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Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit zur Alltagsbewältigung für Menschen mit paranoider Schizophrenie leisten?

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Academic year: 2021

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Bachelor Studiengang Soziale Arbeit

„Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit zur Alltagsbewältigung für

Menschen mit paranoider Schizophrenie leisten?“

Bachelor Arbeit zur Erreichung

des akademischen Grades

„Bachelor of Arts“ (B.A.)

urn:nbn:de:gbv:519-thesis2019-0273-5

Vorgelegt von: Jan Schierenbeck

Prof. Dr. phil. habil. Barbara Bräutigam

Zweitgutachter: Prof. Dr. Andreas Speck

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 1 1. Methodisches Vorgehen ... 2 2. Paranoide Schizophrenie ... 3 2.1. Definition ... 3 2.2. Symptome ... 6 2.2.1 Positivsymptomatik ... 6 2.2.2 Negativsymptomatik ... 8 2.2.3 Weitere Symptome ... 9 2.3. Ursachen/Ätiologie ... 10 2.4. Verlauf ... 12 2.5. Medizinische/Therapeutische Behandlungsformen... 17

3. Einsatzbereiche der Sozialen Arbeit ... 21

3.1. Klinische Sozialarbeit ... 22

3.2. Stationäre Wohnformen/ Wohnstätten ... 23

3.3. Ambulante Hilfen ... 25

3.3.1. Betreutes Wohnen ... 25

3.3.2. Tagesstätten ... 28

3.4. Weitere Formen der Hilfe ... 29

4. Konzepte, Methoden und Ansätze der sozialen Arbeit im Kontext paranoider Schizophrenie ... 31

4.1. Sozialraumorientierung ... 32 4.2. Empowerment ... 33 4.3. Case-Management ... 33 4.4. Psychosoziale Beratung ... 34 4.5. Netzwerkarbeit ... 35 4.6. Prävention ... 36

5. Herausforderungen in der sozialen Arbeit mit Menschen, die an einer paranoiden Schizophrenie leiden ... 39

6. Fazit ... 42

7. Literaturangaben... 45

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Einleitung

Der Begriff Schizophrenie leitet sich von den altgriechischen Wörtern s’chizein, was so viel wie „spalten, zerspalten, zersplittern“ bedeutet und phrēn,das übersetztt „Geist, Seele, Gemüt, Zwerchfell“ bedeuten kann, ab. Es handelt sich demnach um eine Spaltung der Seele. Heutzutage wird die Schizophrenie als eine strukturelle und funktionelle Störung des Gehirns definiert. Die paranoide Schizophrenie stellt dabei den häufigsten Subtyp der Schizophrenien dar. Kennzeichnend sind Wahnvorstellungen wie zum Beispiel das Hören von Stimmen oder ein Verfolgungswahn. Daher spricht man auch von einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Die WHO geht davon aus, dass weltweit eine*r von 100 Menschen vor dem 45. Lebensjahr an einer Schizophrenie erkrankt. Dabei ist es unab-hängig, aus welchen Ländern, Kulturen und sozio-ökonomischen Gruppen die Menschen stammen. Die Zahlen der Erkrankungen sind überall ähnlich häufig. Auch zwischen Män-nern und Frauen scheint es bezüglich der Anzahl der Erkrankungen keine Unterschiede zu geben. Lediglich beim Alter der ersten Erkrankung sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellbar. Während Männer im Schnitt im Alter von 16 – 25 Jahren erst-malig an einer Schizophrenie erkranken, tritt die Krankheit bei Frauen eher im Alter von 23 – 36 Jahren erstmalig auf, also durchschnittlich sieben bis zehn Jahre später. Die Sui-zidrate stellt dabei mit bis zu zehn Prozent eine erhebliche Größe dar (vgl. gesund-heit.com 2019, Internetquelle).

Die paranoide Schizophrenie, eine Krankheit mit vielen Gesichtern, lässt sich durch diver-se, miteinander verbundene Methoden behandeln. Zum einen gibt es Therapien die auf medikamentöse Unterstützung zurückgreifen, zum anderen auch solche, in denen eine medikamentöse Behandlung nicht im Vordergrund steht. Letztere werden jedoch meist begleitend eingesetzt. Besonders aus den nicht medikamentösen Behandlungsmethoden entwickelte sich ein bedeutsames Arbeitsfeld für die soziale Arbeit. Diese Arbeit besteht vordergründig in der Begleitung und Beratung der Erkrankten bzw. Angehörigen. Welchen Stellenwert diese genau in der Behandlung der paranoiden Schizophrenie einnimmt und welche Methoden und Ansätze sie mit einbringt, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Eine konkrete Fragestellung dieser Bachelor Thesis könnte demnach lauten: ‚Welche Beiträge kann die Soziale Arbeit zur Alltagsbewältigung für Menschen mit einer paranoiden Schizophrenie leisten.‘

Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zu Beginn erfolgt eine Beschreibung des methodischen Handelns, in dem der Prozess der Recherche und die Herangehensweise an die Arbeit beschrieben werden.

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Das zweite Kapitel widmet sich der Untersuchung des Krankheitsbildes und dient dem Zweck, ein einheitliches Verständnis über das Krankheitsbild der paranoiden Schizophre-nie zu vermitteln. Dazu werden zunächst wichtige Definitionen genannt und erläutert. Nachfolgend werden die diversen Symptome beschrieben, gefolgt von möglichen Ursa-chen der Krankheit. Anschließend wird der Verlauf der Krankheit erläutert, sofern dies möglich ist. Das erste Kapitel wird geschlossen mit den diversen Behandlungsformen, wobei an diesem Punkt zumeist Bezug auf die medizinische Behandlung genommen wird. Das dritte Kapitel dient der Erfassung von Bereichen in denen die Soziale Arbeit Berüh-rungspunkte mit dem Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie aufweist. Ziel ist es, verschiedene Felder dieser Arbeit zu beschreiben um einen Überblick zu schaffen, inwie-fern die Soziale Arbeit in die Behandlung/Bewältigung mit einzubeziehen ist. Neben der klinischen Sozialarbeit werden in diesem Kapitel auch Aufgaben für Sozialarbeiter*innen in ausgewählten stationären Wohnformen beschrieben. Anschließend wird Bezug auf das Gebiet der ambulanten Hilfen der Sozialen Arbeit für Menschen mit einer paranoiden Schizophrenie genommen, wobei zwei große Bereiche vorgestellt werden, betreutes Wohnen und die Tagesstätten. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung von weiteren Formen der Hilfe ab.

Das vierte Kapitel beschreibt Konzepte, Methoden und Ansätzen der Sozialen Arbeit im Kontext paranoider Schizophrenie. Da die Auswahl vor allem an Methoden immens ist, soll sich die Arbeit an dieser Stelle auf eine kleine Auswahl beschränken, die ein Grund-gerüst sozialarbeiterischen Handelns darstellen können.

Kapitel Fünf widmet sich den Herausforderungen der sozialen Arbeit im Kontext paranoi-der Schizophrenie. Was müssen Sozialarbeiter*innen tun, um professionell zu handeln und wie können sie sich selbst und ihre eigene Gesundheit schützen? Diese Fragen sol-len nach Möglichkeit in diesem Kapitel beantwortet werden.

Das Ende dieser Arbeit bildet ein abschließendes Fazit, indem die Ergebnisse der Arbeit in Bezug zur einleitenden Fragestellung gesetzt werden und Resümee gezogen wird.

1. Methodisches Vorgehen

Der Prozess zur Entstehung dieser Bachelor Thesis begann mit der Überlegung nach einem Themenbereich. Die Entscheidung fiel dabei auf die Untersuchung eines Krank-heitsbildes, in dem die Soziale Arbeit einen nennenswerten Arbeitsbereich hat. Nachdem die Wahl, aufgrund der Vorerfahrung durch das studienrelevante Praxissemester auf die paranoide Schizophrenie fiel, wurde eine Fragestellung und eine entsprechende Gliede-rung entwickelt, welche aufgrund einiger Rechercheergebnisse im Verlauf des Arbeitspro-zesses angepasst und entwickelt wurde. Diese Arbeit stellt eine reine Recherche Arbeit

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dar. Als Grundlage der Recherche dienten dieser Arbeit die Hochschulbibliothek Neu-brandenburg, den GVK-Verbundkatalog, sowie diverse Internetquellen. Stichworte meiner Recherche waren dabei: paranoide Schizophrenie, Psychiatrie, Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit, Schizophrenie und Prävention, klinische und ambulante Soziale Arbeit und ähnli-che. Nachdem die passende Literatur gefunden wurde, sortierte ich die Bücher nach den diversen Themen, um die Recherche im Schreibprozess zu vereinfachen. Nach Beendi-gung des Schreibprozesses wurden die Gliederung und die Einleitung auf den finalen Inhalt dieser Arbeit abgestimmt und die Arbeit fertiggestellt.

2. Paranoide Schizophrenie

Dieses Kapitel soll einen Überblick über das Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie liefern. Bei der Bearbeitung dieses Themas soll sowohl auf die Definition, Ursachen, For-men, Verlauf und Behandlungsformen eingegangen werden.

2.1. Definition

Wie bereits eingangs erwähnt, setzt sich das Wort Schizophrenie aus den beiden griechi-schen Wörtern ‚schizo‘ und ‚phren‘ zusammen und bedeutet so viel wie gespaltener Geist. Es handelt sich um eine psychotische Erkrankung, sprich der Realitätsbezug ist gestört. Dies kann sich in verschiedenen Symptomen ausdrücken, beispielsweise in: Wahn, Hal-luzinationen, formalen Denkstörungen oder Ich-Störungen. Des Weiteren können noch affektive, psychomotorische und Verhaltensstörungen auftreten (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S 27). Im ICD-10 ist die Schizophrenie unter der Kennnummer F20 und die parano-ide Schizophrenie etwas detaillierter unter der Kennnummer F20.0 beschrieben. Laut ICD-10 ist eine paranoide Schizophrenie durch beständige, häufig paranoide Wahnvor-stellungen gekennzeichnet. In vielen Fällen treten Begleitsymptome wie akustischen Hal-luzinationen und Wahrnehmungsstörungen auf.

Um eine paranoide Schizophrenie diagnostizieren zu können, müssen die allgemeinen Kriterien einer Schizophrenie erfüllt sein. Hierfür gibt es zwei verschiedene Listen die un-terschiedliche Merkmale nennen. Um das Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie diagnostizieren zu können, muss entweder mindestens eines der Symptome, Anzeichen und Syndrome der Merkmalsliste 1 oder mindestens zwei Symptome der Merkmalsliste 2 in der meisten Zeit einer psychotischen Phase von mindestens einem Monat Dauer vor-handen sein (oder während einiger Zeit an den meisten Tagen).

Merkmalsliste 1:

x Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedanken-ausbreitung

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x Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung

x Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über das Verhalten des*r Pati-ent*innen reden oder untereinander über ihn*sie diskutieren, oder andere Stim-men, die aus bestimmten Körperteilen kommen

x Anhaltender, kulturell unangemessener, bizarrer und völlig unrealistischer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit außerirdischen in Verbindung zu stehen

Merkmalsliste 2:

x Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens ei-nes Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedan-ken ohne deutlichen affektiven Inhalt oder begleitet von langanhaltenden überwer-tigen Ideen

x Neologismen (neu geschaffene Wörter), Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt.

x Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypen oder wächserne Bieg-samkeit, Negativismus, Mutismus und Stupor

x Negative Symptome wie auffällige Apathie (Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit), Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, wobei sichergestellt werden muss, dass diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neurolepti-sche Medikation verursacht werden.

Des Weiteren gibt es noch einen Ausschlussvorbehalt:

x Wenn Patient*innen ebenfalls die Kriterien für eine manische Episode (F30) oder eine depressive Episode (F32) erfüllen, müssen die oben genannten Kriterien vor dieser affektiven Störung aufgetreten sein

x Die Störung kann nicht einer organischen Gehirnerkrankung oder einer Alkohol- oder Substanzintoxikation, einem Abhängigkeitssyndrom oder einem Entzugssyn-drom zugeordnet werden

Weitere Kriterien, die zur Diagnose paranoide Schizophrenie führen, können folgende sein:

x Wahnphänomene oder Halluzinationen müssen vorherrschen (Verfolgungswahn, Beziehungswahn, Abstammungswahn, Sendungswahn, Eifersuchtswahn; drohen-de odrohen-der befehlendrohen-de Stimmen, Geruchs- und Geschmackshalluzinationen, sexuelle oder andere körperliche Sensationen)

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x Ein verflachter oder inadäquater Affekt, katatone Symptome oder Zerfahrenheit dominieren das klinische Bild nicht, können jedoch in leichter Form vorhanden sein (vgl. Dilling/ Freyberger 2016, S. 94 ff).

Es handelt sich demnach um grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung, sowie inadäquater und verflachter Affekte. Die intellektuellen Fähig-keiten und die Klarheit des Bewusstseins sind dabei in der Regel nicht beeinträchtigt. Dennoch können sich im Laufe der Zeit kognitive Defizite entwickeln. Wenn eine ausge-prägte Depression oder eine Manie diagnostiziert wurden, sollte eine Schizophrenie nicht diagnostiziert werden, es sei denn, die schizophrenen Symptome sind denen der affekti-ven Störung vorausgegangen. Auch bei Gehirnerkrankungen, Intoxikationen oder Ent-zugserscheinungen sollte die Diagnose Schizophrenie nicht gestellt werden (vgl. Dilling/ Freyberger 2016, S. 93).

Die paranoide Schizophrenie (F20.0) ist jedoch nicht die einzige Form der Schizophrenie. Eine weitere, häufig auftretende Form, die hier jedoch nur kurz beschrieben werden soll, ist die hebephrene Schizophrenie (F20.1). Bei dieser Form der Schizophrenie stehen die affektiven Veränderungen im Vordergrund. Wahnvorstellungen und Halluzinationen treten nur flüchtig auf. Die Stimmung ist flach und unangemessen, meist verantwortungslos und unvorhersehbar. Das Denken ist von Desorganisation geprägt und die Sprache zerfahren. Die Betroffenen neigen in der Regel dazu, sich sozial zu isolieren. Eine Hebephrenie wird nur bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen diagnostiziert und die Prognose ist zu-meist schlecht.

Eine dritte Form ist die katatone Schizophrenie (F20.2). Diese Form ist gekennzeichnet durch psychomotorische Störungen, wie zum Beispiel übernatürliche Erregung oder Stu-por (völlige körperliche und geistige Regungslosigkeit). Des Weiteren sind Zwangshaltun-gen und -StellunZwangshaltun-gen möglich, die über sehr lange Zeit gehalten werden können. Auch Negativismus, also ein unerklärlicher Widerstand gegenüber allen Aufforderungen oder versuchen, bewegt zu werden ist eine typische Symptomatik für diese Form der Schizo-phrenie. Weitere Formen der Schizophrenie nach ICD-10, die hier aufgrund der Umfäng-lichkeit nur genannt werden sollen, sind:

x Undifferenzierte Schizophrenie (F20.3) x Postschizophrene Depression (F20.4) x Schizophrenes Residuum (F20.5) x Schizophrenia simplex (F20.6)

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Es lässt sich festhalten, dass es eine Reihe von schizophrenen Erkrankungen gibt, wel-che sich zumeist aufgrund ihrer Symptome voneinander unterswel-cheiden. Diese Arbeit soll sich jedoch vorrangig mit der paranoiden Schizophrenie beschäftigen.

2.2. Symptome

Im Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie gibt es eine Vielzahl von Symptomen. Ein paar dieser wurden bereits kurz erwähnt. Nachfolgend sollen diverse Symptome aus-führlich erklärt und beschrieben werden.

Bis heute wurden keine klinischen oder neurobiologischen Parameter benannt, die spezi-fisch für eine Diagnose der Schizophrenie sind. Bisher gründet sich die Diagnose einer Schizophrenie auf psychopathologische Befunde, Verlaufsbeobachtungen der Erkrankung und dem Ausschluss einer organischen Ursache (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 178).

Man unterscheidet im Krankheitsbild der Schizophrenie eine Positivsymptomatik und eine Negativsymptomatik. Hierbei heißt positiv jedoch nicht ‚gut‘ und negativ nicht ‚schlecht‘. Positiv bedeutet in diesem Kontext eher, dass es einen auffälligen Befund gibt. Negativ bedeutet hingegen, dass etwas fehlt, bzw. dass es ein Defizit gibt. Folgende Tabellen sollen eine Übersicht der jeweiligen Symptome geben.

2.2.1. Positivsymptomatik

Diese Symptomatiken werden auch produktive Symptomatiken genannt.

Symptom Erläuterung Beispiel

Wahnvorstellung Die Realität wird falsch beur-teilt, also falsch gedacht. An dieser Realität wird mit subjek-tiver Gewissheit festgehalten

‚Morgen ist meine Krönung zum König von Deutschland. Die Autos haben es mir zugeblinkt.‘ Die Autos blinken tatsächlich, jedoch schreibt die betroffene Person dem Blinken eine fal-sche Bedeutung zu.

Halluzination Es handelt sich um eine „Trugwahrnehmung“ jeglicher Sinne (Hören, Sehen, Rie-chen, Fühlen, Schmecken), die jedoch von umliegenden Personen nicht wahrgenom-men werden

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Akustische Halluzina-tion

(kommen am häufigs-ten vor)

Befehlende Stimmen Person steht auf einer Brücke und eine Stimme Kopf befiehlt im: ‚Spring!‘

Kommentierende Stimmen, meist herabsetzend

‚Du bist nichts wert‘, oder die Person wird ausgelacht

Optische Halluzinati-onen

Oft gekoppelt mit Stimmenhö-ren

Person sieht Teufel im Essen und dieser droht ihr/ihm

Meist unangenehm, manchmal angenehm

‚Plötzlich war der Himmel voller Engel. Es war sehr schön.‘ Coenaestethische

Halluzination

Unrealistische Körperempfin-dungen

‚Ich spüre, wie mein Körper sich zersetzt.‘

Ich-Störungen Störung der Ichhaftigkeit des Erlebens und Handelns. Die Grenze zwischen dem Ich und der Umwelt wird als durchläs-sig empfunden

Gedankeneingebung Patient*in muss Gedanken

empfinden, die nicht als eige-ne empfunden werden

‚Die Gedanken werden mit Übertragung in meinen Kopf eingeschleust.‘

Gedankenentzug Patient*in empfindet, dass die

eigenen Gedanken gestohlen werden

‚Meine Gedanken werden ab-gehört und abgezapft mit spezi-ellen Mikrofonen.‘

Gedankenausbreitung Patienten glauben, dass deren Gedanken für andere Men-schen sichtbar wären

‚Jeder sieht was ich denke. Meine Gedanken stehen auf meiner Stirn.‘

Diese Tabelle ist der Abbildung von Kaufmann-Mall 2016 (S. 309) nachempfunden und verdeutlicht anschaulich die Positivsymptomatiken. Bei jedem Symptom nimmt die be-troffene Person „mehr“ wahr, als die Personen in der Umgebung, beziehungsweise gibt den Wahrnehmungen andere, besondere Bedeutungen zu. Sie hören z.B. Stimmen, die andere nicht hören, bzw. sehen in dem Blinken der Autos andere Botschaften als den reinen Wunsch, abzubiegen. Positivsymptome treten zumeist in akuten Phasen einer pa-ranoiden Schizophrenie auf (Betroffene haben einen psychotischen „Schub“). Pati-ent*innen sprechen in dieser Phase relativ gut auf Antipsychotika an (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 179).

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2.2.2. Negativsymptomatik

Diese Symptome werden auch Defektsymptomatiken genannt.

Symptom Erläuterung Beispiel

Alogie Eine Alogie bedeutet, die Sprache verarmt.

Betroffene sprechen wenig spon-tan, antworten nur zögerlich und kurz. Sie scheinen Mühe beim Sprechen zu haben.

Affektverflachung Gefühle und emotionale Aus-drücke verarmen

Das Gesicht wirkt emotionslos und leer. Betroffene zeigen kaum Gefühle. ‚Die Gefühle sind weg.‘ Apathie, Abulie Antriebsmangel,

Interesselo-sigkeit, Entscheidungsschwä-che

Das Verhalten wirkt gebremst. Steine können nicht in große und kleine unterteilt werden.

Anhedonie Die Unfähigkeit Freude und Genuss zu empfinden

Betroffenen scheint alles gleich-gültig. Sie scheinen keine Anrei-ze mehr im Leben zu haben. „Autismus“ Betroffene Leben in einer

ei-genen Welt

Betroffene Person redet fast aus-schließlich mit eigenem Spiegel-bild. Kann Gespräch mit anderen Personen kaum aushalten und wird dann schnell angespannt, bis sie wieder allein gelassen wird.

Minderung der kognitiven Fähig-keiten

Aufmerksamkeit, Konzentrati-on und Merkfähigkeit sind ge-stört

‚Ich kann mir nichts mehr mer-ken. Ständig vergesse ich alle Namen.‘

Auch hier verdeutlicht die nach Kaufmann-Mall 2016 (S. 310) nachempfundene Tabelle sehr anschaulich, worum es sich bei der Negativsymptomatik handelt. Alle dargestellten Symptome zeigen Defizite der Betroffenen auf. Sie sind zum Beispiel nicht in Lage, wie andere, Gefühle zu fühlen, bzw. haben defizitäre kognitive Leistungen. Die Negativsymp-tome zeigen sich vorrangig in der chronischen Phase der Erkrankung. Betroffene sind in dieser Phase eher schlecht durch Antipsychotika beeinflussbar (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 179).

Weitere Einteilungen trafen zum Beispiel E. Bleuler (Grundsymptome und akzessorische Symptome) und K. Schneider (Symptome ersten und zweiten Ranges). Auf weitere

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detail-lierte Beschreibungen von Einteilungen soll hier nicht weiter eingegangen werden, da ein Beispiel zur Veranschaulichung ausreichend ist.

2.2.3. Weitere Symptome

Neben der Einteilung in Positiv- und Negativsymptomatik kann man die Symptome auch auf andere Art und Weise klassifizieren. Ein Beispiel hierfür sind Selbst- und Fremdge-fährdung. Die Selbstgefährdung ist hier ungleich höher als die FremdgeFremdge-fährdung. Dabei versuchen die Betroffenen sich nicht umzubringen, weil sie es gerne wollen, sondern weil sie real gefährliche Situationen als ungefährlich einstufen, oder ‚Befehle‘ von Stimmen befolgen (Kaufmann Mall 2016, S. 311). Die Fremdgefährdung ist in der Realität viel nied-riger, als es das Bild vom „verrückten Irren“ in der Bevölkerung vermuten lässt. Lediglich 5 von 10.000 schizophren erkrankten Menschen werden polizeilich aufgrund von Gewalt-anwendung erfasst. Die geringe Anzahl der Gewalttaten werden zudem meist im nahen sozialen Umfeld der Betroffenen begangen, da sich meist aus zuvor schon angespannten Verhältnissen Wahngedanken entwickeln

Die ersten Symptome hingegen sind völlig normale Beeinträchtigungen, die fast jeder Mensch schon einmal erlebt hat. Dazu gehören zum Beispiel Konzentrationsschwierigkei-ten, Reizbarkeit, wechselnde körperliche Beschwerden oder die starke Beschäftigung mit Traumwelten. Aus diesem Grund ist ein früher Behandlungsbeginn auch schwer einzulei-ten (vgl. Baierl 2017, S. 182).

Schizophren erkrankte Menschen weisen häufig Komorbiditäten auf, das heißt sie treten in Verbindung mit anderen Erkrankungen auf. Die höchste Komorbiditätsrate besteht zu Suchterkrankungen. Hervorzuheben sind hierbei die Abhängigkeit und/oder der Miss-brauch von Alkohol, Cannabis, Kokain, Benzodiazepine, Halluzinogene, Antiparkinsonmit-tel, Kaffee und Nikotin. Des Weiteren treten bei Menschen mit einer psychischen Erkran-kung häufig körperliche ErkranErkran-kungen auf, die auf eine ungesunde Lebensweise zurück-zuführen sind, wie z.B. Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Daher ist die Mortalitätsrate bei schizophren erkrankten Menschen um 20 % höher als bei der „gesunden“ Bevölkerung (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 178). Baierl (vgl. Baierl 2017, S. 186 f) spricht davon, dass ca. 50 % der Erkrankten eine weitere Sucht entwickeln.

Etwa 60 % der Betroffenen rauchen. Im Vergleich ist hier zu betonen, dass lediglich 30 % der Gesamtbevölkerung rauchen. 30 % der psychosekranken Menschen leiden außerdem an einer Alkoholsucht, 12 % an Zwangsstörungen bzw. Persönlichkeitsstörungen und 4 % an Opiatabhängigkeit.

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Dieses Kapitel zeigt die Diversität der Symptome und damit die Umfänglichkeit dieser Erkrankung auf. Die anfänglich alltagsbekannten Symptome erschweren hierbei die früh-zeitige Diagnose und Behandlungsbeginn.

2.3. Ursachen/Ätiologie

Prinzipiell kann jeder Mensch an einer paranoiden Schizophrenie erkranken. Es lassen sich jedoch bestimmte Faktoren erkennen, welche die potenzielle Gefahr zu erkranken erhöhen. Besonders Menschen aus einer vorbelasteten Familie, d.h. einer Familie in der bereits ein oder mehrere beliebige psychische Störungen aufgetreten sind, sind einem größeren Risiko ausgesetzt an einer paranoiden Schizophrenie zu erkranken. In diesem Fall wird von einer genetischen Mitverursachung gesprochen. Es wird davon ausgegan-gen, dass 50-70 % der Schizophrenien genetisch bedingt sind. Jedoch sinkt der geneti-sche Einfluss auf die Entwicklung einer Schizophrenie mit dem Alter. Ein gewisses Restri-siko bleibt jedoch ein Leben lang bestehen. Wenn ein eineiiger Zwilling beispielsweise an einer Schizophrenie erkrankt besteht immer eine 50 %-ige Wahrscheinlichkeit, dass der andere Zwilling auch an erkrankt.

Eine weitere Ursache für die Entwicklung einer paranoiden Schizophrenie liegt in mögli-chen Veränderungen des Gehirns. Es kann unter bestimmten Umständen passieren, dass das Gehirn nicht mehr in der Lage ist, eingehende Reize angemessen zu empfangen, bewerten bearbeiten und zu filtern. Dies kann Überreizungen und Überforderungen verur-sachen, was wiederum zu Halluzinationen führen kann. Diese Veränderungen im Gehirn können zum Beispiel durch frühkindliche Hirnschäden oder Hirnhautentzündungen ent-stehen. Weitere Ursachen für Veränderungen im Gehirn können Stoffwechselstörungen im Gehirn oder Sauerstoffmangel bei der Geburt sein.

Ein weiterer fördernder Faktor in der Entstehung von Schizophrenien ist Stress. Langan-haltende, ungünstige Bedingungen und schwere Belastungen wie Beziehungsprobleme oder die Trennung von wichtigen Bezugspersonen oder anhaltender körperlicher und emotionaler Stress in der Arbeit begünstigen den Ausbruch einer Psychose. Hierbei geht man jedoch davon aus, dass dies eher als Auslöser, nicht aber als Ursache gewertet wer-den kann (vgl. Baierl 2017, S. 184f).

Das sogenannte Vulnerabilitäts-Stress-Modell, welches ursprünglich von Zubin und Spring entwickelt wurde, verdeutlicht dies. Genetische und entwicklungsbiologische Fak-toren verursachen pathologische und chemische Veränderungen im Gehirn, die lange vor Ausbruch der Erkrankung bestehen können und eine gewisse Verletzbarkeit (Vulnerabili-tät) für die Entstehung von Psychosen darstellen. Kommt jetzt noch Stress in Form von ungünstigen Umweltfaktoren hinzu und das Gehirn verfügt über keine angemessenen Kompensationsmechanismen, kann es zum Ausbruch der Erkrankung kommen (vgl.

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Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 190). Beispiele hierfür könnten junge Menschen sein, die ihr bisheriges Leben gut behütet in einer dörflichen Gegend verbracht haben und nun zum Studium in eine große Stadt ziehen. War das Leben vorher weitgehend fremd-bestimmt, so muss die Person nun auf eigenen Füßen stehen, Studium, Beruf, Tagesab-lauf und evtl. eine eigene Familie managen. Dies kann zu einem großen psychosozialen Stress führen, welcher unter den oben genannten Bedingungen wiederum eine Psychose auslösen kann (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 313).

Der Konsum von Drogen ist ein weiter erheblicher Risikofaktor für die Entstehung von Schizophrenien. Regelmäßiger Konsum von Haschisch, Cannabis und anderen Drogen erhöht das Psychoserisiko erheblich. Hierbei kommt es oft zu paradoxen Situationen. Vor allem junge Menschen, die (teilweise unwissentlich) an einer leichten Psychose erkrankt sind, konsumieren häufig als Selbstmedikation Cannabis um zu entspannen, was kurzfris-tig auch hilfreich sein kann. Regelmäßiger Konsum, welcher dann häufig eintritt, führt hin-gegen oft zur Verstärkung der Erkrankung und zur Ausbildung einer Schizophrenie. In diversen Untersuchungen wird hier von einer Verdopplung bis Verzehnfachung des Risi-kos gesprochen. Bei regelmäßig konsumierenden Menschen treten akute Symptome im Schnitt acht Jahre früher auf, als bei nicht-konsumierenden Personen. Bei einer durch Drogenmissbrauch verursachten Erkrankung spricht man von einer drogeninduzierten Psychose (vgl. Baierl 2017, S. 184f).

Psychosozialen Faktoren kommt ebenfalls eine wichtige Bedeutung als Auslösefaktor bzw. für Rezidiven (Rückfälle) zu. Der Effekt der ungünstigen Familienatmosphäre mit High-Expressed-Emotions gilt als gut belegt. Hierbei handelt es sich um häufige kritische Kommentare und eine allgemeine Feindseligkeit gegenüber Betroffenen, oder aber auch um eine Überbehütung. Des Weiteren sind auch Double-Bind-Situationen typisch. Darun-ter werden Situationen verstanden, in denen verbal und non-verbal widersprüchliche Sig-nale gegeben werden. Ein Bespiel hierfür könnte sein, dass zwar Handlungsvorschläge gemacht werden, welche die betroffene Person befolgen kann/soll/darf, gleichzeitig je-doch non-verbal signalisiert wird, dass dieses Verhalten so nicht erwünscht ist. Egal wel-ches Verhalten die betroffene Person daraufhin zeigt, es kann nur falsch sein. Treten die-se Verhaltensformen in der Kindheit vermehrt auf, kann dies dazu führen, dass die Ent-wicklung eines stabilen Realitätsbezugs gestört wird. Wie bereits beschrieben wurde, ist eine solche Störung des Realitätsbezuges das Merkmal einer jeden Psychose (vgl. Kauf-mann-Mall 2016, S. 313).

Weitere untersuchte Ursachen sind die Umweltfaktoren. Zu ihnen gehören Schwanger-schafts- und Geburtskomplikationen, Winter- und Frühjahrsgeburten, sowie städtische Geburten. Ein erhöhtes Risiko bei Winter- und Frühjahrsgeburten ist darauf

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zurückzufüh-ren, dass in dieser Zeit die Mütter mit einer größeren Wahrscheinlichkeit während der Schwangerschaft an Virusinfektionen bzw. an Influenza erkranken. Möglicherweise kön-nen solche Virusinfektiokön-nen bei der Gehirkön-nentwicklung neuropathologische Veränderun-gen hervorrufen, die die Vulnerabilität für eine Schizophrenie steigern (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 193).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht nur ein einziges Gen oder ein einziger Faktor in der Lebenswelt zum Ausbruch einer paranoiden Schizophrenie führen. Es han-delt sich immer um das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Zudem muss an dieser Stelle betont werden, dass es Menschen gibt, die unter extrem guten Bedingungen leben und dennoch eine Schizophrenie entwickeln und wiederum auch solche, die unter sehr un-günstigen Bedingungen leben und dennoch keine Schizophrenie entwickeln. Daher wer-den unter dem Begriff paranoider Schizophrenie Krankheiten mit unterschiedlichsten Symptomen und Verlaufsmöglichkeiten beschrieben (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 314).

2.4. Verlauf

Wie im vorherigen Absatz schon kurz erwähnt, gibt es im Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie keinen lehrbuchmäßigen Verlauf. Vielmehr gibt es unzählige verschiedene Möglichkeiten wie diese Krankheit verlaufen kann. Grundsätzlich sieht der ICD-10 jedoch folgende Klassifikationen der Verlaufsformen vor:

x F20.x0: kontinuierlich. Keine Symptomremission im Beobachtungszeitraum1

x F20.x1: episodisch, mit zunehmendem Residuum: zunehmende Entwicklung ‚ne-gativer‘ Symptome in den Intervallen zwischen den psychotischen Episoden

x F20.x2: episodisch, mit stabilem Residuum: anhaltende, aber nicht zunehmende ‚negative‘ Symptome in den Intervallen zwischen den psychotischen Episoden x F20.x3: episodisch, remittierend: vollständige oder praktisch vollständige

Remissi-on zwischen den psychotischen Episoden x F20.x4: unvollständige Remission

x F20.x5: vollständige Remission x F20.x8: sonstige Verlaufsformen

x F20.x9 Verlauf unsicher, Beobachtungszeitraum zu kurz

Grundsätzlich sollte der Verlauf der Krankheit frühestens nach einem Beobachtungszeit-raum von mindestens einem Jahr klassifiziert werden (vgl. Dilling/ Freyberger 2016,S 95f). M. Bleuler konzipierte folgende Typologie schizophrener Krankheitsverläufe, welche im Buch „Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie“ von Lieb/Frauenknecht/Brunnhaber 2016 auf Seite 183 abgebildet ist.

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Diese Abbildung unterteilt die Verläufe in drei Kategorien. Zu der ersten Kategorie gehö-ren die einfachen Verläufe. Alle vier Verlaufsformen dieser Kategorie haben gemeinsam, dass die Krankheit sich anfänglich entwickelt und dann chronisch vorhanden bleibt. Sie unterscheiden sich vor allem in der Geschwindigkeit der Entwicklung und der Stärke der Chronifizierung, wie in Nr. 1-4 zu sehen ist.

Zur zweiten Kategorie gehören die Wellenförmigen Verläufe. Bei diesen Verläufen ist da-von auszugehen, dass die Krankheit unterschiedliche akute und chronische Phasen durchläuft. Sie unterscheiden sich vor allem in der Anzahl der akuten Phasen und der Stärke der Chronifizierung. Wie in Nr. 5 zu sehen, kann es zum Beispiel dazu kommen, dass nach mehrmaligen akuten Phasen und mehrmaligen Remissionsphasen ein schwe-rer chronischer Zustand zurückbleibt, oder aber wie in Nr. 7 abgebildet nach schweren akuten Phasen zum Beispiel eine Heilung erfolgt.

Zur dritten Kategorie gehören die anderen Verläufe, welche keine nachvollziehbaren Rückschlüsse auf Form und Verlauf erlauben.

Für den Langzeitverlauf der Krankheit wird folgende Drittelregel geltend gemacht:

x 1/3 der Erkrankten gelangen nach einer oder mehrerer Krankheitsepisoden zur Heilung (Teilweise mit leichten körperlichen und/oder psychischen Leistungsbeein-trächtigungen)

x 1/3 der Erkrankten behalten mittelschwere Beeinträchtigungen von Körper und Geist mit gelegentlichen deutlichen Verschlechterungen des Krankheitsbildes

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x 1/3 der Erkrankungen enden in schweren physischen und psychischen Beein-trächtigungen oder chronischen Schizophrenien (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 184).

Den Verlauf einer jeden schizophrenen Erkrankung unterscheidet man in mehrere Pha-sen.

Die erste Phase ist die Prodromalphase. Diese Phase dauert im Schnitt fünf bis sieben Jahre und ist geprägt von unspektakulären Beeinträchtigungen, die allgemein bekannt sind und daher oft nicht als Symptom einer paranoiden Schizophrenie erkannt werden. Typische Beispiele dafür sind Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörung, Leistungsabfall, Interessenlosigkeit, Rückzug, Humorlosigkeit usw. Bei Kleinkindern treten häufig Entwick-lungsverzögerungen bei Körpermotorik und Sprachentwicklung, starke Zurückgezogenheit und magische Denkweisen auf. Wahninhalte jedoch treten vor dem vierten Lebensjahr so gut wie nie auf. All diese Symptome treten in der Folge auch wieder als erste Symptome weiterer möglicher Schübe auf. Daher sollten diese ernst genommen und gut notiert wer-den um bei Folgeschüben schnell reagieren zu können. Die Symptome der Prodromal-phase sind der Negativsymptomatik zuzuordnen. Vor allem Konzentrations- und Ge-dächtnisschwierigkeiten können ein klares Warnzeichen sein, wenn zumindest ein Eltern-teil bereits an Schizophrenie erkrankt ist. 70 % dieser Kinder mit einer Konzentrationsstö-rung entwickeln auch eine psychotische StöKonzentrationsstö-rung. Folgende fünf Symptome treten in der Regel gegen Ende der Prodromalphase auf und läuten die nächste Phase ein:

x Gedankeninterferenz: Betroffene haben Schwierigkeiten, Gedanken zu Ende zu denken, da andere Gedanken dazwischenkommen

x Gedankenblockade: Betroffene haben Schwierigkeiten, überhaupt Gedanken zu entwickeln und zu halten

x Perseverieren: Betroffene wiederholen ständig einen Gedanken oder ein Thema x Eigenbeziehungstendenz: Betroffene beziehen Ereignisse der Umgebung auf sich

selbst. Sie denken, alles was geschieht, steht in Beziehung zu ihnen

x Wahrnehmungsveränderungen: Die Sinne Sehen, Hören, Riechen und Fühlen sind gestört und Dinge werden anders wahrgenommen.

Diese Veränderungen führen bei den Betroffenen oftmals zu starken Verunsicherungen, denen sie mit zwanghaftem Verhalten, Rückzug, Alkohol- und Drogenkonsum oder gar dem Suizidversuch entgegentreten. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind diese Verhaltensmuster erkennbar (vgl. Baierl 2017, S. 187ff).

Nach der Prodromalphase folgt die sogenannte Zwischenphase. Diese Phase ist der Übergang von der Prodromalphase zur Akutphase. Die Symptome der Prodromalphase

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verstärken sich und es treten vermehrt Symptome auf, die das jeweils typische Bild in der Akutphase ergeben, jedoch in noch abgeschwächter Form. Erste Halluzinationen, opti-sche, wie akustiopti-sche, treten in dieser Phase auf. Betroffene beginnen Stimmen zu hören, können Verfolgungsangst entwickeln oder fühlen sich auf geheimnisvolle Art und Weise beeinflusst. Dies führt dazu, dass Betroffene vermehrt misstrauisch und verängstigt wer-den und in der Regel versuchen diese zu verheimlichen (vgl. Baierl 2017, S. 189).

In der sich nun anschließenden Akutphase, die prägend für die Erkrankung ist, vermeh-ren und verstärken sich zum einen die Symptome aus den vorherigen beiden Phasen und zum anderen können folgende Symptome auftreten:

x Gedanken und Sprache: Das Denken kann in vielerlei Hinsicht gestört sein. Dies kann sich auch auf die Sprache auswirken. Dabei wird zwischen formalen und in-haltlichen Denkstörungen unterschieden. Bei den formalen Denkstörungen ist der Denkprozess an sich gestört. Gedanken können abreißen, zu schnell sein oder zu viel sein, sodass sie nicht verfolgbar sind. Zu den inhaltlichen Denkstörungen ge-hören Gedankenlautwerden (Gedanken werden mitgehört), Gedankeneingebung (Gedanken werden von Fremden eingegeben) und Gedankenentzug (Gedanken werden von anderen weggenommen). Dies folgt meist einer inneren Logik, die von außen nicht nachvollziehbar ist. Begriffe werden neu erschaffen (Neologismus) oder falsch verwendet (Begriffszerfall). Ironie, Sarkasmus, Sprichwörter und ähnli-ches können nicht mehr nachvollzogen werden, weshalb Betroffene oft als humor-los wahrgenommen werden. Gespräche mit Betroffenen gestalten sich oftmals als schwierig, da Themen sehr schnell gewechselt werden und Gesprächs-partner*innen kaum folgen können. Einige Betroffene verstummen daher ganz o-der teilweise (Mutismus).

x Wahrnehmung: Bei der Wahrnehmung wird vorrangig von Halluzinationen jegli-cher Sinne gesprochen. Am häufigsten treten hier akustische und optische Hallu-zinationen auf. Häufig werden Stimmen gehört. Diese können befehlerisch sein oder beurteilend. Oftmals können sich Betroffene diesen Stimmen nicht zur Wehr setzen. Bei optischen Halluzinationen sehen Betroffene, dass vorhandene Dinge ihre Form und Farbe verändern, dass unbewegliche Dinge sich plötzlich bewegen oder dass Dinge gesehen werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind (häufig Insekten). Diese werden auch häufig auf oder im eigenen Körper wahrgenommen, was extrem verstörend sein kann und teilweise dazu führt, dass die eigene Haut aufgeschnitten wird, um die „Insekten“ zu befreien. Des Weiteren haben betroffene Personen oft das Gefühl, dass ihr Denken, Handeln und Fühlen von außen beein-flusst wird, also gemacht ist. Dinge können als unwirklich empfunden werden oder gedämpft wie unter einer Käseglocke. Teilweise wird der eigene Körper oder

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Kö-perteile selbst als fremd empfunden, was dazu führen kann, dass sich die eigene Identität auflöst und Betroffene glauben, sie wären jemand anderes (vgl. Baierl 2017, S. 190f).

x Wahn und Bedeutungsgebung: Bei diesen Symptomen werden zufälligen oder un-abhängigen Ereignissen besondere Bedeutungen zugesprochen, wie das schon gegebene Beispiel der Autoblinker, die die eigene Krönung voraussagen. Neben Verfolgungswahn und Paranoia sind auch Vorstellungen, spezielle Kräfte zu ha-ben, weit verbreitet. Betroffene können zum Beispiel das Wetter beeinflussen oder stehen im Kontakt mit Außerirdischen.

x Gefühle: Die Gefühle können in alle Extreme verändert sein. Vom manischen Ausmaß bis hin zur absoluten Leere. Auch depressive Verstimmungen kommen häufig vor. Im Vordergrund steht dabei die Angst vor den unbekannten Erfahrun-gen, die Betroffene in dieser Zeit machen. Gefühle können von außen als unange-bracht empfunden werden und mit der Zeit als verflacht oder gefühlslos.

x Bewegung: Im Verlauf der Krankheit kann es zu Problemen mit der Bewegungs-motorik kommen. Betroffene berichten von Gefühlen, als müssten sie alle Bewe-gungen gegen einen Widerstand ausführen. Ein anderes Phänomen ist die Kata-tonie. Dabei werden bizarre Körperhaltungen eingenommen und teilweise für sehr lange Zeiträume eingehalten.

x Verhalten: Das Verhalten psychisch erkrankter Menschen ist aufgrund ihrer ge-störten Wahrnehmung oft nicht von außen nachvollziehbar, bizarr und unange-messen. Dies birgt auf beiden Seiten großes Konfliktpotenzial (vgl. Baierl 2017, S. 192).

Diese hier geschilderten Symptome beschreiben und definieren maßgeblich die akute Phase. Sie sind in aller Regel ausschließlich der Positivsymptomatik zuzuordnen. Zeiten und Dauer dieser Phase lassen sich nicht klassifizieren, da nicht abzusehen ist, ob Be-troffene in einer chronischen Phase verbleiben oder gesunden.

Die letzte Phase wird Residuum genannt. Hiermit ist die Folge der Krankheit gemeint und beschreibt die Zeit nach dem Abklingen der akuten Phase. ¼ der Erkrankten erleiden kei-ne oder nur minimale Einschränkungen und es entwickelt sich auch kein kei-neuer Schub. Bleiben doch Einschränkungen zurück, wird dies als schizophrenes Residuum bezeich-net. Die Symptome des Residuums bestehen hauptsächlich aus Minussymptomatiken. Sollten Positivsymptomatiken auftreten, ist dies ein Anzeichen für einen möglichen Rück-fall (vgl. Baierl 2017, S. 192f).

Von einem Rückfall wird gesprochen, wenn nach einer relativ langen symptomfreien Zeit erneut Symptome auftreten. Im Kontext von Psychosen wird dies als Schub bezeichnet.

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Die Gründe für einen erneuten Schub liegen hier oftmals in der Person der Betroffenen als weniger schizophrenietypisch. Sie hängen hauptsächlich mit der Persönlichkeit, Le-benserfahrung, Lebenssituation, Stressoren und den Bewältigungsmechanismen der Be-troffenen zusammen. Dennoch lassen sich diverse Risikofaktoren benennen, die häufig Rückfällen vorausgehen.

An erster Stelle steht hier das Absetzen der Antipsychotika (häufig, weil Betroffene glau-ben, sie seien geheilt, oder aufgrund von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Heißhun-gerattacken und folglich Gewichtszunahmen). Der Verlust von Beziehungspersonen kann einen Schub ebenso verursachen, wie auch Konflikte in der Familie oder mit Freunden. Weitere Ursachen für einen Rückfall können Drogenkonsum, unregelmäßige Lebensfüh-rung, schlechte ErnähLebensfüh-rung, Erkrankungen, Reizüberflutungen, Überforderung o.ä. sein (vgl. Baierl 2017, S. 193f). Aufgrund dieser Erkenntnisse lassen sich gewisse Indikatoren für eine gute bzw. schlechte Prognose erstellen:

Gute Prognose Schlechte Prognose

verheiratet Geschieden, getrennt

weiblich Männlich

Gute Anpassung an die Umgebung (Fami-lie, Freunde, Arbeit)

Soziale Isolation

Kurze Krankheitsphasen Lange und häufige Krankheitsphasen Akuter, schneller Krankheitsbeginn Langsamer Beginn, lange Prodromalphase Frühzeitige Behandlung und gutes

Anspre-chen auf Antipsychotika

Späte Erkennung und Behandlung der Symptomatiken

(vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 185)

Dieser Abschnitt verdeutlicht abermals die Komplexität dieser Erkrankung. Die Einteilung in unterschiedliche Phasen des Krankheitsverlaufs und die Zuordnung diverser typischer Symptome zu diesen Phasen ist möglich, Garantien scheint es jedoch nicht zu geben. Kein Verlauf kann vorhergesagt werden, sowie auch keine Garantie für eine vollständige Gesundung gegeben werden kann. Dennoch ist es möglich, diese Krankheit zu behan-deln. Daher ist es umso wichtiger, die Frühwarnsymptome zu erkennen, richtig zu deuten und rechtzeitig mit der Behandlung zu beginnen.

2.5. Medizinische/Therapeutische Behandlungsformen

In der Therapie paranoider Schizophrenie gibt es zwei große Bereiche der Behandlung. Zum einen ist dies die medikamentöse Behandlung und zum anderen die psychothera-peutische Begleitung.

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Eine große Rolle in der Therapie der paranoiden Schizophrenie spielt die medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika, welche häufig auch Antipsychotika genannt werden. Eines der meistverwendeten Mittel in der Akutbehandlung ist das seit 1955 verwendete Neuro-leptikum Haloperidol. Es ist ein hochpotentes Mittel und wird zur Abdämpfung von Wahn-ideen, Halluzinationen und Denkstörungen genutzt. Sind die Akutzustände überstanden, werden zur Dauerbehandlung meist atypische Neuroleptika, wie Olanzapin (Handelsna-me: Zyprexa) oder Quetiapin (Handelsna(Handelsna-me: Seroquel) genutzt. Seltener wird auch das Mittel Risperidon (Handelsname: Risperdal) genutzt. Dieses Medikament wird jedoch häu-figer zur Dämpfung von Unruhezuständen genutzt. Die atypischen Neuroleptika, von de-nen es noch weitere gibt, wie zum Beispiel Amilsuprid, Ziprasidon oder Clozapin haben eine doppelte Aufgabe in der Therapie von Schizophrenieerkrankungen. Zum einen wer-den sie genutzt um die Positivsymptomatik, wie Wahnideen, Halluzinationen oder Denk-störungen zu dämpfen, zum anderen erhofft man sich auch, dass sie die Entstehung von Negativsymptomatiken, also das Verschwinden vorheriger Kompetenzen verhindern. Neu-roleptika der dritten Generation sind seit 2004 auf dem Markt, werden jedoch bisher kaum genutzt (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 318).

Neben den hochpotenten Mitteln gibt es jedoch auch noch mittel- und niederpotente Neu-roleptika. Das erste niederpotente Neuroleptikum Chlorpromazin wurde bereits 1950 ent-wickelt. Diese werden zwar heute noch angewandt, jedoch nicht mehr als Mittel gegen psychotische Symptomatiken, sondern eher als Beruhigungsmittel.

Sollten Angst und Unruhe den schizophrenen Schub begleiten, werden neben den hoch-potenten Mitteln keine niederhoch-potenten Mittel verabreicht. In diesem Fall können ein zodiazepine verabreicht werden, jedoch nur kurzzeitig, da bei der Einnahme von da Ben-zodiazepinen (im Gegensatz zu den Neuroleptika) eine Abhängigkeitsgefahr besteht. In einigen Fällen, vor allem als Depotpräparate werden auch heute noch hochpotente Antipsychotika als Dauerpräparate verwendet, da bisher atypischen sowie die mittel- und niederpotenten Mittel kaum als Depotmittel genutzt werden können.

Wie bei fast allen Medikamenten besteht auch bei der Einnahme von Neuroleptika die Gefahr von Nebenwirkungen. Dabei ist die Gefahr von Nebenwirkungen bei hochpotenten Arzneien höher als bei den Atypischen. Bei der Vergabe von hochpotenten Antipsychotika gilt die Regel: Je hochpotenter das Mittel, desto niedriger die Dosis bis zu möglichen Ne-benwirkungen. Darum ist bei der Einstellung darauf zu achten, dass diese Mittel am An-fang nicht zu hoch dosiert sind und erst im Laufe der Behandlung schleichend hochdosiert werden. Die Herausforderung der Ärzte besteht in diesem Fall darin, dass Mittel zwar hoch genug für die Behandlung der Psychose, aber nicht so hoch zur Bildung von Ne-benwirkungen zu dosieren (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 320).

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Da es zwischen den einzelnen Substanzen in der Akuttherapie kaum Wirksamkeitsunter-schiede gibt, wird die Wahl des besten Medikaments nach der Wirksamkeit einer früheren Behandlung oder nach dem Nebenwirkungsprofil getroffen. Hat also eine betroffene Per-son in einer früheren Episode schon einmal gut auf ein Medikament angesprochen, sollte dies erneut verabreicht werden, sofern nichts dagegenspricht. Des Weiteren sollte auch auf die Persönlichkeit der Betroffenen beachtet werden. Ist eine geregelte orale Verabrei-chung gefährdet, zum Beispiel aufgrund von Unzuverlässigkeit oder Vergesslichkeit der betroffenen Person, sollte überlegt werden, eine Depotmedikation anzusetzen. Bei dieser Medikationsform bekommt die betroffene Person alle zwei, vier oder zwölf Wochen eine Depotspritze und ist nicht jeden Tag gezwungen an die Einnahme der Tabletten zu den-ken. Der positive Verlauf der Behandlung ist somit gesicherter. Aufgrund der geringeren Nebenwirkungsraten werden heutzutage immer häufiger die Medikamente der zweiten Generation genutzt (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 194).

Die häufigsten Nebenwirkungen bei der Einnahme von Neuroleptika sind Bewegungs- und Haltungsstörungen. Dazu zählen unter anderem:

x Akathisie: die Unfähigkeit ruhig zu sitzen

x Parkinsonoid: eine Parkinsonähnliche Bewegungsstörung mit Tremor (Zittern), Ri-gor (starre Bewegungen), Akinese (Tippelgang) und ‚Masken‘- oder Salbengesicht x Dyskinesie: unwillkürliche Bewegungen in den Bereichen Gesicht und

Extremitä-ten

x Dystonie: unnatürliche Haltungen, die nur kurz oder sehr lang anhalten können, hauptsächlich in den Bereichen Mund, Auge, Hals, Finger, Hände oder Rücken. x Weitere mögliche Nebenwirkungen: Gewichtszunahme, Müdigkeit und Lethargie,

Mundtrockenheit oder Speichelfluss

x Selten, aber gefährlich: malignes neuroleptisches Syndrom – Fieber, Herz-Kreislaufstörungen, Bewusstseinsstörungen und Blutbildveränderungen.

Bei dem Auftreten dieser Nebenwirkungen, muss die Behandlung sofort unterbrochen werden und eine Behandlung dieses Syndroms eingeleitet werden (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 320). Bei der Pharmakotherapie ist es besonders wichtig, die Nebenwirkungen so gering wie nur möglich zu halten. Wenn die betroffenen Personen das Gefühl bekom-men, dass die Nebenwirkungen zu stark sind, werden sie die Medikation erfahrungsge-mäß relativ schnell wieder einstellen und folglich wird es zügig zu einem erneuten Schub kommen. Gerade bei diesem Krankheitsbild haben Betroffene häufig keine Krankheitsein-sicht und müssen davon überzeugt werden, wie wichtig es ist, die Medikamente dauerhaft einzunehmen. Starke Nebenwirkungen erschweren den Ärzten dabei die

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Überzeugungs-arbeit und beeinflussen die Betroffenen (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 194).

Zur optimalen medikamentösen Behandlung der paranoiden Schizophrenie bedarf es zwei Dinge. Patient*innen müssen einerseits gewillt sein und seinen*ihren Körper und die Vorwarnzeichen gut kennen. Andererseits muss die Verbindung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen sehr gut sein. Im besten Falle sollten sie ein „gutes Team“ bilden. Nur bei guter Zusammenarbeit ist es möglich, die Dosis des Präparats in guten Zeiten niedrig zu halten und in schwierigen Zeiten, sobald Vorwarnzeichen auftreten, die Dosis kurzfristig entsprechend zu erhöhen (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 320 f). Der Entwicklung dieser Medikamente und des Einsatzes der Pharmakotherapie ist es zu verdanken, dass die hospitalisierungsraten schizophren erkrankter Menschen seit den 1950er Jahren stetig zurückgegangen ist. Die meisten Betroffenen müssen heute nicht mehr dauerhaft in Klini-ken behandelt werden. Circa 75 % der Betroffenen sprechen auf die Antipsychotika an und die Positivsymptome können behandelt werden (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 194).

Neben der medikamentösen Behandlung gibt es noch das zweite große Feld, die psycho-therapeutische Begleitung. In der psychopsycho-therapeutischen Begleitung eignen sich vor allem Gespräche und verhaltenstherapeutische Programme. Dabei gilt es aber einige Dinge zu beachten. Die Gespräche sollten:

x Kurz gehalten werden x Einfühlsam sein

x Den Betroffenen das Gefühl geben, verstanden zu werden, jedoch ohne in den re-alitätsfremden Äußerungen bestärkt zu werden

x Die Orientierung auf die Realität stärken

x Die Betroffen nicht anregen, sich in der bizarren Innenwelt zu verfranzen.

Auch die Verhaltenstherapeutischen Programme verfolgen gewisse Ziele. In ihnen soll folgendes gestärkt werden:

x Aufmerksamkeit und Konzentration bei Informationsaufnahme und Verarbeitung x Umgang mit sozialen Situationen

x Planvolles Handeln, Tagesstrukturierung und Alltagsbewältigung.

Wichtig ist, dass die Betroffenen bei den gewählten Verfahrenstechniken nicht dazu ver-leitet werden, in die eigene Innenwelt oder die Vergangenheit zu versinken beziehungs-weise Phantasiereisen zu machen. Dies könnte sich als kontraproduktiv erbeziehungs-weisen. Bei allen Gesprächen, sowohl auf professioneller, als auch auf privater Ebene sollte beachtet

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werden, dass auch diese sozialen Kontakte anstrengend für die Betroffenen sind, denn sie werden ggf. aus ihrer eigenen Welt herausgeholt. Aus diesem Grund sollten solche Gespräche kurz gehalten werden und sich mit eher nicht anspruchsvollen Themen be-schäftigen. Es ist daher angebracht, die Dauer und Intensität der Gespräche von den Be-troffenen bestimmen zu lassen. Auch nicht-schizophrene Menschen können den dauer-haften Kontakt zu erkrankten Personen als anstrengend empfinden. Daher ist es wichtig, ausreichend Pausen einzuhalten und einen angemessenen Abstand aufzubauen, um Ge-fühlen des ausgelaugt seins, der Erschöpfung und Verwirrung aus dem Weg zu gehen (vgl. Kaufmann-Mall 2016, S. 321 f).

Entscheidend ist schon bei Behandlungsbeginn der Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischen Patient*in und Therapeut*in. Nur so kann die therapierende Person die betroffe-ne Person zu notwenigen Behandlungsschritten motivieren.

Psychoedukation ist ein integraler Bestandteil der Therapie schizophren erkrankter Men-schen. Dabei geht es darum, die Patient*innen und ggf. Angehörige (meist in Gruppensit-zungen) über Entstehung, Symptomatik, Therapie und Rückfallschutz aufzuklären. Han-delt es sich nicht um eine reine Informationsvermittlung, sondern verfolgt auch einen psy-chotherapeutischen Anspruch, indem sie das Krankheitsverständnis und den verantwor-tungsvollen Umgang mit der Krankheit fördert und die Patienten unterstützt. Ein weiterer wesentlicher Inhalt dieser Therapie ist auch die individuelle Erkennung von Frühwarn-symptomen und die Unterstützung beim Stressmanagement. Wichtig ist dabei vor allem die Erarbeitung eines Krisenplans, um beim Auftreten erneuter Symptome schnell han-deln zu können. Diese Maßnahmen senken das Rückfallrisiko deutlich (vgl. Lieb/Frauenknecht/Brunnhuber 2016, S. 198).

Im Rahmen dieser und weiterer Behandlungsformen ist es möglich, die paranoide Schi-zophrenie gut und effektiv zu behandeln. Wie schon erwähnt, gibt es keinen ‚Masterplan‘, der für alle Betroffenen gleichermaßen hilfreich ist. Jede Erkrankung ist individuell und muss als solche anerkannt und behandelt werden. Grobe Ähnlichkeiten in den Verläufen bzw. Ausprägungen sind jedoch erkennbar und helfen den Professionellen schnell den richtigen Weg der Behandlung zu finden und die Betroffenen mit Hilfe ihrer Mitarbeit mög-lichst schnell auf diese Krankheit einzustellen.

3. Einsatzbereiche der Sozialen Arbeit

Noch bis in die 80er Jahre herrschte in Deutschland das Bild vor, dass psychisch kranke Menschen hinter großen Mauern, außerhalb von Städten weggesperrt wurden. Dabei be-stand bereits seit der Psychiatrie-Enquete von 1975 das Ziel, eben dies zu verhindern. Es entstanden vielfältige, bunte Psychiatrie-Landschaften und es gab viele Bemühungen zur

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Verbesserung der Lage von psychisch kranken Menschen. Ziel war es, dass die Men-schen in ihrem gewohnten Umfeld leben bleiben und weiterhin an dem gesellschaftlichen Leben teilhaben konnten. Aufgrund dessen entstanden viele neue Institutionen und Hilfs-angebote die sich an diesem Ziel orientierten (vgl. Bosshard 2008, S 151). Im folgenden Kapitel soll eine Übersicht geschaffen werden, welche die wichtigsten Hilfsangebote und Aufgabenfelder der Sozialen Arbeit im Kontext paranoider Schizophrenie darstellt und erklärt.

3.1. Klinische Sozialarbeit

Wie bereits erwähnt, gilt heute das Ziel, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen möglichst in ihrem gewohnten Umfeld leben bleiben können. In gewissen Situationen ei-nes Schubs, nämlich wenn Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, ist es angebracht die Erkrankten zumindest vorübergehend klinisch aufzunehmen und stationär zu behandeln bis die Positivsymptomatik weitestgehend abgeklungen ist. Es ist also die Aufgabe der Klinik, schizophrene und affektive Psychosen, sowie Suchterkrankungen und neurotische Störungen zu behandeln. Dieses Aufgabenfeld entspricht der sogenannten Klinikpsychiat-rie (vgl. Röttgers/Nedjat 2003, S. 20). Die Behandlung in diesen akuten Phasen wird hauptsächlich von Ärzt*innen und Pfleger*innen übernommen und bleibt in medizinischer Fachhand. Auch die Rolle der Sozialarbeiter*innen in Kliniken wird jedoch immer größer und wichtiger. Sie bilden nach dem Pflegepersonal die zweitgrößte Berufsgruppe in die-sem Kontext. Die Aufgaben der Sozialarbeiter*innen in den Kliniken sehen jedoch ganz anders aus. Sie haben vor allem folgende Aufgaben:

x Psychosoziale Intervention: Krankheitsbewältigung, Hilfe bei Problemen im familiä-ren Umfeld, Suchtberatung

x Soziale Intervention: Wohnungsangelegenheiten, gesetzliche Betreuung, Versor-gung angehöriger

x Wirtschaftliche Interventionen: Entgeltfortzahlungen, Rentenleistungen, SGB IX, XI x Ambulante Nachsorge: Häusliche Pflege, Beratungsstellen

x Stationäre Nachsorge: Kurzzeitpflege, Hospiz x Medizinische Rehabilitation: Frührehabilitation

x Berufliche Rehabilitation: stufenweise Wiedereingliederung (vgl. Becker-Bikowski 2008, S. 179).

Konkret könnte sich dieses Arbeitsfeld insofern gestalten, dass Sozialarbeiter*innen direkt auf den Stationen die Gespräche mit den Patient*innen und dem Pflegepersonal suchen um herauszufinden, wie die aktuelle Lage der Patient*innen aussieht und wo evtl. Prob-lemlagen aufreten, die es zu lösen gilt. Die Probleme in diesen Situationen können

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unter-schiedlichster Natur sein. Es gehört zu ihren Aufgaben mit Ämtern, Behörden, Vermie-ter*innen u.ä. zu kommunizieren, Anträge auszufüllen, bzw. die Betroffenen dabei zu un-terstützen, eventuelle Folgeeinrichtungen zu kontaktieren und ganz allgemein den Be-troffenen in diesen Fragen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie versuchen also das Leben der Betroffen geregelt zu halten, damit sie während ihres Klinikaufenthalts und da-nach nicht in soziale, gesundheitliche oder finanzielle Schwierigkeiten gelangen. Auch arbeiten sie an deren sozialen Kompetenzen, helfen bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsbereich und vermitteln Maßnahmen der Teilhabe (vgl. Clausen/Eichenbrenner 2010, S. 229). Sie setzen ihre Fachkompetenz so ein, dass die Interessen und Bedürfnis-se der Patient*innen berücksichtigt werden. Durch ihre Schnittstellenkompetenz, ihre ganzheitliche und systemische Betrachtungsweise und Methodenvielfalt kann die Soziale Arbeit neue Aspekte einbringen und stellt eine wertvolle Ressource dar (vgl. Becker-Bikowski 2008, S. 176). Sozialarbeiter*innen übernehmen also Aufgaben, die existenziell wichtig sind, vor allem die Entlassung aus der Klinik betreffend und dem Leben danach (vgl. Bosshard 2011, S. 342).

Im Bereich der Sozialen Arbeit wird diese Form der koordinierenden Arbeit unter dem Oberbegriff des Case-Management zusammengefasst. Im Kapitel „Ansätze und Metho-den der Sozialen Arbeit im Kontext paranoider Schizophrenie wird dazu noch ausführli-cher Bezug genommen. Ein weiteres großes Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit innerhalb der Klinik ist die psychosoziale Beratung und Betreuung der Patient*innen. Diese können in diversen Settings, wie Einzel- oder Gruppentherapien stattfinden. Die Soziale Arbeit sieht die Patient*innen im Gegensatz zu anderen Professionen im Krankenhaus immer ganz-heitlich im Kontext der Erkrankung und den Auswirkungen für die Person und das Umfeld. Somit fließen soziale und psychosoziale Gesichtspunkte mit in den Therapieprozess ein und leisten einen wesentlichen Beitrag zu Therapie, Prävention und Rehabilitation (vgl. Becker-Bikowski 2008, S. 177). Die Behandlung psychisch erkrankter Menschen obliegt immer mehr einem multiprofessionellen Team, welches Hand in Hand und gut abgestimmt aufeinander arbeiten muss, da Patient*innen immer kürzer, aber dafür immer intensiver behandelt werden. Dafür ist die Beteiligung der Sozialen Arbeit unabdingbar (vgl. Som-merfeld u.a. 2016, S. 86).

3.2. Stationäre Wohnformen/ Wohnstätten

Vor einigen Jahrzehnten noch, so entsprach es der Tradition, kamen psychisch erkrankte Menschen nachdem und falls sie aus der psychiatrischen Klinik entlassen wurden in ein „Heim für Psychisch Kranke“. Auch wenn diese Vorstellung in der heutigen Zeit mit der Sozialraumorientierung kollidiert, gibt es immer noch fast 50.000 Heimplätze für psychisch erkrankte Menschen. Diese sozialpsychiatrischen Heime, heute Wohnstätten genannt,

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umfassen diverse Funktionen, wie Wohnen, Verpflegung, Kontaktstelle, Ort für Therapie und Freizeit mit anderen Bewohner*innen. Bewohner*innen erhalten Unterstützung bei der Körperpflege und alltäglichen Verrichtungen, so dass sie rundum versorgt sind. Teil-weise können auch ärztliche und pflegerische Leistungen vor Ort geleistet werden. Frei-zeitgestaltungen sollen für Unterhaltung sorgen. In der Regel ist es so, dass die Bewoh-ner*innen durch Betreuung, Kost und Logis grundversorgt sind und lediglich ein Taschen-geld zur freien Verfügung erhalten. Teilweise kann es jedoch auch angebracht sein, dass sich die Bewohner unter Anleitung in kleineren Gruppen selbst versorgen (vgl. Clau-sen/Eichenbrenner 2010, S. 139).

Eine weitere, alternative stationäre Wohnform für psychisch erkrankte Menschen nennt sich Soteria. Soteria ist ein alternatives Konzept zur stationären Behandlung von Men-schen in psychiMen-schen Krisen, beziehungsweise mit Frühwarnsymptomen psychotischer Erkrankungen. Es wurde 1971 begründet und im Laufe der Jahrzehnte bis zum heutigen Standard stetig weiterentwickelt. Im Mittelpunkt der Soteria Idee steht die sanfte, unauf-dringliche Begleitung der Menschen mit möglichst geringem Einsatz von Neuroleptika. Das Setting ist dabei klein gehalten (meist sind nicht mehr als zehn Klienten plus zwei Mitarbeiter vor Ort) und befindet sich meist in einem separaten Haus mit kleinem Garten. Der Fokus dieser Hilfeform liegt darauf, ein ruhiges, reizgeschütztes wohnliches Milieu zu schaffen und richtet sich vor allem an schizophren erkrankte Menschen, die möglichst erstmalig von einer Psychose betroffen sind. Untersuchungen ergaben, dass sie am meis-ten von diesem Setting profitieren. Vorteilhaft ist es auch, wenn die Bewohner*innen in ungefähr einem ähnlichen Alter sind. Auch wenn das Team vor Ort jeweils nur sehr klein ist, weist es eine Multiprofessionalität auf, in der auch Sozialarbeiter*inen vorhanden sind und weitere freiwillige Helfer*innen anderer Berufsgruppen. Die Aufgaben ähneln sich denen in den Kliniken und Wohnheimen, werden jedoch zum Beispiel nicht als Therapien deklariert, um sich vom Klinikjargon zu entfernen. Der Betreuungsschlüssel ist hier viel geringer, sodass jede*r Mitarbeiter*in mehr Zeit mit den Klient*innen verbringen und sich um die jeweiligen Belange kümmern kann. Mit der geringen Anzahl an Klient*innen soll ein möglichst familiärer Rahmen geschaffen werden um dem Stigma einer Klinik entge-genzuwirken. Die Klient*innen werden dadurch zur Selbstständigkeit und Selbstbestim-mung sowohl eingeladen als auch aufgefordert. Schon während des Aufenthalts erfahren die Betroffenen hier alltagsnahe, lebensweltliche Bezüge, wodurch sich das Prinzip Sote-ria deutlich vom Setting einer Klinik oder eines Pflegeheims unterscheidet (vgl. Voss 2017, S. 164 ff).

Stationäre Wohnformen nehmen demnach noch immer einen nicht unerheblichen Teil in der Betreuung psychisch erkrankter Menschen ein. Aufgrund der ständigen Weiterent-wicklung, sowohl im politischen, als auch im soziokulturellen Sinne verabschiedet sich

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dennoch das Bild vom Heim vor den Toren der Stadt, zu dem man möglichst keinen Kon-takt hat, hin zu einer Wohnlandschaft inmitten der Gesellschaft ohne stigmatisierende Wirkung.

3.3. Ambulante Hilfen

Die ambulanten Hilfen stellen einen weiteren großen, wenn nicht den größten Einsatzbe-reich der Sozialen Arbeit im Kontext paranoider Schizophrenie dar. Hier gibt es mehrere Arbeitsfelder, in denen Sozialarbeiter*innen tätig werden können. Die wichtigsten sollen hier vorgestellt werden.

Im Allgemeinen hat die Soziale Arbeit in der ambulanten Hilfe folgende Aufgabenberei-che:

x Hilfen zur Selbstversorgung x Hilfen zur Tagesstrukturierung x Kontaktgestaltung

x Teilnahme am öffentlichen Leben

x Unterstützung im Hinblick auf Arbeit und Ausbildung

x Hilfen bei der Koordination des Behandlungs- und Rehabilitationsverlaufs.

Diese Hilfen stellen jedoch nur die wichtigsten dar, viele weitere ergänzen das Tätigkeits-feld in der ambulanten Psychiatrie. Auch hier stellt die Soziale Arbeit einen Zahnkranz im Rad der multiprofessionellen Arbeit der Psychiatrie dar. Aufgrund ihrer breit gefächerten Kompetenzen und ihrer spezifischen professionellen Sicht kann sie in vielerlei Hinsicht ihr Wissen einbringen und einen großen Beitrag in diesem Gebiet leisten (vgl. Bosshard 2011, S. 342 f).

3.3.1. Betreutes Wohnen

Unter dem Oberbegriff „Betreutes Wohnen“ werden hier mehrere Wohnformen zusam-mengefasst, die für psychisch erkrankte Menschen hilfreich sein können. Dazu können unter anderem Außenwohngruppen von stationären Einrichtungen, dezentrale Wohnhei-me, selbstorganisierte Wohngruppen, therapeutische Wohngruppen, betreutes Einzel-wohnen, usw. In all diesen Wohnformen kommen Sozialarbeiter*innen in mehr oder weni-ger großem Umfang zum Einsatz. In diesen Einrichtungen sollen die Bewohner*innen möglichst ihre Lebensorte beibehalten, sodass sie nicht aus ihrem sozialen Umfeld geris-sen werden. Daher ist die Arbeit dort auch personen- und nicht einrichtungsorientiert aus-gerichtet. Dies entspricht auch dem Bundessozialhilfegesetz, welches ausdrücklich ein personenzentriertes Hilfebedarfs- und Hilfeplanverfahren fordert. Die Art und der Umfang der Hilfe sind demzufolge den Bedürfnissen der hilfsbedürftigen Personen anzupassen, sprich personenzentriert (vgl. Dörr 2005, S. 47 f).

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Eigener Wohnraum hat für psychisch kranke Menschen, ebenso wir für nicht erkrankte eine wichtige und große Bedeutung. Es gilt als ein Zeichen von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Hier können die Betroffenen Ruhe finden, sich zurückziehen und finden Vertrautheit vor. Sie können sich ihren Wohnraum so gestalten wie sie es gerne möchten und sich somit, im Gegensatz zu einem Zimmer in einer Klinik, entfalten. Schon in der Bedürfnispyramide nach Maslow steht Schutz und Wohnen auf der zweiten Stufe hinter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie dem Schlafen. Die Bedeutung des eigenen Wohnraums für den Menschen wird damit verdeutlicht. Sollten Menschen diesen Wohn-raum nicht zur Verfügung gestellt bekommen, bedeutet dies nicht nur, dass sie äußerlich keinen Halt, sondern auch innerlich kein Zuhause haben. Dies ist ein großer Faktor, der für die aufsuchende Soziale Arbeit und Betreuung in den eigenen Örtlichkeiten spricht (vgl. Becker 2013, S. 467 f).

In diesen Wohnformen leben nun die betroffenen Personen und haben regelmäßig Kon-takt zu ihren Betreuer*innen. Diese Regelmäßigkeit kann von wenigen Stunden im Monat bis hin zu mehreren Stunden täglich variieren. Der Umfang der Betreuung richtet sich auch hier nach den Bedürfnissen der Klient*innen und wird in der Regel vorher im Rah-men eines Hilfeplans festgelegt. Dieser Hilfeplan, welcher in einigen Bundesländern nun auch ITP (Integrierter Teilhabeplan) genannt wird, wird von den Klient*innen in Zusam-menarbeit mit Mitarbeiter*innen des Sozialamts, dem sozialpsychiatrischen Dienst, evtl. Rechtsbetreuer*innen und weiteren möglichen Instanzen erarbeitet. Dort werden selbst-formulierte Ziele festgehalten mit den dazugehörigen Maßnahmen, Art und Umfang der Hilfeleistungen um diese Ziele zu erreichen. Dieser wird in regelmäßigen Abständen nach seinen Zielsetzungen ausgewertet und ggf. je nach Entwicklungsfortschritt der Kli-ent*innen neu ausgerichtet und formuliert. Außerhalb dieser festgelegten Betreuungszei-ten leben die Klient*innen weitestgehend allein (bzw. in Wohngruppen mit den Mitbewoh-ner*innen) und selbstständig. Sie verfügen daher über ein größeres Maß an Autonomie und Selbstbestimmung. Ob ein Mensch allein oder in einer Wohngemeinschaft lebt, ist unter anderem von der jeweiligen sozialen Lebenssituation und auch von der Belastbar-keit und den bisherigen Beziehungserfahrungen abhängig. Während das Wohnen in einer WG die Vorteile der Austauschmöglichkeiten und die geringere Gefahr der Vereinsamung mit sich bringt, fordert es von den Bewohner*innen jedoch auch gewisse Fähigkeiten ab, wie zum Beispiel die gegenseitige Rücksichtnahme und das Auseinandersetzen in Kon-fliktsituationen oder aber auch die gemeinsame Haushaltsführung. Verhaltensweisen in der gemeinsamen Wohnung müssen erarbeitet und eingehalten werden. Das alleinige Wohnen in einer Wohnung hingegen ermöglicht die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die individuelle Lebensplanung in einem völligeren Umfang (vgl. Becker 2013, S. 471 f).

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