersuchung zur Grundlegung christlicher Ethik, Gießen/Basel 1986, 123–171.

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stark vernachlässigte menschliche Natur betrifft. Dies hat Papst Be- nedikt XVI. in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zur Mah- nung veranlasst, in Zukunft auch die bislang zu kurz gekommene, aber dringend notwendige »Ökologie des Menschen« angemessen zu berücksichtigen, dessen Natur und sogar Existenz heute in vieler Hinsicht gefährdet sind: Papst Benedikt, sein Nachfolger Franziskus und seine Vorgänger, haben diese Bedrohung des Menschen und seiner Natur immer wieder angesprochen, die heute – um nur einige wichtige Beispiele zu nennen – durch Massenabtreibung und Eutha- nasie, aber auch durch die Verneinung der von Gott gestifteten, in der Gegenwart aber heftig bestrittenen Schöpfungsordnungen (bei- spielsweise von Ehe und Familie, Zweigeschlechtlichkeit und wesen- haft prokreativer Sexualität des Menschen).28 Auch wenn Schlatters Vorlesung die ethische Dimension der menschlichen Geschöpflich- keit nicht im Einzelnen thematisiert, hat er in ihr insbesondere durch seine Herausarbeitung der Natur als Ausdruck des Wohlwollens und der Güte Gottes (in M 80 unter Verweis auf Apg 14) eine geistige Grundlage gelegt, auf der er in seinem späteren Werk dann seine kon- krete Schöpfungsethik aufbauen konnte. Noch auf einen letzten As- pekt sei abschließend in dieser theologischen Einführung verwiesen:

28 Benedikts Forderung einer »Ökologie des Menschen« wurde we- nigstens skizzenhaft einzulösen versucht in der 2015 erschienenen und in mehrere Sprachen übersetzten, ökumenischen Salzburger Erklärung zur »heutigen Bedrohung der menschlichen Geschöpf- lichkeit und ihre[r] Überwindung«, die von zahlreichen Kardinälen, Bischöfen, Professoren, Theologen und Laien aus vielen Kirchen und Konfessionen unterschrieben wurde. Vgl. dazu meinen Aufsatz: Die Salzburger Erklärung – Vorgeschichte, Inhalt und bisherige Rezeption eines ökumenischen Dokuments zur »Ökologie des Menschen«, in:

Rivista teologica di Lugano (2/2016) 245–258.

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6. Die Vorlesung als Beispiel einer Schöpfung und Erlösung umgreifenden doxologischen Theologie

Die Vorlesung Schlatters konzentriert sich aufgrund ihrer theologi- schen Fragestellung nach Wesen und Quellen einer dem Menschen zugänglichen Gotteserkenntnis ganz auf die Frage, ob und – wenn ja wo – in der Natur, im Menschsein und in der Religionsgeschichte eine Offenbarung Gottes – und damit die Möglichkeit einer wirkli- chen Gotteserkenntnis – vorliege. Sieht man einmal von Theologie und Philosophie ab, die die Gottesfrage und die Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit noch nicht aufgegeben haben, wird diese Frage in der Gegenwart von den Wissenschaften gar nicht mehr gestellt, weil ihre Beantwortung als wissenschaftlich unbeantwort- bar gilt. Das Ergebnis von Schlatters Vorlesung ist angesichts der allgemein vorhandenen Skepsis erstaunlich: Schlatter stellt nicht nur fest, dass diese Welt ihr Dasein einem gütigen Schöpfergott verdankt, sondern dass dieser Gott darüber hinaus die Menschheit auch in Jesus von Nazareth definitiv von der Macht des Bösen und des Todes erlöst hat und sich deshalb – allen Theodizee-Einwänden zum Trotz – als Gott der verlässlichen und universalen Liebe er- weist, der aufgrund der Verkündigung des biblischen Evangeliums auch heute noch erkannt werden kann und den Menschen zur lie- benden Existenz beruft und befähigt (vgl, M 58ff., 105f., 119 u.ö.).

Dem von Schlatter in beachtlicher denkerischer Klarheit gezeigten liebenden Gott der Bibel gebührt daher als angemessene Antwort des Menschen Glaube und liebende Hingabe, Dank und Anbetung!

Schlatters Vorlesung mündet ein in eine Theologie, die nicht nur einen Wahrheitsanspruch hat, sondern den Hörer (bzw. Leser) in seiner gesamten Existenz beansprucht und zu einer Glaubenshal- tung einlädt, die man treffend als doxologisch kennzeichnen kann.

In der Tat verstand Schlatter das Leben der an Gott Glauben- den zutiefst als doxologische Existenz, d.h. als ein Leben, das auf das Lob und die Anbetung Gottes ausgerichtet ist. Dieses Leben wird schon im Alten Testament sichtbar und (z.B. in den Schöp-

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fungspsalmen) eindrucksvoll entfaltet, im Neuen Testament aber auf der Basis der von Christus vollbrachten Erlösung weitergeführt und trinitarisch vertieft (vgl. Eph 4,1–14): In der doxologischen Existenz von Christen und christlicher Kirche als »Salz der Erde«

und »Licht der Welt« (Mt 5,13f.) wird erkennbar, dass aufgrund der Erlösung in Christus die neue Welt Gottes bereits begonnen hat, da das neue eschatologische Menschsein (vgl. 2Kor 5,17) seither schon im diesseitigen christlichen Leben zu einer ersten Erfüllung gelangt, auch wenn die von Gott verheißene Verklärung und Voll- endung alles Geschöpflichen in einem »neuen Himmel und einer neuen Erde« (Offb 21,1) noch aussteht. Adolf Schlatter besaß von Kindesbeinen an eine ungewöhnlich starke Beziehung zur Natur als Erweis der Schöpfergüte Gottes und empfand daher stets eine tiefe Einheit von Schöpfung und Erlösung, Natur und Gnade. Von dieser Grunderfahrung her hatte er eine besondere Vorliebe für den Schöpfung und Erlösung vereinenden Choral »Schönster Herr Jesu«29 (der auch bei seiner Beerdigung gesunden wurde) und ver- trat nicht nur aus intellektueller Überzeugung, sondern aus tiefstem

»Herzen« eine doxologische Theologie, die in Jesus die Einheit von Schöpfung und Erlösung wahrnimmt und in der gesamten Welt als Werk des dreieinigen Gottes eine unversiegbare Quelle ihres Gotteslobes sieht. Daher suchte er in Lehre und Verkündigung den Blick dafür zu öffnen, dass trotz Sünde, Leiden und Sterben der vergänglichen Welt die Herrlichkeit Gottes schon jetzt in der Schöpfung erkennbar ist und in der Existenz des Christen und der Kirche in neuer und verstärkter Weise aufstrahlt. Die Chri- stenheit soll nach Schlatters Überzeugung durch ihr Dasein und Wirken schon hier und heute sichtbar machen, dass »Gottes Glanz auf allem liegt und Gottes Lob aus allem entsteht«,30 bevor in der neuen Welt Gottes alle Kreatur sichtbar vollendet und Gott »alles in allen« sein wird. In diesem großen und ewigen Horizont darf und 29 Vgl. meine Schlatter-Biographie, aaO 818 (s.o. Anm. 1).

30 A. Schlatter, … dass meine Freude in euch sei. Andachten, Stuttgart

41967, 285.

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muss Schlatters Berner Vorlesung letztlich verstanden und inter- pretiert werden: Theologie und Kirche dürfen das Lob Gottes des Schöpfers, Erlösers und Vollenders nie vernachlässigen oder gar ver- dunkeln und sollen die ihnen geschenkte eschatologische Existenz als »Licht der Welt« aufleuchten lassen (Mt 5,14–16) »zum Lob seiner Herrlichkeit« (Eph 1,14), der Herrlichkeit Gottes, des Vaters, der »Vater« aller »Herrlichkeit« ist (Eph 1,17)! Wenn die Herausgabe von Schlatters Berner Vorlesung dazu einen bescheidenen Beitrag leistet, dann hat sie ihren Zweck erfüllt!

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