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Die Brüssel I-Verordnung im Lichte des EuGH-Urteils "Schrems vs. Facebook" / eingereicht von Helena Nikolaidis

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Academic year: 2021

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at Eingereicht von Helena Nikolaidis Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Assoz. Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler Februar 2019

Die Brüssel I-Verordnung

im Lichte des

EuGH-Urteils „Schrems vs.

Facebook“

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

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EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 4

2. Rechtlicher Rahmen ... 5

2.1 Umsetzung einer EU-Verordnung ins innerstaatliche Recht ... 5

2.2 Verordnung (EG) 44/2001 ... 5

2.2.1 Überblick Art 15-17 Verordnung (EG) 44/2001 ... 6

2.3 Verordnung (EU) 1215/2012 ... 8

3. Sachverhaltsdarstellung ... 9

4. Vorabentscheidungsverfahren des EuGH nach Art 267 AEUV ... 12

5. Erste Vorlagefrage des OGH: Verbrauchereigenschaft des Klägers ... 13

5.1 Erwägungen des OGH ... 13

5.2 Normgrundlage Art 15 der Verordnung (EG) 44/2001 ... 14

5.3 Zeitliche Komponente des Verbraucherbegriffs - statischer oder dynamischer Ansatz ... 16

5.4 Facebook-Nutzungsvertrag ... 18

5.5 Einordnung der Aktivität als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ... 19

5.5.1 Unionsrechtliche Grundlagen ... 19

5.5.2 Vermarktung zur Unterstützung der Beschwerde- und Gerichtsverfahren gegen Facebook Ireland Limited ... 20

5.6 Ergebnis der ersten Vorlagefrage ... 22

6. Zweite Vorlagefrage des OGH: Zulässigkeit der Einklagung abgetretener Ansprüche23 6.1 Erwägungen des OGH ... 23

6.2 „Unechte“ Sammelklage österreichischen Rechts ... 24

6.3 Auslegung des Rechts der Union bezüglich Sammelklagen ... 24

6.4 Zur Notwendigkeit von Sammelklagen für Verbraucherangelegenheiten in der Europäischen Union ... 28

6.5 Ergebnis der zweiten Vorlagefrage ... 29

7. Resümee... 30

8. Literatur ... 32

9. Materialienverzeichnis ... 33

(4)

1. Einleitung

Der österreichische Oberste Gerichtshof befasst sich im gegenständlichen Verfahren mit der Klage des Österreichers Maximilian Schrems gegen Facebook Ireland Limited.1 Der

Kläger behauptet, die Beklagte verletze seine Rechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Datenschutz. Auch weitere sieben Personen, allesamt Nutzer des sozialen Netz-werks Facebook, haben ihm ihre Ansprüche gegen die Beklagte zediert. Deren Wohnsit-ze befinden sich sowohl in Österreich, in anderen Mitgliedstaaten der europäischen Union als auch in Drittstaaten wie Indien. Der OGH setzte das Verfahren aus, um an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen gem Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), betreffend zwei Vorlagefragen, zu stellen.

Konkret geht es in der ersten Vorlagefrage um die Auslegung des europäischen Ver-braucherbegriffs iSd Art 15-17 der Verordnung (EG) 44/2001 (Brüssel I-VO oder EuG-VVO).2 Der Verbraucher gilt als schwächere und schutzbedürftige Partei, weshalb man

für sie stark ausgeprägte rechtliche Schutzmaßnahmen statuiert hat.3 Wird eine Person

als Verbraucher eingestuft, so kommt ihr der besondere Gerichtsstand der Art 15 und 16 leg cit zugute. Dies führt zu der Erleichterung, dass der Verbraucher auch an seinem Wohnsitz Klage gegen seinen Vertragspartner erheben kann.4 Im konkreten Rechtsstreit

stellt sich die Frage, ob ein Verbraucher mit der Zeit durch Publizieren von Büchern, Halten von Vorträgen, Betreibung von Websites, Spendensammlungen und gerichtliche Geltendmachung von an ihn von Verbrauchern abgetretene Ansprüche in eine berufs-mäßige Prozesspartei übergehen kann.5 Die zweite Vorlagefrage befasst sich mit der

Thematik, ob sich der Verbrauchergerichtsstand des Klägers auch auf die ihm abgetre-tenen Ansprüche aus Verbraucherverträgen bei gleichzeitiger Einklagung am Wohnsitz des Klägers ausweitet.6 Die Beantwortung dieser beiden Fragen hat besondere weit über

den vorliegenden Fall reichende europarechtliche Relevanz. Der ersten Vorlagefrage kommt dahingehend Bedeutung zu, dass der EuGH erstmals über den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der Verbrauchereigenschaft bei Dauerschuldverhältnissen

1 Vgl OGH 20.07.2016, 6 Ob 23/16z.

2 Verordnung (EG) 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit

und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl 2001 L 12, 1.

3 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 1 f. 4 Vgl Galič/Schwartze in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung:

Kommentar zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Art 16, Rz 9.

5 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 3. 6 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 42).

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eine Entscheidung fällt.7 Die zweite Frage ist insofern von Belang, da die Abtretung der

Ansprüche an Herrn Schrems und der möglichen Begründung eines neuen Gerichts-standes am Wohnsitz des Zessionars eine „Sammelklage“ darstellen würde und somit einen bisher unionsrechtlich noch nicht vorhandenen kollektiven Rechtsschutzmecha-nismus ermöglichen würde.8

2. Rechtlicher Rahmen

2.1 Umsetzung einer EU-Verordnung ins innerstaatliche Recht

Verordnungen zählen zum Sekundärrecht der Union. Sie werden von den Organen der EU auf Basis des Primärrechts geschaffen.9 Gem Art 288 Abs 2 AEUV gilt eine

Verord-nung unmittelbar und ist gänzlich verbindlich. Sie wirkt aufgrund ihrer allgemeinen Geltung wie ein nationales Gesetz generell-abstrakt. Durch ihre Unmittelbarkeit bedarf es keiner Umsetzung ins nationale Recht. Sie entfaltet sofort Wirkung in der innerstaatli-chen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten und kann sowohl natürliche und juristische Personen als auch Mitgliedstaaten berechtigen und verpflichten.10 Es bedarf demnach

keiner Umsetzung der Brüssel I-VO ins innerstaatliche Recht. Sie entfaltet eine unmittel-bare und verbindliche Wirkung.

2.2 Verordnung (EG) 44/2001

Ziel der Verordnung ist vor allem, einheitliche Bestimmungen bezüglich der internationa-len Zuständigkeit „in Zivil- und Handelssachen“ zu schaffen und eine Vereinfachung hinsichtlich der „Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen“ zu gewährleisten. Durch die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes soll in den Mitgliedstaaten ein besonde-res Maß an Rechtssicherheit herrschen. Eine Abweichung von der allgemeinen Regel, dass die Klage grundsätzlich am Wohnsitz des Beklagten erhoben werden muss, erfolgt nur durch eine Normierung besonderer Gerichtsstände, die allerdings in der Verordnung

7 Vgl Pfeiffer, Verbrauchereigenschaft von Facebook-Nutzern und bei Abtretung – Schrems II, IWRZ

2018, 134.

8 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 4; Rechberger,

Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum Vorabentscheidungsver-fahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (223).

9 Vgl Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), 170.

10 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 50 f; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2018), 173

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selbst statuiert sind und „auf wenig genau festgelegte Fälle beschränkt“ werden.11

Darüberhinaus soll die Verordnung zur Vermeidung von Parallelverfahren beitragen, um so eine uneinheitliche Rechtsprechung zweier Mitgliedstaaten verhindern zu können.12

Gem Art 1 Abs 3 gilt die EuGVVO in allen EU-Mitgliedstaaten. Eine Ausnahme stellt nur Dänemark dar. Damit die europäische Zuständigkeitsordnung Anwendung findet, muss sich der Wohnsitz des Beklagten bzw bei juristischen Personen der Sitz in einem der Mitgliedstaaten befinden, weshalb sie auch anwendbar ist, wenn die klagende Partei ihren Wohnsitz in einem Drittstaat hat. Eine Erweiterung dieses Anwendungsbereichs findet lediglich bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsangelegenheiten, bei ausschließlichen Gerichtsständen und bei einer Zuständigkeitsvereinbarung statt. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Anwendbarkeit der Verordnung ist das Vorliegen eines Auslandsbezugs, wobei es dafür nach der hM genügt, wenn sich der Rechtsstreit auf einen Drittstaat bezieht.13

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Brüssel I-VO die EuGVÜ14, die aufgrund von

Beitritten neuer Mitgliedstaaten reformiert wurde, ablöst. Bestimmungen der Brüssel I-VO sind iSd EuGVÜ auszulegen, solange ihnen eine gleiche Bedeutung zukommt. Diese Voraussetzung ist im Ausgangsverfahren gegeben.15

2.2.1 Überblick Art 15-17 Verordnung (EG) 44/2001

Da der Verbraucher im Gegenzug zu der gewerblich oder beruflich tätigen Vertragspartei meist die Position, der wirtschaftlich schwächeren und rechtlich unerfahrenen Partei einnimmt, wurde für sie eine besondere Zuständigkeit statuiert. Dem Verbraucher wird gem Art 16 Abs 1 leg cit die Möglichkeit geboten, seine Klage sowohl am Wohnsitz des Vertragspartners im Mitgliedstaat als auch beim Gericht des Ortes, an dem der Verbrau-cher seinen Wohnsitz hat, einzubringen.16

11 Vgl Hausmann in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung: Kommentar

zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Einleitung, Rz 1 f.

12 Vgl Hausmann in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung: Kommentar

zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Einleitung, Rz 4.

13 Vgl Hausmann in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung: Kommentar

zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Vorbemerkung Art 2-4, Rz 6 ff.

14 Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung

gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl 1972 L 299, 32. Kurz: EuGVÜ.

15 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 26). 16 Vgl Simotta in Fasching/Konecny (Hrsg), Zivilprozessgesetze2 (2008), Art 15 EuGVVO, Rz 1.

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Der allgemeine Gerichtsstand nach Art 2 Abs 1 Brüssel I-VO, der besagt, dass der Beklagte an seinem Wohnsitz in einem Mitgliedstaat verklagt werden muss, wird durch den Verbrauchergerichtsstand des Art 16 leg cit verdrängt.17

Der Verbraucher kann hingegen vom Vertragspartner nach Art 16 Abs 2 leg cit nur am Ort seines Wohnsitzes verklagt werden.18

Dem Verbraucher wird in Art 15 Abs 2 EuGVVO ein weiterer essenzieller Vorteil einge-räumt. Hat sein Vertragspartner bloß eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat, wird er nichtsdestotrotz so gestellt, als hätte er auch seinen Sitz in diesem Staat. 19

Um eine effektive Umsetzung des Art 16 leg cit gewährleisten zu können, wurde in Art 17 leg cit die Möglichkeit der Parteien, Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherange-legenheiten zu treffen, stark beschränkt. Demzufolge ist eine Prorogation nur in Aus-nahmefällen zulässig. Und zwar erstens, wenn sie zu einem Zeitpunkt vereinbart wird, in dem sich die Parteien bereits im Streit befunden haben, zweitens, wenn dem Verbrau-cher neben den in Art 16 Abs 1 leg cit aufgezählten Gerichtsständen noch weitere zugestanden werden oder drittens, wenn der Rechtsstreit am Ort des Gerichts, an dem beide Vertragsparteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz haben, ausgetra-gen wird.20

Für eine Stärkung dieser Regelung sorgt überdies Art 23 Abs 5 EuGVVO, der die rechtliche Wirkung von Vereinbarungen versagt, wenn diese Art 17 leg cit verletzen.21 Trotz der Einschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen, sieht Art 24 leg cit auch in Verbrauchersachen eine Heilung der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts vor, falls sich der Beklagte rügelos in den Streit einlässt.22

17 Vgl Hausmann in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung: Kommentar

zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Art 2, Rz 1.

18 Vgl Galič/Schwartze in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung:

Kommentar zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Art 16, Rz 13;

Kreuzer/Wagner/Reder, Q.II. Internationale Zuständigkeit, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg), Handbuch des

EU-Wirtschaftsrechts45 (2018), Rz 107.

19 Vgl Nemeth, Art 15 EuGVO, in: Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer (Hrsg),

Internationa-les Zivilverfahrensrecht (Lfg 2009), Rz 1.

20 Vgl Galič/Schwartze in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung:

Kommentar zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Art 17, Rz 1 ff.

21 Vgl Galič/Schwartze in Simons/Hausmann (Hrsg), unalex Kommentar Brüssel I-Verordnung:

Kommentar zur VO (EG) 44/2001 und zum Übereinkommen von Lugano (2012), Art 17, Rz 1.

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2.3 Verordnung (EU) 1215/2012

Die Verordnung (EU) 1215/201223 löst die Verordnung (EG) 44/2001 ab.24 Art 66 Abs 1

der neuen Fassung bestimmt allerdings, dass die Verordnung (EU) 1215/2012 nur auf Verfahren anzuwenden ist, die ab dem 10. Januar 2015 eingeleitet werden. Zwar hat der Unionsgesetzgeber den Wortlaut des Art 66 in der Brüssel Ia-VO von „Klageerhebung“ der alten Fassung auf „Verfahrenseinleitung“ erneuert, dies beruhe aber vor allem in Anbetracht der anderen Sprachausgaben der Verordnung auf einen Übersetzungsfehler und sollte nicht zu einer Änderung des maßgeblichen Zeitpunkts führen. Eine wün-schenswerte autonome Definition des genauen Zeitpunkts der Klageerhebung hat der Gesetzgeber auch bei der reformierten Fassung bedauerlicherweise nicht vorgenom-men.25 Aufgrund dieser Unterlassung ist vorerst zur Bestimmung des maßgeblichen

Zeitpunkts das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates anzuwenden. Fraglich und auch in der höchstrichterlichen Rsp umstritten ist, ob in Bezug auf die Klageerhebung Art 32 Brüssel Ia-VO - Abschnitt über die Rechtsanhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren - analog herangezogen werden kann. Dies kann aber aufgrund des genauen Wortlauts des Art 32 Abs 1 leg cit „für die Zwecke dieses Abschnitts“ und auch wegen der wortwörtlichen Übernahme des Artikel 30 Brüssel I-VO in der neuen Fassung nicht zweifelsohne angenommen werden kann.26

Stellt man deshalb auf das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates ab, so ist für die Verfahrenseinleitung nach dem österreichischen Zivilprozessrecht der Zeitpunkt der Klageeinbringung maßgeblich.27

Die Klage des Herrn Schrems gegen Facebook Ireland Limited wurde laut Beschluss des LGZ Wiens am 31.07.2014 eingebracht.28 Somit ist im vorliegenden Fall noch die alte

Fassung der Verordnung anzuwenden, da die Klage vor dem 10.01.2015 bei Gericht eingelangt ist.

23 Verordnung (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012

über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl 2012 L 351, 1. Kurz: Brüssel Ia-VO.

24 Vgl Staudinger in Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR-EuIPR I4

(2016), Einleitung Brüssel Ia-VO, Rz 2.

25 Vgl Staudinger in Rauscher (Hrsg), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR-EuIPR I4

(2016), Art 66 Brüssel Ia-VO, Rz 2.

26 Vgl Kreuzer/Wagner/Reder, Q.II. Internationale Zuständigkeit, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg),

Hand-buch des EU-Wirtschaftsrechts45 (2018), Rz 14.

27 Vgl Deixler-Hübner/Klicka, Zivilverfahren10 (2017), 58. 28 Vgl LGZ Wien 30.06.2015, 3 Cg 52/14k-29.

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Grundsätzlich finden sich die Art 15-17 der Brüssel I-VO über den Verbrauchergerichts-stand in den Art 17-19 der Verordnung (EU) 1215/2012 wieder. Inhaltlich wurde aber lediglich in Art 18 die Wortgruppe „oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners“ hinzugefügt, ansonsten entspricht die reformierte Fassung der alten, weshalb die Entscheidung des EuGH auch auf die Art 17-19 Brüssel Ia-VO Anwendung finden.29

3. Sachverhaltsdarstellung

Der Sachverhalt beruht vor allem auf den Feststellungen des Beschlusses des Landes-gerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30.06.201530 und den Ausführungen des

OGH.31

Das Vorabentscheidungsersuchen des OGH an den EuGH erfolgt aufgrund des Rechts-streits von Herrn Maximilian Schrems, österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich, als Kläger gegen die Facebook Ireland Limited mit Sitz in Irland als Beklagte. Die Muttergesellschaft der beklagten Partei betreut die Märkte in den USA und Kanada, die Tochtergesellschaft Facebook Ireland Limited mit Sitz in Dublin ist hingegen für alle anderen Länder zuständig.

Der Kläger studierte Rechtswissenschaften und spezialisierte sich dabei auf das IT-Recht und den Datenschutz. Seine Dissertation beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Datenschutz.

Seit 2008 ist Herr Schrems auf Facebook angemeldet. Die ersten paar Jahre ist er für private Zwecke unter falschem Namen bzw mit kyrillischer Schreibweise angemeldet, um mit seinen etwa 250 Freunden über dieses Medium mittels Fotos, Chats und Beiträgen zu kommunizieren.

2011 errichtete er sodann über sein Facebook-Konto eine Facebook-Seite. Diese nutzte er als Informationsplattform für seine Nutzer, um über seine Maßnahmen gegen Face-book Ireland in Bezug auf die behaupteten Datenschutzverletzungen und auf die damit in Zusammenhang stehenden Vorträge, Podiumsdiskussionen, Medienauftritte, Spenden-aktionen und seine Bücher aufmerksam zu machen.

29 Vgl Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, NJW 2018, 987 ff (989). 30 Vgl LGZ Wien 30.06.2015, 3 Cg 52/14k-29.

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Der Kläger legte ab August 2011 23 Beschwerden, wovon eine bereits zur Vorabent-scheidung beim EuGH führte32, gegen die beklagte Partei bei der irischen

Datenschutz-kommission vor.

Um auf die Datenschutzverletzungen aufmerksam zu machen, verfasste Herr Schrems zwei Bücher, trug zum Teil entgeltlich vor und schaffte Websites und Crowdfunding Sites, um für das Verfahren gegen Facebook Ireland Limited zu werben. Neben dem Verdienst aus dem Halten von Vorträgen und dem Verkauf von Büchern, erzielt der Kläger Einkommen aus der Beschäftigung bei seiner Mutter und aus der Vermietung einer Wohnung. Aufgrund der Publizität, die er durch das langjährige Verfahren gegen Facebook erlangt hat, erhält er Veranstaltungseinladungen, für deren Auftritt er ebenfalls bezahlt wird.

Von Relevanz ist obendrein die Gründung des Vereins „europe-v-facebook.org“, der die Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz anstrebt. In diesem Zusammenhang traten ihm 25.000 Menschen aller Welt ihre Ansprüche ab. Alleiniger Zweck des Vereins ist die Durchsetzung und Aufklärung von Datenschutz, nicht hingegen eine Gewinnab-sicht. Ziel ist die finanzielle Unterstützung - auch von notwendigen Auslagen - von Musterverfahren mit öffentlichem Interesse gegen Unternehmen, die das besagte Grundrecht gefährden. Dafür sind auch Spendensammlungen vorgesehen. Laut Sch-rems verstoße die Beklagte vor allem gegen das innerstaatliche Datenschutzgesetz 2000, das irische Datenschutzgesetz 1988 und die Datenschutz-RL 95/46/EG.33 Letztere

wurde durch die Datenschutz-Grundverordnung aufgehoben.34

Der Kläger erhob aufgrund der behaupteten Datenschutzverletzungen seitens der Beklagten vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zahlreiche Begehren, „und zwar erstens auf Feststellung der bloßen Dienstleistereigenschaft und Weisungsgebun-denheit der Beklagten des Ausgangsverfahrens oder deren Auftraggebereigenschaft, soweit die Verarbeitung zu eigenen Zwecken erfolgt, sowie der Unwirksamkeit von Vertragsklauseln zu den Nutzungsbedingungen, zweitens auf Unterlassung der Verwen-dung seiner Daten zu eigenen Zwecken bzw. Zwecken Dritter, drittens auf Auskunft über

32 Vgl EuGH 06.10.2015 Rs C-362/14, Schrems/Data Protection Commissioner, ECLI:EU:C:2015:650. 33 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum

Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl 1995 L 281, 31. Kurz: Datenschutz-RL 95/46/EG, ABl 1995 L 281, 31.

34 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum

Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenver-kehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl 2016 L 119, 1.

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die Verwendung seiner Daten und viertens auf Rechnungslegung und Leistung in Form der Anpassung der Vertragsbedingungen sowie von Schadenersatz und rechtsgrundlo-ser Bereicherung.“35

Schrems macht nicht nur seine, sondern auch die von sieben weiteren Facebook-Nutzern abgetretenen Ansprüche, geltend. Während sich der Kläger auf den Verbrau-chergerichtsstand nach Art 16 Abs 1 EuGVVO stützt, wonach das LGZ Wien zuständig wäre, bestreitet dies die Beklagte im Zuge der Einrede einer fehlenden internationalen Zuständigkeit.

Erstinstanzlich wies das LGZ Wien die Klage zurück, da ihrer Ansicht nach der Kläger das soziale Netzwerk nicht nur privat nutze und somit der Verbrauchergerichtsstand keine Anwendung findet. Auch kann sich der Zessionar nicht auf den vom Zedenten begründeten Verbrauchergerichtsstand stützen.

Der Rekurs des OLG Wien änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahingegen ab, dass es die persönlichen Ansprüche des Klägers stattgab, allerdings den Verbraucher-gerichtsstand aus den zedierten Ansprüchen verneinte. Den Einreden der Beklagten folgte das Gericht nicht.

Dem eingebrachten Revisionsrekurs beider Parteien an den OGH wurde stattgegeben. Da sich das letztinstanzliche Gericht allerdings nicht sicher war, ob sich der chergerichtsstand auch auf Ansprüche bezieht, die Verbraucher einen anderen Verbrau-cher zur besseren Durchsetzung ihrer Rechte abtreten, entschloss es sich, das Verfah-ren auszusetzen und legte dem EuGH zwei Fragen im Zuge einer Vorabentscheidung vor.

In der ersten Vorlagefrage geht es darum, ob Art 15 der Verordnung (EG) 44/2001 dahingehend auszulegen ist, dass ein Verbraucher iSd Verordnung nach mehrjähriger Verwendung eines privaten Facebook-Kontos mit dem Verlust dieses Status zu rechnen hat, „wenn er […] im Zusammenhang mit der Durchsetzung seiner Ansprüche Bücher publiziert, teilweise auch entlohnte Vorträge hält, Webseiten betreibt, Spenden zur Durchsetzung der Ansprüche sammelt und sich die Ansprüche von zahlreichen Verbrau-chern gegen die Zusicherung abtreten lässt, diesen einen allfälligen Prozesserfolg nach Abzug der Prozesskosten zukommen zu lassen“.

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Die zweite Frage beschäftigt sich mit dem Umstand, ob Art 16 der Verordnung (EG) 44/2001 so verstanden werden kann, dass jemand, der selbst Verbraucher ist, sogleich mit seiner Klage am Verbrauchergerichtsstand auch gleichartige Ansprüche anderer Verbraucher, die entweder ihren Wohnsitz im selben Mitgliedstaat, in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat haben, einklagen kann, wenn alle Ansprüche gegen dieselbe beklagte Partei gerichtet sind und aus denselben Rechtsverhältnissen stammen und die Zession der Verbraucheransprüche an den Kläger nur auf die Durch-setzung der Ansprüche abzielt und kein gewerbliches oder berufliches Geschäft darstellt.

4. Vorabentscheidungsverfahren des EuGH nach Art 267 AEUV

Gem Art 267 AEUV trifft der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren Entscheidungen über die Auslegung des Primär- oder Sekundärrechts und die Gültigkeit eines Sekundär-rechtsaktes.36 Während die Verträge, auf denen die europäische Union beruht, das

Primärrecht darstellen, zählen Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen der Unionsorgane zu den Sekundärrechtsakten.37

Das Vorabentscheidungsverfahren bezweckt die Einheitlichkeit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten.38 Neben dem Ziel, das

Unions-recht zu wahren, ist es vor allem für den IndividualUnions-rechtsschutz besonders relevant.39

Von allen auf Unionsebene in Betracht kommenden Verfahren stärkt das Vorabentschei-dungsverfahren die Rechte eines Unionsbürgers durch seine praktische Auswirkung am effektivsten.40 Dies zum einen durch die Überprüfung der Gültigkeit von

Sekundärrechts-akten der Organe, zum anderen durch die Überprüfung von RechtsSekundärrechts-akten der Mitglied-staaten. Zweiteres bspw über eine implizite Frage der Vereinbarkeit des Rechts eines Mitgliedstaates mit dem Recht der Union in einem Verfahren über die Auslegung des Unionsrechts.41

Ein Vorabentscheidungsersuchen wird von einem nationalen Gericht dann gestellt, wenn der Ausgang des innerstaatlichen Verfahrens von einer entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Frage abhängt. Das Verfahren wird sodann ausgesetzt und in einem

36 Vgl Epiney, § 9 Rechtsschutzsystem, in: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur (Hrsg), Die Europäische Union

(2019), Rz 91; Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 117. 37 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 26 f und 48 f. 38 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 117.

39 Vgl Schima in Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (2012), Art 267 AEUV, Rz 5 f; Wegener in Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV5 (2016), Art 267 AEUV, Rz 1.

40 Vgl Wegener in Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV5 (2016), Art 267 AEUV, Rz 1. 41 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 120.

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Zwischenverfahren vom EuGH entschieden. An dessen Ergebnis ist das nationale Gericht wiederum gebunden.42

Im vorliegenden Fall legte ein letztinstanzliches Gericht – der OGH – die Vorlagefrage vor. Nach Art 267 Abs 3 AEUV ist ein Gericht, gegen dessen Entscheidung kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann, sogar zur Vorlage verpflichtet.43 Nur bei einer

gefestigten Rechtsprechung des EuGH und bei einer offenkundig rechtskonformen Anwendung des Unionsrechts, besteht nach der Acte clair-Doktrin keine Vorlagepflicht.44

5. Erste Vorlagefrage des OGH: Verbrauchereigenschaft des

Klä-gers

5.1 Erwägungen des OGH

Wie bereits oben in Kapitel 3 erwähnt, befasste sich der OGH mit der Frage, ob Herr Schrems sich selbst auf den Verbrauchergerichtsstand des Art 15 EuGVVO stützen kann oder ob er die Stellung des Verbrauchers durch seine Vornahmen wie bspw das Publi-zieren von Büchern, Spendensammlungen, Halten von teilweise bezahlten Vorträgen, Betreibung von Websites und Geltendmachung abgetretener Verbraucheransprüche, die allesamt in Zusammenhang mit der Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz stehen, verloren hat.

Der OGH nimmt an, dass eine Erstellung eines Facebook-Kontos einen selbständigen Vertrag darstellt. Aus diesem Grund würde grundsätzlich eine spätere, nach Errichtung des privaten Kontos, aufgenommene Tätigkeit, die gegebenenfalls als beruflich oder gewerblich einzustufen wäre, nicht zum Entfall der Eigenschaft des Verbrauchers führen. Zu beachten ist darüberhinaus, dass diese Aktivitäten nur vorgenommen wurden, um eine effektivere Durchsetzung der Begehren des Herrn Schrems zu ermöglichen.

Nichtsdestotrotz bleibt laut OGH die Frage bezüglich des Verlusts der Verbraucherei-genschaft nach Art 15 Brüssel I-VO bei nachträglichen gewerblichen oder beruflichen Verrichtungen und zwar im Hinblick auf die zeitliche Abgrenzung zwischen Vertrags-schluss und Aufnahme der sonstigen Aktivitäten und der Bedeutung dieser Tätigkeiten

42 Vgl Schima in Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (2012), Art 267 AEUV, Rz 3. 43 Vgl Wegener in Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV)5 (2016), Art 267 AEUV, Rz 27.

44 Vgl Hobe, Europarecht9 (2017), 143; EuGH 06.10.1982 Rs C-283/81, C.I.L.F.I.T./Ministero della Sanità, ECLI:EU:C:1982:335 (Rz 13 und 16).

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unter dem Aspekt, dass diese nur der Durchsetzung der Verbraucherrechte dienen, offen. In diesem Zusammenhang nimmt der OGH an, dass es auf den früheren Zeitpunkt der Vertragsschließung über das private Konto im Rahmen des nach Art 15 leg cit vertragsautonom auszulegenden Begriffs des Verbrauchervertrages ankommt und nicht auf den von der Beklagtenseite behaupteten Neuabschluss durch die Erstellung der Facebook-Seite im Jahr 2013.45

Den Äußerungen des OGH über den Verbrauchertatbestand folgernd, wird er in seinem fortgesetzten Verfahren in Bezug auf die eigenen Ansprüche des Klägers eher den Bestand der Verbrauchereigenschaft annehmen.

5.2 Normgrundlage Art 15 der Verordnung (EG) 44/2001

Die in Art 15 leg cit normierten Begriffe „Verbraucher“ und „Verbrauchervertrag“ werden eng und verordnungsautonom ausgelegt, damit sie in den Mitgliedstaaten einer einheitli-chen Verwendung unterliegen. Vorwiegend ist auf die „Systematik und Zielsetzung“ der EuGVVO Bedacht zu nehmen.46 Eine enge Auslegung bedeutet in diesem Zusammen-hang, dass nur jene Auslegung des Verbraucher- und Verbrauchervertragsbegriffes zulässig ist, die von der Verordnung ausdrücklich in Betracht gezogen wird.47 Nichtsdes-totrotz sind auch auf die Verbraucherbegriffe anderer Unionsnormen Bedacht zu nehmen, um die in Bezug auf den Verbraucherschutz verfolgten Ziele und die Einheit-lichkeit des Unionsrechts zu wahren.48

Demnach begründet nur ein privater Endverbraucher die Verbrauchereigenschaft des Art 15 leg cit.49 Juristische Personen scheiden aus dem Anwendungsbereich der

Verord-nung aus. Überdies finden die Art 15-17 leg cit auch dann keine Anwendung, wenn beide Vertragsparteien Verbraucher sind, da hierbei keine Partei schützenswerter als die andere erscheint.50 Die Position eines Verbrauchers kann nur eine Person einnehmen, die in einem konkreten Vertragsverhältnis nicht beruflich oder gewerblich handelt und somit nicht unternehmerisch auftritt. Die Verbrauchereigenschaft ist immer im konkreten

45 Vgl OGH 20.07.2016, 6 Ob 23/16z, Pkt 2.6.

46 Vgl Simotta in Fasching/Konecny (Hrsg), Zivilprozessgesetze2 (2008), Art 15 EuGVVO, Rz 13 f;

EuGH 28.01.2015 Rs C-375/13, Kolassa/Barclays Bank, ECLI:EU:C:2015:37 (Rz 22).

47 Vgl Simotta in Fasching/Konecny (Hrsg), Zivilprozessgesetze2 (2008), Art 15 EuGVVO, Rz 14. 48 Vgl EuGH 05.12.2013 Rs C-508/12, Vapenik/Thurner, ECLI:EU:C:2013:790 (Rz 25).

49 Vgl Garber/Neumayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht (Brüssel I/IIa ua), Jahrbuch Europarecht

(2014), 199 ff (237 f); Kreuzer/Wagner/Reder, Q.II. Internationale Zuständigkeit, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts45 (2018), Rz 110.

50 Vgl Nemeth, Art 15 EuGVO, in: Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer (Hrsg),

(15)

Zusammenhang und nach dem verfolgten Zweck eines Vertrages zu betrachten und bildet keine über ein konkretes Rechtsgeschäft hinauswirkende subjektive Stellung als solche. Daraus lässt sich schließen, dass eine Person bei gewissen Rechtsgeschäften als Verbraucher kategorisiert werden kann, bei anderen jedoch die Position eines Unternehmers einnehmen kann, wobei immer auf den Zweck des jeweiligen Vertrages abzustellen ist.51

Ein Vertrag gem Art 15 Abs 1 lit c Brüssel I-VO liegt dann vor, wenn ein Vertragspartner nicht beruflich oder gewerblich handelt, während der andere einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher wohnhaft ist, nachkommt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Mitgliedstaat ausrich-tet, wobei der Vertrag in diese Tätigkeit fallen muss. Art 15 Abs 1 lit a leg cit bezieht sich hingegen auf Teilzahlungskäufe beweglicher Sachen, lit b leg cit auf die Finanzierung eines Kaufes derartiger Gegenstände zwischen einem Verbraucher und seinem Ver-tragspartner. Anders als lit a und b statuiert lit c leg cit eine situative Verbindung zwi-schen Vertragsabschluss und dem Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.52 Im Ausgangsverfahren liegt zwischen der Beklagten Facebook Ireland Limited und dem Kläger Herrn Schrems ein Vertrag iSd Art 15 Abs 1 lit c leg cit vor.53

Um den Tatbestand der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zu erfüllen, ist es nicht unbedingt vonnöten, dass der Vertragspartner eine eigene Niederlassung im Wohnsitz-staat des Verbrauchers vorweist. Bereits die Erbringung von Dienstleistungen des Vertragspartners im Verbraucherstaat reicht aus.54

Den Begriff „Ausrichten“ einer Tätigkeit hat der Unionsgesetzgeber bedauerlicherweise nicht definiert.55 Der EuGH vertritt aber dahingehend den Standpunkt, dass der Ver-tragspartner jedenfalls im Verbraucherstaat oder in mehreren Staaten, einschließlich des Wohnsitzstaates des Verbrauchers, ein Verhalten setzen muss, dass auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages abzielt.56 Im Gegensatz zu Rat und Kommission hält der

51 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (215 f). 52 Vgl Nemeth, Art 15 EuGVO, in: Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer (Hrsg),

Internationa-les Zivilverfahrensrecht (Lfg 2009), Rz 27, 32 und 35.

53 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 107.

54 Vgl Nemeth, Art 15 EuGVO, in: Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer (Hrsg),

Internationa-les Zivilverfahrensrecht (Lfg 2009), Rz 39.

55 Vgl EuGH 07.10.2010 Rs C-585/08, Pammer/Reederei Karl Schlüter und Rs C-144/09, Alpen-hof/Heller, ECLI:EU:C:2010:740 (Rz 55).

56 Vgl Nemeth, Art 15 EuGVO, in: Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer (Hrsg),

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EuGH die Unterscheidung zwischen „passiven“ und „interaktiven“ Websites hingegen nicht für relevant.57

5.3 Zeitliche Komponente des Verbraucherbegriffs - statischer oder dynami-scher Ansatz

Für das Vorliegen der Verbrauchereigenschaft könnten nach Art 15 Brüssel I-VO zwei maßgebliche Zeitpunkte in Frage kommen: Einerseits der Zeitpunkt des Vertragsschlus-ses, andererseits jener der Klageerhebung.

Der EuGH hat bisweilen in seinen Entscheidungen auf den statischen Ansatz gesetzt, weshalb auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt wurde. Diese Verträge waren allerdings allesamt auf Zielschuldverhältnisse ausgerichtet. Eine Judikatur in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse fehlte hingegen.58

Während bei Zielschuldverhältnissen die Hauptleistungsansprüche bereits zu Vertrags-schluss entstehen, werden bei Dauerschuldverhältnissen die Hauptleistungspflichten für in Zukunft getätigte Leistungen immer wieder durch Weiterbestehen des Vertragsver-hältnisses begründet. Oft ist es deshalb gerade bei Dauerschuldverhältnissen gar nicht möglich, den gesamten Vertragszweck bereits im Vertragsschlusszeitpunkt festzulegen, sondern erfordert eine genaue Betrachtung im Zeitpunkt des Entstehens der einzelnen Verpflichtungen, vor allem, weil diese auch eine unbegrenzte Laufzeit haben können. 59

Im vorliegenden Fall liegt eben gerade ein solches Dauerschuldverhältnis vor. Die Dienstleistung der Verwendung eines Facebook-Kontos bzw einer Facebook-Seite ist auf eine langfristige Benützung ausgelegt.60

Bei Zielschuldverhältnissen ist laut EuGH die Erkennbarkeit für den Vertragspartner, ob eine Person den Vertrag in Verbindung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit schließt, maßgeblich.61 Dies ist vor allem im Lichte der Vorhersehbarkeit und des

Vertrauensschutzes der Parteien von besonderer Bedeutung. Die Vertragspartner sollten

57 Vgl Wilke, Verbraucherschutz im internationalen Zuständigkeitsrecht der EU – Status quo und

Zukunftsprobleme, EuZW 2015, 13 ff (14); EuGH 07.10.2010 Rs C-585/08, Pammer/Reederei Karl

Schlüter und Rs C-144/09, Alpenhof/Heller, ECLI:EU:C:2010:740 (Rz 79).

58 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (225).

59 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (218 f). 60 Vgl Pitkowitz, Verbrauchergerichtsstand 2.0, Der dynamische, aber vorhersehbare

Verbraucherge-richtsstand, ecolex 2018, 418 ff (420).

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sich grundsätzlich auf den Status der jeweilig anderen Partei im Zeitpunkt des Vertrags-schlusses verlassen können.62

Darüberhinaus ist, wie bereits oben unter Kapitel 5.2 erwähnt, hervorzuheben, dass es keine generelle Verbraucherstellung gibt, vielmehr ist auf die spezifische Eigenschaft, wie eine Person einen konkreten Vertrag abschließt, abzustellen.63

Im konkreten Fall stellt sich somit, wie oben bereits erwähnt, die Frage, ob es auch bei Dauerschuldverhältnissen, ebenso wie bei Zielschuldverhältnissen, auf den Vertrags-schlusszeitpunkt ankommt. Von den Parteien nicht bestritten wird, dass überhaupt ein Dauerschuldverhältnis vorliegt.64

Gerade für Fälle, in denen der Vertragszweck nicht erkennbar ist bzw sowohl eine private als auch berufliche Nutzung denkbar ist und auf eine lange oder sogar unbefriste-te Verwendung gerichunbefriste-tet ist, sollunbefriste-te ein dynamischer Ansatz herangezogen werden. Dies eben gerade aus dem Gesichtspunkt, dass sich besonders in diesen Konstellationen der Zweck des Vertrages teilweise oder sogar gänzlich ändern kann.65 Es erscheint dem

Gedanken des Verbrauchergerichtsstandes auch nicht gerecht zu werden, wenn bspw gerade bei langjährigen Dauerschuldverhältnissen eine Partei im Vertragsschlusszeit-punkt als Verbraucher auftritt und eben diese Partei zu späterer Zeit in diesem Vertrags-verhältnis als Unternehmerin Tätigkeiten ausübt, sie sich allerdings weiterhin auf die Verbrauchereigenschaft berufen kann, da sie den Vertrag als Verbraucher abschloss und nicht mehrere Verträge vorliegen bzw keine Änderung des Vertrages bzw Novation getroffen wird.66

Allerdings ist in diesem Zusammenhang anzuführen, dass es für die Beurteilung des Vertragszwecks nichtsdestotrotz primär auf den Vertragsabschlusszeitpunkt ankommt. Nur wenn dieses Ergebnis nicht mehr haltbar ist, sollte eine Neubeurteilung der Verbrau-chereigenschaft stattfinden.67

Ein weiterer Punkt, der für den dynamischen Ansatz spricht, ergibt sich aus dem Zweck des Gerichtsstandprivilegs für Verbraucher selbst, nämlich die Überlegenheit der

62 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 38. 63 Vgl EuGH 03.07.1997 Rs C-269/95, Benincasa/Dentalkit, ECLI:EU:C:1997:337 (Rz 16). 64 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (226).

65 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 39. 66 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (219). 67 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 41.

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gewerblich oder beruflich tätigen Partei zu schmälern. Diesen Vorteil des Verbrauchers kann jener aber erst im Zeitpunkt der Klageeinbringung geltend machen, da erst ab diesem Zeitpunkt der Schutz des Verbrauchergerichtsstandes wirkt. Dies wiederum lässt bei Dauerschuldverhältnissen den dynamischen Ansatz befürworten, da nur dieser die möglicherweise veränderten Eigenschaften bei Klageerhebung miteinbezieht.68

Den dynamischen Ansatz begrüßt auch der Umstand, dass nach Art 15 Brüssel I-VO auch Personen als Unternehmer angesehen werden, die für ihre künftige berufliche oder gewerbliche Ausübung Verträge schließen und somit durch diese Berücksichtigung die Norm selbst Änderungen nach dem Vertragsschlusszeitpunkt zulässt.69

5.4 Facebook-Nutzungsvertrag

Bei Abschließung eines Facebook-Nutzungsvertrages liegt ein Dauerschuldverhältnis mit Teilen eines Miet-, Werk- und Dienstvertrages vor.

Fraglich ist allerdings, ob ein Nutzer bei Betreibung mehrerer Konten bzw bei Benützung sowohl eines Facebook-Kontos als auch einer möglicherweise für gewerbliche Zwecke dienende Facebook-Seite einen Gesamtvertrag abschließt oder jeweils einzelne zu trennende Vertragsverhältnisse vorliegen und demnach auch die Verbrauchereigen-schaft einzeln zu beurteilen ist.70 Der EuGH fällte über das Vorliegen eines oder

mehre-rer Verträge und die daraus abgeleiteten Folgen für die Verbrauchereigenschaft zwi-schen Herrn Schrems und Facebook Ireland Ltd keine Entscheidung, da die Beurteilung dem Gericht des Ausgangsverfahrens obliegt. Er stellte allerdings klar, dass auch im Falle eines materiell-rechtlichen einheitlichen Vertrages - und somit den Standpunkt der Beklagten folgend - aufgrund des autonomen Vertragsbegriffes nach Art 15 EuGVVO prozessrechtlich die Nutzung des Facebook-Kontos und der Facebook-Seite getrennt betrachtet werden muss.71 Nach Paulus besteht hingegen bereits aus sachenrechtlicher

Sicht kein einheitlicher Vertrag.72

68 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (226).

69 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (220). 70 Vgl Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, NJW 2018, 987 ff (988). 71 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 35 f). 72 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (213 f); Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, NJW 2018, 987 ff (990).

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5.5 Einordnung der Aktivität als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit

5.5.1 Unionsrechtliche Grundlagen

Eine Legaldefinition der Begriffe „beruflich“ und „gewerblich“ sucht man in Art 15 EuGVVO vergeblich. Sie sind wiederum iSd Verordnung autonom auszulegen.

Unter gewerbliche Tätigkeiten sind jene zu qualifizieren, die selbständig unternehmerisch und vor allem in kaufmännischen, handwerklichen, künstlerischen und landwirtschaftli-chen Bereilandwirtschaftli-chen ausgeübt werden. Einer beruflilandwirtschaftli-chen Tätigkeit gehen hingegen insbeson-dere Personen aus den freien Berufen wie bspw Ärzte oder Rechtsanwälte nach. Der Unternehmerbegriff der Brüssel I-VO setzt Selbständigkeit voraus und zwar in dem Sinne, dass die arbeitende Person sowohl Arbeitszeit, Ort als auch die jeweiligen Aufgaben und deren Inhalt selbst einteilen kann. Eine Gewinnerzielungsabsicht muss hingegen in beiden Fällen nicht vorliegen.73 Auch bloße Unentgeltlichkeit des

Rechtsge-schäfts lässt nicht sogleich auf einen Verbrauchervertrag schließen.74 Ein besonderes

Augenmerk ist darauf zu legen, dass viele zwar ihre Leistungen kostenfrei anbieten, nichtsdestotrotz nicht von einer Unentgeltlichkeit gesprochen werden kann. Wie im vorliegenden Fall verwenden die Facebook-Nutzer das Portal zwar kostenlos, dafür geben sie allerdings ihre personenbezogenen Daten preis, die wiederum von der Plattform für Werbezwecke unter Gewinnerzielung eingesetzt werden.75

Der Berufsbegriff verlangt eine auf Dauer ausgelegte Beschäftigung, die nicht in den privaten Lebensbereich fällt. 76

Ein Arbeitnehmer - ein unselbständig Beschäftigter - wird im Gegensatz dazu als Verbraucher angesehen. Als Verbrauchervertrag wird ein Vertrag angesehen, den eine Person als privater Endverbraucher zur Daseinsfürsorge und Deckung des Eigenbedarfs abschließt. 77

73 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (223 f). 74 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (229).

75 Vgl Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, NJW 2018, 987 ff (988). 76 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (224). 77 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (228 f).

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Die Formulierung des Art 15 Abs 1 leg cit stellt klar, dass nur nicht berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten in den Bereich der Verbrauchergerichtsstände fallen und gemischte Verträge, die sowohl privaten als auch beruflich-gewerblichen Zwecken dienen, nicht inbegriffen sind.78 Wird eben ein solch gemischter Vertrag abgeschlossen,

liegt nur dann ein Verbrauchervertrag vor, wenn die beruflich-gewerbliche bloß eine so nebensächliche Rolle spielt, dass sie in der Gesamtbetrachtung des konkreten Rechts-geschäfts eine völlig untergeordnete Rolle einnimmt.79 Diesbezüglich werden Umstände,

die dem Vertragspartner nicht erkennbar waren, nicht berücksichtigt, außer, die sich auf den Verbrauchergerichtsstand berufende Person setzt ein Verhalten, wonach der Vertragspartner auf eine beruflich-gewerbliche Tätigkeit schließen konnte.80

Dem EuGH kam in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, anhand des von den österreichischen Gerichten festgestellten Sachverhalts zu prüfen, ob die Tätigkeiten des Klägers Herrn Schrems als beruflich oder gewerblich angesehen werden müssen.

5.5.2 Vermarktung zur Unterstützung der Beschwerde- und Gerichtsverfahren gegen Facebook Ireland Limited

Ob Aktivitäten wie das Verfassen von Büchern, öffentliche zum Teil entgeltliche Vorträ-ge, zahlreiche Medienauftritte, Gründung eines Vereins, Aufruf zu Spendenzahlungen und zur Abtretung anderer Verbraucheransprüche, um eine effektivere gerichtliche Durchsetzung von Verbraucherrechten zu erreichen, die Schwelle zum Unternehmertum überschreiten und somit zum Wegfall des Privilegs der Verbrauchereigenschaft führen, ist mangels einer generellen Verbraucherstellung bloß anhand einer Einzelfallbetrach-tung feststellbar.

Durch die große mediale Präsenz von Herrn Schrems und dem Aufruf zu Spendenzah-lungen - sogenanntem „crowd-funding“ - zeigt sich, dass diese Tätigkeiten nicht nur ideelle, sondern auch teilweise materielle Zwecke verfolgen. Das Vorgehen von Schrems ist mit den am Verfahren beteiligten Anwälten zu vergleichen, die zweifelsohne berufliche Interessen verfolgen. Es scheint, dass das Betreiben von Websites wie jener der

78 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (229).

79 Vgl EuGH 20.01.2005 Rs C-464/01, Gruber/BayWa, ECLI:EU:C:2005:32 (Rz 39).

80 Vgl Kreuzer/Wagner/Reder, Q.II. Internationale Zuständigkeit, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg),

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„europe-v-facebook“- Website nicht nur zur Befriedigung des privaten Eigenbedarfs und dem Aufzeigen seines politischen Engagements dient. Denn gerade dieses Engagement für den Schutz des Datenrechts ist auf Dauer ausgelegt und strebt ein Einkommen an, was sich vor allem durch das Verfassen von Büchern und Halten von Vorträgen zeigt. Für beide, mit großem zeitlichen Aufwand verbundenen Tätigkeiten, erzielte der Kläger ein Einkommen. Der Kläger gründete zur besseren Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz einen Verein namens „europe-v-facebook“. Der Durchsetzung sollen vor allem Musterverfahren dienen, die durch Spenden finanziert werden.

Das Anfertigen von Sammelklagen kann an sich schon als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit angesehen werden. Erstmals muss die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht werden, um überhaupt eine Vielzahl an Fällen sammeln zu können und für die Deckung der Kosten eine Finanzierung sicherzustellen. Weiters ist für die Analyse der einzelnen Fälle, der Durchführung von Rechtsrecherchen und Organisation einer gemeinsamen Prozessführung ein enormer Zeitaufwand nötig. Alle diese Aufgaben werden für gewöhn-lich von Rechtsanwälten im Rahmen ihrer berufgewöhn-lichen Tätigkeit und nicht von einzelnen Prozessparteien bewältigt.81

Anhand der Durchsetzung zum Schutz personenbezogener Daten gegen Facebook erlangte der Kläger Publizität und Prominenz, die ihm wiederum Einkommen verschaff-ten.82

Ein weiterer Faktor, der für eine beruflich-gewerbliche Tätigkeit spricht, ist, dass der Kläger durch die zuvor genannten Ausübungen eine Berufstätigkeit für die Zukunft anstrebt und somit als Existenzgründer die Verbrauchereigenschaft verliert.83 Der

erforderte Bezug zwischen zukünftiger Tätigkeit und dem Vertrag zwischen Herrn Schrems und Facebook Ireland Ltd wird durch die Erstellung der „europe-v-facebook“ - Seite aufgewiesen.84

81 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (229 f).

82 Vgl Mankowski, EuGH-Vorlage zur internationalen Zuständigkeit für "unechte Sammelklagen" eines

Verbrauchers gegen Facebook, EWiR 2017, 223 (224).

83 Vgl EuGH 03.07.1997 Rs C-269/95, Benincasa/Dentalkit, ECLI:EU:C:1997:337 (Rz 19); Dörner in Sänger (Hrsg), Zivilprozessordnung5 (2013), Rz 8.

84 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (230 f).

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Aufgrund des enormen Zeitengagements über viele Jahre, der Aufgabenteilung bezüg-lich der immensen Zahl von 25.000 abgetretenen Ansprüchen und dem Faktum, dass es keiner Gewinnerzielung bedarf, um als Unternehmer qualifiziert zu werden, ist nach dem oben genannten eher von einer beruflich-gewerblichen Ausübung auszugehen.85

Nichtsdestotrotz ist, wie bereits mehrfach erwähnt, immer auf die konkrete Stellung einer Person in einem konkreten Rechtsgeschäft Bezug zu nehmen und aufgrund dieser Stellung auf einen privaten oder beruflich-gewerblichen Zweck abzustellen. Der Kläger stützt allerdings im streitgegenständlichen Verfahren seine Verbrauchereigenschaft nur auf sein seit 2008 bloß für private Zwecke genütztes Facebook-Konto, weshalb er aufgrund dieser subjektiven Stellung in Bezug auf seine eigenen Ansprüche die Ver-brauchereigenschaft nicht verloren hat.86

5.6 Ergebnis der ersten Vorlagefrage

Der EuGH verkündete in seiner Entscheidung, dass das Publizieren von Büchern, teilweise entgeltliche Vorträge, Betreibung von Websites, Spendensammlungen, Zession anderer Verbraucheransprüche an den Kläger zur gerichtlichen Geltendmachung, sein Expertenwissen bezüglich sozialer Medien und sein Engagement auch in Hinblick der Rechte anderer Nutzer, unter Berücksichtigung des von Generalanwalt Bobek wegen seiner Komplexität als „fifty shades of (Facebook) blue“87 bezeichneten Vertragswerks,

nicht zum Verlust der Verbrauchereigenschaft iSd Art 15 EuGVVO des Klägers Herrn Schrems hinsichtlich der Nutzung seines privaten Facebook-Kontos führt.88

Da sich der EuGH mit der Frage der Möglichkeit eines Verlusts der Verbrauchereigen-schaft im Detail auseinandersetzt, ist davon auszugehen, dass er hier einen dynami-schen Ansatz annimmt. Andernfalls hätte er sich allein mit der Feststellung begnügt, Herr Schrems sei bereits im Vertragsschlusszeitpunkt Verbraucher gewesen, weshalb das Fortbestehen oder der Verlust dieser Eigenschaft unbeachtlich bliebe. 89 Laut EuGH ist

aber vor allem aufgrund der engen Auslegung des Verbraucherbegriffs eine Nutzungs-änderung nach Vertragsschluss sehr wohl von Bedeutung. Demnach kann ein Nutzer seine Verbrauchereigenschaft verlieren, wenn sich die private Nutzung im Wesentlichen

85 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (225). 86 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (225 f). 87 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 46.

88 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 39 und 41). 89 Vgl Pitkowitz, Verbrauchergerichtsstand 2.0, Der dynamische, aber vorhersehbare

(23)

in eine berufliche verwandelt.90 Erfolgt eine gemischte Nutzung, kann sich der Nutzer nur

dann auf den Verbrauchergerichtsstand berufen, wenn die beruflich-gewerbliche nur „ganz untergeordnet“ ausgeübt wird91 und der Vertrag im Vertragsschlusszeitpunkt im

Wesentlichen privaten Zwecken diente.92

Herr Schrems bezieht sich allerdings bei seinen Begehren ausschließlich auf sein von Anfang an nur privat genutztes Facebook-Konto. Weder Fachkenntnisse noch Engage-ment im Bereich des Datenschutzes können in Bezug auf seine eigenen Ansprüche zum Verlust der Verbrauchereigenschaft nach Art 15 Brüssel I-VO führen. Ein anderes Ergebnis würde sowohl eine Schmälerung der Rechte des Verbrauchers gegen seinen Vertragspartner als auch der Rechte auf Datenschutz bedeuten und dem Gedanken des Art 169 Abs 1 AEUV, das Recht auf „Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen“ zu fördern, entgegenstehen.93

6. Zweite Vorlagefrage des OGH: Zulässigkeit der Einklagung

abgetretener Ansprüche

6.1 Erwägungen des OGH

Das österreichische Höchstgericht befasst sich bei der zweiten Vorlagefrage94 mit der

Abtretung von Verbraucheransprüchen an einen anderen Verbraucher als Zessionar. Die Zedenten stammen sowohl aus dem gleichen Mitgliedstaat, einem anderen Mitgliedstaat und aus Drittstaaten. Fraglich ist, ob sich der Zessionar in Hinblick auf die ihm übertra-genen Ansprüche auf den Verbrauchergerichtsstand des Art 16 Abs 1 EuGVVO berufen kann oder ob sich die Zedenten bloß bei eigener Einklagung auf den besonderen Gerichtsstand stützen können.

In diesem Zusammenhang geht es vorwiegend um die besonders relevante Thematik der Zulassung von sogenannten „Sammelklagen“ auf Unionsebene.

90 Vgl zustimmend Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, NJW 2018, 987 ff

(990).

91 Vgl EuGH 20.01.2005 Rs C-464/01, Gruber/BayWa, ECLI:EU:C:2005:32 (Rz 39). 92 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 38). 93 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 39 ff). 94 Vgl Kapitel 3.

(24)

Der EuGH musste sich zwar schon in mehreren Urteilen95 mit der Abtretung von

Ver-braucheransprüchen auseinandersetzen, diese Entscheidungen befassten sich aller-dings nur mit der Abtretung an juristische Personen und nicht wie im vorliegenden Fall - bezüglich des privaten Facebook-Kontos des Klägers - an eine Privatperson. Bei der Zession von Verbraucheransprüchen an juristische Personen verneinte der EuGH die Begründung des Verbrauchergerichtsstandes des Zessionars, da nicht jene Schutzbe-dürftigkeit vorliegt, wegen der die besonderen Zuständigkeitsvorschriften des Art 16 leg cit normiert wurden,96 nämlich um eine wirtschaftlich schwächere und rechtlich

unerfah-rene Partei vor der überlegenen, beruflich oder gewerblich tätigen Partei zu schützen. 97

Der OGH führt überdies aus, dass bei Bejahung der Verbrauchereigenschaft des Klägers der Rechtsstreit in Wien zu führen ist. Gleiches gilt für Ansprüche von Verbrauchern mit Wohnsitz in Wien, da es keine zusätzliche Beschwernis für die Beklagte darstellt, wenn sie im Verfahren gegen den Kläger auch diese zusätzlichen Ansprüche bestreiten muss.98

6.2 „Unechte“ Sammelklage österreichischen Rechts

Art 227 Abs 1 ZPO normiert die Möglichkeit der Geltendmachung mehrerer Ansprüche eines Klägers gegen den gleichen Beklagten in einer einzigen Klage, solange für alle Ansprüche dasselbe Gericht zuständig ist und alle einer gleichen Verfahrensart unterlie-gen. Da bei allen Ansprüchen die örtliche Zuständigkeit des Gerichts vorliegen muss, erscheint es für Generalanwalt Bobek nicht sachgerecht von einer „Sammelklage“ zu sprechen. Er vertritt den Standpunkt, dass Art 227 ZPO keine Rechtsgrundlage darstellt, um die internationale Zuständigkeit zu ändern oder einen neuen Gerichtsstand für einen Zessionar, der in diesem Fall selbst Verbraucher ist, zu begründen.99

6.3 Auslegung des Rechts der Union bezüglich Sammelklagen

Vorab ist klarzustellen, dass Art 15 Abs 1 Brüssel I-VO eine neue Zuständigkeit begrün-det, die einerseits die allgemeine Regelung des Art 2 Abs 1 leg cit, nach der am Wohn-sitz des Beklagten geklagt werden muss, andererseits aber auch die besondere

95 Vgl EuGH 19.01.1993 Rs 89/91, Shearson/TVB, ECLI:EU:C:1993:15; EuGH 01.10.2002 Rs

C-167/00, Verein für Konsumenteninformation/Henkel, ECLI:EU:C:2002:555.

96 Vgl OGH 20.07.2016, 6 Ob 23/16z, Pkt 3.1. 97 Vgl oben Kapitel 2.1.1.2.

98 Vgl OGH 20.07.2016, 6 Ob 23/16z, Pkt 3.2.

(25)

digkeit des Art 5 Z 1 leg cit, nach der der Erfüllungsort maßgeblich ist, verdrängt. Dies führt zu dem Schluss, dass Art 15 leg cit einer engen Auslegung bedarf.100

Darüberhinaus ist anzuführen, dass im vorliegenden Fall dem Kläger von anderen Verbrauchern Ansprüche aus einem Vertrag mit der Beklagten abgetreten wurden, um sie gerichtlich mit seinen eigenen Ansprüchen gegen die Beklagte geltend zu machen.101

Die Abtretung erfolgt laut EuGH nicht zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken. Das Zessionsgeschäft dient nur dem Ziel der besseren gemeinsamen gerichtlichen An-spruchsdurchsetzung.102 Dabei ist laut Kläger nicht relevant, dass der Verbraucher, der

den Vertrag mit dem Vertragspartner abgeschlossen hat, auch der ist, der die daraus entstehenden Ansprüche auch tatsächlich selbst einklagt.103

Dies erscheint aufgrund des Wortlauts des Art 16 leg cit nicht richtig zu sein. Durch die Wortwahl „die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner“ in Abs 1 leg cit und „die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher“ in Abs 2 leg cit wird impliziert, dass der Verbrauchergerichtsstand nur den Parteien des Vertrages offen steht.104 Demnach kann ein Verbraucher nur dann das Privileg des

Verbraucherge-richtsstandes in Anspruch nehmen, wenn „er persönlich Kläger oder Beklagter in einem Verfahren ist“. Dadurch wird klargestellt, dass sich ein Kläger, der gerade nicht Partei eines solchen Verbrauchervertrages ist, auch nicht auf den Verbrauchergerichtsstand berufen kann. Diese Ansicht entspricht auch dem Schutzzweck der Art 15-17 leg cit, nämlich die Überlegenheit des beruflich oder gewerblich handelnden Unternehmers zu begrenzen und so die wirtschaftlich schwächere und rechtlich unerfahrene Partei zu schützen.105

Ein Verbraucher, der Ansprüche anderer Verbraucher einklagt, kann sich in Anbetracht der zuvor erwähnten Erkenntnisse somit mangels Parteistellung in einem konkreten Verbrauchervertrag bezüglich der abgetretenen Ansprüche nicht auf den Verbraucherge-richtsstand stützen.106

Wie bereits frühere Entscheidungen zeigen, verneinte der EuGH in seiner Rechtspre-chung die Anwendung der Art 15-17 EuGVVO auch bei Verbraucherverbänden, die

100 Vgl EuGH 28.01.2015 Rs C-375/13, Kolassa/Barclays Bank, ECLI:EU:C:2015:37 (Rz 28). 101 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 20 und 74. 102 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 41); ablehnend

dazu Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (226 f).

103 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 78. 104 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 81 f. 105 Vgl EuGH 19.01.1993 Rs C-89/91, Shearson/TVB, ECLI:EU:C:1993:15 (Rz 18 und 23 f). 106 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 44).

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abgetretene Verbraucheransprüche kollektiv in einer Verbandsklage einklagten, da sie nicht Partei der konkreten streitgegenständlichen Vertragsverhältnisse waren.107

Im vorliegenden Fall verhält sich der Kläger bei der Geltendmachung der abgetretenen Verbraucheransprüche mithilfe der „Sammelklage österreichischer Prägung“ ähnlich wie ein Verbraucherverband, weshalb es nicht begründbar erscheint, ihm im Gegensatz zu Verbraucherverbänden den Verbrauchergerichtsstand zuzusprechen. Wie bereits oben unter Kapitel 5.5.1 erwähnt, ist auch hier für die Begründung der Stellung eines Unter-nehmers iSd Bestimmungen der Brüssel I-VO keine Gewinnerzielungsabsicht erforder-lich.108

Eine weitere Entscheidung des EuGH zeigt, dass für die Begründung des Verbraucher-gerichtsstands notwendigerweise ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem unternehmerisch Handelnden abgeschlossen werden muss. Es reicht hingegen nicht aus, wenn bloß dem Zessionar die Verbrauchereigenschaft zugutekommt, während der Zedent als Unternehmer qualifiziert wird. Eine Berufung auf den besonderen Gerichts-stand der Art 15-17 EuGVVO ohne Vorliegen eines Verbrauchervertrages ist nicht zulässig.109

Auf den gegenständlichen Fall zurückkommend, betont Generalanwalt Bobek auch vor allem die Wichtigkeit der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeit. Diese wird im elften Erwägungsgrund der Verordnung als deren Ziel besonders hervorgehoben.110 Eine

Sicherstellung der Vorhersehbarkeit erfolgt durch die Bedingung, dass zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer ein Vertrag vorliegen muss.111 Dabei ist nicht nur die

Vorhersehbarkeit des Gerichtortes, sondern auch der Person, mit der sich der Unter-nehmer in Streit befindet, bedeutend. Gerade aus dem Grund, dass bei einer Klage die gegenüberstehende Partei vorhersehbar sein muss, ist die Zulässigkeit einer Aufspal-tung zwischen der vertragsschließenden Person und jener, die tatsächlich die Klage

107 Vgl EuGH 01.10.2002 Rs C-167/00, Verein für Konsumenteninformation/Henkel,

E-CLI:EU:C:2002:555 (Rz 33).

108 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (233).

109 Vgl EuGH 28.01.2015 Rs C-375/13, Kolassa/Barclays Bank, ECLI:EU:C:2015:37 (Rz 34 f); Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabent-scheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (233).

110 Vgl Schlussantrag GA Bobek v 14.11.2017, Rs C-498/16, Schrems/Facebook, Rz 100. 111 Vgl EuGH 25.01.2018 Rs C-498/16, Schrems/Facebook, ECLI:EU:C:2018:37 (Rz 46).

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erhebt, zu verneinen.112 Die Vorhersehbarkeit und der Vertrauensschutz des

Gerichtor-tes schützen natürlich nicht davor, dass der Verbraucher selbst seinen Wohnsitz bis zum ausschlaggebenden Zeitpunkt der Klageerhebung wechselt.113

Die hL in Deutschland vertritt hingegen eine Gegenauffassung. Ist der Rechtsnachfolger selbst Verbraucher und demnach schutzwürdig iSd Art 15-17 EuGVVO, so soll er sich bezüglich der abgetretenen Ansprüche sehr wohl auf Art 16 leg cit stützen können. Grund für diese Annahme ist, dass die Brüssel I-VO eben gerade auf die subjektive Stellung einer Person als Verbraucher und nicht rein auf den Vertrag abstellt. Auch ein Zessionar kann somit in einem Verfahren privat und nicht gewerblich oder beruflich handeln. Anders als Generalanwalt Bobek, der wegen des Wortlauts des Art 16 leg cit die Übertragbarkeit des Verbrauchergerichtsstandes an einen anderen Verbraucher verneint, stützt sich die hL gerade wegen des Wortlauts, der bloß von „einem“ Verbrau-cher spricht, auf die Zulassung der VerbrauVerbrau-chergerichtsstände auch für Rechtsnachfol-ger. Der Zessionar muss aber jedenfalls im konkreten Vertrag selbst Verbraucher sein, um den Verbraucherschutzvorschriften unterliegen zu können. Die Beurteilung der Verbraucherstellung erfolgt anhand des objektiv erkennbaren Zwecks für die Verwen-dung der abgetretenen Ansprüche im Klageerhebungszeitpunkt. Unbedeutend ist, ob der Zessionar die abgetretenen Ansprüche zusammen mit seinen eigenen geltend macht oder sie selbständig einklagt. Dagegen ist für eine Geltendmachung der Ansprüche am Klägergerichtsstand des Rechtsnachfolgers bei etwaiger Abweichung vom Wohnsitzstaat des Zedenten notwendig, dass die Tätigkeit des gewerblich oder beruflich handelnden Vertragspartners im Vertragsschlusszeitpunkt nicht nur auf den Wohnsitzstaat des Zedenten, sondern auch auf den Wohnsitz des Zessionars ausgerichtet wurde. Im Gegensatz dazu können Ansprüche von Zedenten, die im Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Vertrags nicht in einem Mitgliedstaat der EU ansässig waren - sprich in einem Drittstaat ihren Wohnsitz haben - nicht am Gerichtsstand des Verbrau-cherzessionars geltend gemacht werden.

Durch die Regelungen, dass der Zessionar selbst Verbraucher sein muss und der Unternehmer bei unterschiedlichen Wohnsitzstaaten des Verbrauchers und dessen Rechtsnachfolger, seine Tätigkeit auf beide Staaten ausrichten muss, kann die Gefahr

112 Vgl Rechberger, Rechtsfragen zum Verbrauchergerichtsstand gem Art 15 f EuGVVO aF, Zum

Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) in der Rs Maximilian Schrems vs Facebook Irland Ltd, ZfRV 2017, 222 ff (235).

113 Vgl Schmon, Schrems vs Facebook: Internationale Zuständigkeit bei Forderungsabtretung, ecolex

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eines „forum shoppings“, bei dem der Kläger rechtsmissbräuchlich nach seinem Belie-ben und Bedürfnis einen Gerichtsstand wählen kann, ausgeschalten werden. Darüber-hinaus liegt auch keine begründete Bedrohung für ein Umgehen der unionsrechtlich ohnehin noch nicht geregelten Zulässigkeitsbestimmungen für einen kollektiven Rechts-schutz114 in Verbrauchersachen vor, da der Verbraucherbegriff in der EuGVVO sowieso

eng ausgelegt wird.115

6.4 Zur Notwendigkeit von Sammelklagen für Verbraucherangelegenheiten in der Europäischen Union

Zweifelsohne stellen Sammelklagen ein effektives Instrument zur gerichtlichen Durchset-zung von Verbraucherschutzinteressen dar. Durch gute Konzipierung und UmsetDurchset-zung können sie auch zur Vermeidung von Parallelverfahren dienlich sein.

Die Kommission erkannte die Bedeutung von Sammelklagen und forderte bereits mehrmals eine Umsetzung ihrer Empfehlungen und mehr Aktivität bezüglich eines Erlasses von Rechtsakten, die Verfahren bei Masseschadensfällen vor allem in Verbrau-cherangelegenheiten regeln.116 Denn durch eine zunehmende Globalisierung,

Digitalisie-rung und einer verbraucherorientierten Wirtschaft, können zahlreiche Verbraucher vermehrt von ähnlichen oder gar gleichen unlauteren Praktiken in der Wirtschaftswelt geschädigt werden. Verbraucher werden dagegen oft aufgrund von „hohe[n] Prozesskos-ten, komplexe[n] und langwierige[n] Verfahren sowie mangelnde[r] Kenntnis [...] über die vorhandenen Rechtsbehelfe“ von einer Prozessführung abgeschreckt.117

Im April 2018 veröffentlichte die Kommission den „New Deal for Consumers“ Bericht, der ein Maßnahmenprogramm zur Stärkung von Verbraucherrechten und deren Durchset-zung beinhaltet. Dabei schlug die Kommission Rahmenbedingungen vor, die auch Verbandsklagen für Verbraucher auf Unionsebene vorsehen. Dadurch soll ein Binnen-markt geschaffen werden, der faire Bedingungen für Verbraucher und Unternehmer gewährleistet. Mit der Einführung eines kollektiven Rechtsschutzes sollen sogleich Schutzmaßnahmen verabschiedet werden, um einen missbräuchlichen Gebrauch dieser Verfahrensart zu vermeiden. Nach dem Konzept dieses Richtlinienvorschlages der

114 Vgl weiter unten Kapitel 6.4.

115 Vgl Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199 ff (228 ff). 116 Vgl Schmon, Schrems vs Facebook: Internationale Zuständigkeit bei Forderungsabtretung, ecolex

2018, 248 f (249).

117 Vgl Kommission, Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM

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