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Wir müssen uns öffentlich äußern! Und das Arbeitsverhältnis?

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Wir müssen uns öffentlich äußern!

Und das Arbeitsverhältnis?

Max Gussone

Rechtsanwalt – Fachanwalt für Arbeitsrecht Anwaltskanzlei Gussone – Lewek – Kenkel

Besenbindehof 60, 20097 Hamburg kanzlei@besenbinderhof60.de, 040-28803693

(2)

I. Arbeitsverhältnis

1. Arbeitsvertrag und Weisungsrecht

§ 611a BGB Arbeitsvertrag

(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.

§ 106 GewO Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher

bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt

sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

(3)

2. Tarifliche Regelungen

BAT § 8 Allgemeine Pflichten

(1) Der Angestellte hat sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Er muss sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des

Grundgesetzes bekennen.

(2) Der Angestellte ist verpflichtet, den dienstlichen Anordnungen nachzukommen. Beim Vollzug einer

dienstlichen Anordnung trifft die Verantwortung denjenigen, der die Anordnung gegeben hat. Der Angestellte hat Anordnungen, deren Ausführung - ihm erkennbar - den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde, nicht zu

befolgen.

TV-L § 3 Allgemeine Arbeitsbedingungen

(1) 1 Die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung ist gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen. 2 Die Beschäftigten müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.

(4)

3. Beamte

§ 35 Beamtenstatusgesetz - Folgepflicht

(1) Beamtinnen und Beamte haben ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Sie sind verpflichtet, deren

dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Dies gilt nicht, soweit die Beamtinnen und Beamten nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.

§ 36 Beamtenstatusgesetz - Verantwortung für die Rechtmäßigkeit

(1) Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.

(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen.

Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die

Beamtinnen oder Beamten erkennbar ist. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen.

(5)

„Die Remonstration …

…bedarf keiner besonderen Form, kann also mündlich oder schriftlich erfolgen.

Die Personalreferate oder eine zentrale Stelle erhalten keine Kenntnis von Remonstrationen und deren Ergebnis auf der Fachebene. Sie dürften auch nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Zur Personalakte gehören nur die Unterlagen, die die Beamten betreffen, soweit sie mit ihrem oder seinem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen

(Personalaktendaten). Andere Unterlagen dürfen nicht in die Personalakte aufgenommen werden (§

106 Absatz 1 Satz 4 und 5 BBG).

Remonstrationen richten sich gegen fachliche Entscheidungen, entsprechend wären Vermerke über Remonstrationen in der Personalakte unzulässig.

Mündliche Remonstrationen müssen auch im Fachvorgang keinen Niederschlag finden. Entsprechend gibt es keine Angaben zu der Zahl der Remonstrationen.“(Antwort der Bundesregierung vom 27. Juli

2011 auf Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 11. Juli 2011)

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4. Meinungsfreiheit

Art. 5 GG [Recht der freien Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit]

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der

Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(7)

BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 - 1 BvR 1165/89

„Art. 5 I 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat.

Das Ausmaß des Schutzes kann allerdings von dem Zweck der Meinungsäußerung abhängen. Beiträge zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage genießen stärkeren Schutz als Äußerungen, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dienen. Bei ersteren spricht eine Vermutung zugunsten der freien Rede.

Insbesondere muss in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte.

Eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik in politischen Auseinandersetzungen überhöhte Anforderungen stellt, ist daher mit dem Grundgesetz nicht

vereinbar.“

(8)

Tatsachenbehauptung, Werturteil, Schmähkritik

„Insbesondere fällt bei Tatsachenbehauptungen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht, der für reine Werturteile irrelevant ist. An der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse. Wahre Aussagen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.“

„Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen grundsätzlich dem Beweis zugänglich. Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht.“

„Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ BVerfG Beschluss 7.12.2011 – 1 BvR 2678/10

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BVerfG 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth-Urteil

- Lüth (Leiter Pressestelle des Senats der FHH) rief 1950 zum Boykott des Films „Unsterbliche Geliebte“ von Veit Harlan auf.

- Veit Harlan war Regisseur des Films „Jud Süß“ (= antisemitischer Hetzfilm 1940).

- Auf Antrag der Filmgesellschaft verurteilten LG und OLG Hamburg Lüth zur Unterlassung des „sittenwidrigen“ Boykottaufrufes. Das BVerfG hob diese Entscheidungen auf:

- Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche

Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.

- Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln.

- Die "allgemeinen Gesetze" müssen im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden.

- Das Grundrecht des Art. 5 GG schützt nicht nur das Äußern einer Meinung als solches, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung.

- Eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthält, verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

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„Soldaten sind (potentielle) Mörder“

BVerfG : Tucholsky-Zitat nicht immer als Beleidigung der Bundeswehr oder der Soldaten strafbar.

- Beschluss 25.08.1994: „Einem Aufkleber mit der Aufschrift "Soldaten sind Mörder" und dem Namenszug "Kurt Tucholsky" kommt bei verständiger Würdigung nicht der Sinn zu, daß die Angehörigen der Bundeswehr der Begehung von Mordtaten beschuldigt werden.“

- Beschluss 10.10.1995: „Das Bundesverfassungsgericht hat mit den Strafgerichten in der wertenden Gleichstellung eines Soldaten mit einem Mörder eine tiefe Kränkung gesehen. Die Gerichte haben sich aber nicht hinreichend

vergewissert, daß die umstrittenen Äußerungen diesen Sinn auch wirklich hatten. In allen vier Fällen ergaben sich aus dem

Kontext oder den Begleitumständen der Äußerungen Anhaltspunkte, die eine andere Deutung zumindest als möglich erscheinen ließen, nach der es nicht um die Herabwürdigung von Soldaten als Personen, sondern um die Verurteilung von Soldatentum und Kriegshandwerk ging, weil diese im Ernstfall mit dem Töten anderer Menschen verbunden sind. Nach der ständigen

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Gerichte eine zur Bestrafung führende Deutung nur zugrunde legen, wenn sie zuvor die anderen Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen haben. Daran fehlte es, und dies müssen die Strafgerichte nachholen.“

- Damit wurden vier strafrechtliche Verurteilungen aufgehoben. Bestätigung von Urteilen aus Frankfurt, die eine Bestrafung wegen Beleidigung oder Verleumdung abgelehnt und die Angeklagten freigesprochen hatten.

5. Was bedeutet das für arbeitsrechtliche Fallgestaltungen?

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5. Betriebsversammlung: Schluck aus der Pulle

- Arbeitnehmer kritisiert in einer Rede auf der Betriebsversammlung das in einer Arbeitsordnung festgelegte betriebliche Alkoholverbot. Zum Schluss holt er noch am Rednerpult stehend, eine Bierdose aus seiner Arbeitsjacke, öffnet sie und trinkt einen Schluck.

- Der Arbeitgeber will das nicht hinnehmen und einigt sich mit dem Betriebsrat nach mehreren Verhandlungen auf eine Verwarnung wegen provozierenden Verhaltens gegen die

Arbeitsordnung.

- Der Arbeitnehmer klagt auf Entfernung der Verwarnung aus der Personalakte. Das ArbG weist die Klage ab.

- Das LAG (Urteil vom 13.3.1981 – 3 Sa 127/80) sieht das anders: Freiheit der Meinungsäußerung umfasse auch entsprechende Handlungen (Gesten, Tragen von Symbolen). Die Handlung stehe im Zusammenhang mit dem Thema der Rede und sei deshalb von der Freiheit der

Meinungsäußerung gedeckt.

(12)

Tucholsky zum Zweiten!

- Berufssoldat (49 Jahre) unterzeichnet Presseerklärung des Darmstädter Signals (Zusammenschluss von der Friedensbewegung verbundenen Soldaten): „Wir Soldaten begrüßen das sogenannte „Soldatenurteil“ der 29. Großen Strafkammer des LG Frankfurt vom 20.10.1989. Zum einen ist der Kampf der Meinungen das Lebenselement unserer Gesellschaft, zum anderen halten wir die Aussage ‚alle Soldaten sind potentielle Mörder‘ inhaltlich für richtig. … Wir Staatsbürger in Uniform brauchen keinen besonderen Ehrenschutz!“

- Im Disziplinarverfahren urteilt das BVerwG – Disziplinarsenat -, dass der Soldat vom Major (Besoldungsgruppe A 13) zum Hauptmann (A 12) degradiert wird.

- BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 –: Überinterpretation einer im

Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den Folgen und Gefahren eines Atomkriegs erfolgten

Äußerung zum sog "Mörderzitat" dahin, daß die Formulierung "zum anderen halten wir die Aussage - alle Soldaten sind potentielle Mörder - inhaltlich für richtig" eine Diffamierung der Kameraden der Bundeswehr als "der Anlage oder Möglichkeit nach gewissenlose Killer" darstelle.

(13)

Der Leserbrief

Arbeitnehmer (Mitglied der CDU) ist Angestellter der Stadt, deren Bürgermeister (SPD) er häufig kritisiert. In einem Leserbrief in der örtlichen Zeitung beanstandet er, dass der Bürgermeister die Vergabe von Zuschüssen der

Landesregierung (damals langjährig CDU) für bestimmte kulturelle Zwecke auf sein Wirken bzw. das des Landtagsabgeordneten der SPD zurückführt. Das sei vielmehr dem Abgeordneten der CDU zu verdanken.

„Trotzdem frage ich mich, was eigentlich noch alles passieren muss, bis die CDU-Partei- und Fraktionsspitze diesen Bürgermeister zur Ordnung ruft. … Bei mir verfestigt sich immer mehr der Eindruck, dass die CDU ungeprüft und widerspruchslos sich ihr eigenes Todesurteil unterschreibt, wenn sie dieses von Bürgermeister S vorgelegt bekäme.“

Die Stadt erteilt deshalb eine Abmahnung wegen Ausfällen gegen den Bürgermeister und öffentlichen Angriff auf Mitglieder des Gemeinderates. Der Arbeitnehmer habe außerdem gegen einen erst vor einem Jahr geschlossenen gerichtlichen Vergleich verstoßen, in dem er sich verpflichtet habe, sich der aus § 8 Abs. 1 BAT folgenden

Beschränkung seiner Meinungsfreiheit bewusst zu sein. Die gegen die Abmahnung gerichtete Klage weisen ArbG und LAG ab.

BVerfG (Beschluss 16.10.1998 1 BvR 1685/92) hält das für fehlerhaft: Rechtmäßigkeit der Abmahnung könne nicht allein mit Stil und vermeintlich unangemessener und überzogener Wortwahl einzelner aus dem Zusammenhang gelöster Formulierungen begründet werden.

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Die isolierte Beleidigung

Rede auf einer Personalversammlung mit heftiger Kritik an fehlender bzw. falscher Konzeption der Dienststelle:

Es sei wohl eindeutig, dass die Ökonomisierung der Jugendhilfe, wie sie auch von der Geschäftsführerin betrieben werde, kein Heilmittel sei. Denn gerade die Adressaten der Jugendhilfe seien Opfer der

ökonomischen Bedingungen. … Die Abteilungsleitungen hätten nichts getan, um den Niedergang des Betriebes aufzuhalten. Sie seien Duckmäuser, Wendehälse und Nickhunde. …

Die Arbeitgeberin mahnte wegen Beleidigung der Abteilungsleitungen und Verletzung der Dienstplicht ab. Das ArbG Hamburg gab der Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte statt (Urteil vom 9.11.1999 – 20 Ca 115/99):

Die gewählten Begriffe haben zwar eindeutig eine negative Bedeutung. Der Kläger hat sie jedoch nicht zum Zwecke der persönlichen Verunglimpfung der betroffenen Personen verwendet. Sie sind nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den Ausführungen des Klägers über den Zustand des Betriebes zu sehen. Der Kläger hat zuvor sachlich seine Kritik an der Situation des Betriebes geäußert und in diesem Zusammenhang die Rolle der Abteilungsleitungen kritisiert.

(15)

Schlechte Arbeitsbedingungen

„Ich möchte nicht wissen, was hier alles an Tabletten, auch an Aufputschmitteln, geschluckt wird.“

Die Arbeitgeberin klagt auf Unterlassung dieser Äußerungen.

Der zitierte Satz folgt unmittelbar auf die Darstellung der Arbeitsbedingungen bei dem Arbeitgeber, wonach neu einzustellende Mitarbeiter nicht mehr nach Tarif bezahlt würden und eine Arbeitszeit von 40 bis 48

Wochenstunden sowie einen herabgesetzten Urlaubsanspruch von nur noch 25 Tagen hätten. Im Anschluss an die Schilderung schlechter Arbeitsbedingungen kann diese Äußerung einer Arbeitnehmerin und Betriebsrätin in einem Branchenblatt nur so verstanden werden, dass derartige Arbeitsbedingungen geeignet seien, die ArbeitnehmerInnen zu veranlassen, Tabletten und Aufputschmittel einzunehmen.

Damit enthalte die Aussage nicht die Tatsachenbehauptung, dass bei dem Arbeitgeber Aufputschmittel

genommen würden, sondern eine Spekulation. Deshalb handele es sich zwar um scharfe Kritik, aber nicht um Schmähkritik (Hans. OLG 16.11.2010 – 7 W 160/10 – Kostenbeschluss).

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Schnaps ins Regal

Kündigung wegen Glaubenskonflikts - BAG, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 AZR 636/09 –

Beruft sich der Arbeitnehmer (Muslim) gegenüber einer Arbeitsanweisung des Arbeitgebers (Verräumung von alkoholischen Getränken in das Verkaufsregal) auf einen ihr entgegenstehenden, ernsthaften inneren

Glaubenskonflikt, kann das Beharren des Arbeitgebers auf Vertragserfüllung ermessensfehlerhaft iSv. § 106 Satz 1 GewO iVm. Art. 4 Abs. 1 GG sein.

In diesem Fall stellt zwar die Weigerung des Arbeitnehmers, der Weisung nachzukommen, keine vorwerfbare Pflichtverletzung dar. Der Arbeitnehmer ist aus persönlichen Gründen außerstande, einen Teil der vertraglich (weiterhin) versprochenen Leistungen zu erbringen.

Die Weigerung kann aber geeignet sein, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweitig sinnvoll einzusetzen.

(17)

6. Zusammenfassung: ErfK/Schmidt, GG Art. 5

„Eine verfassungskonforme Lösung ergibt sich, wenn man die prinzipielle Zweiseitigkeit der Rücksichtspflichten beachtet. Auf der einen Seite müssen AN die betrieblichen und unternehmerischen Belange berücksichtigen, auf der anderen Seite hat aber der AG die Meinungsfreiheit seiner Mitarbeiter zu achten. Er ist verpflichtet, deren

Meinungen und Äußerungen (auch rechts- und linksradikale) so weit als möglich zu tolerieren und auch deren Kritik an seiner Betriebsführung und Unternehmenspolitik hinzunehmen.

Die Grenze ist erst erreicht, wenn konkrete Gefahren für Betriebsabläufe oder für die Außenwirkung des

Unternehmens drohen. Selbst dann müssen Sanktionen (z.B. Abmahnung, ordentl. oder außerordentl. Kündigung) dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.

Auf Störungen des Vertrauensverhältnisses kann sich der AG nur berufen, wenn sich das aus dem Inhalt oder der Art des Vertrages ergibt. Besonders heikel ist die Bewertung rassistischer und ausländerfeindlicher Äußerungen wegen ihrer schwer fassbaren Fernwirkung. Auch hier ist aber eine konkrete Abwägung unerlässlich; einen

„betrieblichen Tabubereich“ gibt es nicht, weil ein solches Postulat die betroffenen Interessen ausblendet und ihre Gewichtung entbehrlich machen würde.

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• Eine etwas andere Interessenlage ergibt sich bei AN mit Öffentlichkeitskontakt (z.B. als Repräsentant ggü.

Kunden, Lieferanten oder Besuchern). Hier wird geltend gemacht, Meinungsäußerungen würden uU dem AG zugerechnet. In der Tat muss sich ein Unternehmen nicht gefallen lassen, als Meinungsträger oder gar -

verstärker instrumentalisiert zu werden. Aber auch hier besteht die Gefahr einer allzu pauschalen Argumentation. Deshalb muss die konkrete Gefahr der Zurechnung von unangemessenen oder gar geschäftsschädigenden Meinungsäußerungen nachvollziehbar belegt werden können.

• Eine allg. Tendenzförderungspflicht besteht nicht.

- Bergarbeiter, die die Verstaatlichung der Kohleindustrie, - Bankkaufleute, die eine Verschärfung der Bankenaufsicht, - Brauereiarbeiter, die ein Verbot der Alkoholwerbung fordern,

sie alle verhalten sich nicht vertragswidrig, sondern machen von ihrer Meinungsfreiheit in zulässiger Weise Gebrauch.

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Tendenzunternehmen

Dagegen sind ausdrückliche Vertragsklauseln selten und entbehrlich, wenn sich entspr. Bindungen stillschweigend aus der Art des Arbeitsverhältnis ergeben. Das gilt va. für Tendenzunternehmen (z.B. Presse) und Kirchen.

Thematisch begrenzt gilt es ferner für bestimmte Berufe mit standesrechtlichen Bindungen und in Ausnahmefällen auch bei AN mit herausgehobenen oder repräsentativen Funktionen.

Eine Sonderstellung idS nimmt schließlich der öffentliche Dienst ein, von dem ganz allgemein funktionsbezogene Zurückhaltung erwartet werden darf. Das ist der Grund, warum z.B. Lehrer in staatl. Schulen während ihres

Schuldienstes keine Anti-Atomkraft-Plaketten tragen durften (BAG 2.3.1982). Auf AN der Dt. Lufthansa lässt sich das nicht übertragen (LAG HE 21.9.1990). Auch ist der öffentliche Dienst kein homogener Block; der Grad der politischen Loyalitätspflicht hängt vielmehr von Status, Stellung und Aufgabenkreis ab (stRspr. BAG 28.9.1989).

Auch kollektivvertragliche Regelungen, die den Normadressaten Zurückhaltung auferlegen, gehören in diesen

Zusammenhang. Sie sind als privatautonome Beschränkungen der Meinungsfreiheit zu werten und wirksam, soweit ein Zusammenhang mit der Art des Arbeitsverhältnis besteht (z.B. § 8 Abs. 1 BAT).“

(20)

7. Deshalb sind nicht auszuschließen …

• … andere Reaktionen des Arbeitgebers wie beispielsweisen … - Ver- oder Umsetzung …

- ausbleibende Beförderung … - unfreundliche Behandlung …

… sind natürlich alle unzulässig, wenn sie auf der – zulässigen - Meinungsäußerung beruhen.

- Problem des Nachweises!

 Risiko der einzelnen Beschäftigten! Deshalb abschließend ein Blick auf … II. Andere Handlungsebenen …

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II. 1. Betriebsrat / Personalrat

Am 10. Oktober 2007 versandte der Betriebsrat eines Betriebes in Schleswig-Holstein (Metallindustrie) über das Intranet der Arbeitgeberin an alle E-Mail-Nutzer im Betrieb folgende Information:

„Volksentscheid

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nachfolgend geben wir Euch noch einmal Informationen unserer Gewerkschaft zum Thema „Volksentscheid“

bekannt.

Wir bitten um Beachtung der folgenden drei Seiten. [Schreiben des DGB an den Ersten Bürgermeister, das sich kritisch mit dessen Haltung zum Thema Volksentscheid auseinandersetzte und Informationsblatt des Vereins

„Mehr Demokratie e. V.“, das zur Abstimmung mit „Ja“ aufrief]

Wir bitten vor allem in Hamburg lebende Kolleginnen und Kollegen, sich an der kommenden Abstimmung spätestens am Sonntag zu beteiligen.“

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Und dann?

• Reaktion des – nicht erfreuten – Arbeitgebers: Unterlassungsanspruch gegen Betriebsrat

• BAG, Beschluss vom 17. März 2010 – 7 ABR 95/08 – (Leitsätze):

• 1. Von dem in § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG normierten Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb werden Äußerungen allgemeinpolitischer Art ohne Bezug zu einer Partei nicht erfasst.

• 2. Dem Arbeitgeber steht gegenüber dem Betriebsrat generell kein Unterlassungsanspruch zu. Er hat lediglich die Möglichkeit, bei einer groben Pflichtverletzung gemäß § 23 Abs 1 BetrVG die Auflösung des

Betriebsrats zu beantragen oder im Beschlussverfahren die Zulässigkeit einer Maßnahme des Betriebsrats im Wege eines Feststellungsantrags klären zu lassen.

 § 23 Abs. 1 BetrVG: Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner Pflichten auf Antrag eines Viertels der Beschäftigten, des Arbeitgebers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft.

(23)

2. Gewerkschaft

• Art 9 Abs. 3 GG: Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen

Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. …

• Art 9 Abs. 1 GG: Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

• Satzung, Richtlinien etc. bestimmen die innere Ordnung der Gewerkschaft, binden also nur die Mitglieder.

Sie wirken aber nicht nach außen.

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