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Dietmar HexelDGB Bundesvorstand30. September 2004

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Dietmar Hexel

DGB Bundesvorstand 30. September 2004

1. DAX / MDAX-Konferenz 30. September 2004, Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute geht es um einen Anfang. Wir beginnen damit, über die Unternehmensgrenzen hinweg miteinander über Strategiefragen in Aufsichtsräten zu diskutieren. Wir wollen aus der Arbeit in den Aufsichtsräten verstehen und lernen:

- An welchen Zielen und Prinzipien orientiert sich unsere Arbeit?

- Wem sollen Unternehmen dienen und wie können wir sie wirksam steuern?

- Wie erreichen wir gute Unternehmensführung und richtige Unternehmensaufsicht?

- Welches ist der Beitrag der Mitbestimmung zur Zukunft der Unternehmen?

Es hat schon viele Konferenzen zur Mitbestimmung gegeben. Meines Wissens ist es jedoch die erste Zusammenkunft seit 1976 - dem Jahr des lang umkämpften

Mitbestimmungsgesetzes - die sich direkt an die Aufsichtsratsmitglieder der börsennotierten Unternehmen richtet. Das hat einen guten Grund:

• Allein die 30 DAX-Unternehmen beschäftigen ca. 3,6 Mio. Mitarbeiter/innen bei einem Umsatz von über 950 Milliarden Euro.

• 27 von 30 der Unternehmen mit den höchsten Netto-Umsatzrenditen sind mitbestimmte Unternehmen

• Es gibt in Deutschland über 1.000 Kapitalunternehmen. Davon sind 763 mitbestimmte Unternehmen, unterteilt nach

380 AG, davon 163 börsennotierte Unternehmen 340 GmbHs,

43 andere Rechtsformen, KGaA, eG

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Mitbestimmung schreckt auch keine Investoren ab:

• 30% der mitbestimmten Unternehmen gehören mittelbar oder unmittelbar einem ausländischen Investor

So wichtig Klein- und Mittelbetriebe auch sind, ihre Wirtschaftskraft darf nicht überschätzt werden. Es wäre ein Fehler, von ihnen zu erwarten, dass sie die nötigen Innovationen und Investitionen bereitstellen können, die für eine gesunde Weiterentwicklung der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft nötig sind. Große Unternehmen - börsennotierte allemal - haben hingegen sowohl genügend Beschäftigte, in der Regel genügend Eigenkapital und ausreichende

Managementkapazitäten, um in sehr großem Umfang die Wirtschaftsentwicklung und damit die Lebens- und Arbeitschancen von Millionen beeinflussen. Nicht immer zur Freude der Allgemeinheit und der Gewerkschaften. Doch das wollen wir ja ändern! Große Unternehmen sind nicht nur ökonomische Systeme. Sie sind auch soziale Organisationen, die für den Bestand unserer demokratischen Gesellschaft entscheidend sind.

Ich begrüße Sie im Namen der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB hier heute in Berlin zu unserer 1. DAX / MAX-Konferenz. Wir wollen diese Art der Konferenz im jährlichen Rhythmus organisieren. Der Anfang ist gemacht.

Wie es sich im Austausch mit einer komplexen Umwelt gehört sind auch Wissenschaftler, einige interessierte Politiker, Vertreter von Gewerkschaften - und die Fachpresse anwesend.

Seien Sie alle sehr herzlich willkommen!

Für die Pressevertreter erlaube ich mir den Hinweis, dass der erste Teil heute Vormittag öffentlich ist und die Strategiearbeitsgruppe - heute Nachmittag - nicht öffentlich ist. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass die Strategien im Einzelnen, wie sie jetzt im Entstehen sind, erst einmal unter uns in Ruhe diskutiert werden.

Gutes Management besteht auch in der Kunst, Menschen zu begeistern und selber in die Verantwortung zu gehen. Dass Prof. Dr. Uz Claasen, Vorstandsvorsitzender der EnBW AG dies kann und tut, ist bekannt. Ich bin sehr froh, dass er heute hier zu uns spricht - und bin sehr gespannt, wie er die Welt der Unternehmen und die Rolle der Arbeitnehmer und Gewerkschaften sieht. Herzlich willkommen, Herr Prof. Claasen!

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Herr Uwe Schmidt, der für das zweite Input-Referat vorgesehen war, ist leider erkrankt. Wir wünschen ihm von hier aus gute Besserung. An seiner Stelle wird Herr Sugurt I. Vitols sprechen. Er ist als "Senior Research Fellow" am Wissenschaftszentrum Berlin ein sehr guter Ersatz, bekannt durch seine empirische Studie zum Thema "Unternehmensführung und Arbeitsbeziehungen in deutschen Tochtergesellschaften großer ausländischer Unternehmen".

Wir sind sehr gespannt - auch Ihnen ein herzliches Willkommen!

Nach der Zerschlagung des Faschismus haben wir in Deutschland eine demokratische Gesellschaft und eine Soziale Marktwirtschaft aufgebaut. Wir haben die Mitbestimmung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, im Betrieb und auf Unternehmensebene erreicht. In der Kohle- und Stahlindustrie - der damaligen Microsoft-Industrie - sogar paritätisch. In Europa gibt es unterschiedliche Mitbestimmungskulturen. Europa wird unsere weitere Entwicklung

beeinflussen - und unsere deutsche Mitbestimmung wird Europa beeinflussen.

Sowenig Streiktage wie wir – außer der Schweiz - hat niemand. Es ist ein Rätsel, warum Verbandsvertreter von BDI und BDA trotzdem die Mitbestimmung schlecht reden. Die

Europäische Aktiengesellschaft, SE genannt, steht bevor. Gleichzeitig wird unter dem Banner der Freizügigkeit von Kapital und Niederlassungsfreiheit eine Fusionsrichtlinie vorbereitet.

Über den Sinn bzw. Unsinn von Fusionen steht allerdings nichts in der Richtlinie, bekanntlich scheitern rund 70 %. Am 18. Oktober 2004 gibt es eine Anhörung des Bundestages zu diesem Komplex. Zu diesen Themen begrüße ich als Referent meinen Kollegen Dr. Roland Köstler von der Hans-Böckler-Stiftung. Er wird uns auf den neusten Stand der gesellschaftsrechtlichen Entwicklung in Europa bringen.

Heute staunen wir, dass es früher Fronarbeit gab - und dies gesellschaftlich sogar akzeptiert war. In wenigen Jahrzehnten werden unsere Kinder und Enkel staunen, dass es nur

Mitbestimmung und keine echte Teilhabe der Arbeitnehmer gab. Wir wissen: der direkte Anteil der menschlichen Arbeit an der gesellschaftlichen Wertschöpfung geht immer mehr zurück.

Auch wenn pro Kopf der Bevölkerung das Bruttosozialprodukt weiter steigt: das

Arbeitseinkommen verschiebt sich zugunsten der Kapitaleinkommen. Es ist nur folgerichtig, dass alle Menschen an diesem gewünschten, gesellschaftlichen Zugewinn auch

beteiligt werden. Nicht nur im materiellen Sinne, sondern vor allem durch die Möglichkeit teilzuhaben, verantwortlich mit zu gestalten - und mit zu entscheiden.

Damit bin ich beim Thema Strategie. Heinz Hawreliuk von der IG Metall, sozusagen ein Fels in der Mitbestimmungsentwicklung, wird gemeinsam mit Herrn Ludwig Allgoewer vom Malik

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Management Zentrum St. Gallen zur Strategieentwicklung in Unternehmen und aktuellen Themen in Aufsichtsräten beitragen. Ich freue mich, dass beide kommen konnten.

Wir haben es mit einer Krise der Eliten im Management zu tun. Die Krise wurde nicht durch Mangel ausgelöst. Wir leben im Ressourcenüberfluss, sowohl bei den Gütern wie bei den Menschen. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten von ca. 6 - 8 Millionen Menschen liegen brach - gleichzeitig sind wir schon mehrere Jahre Exportweltmeister. Die Krise wurde ausgelöst durch Systemfehler, starren auf die Börsenkurse statt auf den Markt und die Bedürfnisse der Menschen, durch krasses Missmanagement - und Gier. Nicht nur bei Managern.

Wir sollen als Aufsichtsratsmitglieder über angestellte Manager Aufsicht führen und ihnen Rat geben. Dazu brauchen wir Prinzipien und Vorstellungen, wie Unternehmen sein sollen, Werkzeuge für die Aufsicht - und Mut. Mut, weil trotz Aufklärung und gesundem

Menschenverstand die Metaphysik des Mittelalters vorherrscht: scheinbar ist der „Sachzwang des Marktes“ unausweislich - damit und mit der Globalisierung wird jedes Missmanagement in Unternehmen entschuldigt.

Im Interesse der Menschen und der Unternehmen können wir diese Ausreden nicht länger gelten lassen. Wir sind durchaus handlungsfähig. Die Apologeten unreflektierten Share- holder-Value-Denkens haben Unrecht behalten. Gerade wegen dem Markt und der Globalisierung müssen wir fragen:

- Wie können Unternehmen in der globalisierten Welt weiter gesund wachsen?

- Was bedeutet nachhaltiges Wachstum und wie ist es erreichbar?

- Um welche Werte geht es uns wirklich in den Unternehmen?

- Welche Prinzipien sollten Aufsichtsräte mit und für den Vorstand entwickeln?

- Was ist heute und was ist morgen konkret von uns zu tun?

Und ganz praktisch in der gegenwärtigen Situation:

- Was hilft gegen die ständige lähmende Drohung mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen und wie begegnen wir intelligent dem Thema „Offshoring“?

- Wie sichern wir die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen durch mehr Investitionen im Bildungs- und Forschungsbereich?

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Dazu gehört auch die Anregung, einen Antrag für die nächste Sitzung in allen Aufsichtsräten, einzubringen. Die Investitionsquote im Segment „Wissenmanagement“ ist deutlich zu erhöhen, damit mittelfristig Qualifikation bei den Beschäftigten und in den Unternehmen entsteht.

Kurzfristig bedeutet dies:

- Alle DAX- und MDAX-Unternehmen werden aufgefordert, ihre Investitionen in Ausbildungsplätze in diesem Jahr noch zu steigern. Zum Wohle des Unternehmens in zehn Jahren und zur Stabilität einer demokratischen Gesellschaft heute!

Ich bitte euch alle, einen entsprechenden Antrag einzubringen. Lassen Sie sich nicht von den Finanzern erschrecken! Verbündet euch mit den Weitsichtigen!

Die Anmeldekarten haben gezeigt, dass die Themen „Effektivität der Aufsichtsratsarbeit“ und

„Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat“ nicht so viel Echo hatten, wie die Themen

„Europa“ und „Strategie“. Wir haben deshalb die beiden Gruppen gecancelt und bitten die angemeldeten Teilnehmer, sich den beiden andere Arbeitsgruppen anzuschließen. Damit sind diese Themen natürlich nicht erledigt. Im Gegenteil. Gerade diese Tagung soll dazu beitragen, dass unsere Arbeit in den Aufsichtsräten strategischer und effektiver wird. Bewusst spreche ich dabei nicht von Effizienz. Denn zunächst geht es darum, das Richtige zu tun.

Weil die Arbeitsgruppe ausfällt, zwei Aspekte zu dem leidigen Thema „Sind die Aufsichtsräte zu groß?“. Angeblich sind sie es - und ahnungslose Politiker wie

Wissenschaftler fordern, sie zu verkleinern. Werfen wir einen Blick auf die harte Realität:

• 510 Unternehmen haben einen 12er AR (= 66,8%)

• 100 Unternehmen haben einen 16er AR (= 13,1%)

• 12 Unternehmen haben einen 20er AR (= 14,7%)

• 41 Unternehmen haben freiwillig einen größeren, nämlich 20er AR ( 5,4%) gewählt

Da es wohl in der Debatte kaum um 12er oder 16er Aufsichtsräte geht, steht fest: 2/3 aller Aufsichtsräte arbeiten mit zwölf Mitgliedern! Nur 14,7 % aller Aufsichtsräte haben überhaupt einen 20er Aufsichtsrat! Bislang haben wir aus keinem dieser Aufsichtsräte gehört, dass sie nicht arbeiten können, weil zwanzig verantwortliche Personen beteiligt sind.

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Unsere Botschaft lautet: Wichtig bei der Arbeit des Aufsichtsrates sind Kompetenz, Einsatzbereitschaft, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen untereinander - und

genügend Zeit Die Größe ist nur ein untergeordneter Faktor. 2/3 aller Aufsichtsräte haben nur 12 Mitglieder. Komplexe Lösungen erfordern heute, dass unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweise zusammengeführt werden. Das spricht auch für 20er Aufsichtsräte. Der

Aufsichtsrat ist kein kleines Kuschelgremium.

Nebenbei: Das Leitunternehmen der kapitalistischen Wirtschaft, die „Deutsche Börse AG“

hat einen 21er Aufsichtsrat. Da er nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmern besteht, kann es an uns nicht liegen. Freiwillig 21 Aufsichtsräte zu haben, scheint also sinnvoll zu sein. Dem Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG gehören so wichtige Leute an wie Dr. Rolf Breuer, Dr. Manfred Genz und Friedrich von Metzler. Die hätten den Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG sicher längst verkleinert, wenn das vernünftig gewesen wäre.

Meine Bitte an alle Aufsichtsratsmitglieder in 20er Aufsichtsräten ist:

- Problematisiert bitte bei der nächsten Sitzung ob die Mehrheit des Aufsichtsrates der Ansicht ist, dass sie wegen der Größe ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen kann.

- Und fragt bitte auch, ob jemand von den Anteilseignern der Ansicht ist, dass ihr als Arbeitnehmervertreter für die Arbeit im Aufsichtsrat nicht qualifiziert seid.

Es gibt eine Gruppe von Berliner Professoren - die allermeisten ohne jedes

Aufsichtsratsmandat - die dieser Ansicht sind. Sie werden angeführt von Herrn Prof. Axel von Werder, der auch gleichzeitig in der sog. Cromme-Kommission sitzt, die Leitlinien für eine gute Unternehmensführung, den „Coperate Governance Codex“ entwerfen soll.

Diese - aus Steuermitteln finanzierten - Professoren hier in Berlin - sind der Ansicht, Arbeitnehmer und natürlich auch Gewerkschaftsvertreter hätten in Aufsichtsräten nichts verloren. Sie seien nicht qualifiziert und störten nur. Bei der Unternehmensaufsicht ginge es nicht um Arbeitnehmerinteressen. Stattdessen schlagen sie einen „Konsultationsrat“ vor, in dem sich der Vorstandschef die Anliegen der Arbeitnehmer anhört.

Solche Vorstellungen entsprechen den Zuständen im Kaiserreich - vor der demokratischen Republik 1918. Wer Arbeitnehmer aus Aufsichtsräten mit feinsinnigen gesellschaftsrechtlichen Betrachtungen von Entscheidungen ausschließen will, muss sich fragen lassen, warum er

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nicht gleichzeitig dafür eintritt, dass im Parlament wieder Kapital- und Großgrundbesitzer mehr Stimmen haben als andere Bürger - weil angeblich qualifizierter. Das Zensuswahlrecht haben wir in der Revolution 1918 abgeschafft und uns mehrheitlich für eine freie Republik

ausgesprochen! Aus ihr sind Demokratie, und sowohl freie Gewerkschaften, wie Betriebs- und Aufsichtsräte hervorgegangen.

Die historische Erkenntnis lautet: Unter Herrschaft ist man nicht frei.

Eine Gesellschaft ist nur dann frei, wenn jede Macht demokratisch legitimiert und kontrolliert ist. Das gilt besonders in der globalen Wirtschaft und auch für soziale Macht, die auf dem Privateigentum beruht. Nur dann kann sich unsere Gesellschaft, die Wirtschaft und der Einzelne entwickeln und der Mensch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Dienst eines Unternehmens und der Gesellschaft stellen.

Die Forschung zeigt überdies: Der ökonomische Nutzen der Mitbestimmung beruht im Wesentlichen auf der Akzeptanz der Arbeitnehmervertreter und der damit verbundenen Legitimität.

Unsere Botschaft lautet: Mitbestimmung bedeutet stets auch, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, Verantwortung zu tragen und ein Teil der Fremdherrschaft aufzuheben.

„Talente“ wollen nicht gehorchen, sondern frei, beteiligt und kreativ sein!

Dafür haben unsere Väter und Großmütter gekämpft und dafür werden wir weiter eintreten!

Eine große, möglichst zweistellige Eigenkapitalrendite ist kein postuliertes Bürgerrecht oder gar ein „ökonomisches Grundrecht“ in einer republikanischen Gesellschaft. Die Würde der Menschen, die die Werte in einem Unternehmen schaffen und das Recht auf eine gesunde Umwelt sowie einen sozialen Ausgleich in der Gesellschaft dagegen schon.

Mitbestimmung gehört zu den gesellschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen, ohne die in einer republikanischen Gesellschaft Eigenverantwortung und Partizipation nicht möglich sind. Auch wenn es einige möchten: Partizipation ohne Mitentscheidung geht nicht. Dies würde lediglich Unterordnung zugunsten einer Minderheit und ihrer Privilegien bedeuten - und keine Freiheit.

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Ich habe die Forderungen des Berliner Netzwerkes der Professoren deshalb

antirepublikanisch und undemokratisch genannt. Ich bin froh, dass sich dieser Sichtweise noch nicht einmal die BDA anschließen mag - wenn gleich auch die Forderung nach einer Drittelbeteiligung nicht viel besser ist und mit dem Hinweis garniert daher kommt, mehr sei wohl derzeit nicht opportun und gesellschaftlich nicht vermittelbar.

Unsere Botschaft lautet: Wer Konsultationsräte oder Drittelbeteiligung fordert, wird Streikräte und Verweigerungshaltungen bekommen! Wer nachhaltige, gesunde Unternehmen will, muss Arbeitnehmer gleichberechtigt teilhaben lassen und muss Kooperationen ausbauen!

Mitbestimmung ist gelebte Kooperation.

Ich hoffe sehr, dass sich diejenigen im Management durchsetzen, die sich der so genannten

„Kooperationsökonomie“ verpflichtet und erkannt haben, dass sich eine demokratische Gesellschaft und auch ein Unternehmen nur mit und nicht gegen die Arbeitnehmer entwickeln lässt.

Nichts ist so grandios gescheitert, wie die Share-holder-Value-Doktrin. Sie konnte die menschlichen Bedürfnisse nicht befriedigen. Stattdessen sind Vertrauen und Motivation zerstört, Bitterkeit und Zynismus und eine Selbstbedienungsmentalität entstanden. Der Trend zur inneren Kündigung hat sich vertieft, die Begeisterung der Beschäftigten für das

Unternehmen abgenommen. Immer mehr Menschen fragen: wieso soll ich mich immer mehr anstrengen, das Beste geben, sogar auf Einkommen oder Freizeit verzichten? Nur um Gewinn, die Einkommen der Manager und die Tantiemen für ohnehin schon reiche Leute zu steigern - obwohl nicht einmal mein Arbeitsplatz sicher ist ?

Statt nachhaltiger Werte in den Unternehmen und wachsenden Reichtum in der Gesellschaft haben wir eine neue soziale Frage. Armut wächst, die Schere zwischen Reich und Arm wird größer. Sie ist keineswegs durch die unsichtbare Hand des Marktes entstanden. Sie ist Menschenwerk. Es ist Ergebnis menschlicher Entscheidungen - auch und gerade in börsennotierten Unternehmen.

Unsere Aufsicht und der nötige Dialog mit den verantwortlichen Managern kann das ändern.

Sie kann orientierungslosen Managern wieder Sinn und Halt geben. Voraussetzung ist, wir besinnen uns darauf, was der eigentlichen Zweck des Wirtschaftens und die Ziele guten Managements sind. Dabei berücksichtigen wir, dass es in einer anonymen Kapitalgesellschaft - in Frankreich heißen sie korrekt „S.A.“ - Societé Anonym - keinen persönlichen Unternehmer

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gibt. In anonymen Kapitalgesellschaften geben Aktionäre Geld - Mitarbeiter setzen einen Teil ihres Lebens für das Unternehmen ein. Sie sind auf natürliche Weise an der gesunden Fortentwicklung des Unternehmens stärker interessiert als reine Geldgeber. Der Konflikt zwischen Finanzkapital als Anleger und Realkapital als Treiber der Wertschöpfung ist unübersehbar. Der Finanzmarkt und das Finanzkapital haben eindeutig kein besonderes Interesse an nachhaltiger, wirklicher Wertschöpfung im Unternehmen. Analysten und

Investmentbanker verdienen an abstrakten Finanztransaktionen. Sie entziehen sich auch ihrer Pflicht als Bürger in der Gesellschaft. Unternehmen verdienen hingegen durch Entwicklung, Produktion und Verkauf hochwertiger Güter und Dienstleistungen, die Menschen das Leben erleichtern und Wohlstand für alle schaffen. Die Wertschöpfung eines Unternehmens entsteht nicht durch Finanzkapital. An der Wertschöpfung sind mindestens beteiligt:

Unsere Botschaft lautet: Der Zweck eines Unternehmens besteht darin, gute Produkte und Dienstleistungen zu liefern und uns allen das Leben zu erleichtern. Natürlich sollte dabei Gewinn entstehen. Der eigentliche Zweck eines Unternehmens muss im Vordergrund stehen.

Es ist die Aufgabe der Aufsichtsräte, dafür zu sorgen, dass im Konflikt zwischen spekulativem Finanzkapital und werteschaffenden Realkapital vor allem das Interesse des Unternehmens überwiegt. Sinn eines Unternehmens ist nicht, Aktionären zu mehr Geld zu verhelfen!

Wenn auch das passiert, dass das Unternehmen gesund wächst, gleichzeitig die Arbeitsplätze gesichert, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Unternehmen und bei den Zulieferern besser werden, die Umwelt nicht geschädigt wird - dann haben wir nichts dagegen!

Unternehmen Unternehmen

Wertschöpfungskette:

Arbeitnehmer/innen und Management Anteils

eigner

Gesell- schaft Zu-

lieferer

Kunden

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Unternehmensaufsicht schließt auch das Thema ein: Wie sollen Manager „angemessen“

bezahlt werden. Das ist ein schwieriges Thema. Herr Evers von der Kienbaum Management Consultants GmbH hat uns dankenswerter Weise folgende Zahlen zur Verfügung gestellt:

Die Vorstandsgehälter haben sich also zwischen 1997 - 2003 ordentlich entwickelt, auch in DAX-Unternehmen. Die Unternehmen habe es nicht! Die Jahresüberschüsse sind negativ - von der Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung ganz zu schweigen. Eine Handvoll Manager hat es geschafft, dass Aufsichtsräte ihnen „Magier-Gehälter von mehr als 2 und 3 Millionen zahlen. Das ist gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar, leistet einem Managerfeudalismus Vorschub und ist sozial obszön.

Dort wo Wert vernichtet wird oder mehrere Millionenbeträge gezahlt werden, werden Aufsichtsräte kritisch hinschauen - und Arbeitnehmervertreter auch gegen Erhöhungen stimmen. Ein Gesetz zur Transparenz brauchen wir, eins zur Höhe nicht. Leider gab es nicht genügend Anmeldungen für die Arbeitsgruppe „Vorstands- und Aufsichtsratsvergütungen“.

Herr Dr. Evers kommt deshalb nicht. Das Thema ist kompliziert. Unser Ziel ist es, Anfang des nächsten Jahres eigene Kennziffern vorzulegen, nach welchen Zielen sich

Vorstandsvergütungen entwickeln sollen.

Wir sind als erwerbsfähige Bürger dreifach gefragt, wenn es um Unternehmenspolitik geht: als Staatsbürger, als Produzenten und Konsumenten. Deshalb haben wir ein hohes Interesse daran, wie und was produziert wird. Wir sind als Arbeitnehmer die Träger der lebendigen Arbeit und damit der wirklichen Wertschöpfung. Die Produktionsmittel lassen sich in der Zukunft nicht mehr vom Menschen trennen. Die Menschen selbst sind die

Produktionsmittel. Das verändert die Arbeitsbeziehungen dramatisch.

„angemessen“ ?

DAX-30 1997 – 2003

MDAX 1997 – 2002

Vorstandsbezüge pro Kopf, prozentual und in Tsd. Euro

+ 103 % + 35 %

Aufsichtsratsbezüge pro Kopf, prozentual und in Tsd. Euro

+ 65 % + 58 %

Jahresüberschuss - 37 % - 13 %

Quelle: Kienbaum 2004

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Gewerkschaften sind Spezialisten der Arbeitsbeziehungen. Das ist unsere Chance für eine echte, wertschöpfende Unternehmensentwicklung und für die Mitbestimmung!

Die klaren Trends der Zukunft lauten:

• „Wissen“ (Bearbeitung von Informationen und Änderung des Verhaltens!), nicht Arbeit, Kapital und Boden sind die entscheidenden Produktionsfaktoren der Zukunft in Europa.

• Die Produktionsgesellschaft entwickelt sich zur wissensbasierten Industriegesellschaft

• Talente“ werden knapp und teuer (spätestens 2011)

• die Menschen selbst sind die zukünftigen Produktionsmittel.

• Erfolgreiche Unternehmensstrategien gehen vom Potential der Mitarbeiter/innen aus, kennen es und fördern sie.

Wie antworten die Mitbestimmungsgegner nun auf die Notwendigkeit die Bedürfnisse der Menschen anzuerkennen? Wie wollen sie nach dem Desaster der Share-holder-Value-Doktrin zu kooperativen Wirtschaften zu kommen? Wie die „Talente“ einbeziehen und gewinnen?

• Mehr „Markt“ – weniger Demokratie und Bürgereinfluss

• Aufsichtsräte verkleinern, Spezialisten kontrollieren Spezialisten

• Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten - oder Konsultationsrat

• Gewerkschafter ganz raus aus den Aufsichtsräten

• Arbeitnehmervertreter/innen sind nicht qualifiziert für Mitarbeit im Aufsichtsrat

Etwas dürftig, finde ich. Intelligenter sind hoffentlich unsere Vorschläge:

• Mehr Kooperation, mehr auf den Menschen achten.

• Dem demokratischen Bürger, nicht dem Markt das Primat geben,

• die Mitbestimmung auf Unternehmen auch unter 2.000 Beschäftigten ausdehnen.

• Ausländische Arbeitnehmer wählbar machen - und wählen lassen.

• Die Aufsichtsratsarbeit weiter professionalisieren.

• Das undemokratische Doppelstimmrecht der Kapitalseite ändern.

• In allen Vorständen einen Arbeitsdirektor installieren: Jemanden, der verantwortlich für die wertvollste Ressource ist, die wir haben: den schöpferischen Menschen

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In jedem Unternehmen wird es eine eigene Entwicklung, eigene Überlegungen und eine eigene Unternehmens- wie Aufsichtsratsstrategie geben müssen. Das ist unbedingt nötig.

Einige Prinzipien könnten für alle hilfreich sein. z.B.:

• Alles was wir tun, sollte in erster Linie dem Unternehmen dienen nicht, einer einzelnen Interessengruppe und es sollte den Beitrag des Unternehmens für die Gesellschaft stärken,

• Ein Unternehmen ist nicht nur eine ökonomische Einrichtung. Es ist auch eine soziale und moralische Organisation. Die Unternehmensziele müssen sich daran messen lassen. Steuern zahlen, ist kein betriebswirtschaftliches Unglück,

• Menschlichkeit, nicht Geldvermehrung als oberste Priorität unternehmerischer Haltung führt zu gesunden Unternehmen, flankiert von Umwelt- und Sozialverträglichkeit.

• Begeisterung und Identifikation mit dem Unternehmen lässt sich nur durch Vorbildverhalten, größere Eigenverantwortung durch Mitbestimmung und

Mitentscheidung erreichen. Und durch Verlässlichkeit, Fleiß und Bescheidenheit.

Ich wünsche allen eine gute Diskussion - und danke besonders der Hans-Böckler-Stiftung und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass sie diese 1. DAX-MDAX-Konferenz ermöglicht haben.

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