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Andres, Dörte:
Konsekutivdolmetschen und Notation.
Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 2002. – ISBN 3- 631-39856-5. 259 Seiten, €40,40
(Ieva Sproģe, Riga / Lettland)
Die Übersetzungswissenschaft als junge Disziplin stellt an die Erforschung ihres Gegenstandsbereichs besonders viele Herausforderungen, die heutzutage ohne einen interdisziplinären Ansatz nicht zu bewältigen sind. Die Autorin Dörte And- res gehört zu den noch nicht so vielen Sprach-/DolmetschforscherInnen, die diesen durchaus schwierigen Weg einge- schlagen haben. Die vorliegende Publika- tion der erfahrenen Dolmetscherin und Dolmetschlehrerin (Dozentin am FASK Germersheim) ist ihre Dissertation, die mit dem Forschungspreis der Vereinigung der Freunde der Universität Mainz e. V.
für das Jahr 2001 ausgezeichnet wurde.
Der Klappentext des Buches informiert über die empirische Untersuchung, ver- schwiegen bleibt die Tatsache, daß das Dolmetschen nicht in allen Kapiteln nur unter die wissenschaftliche Lupe genom- men, sondern auch in seiner Vielfältigkeit sehr spannend dargestellt wird. Das erste Kapitel »Konsekutivdolmetschen und Notation in der Darstellung von Dolmet- scher-Memoiristen des 20. Jahrhunderts«
kann einen sehr großen Leserkreis (nicht nur Dolmetschforscher und/oder -lerner) ansprechen: es geht zwar auch hier um Dolmetschen, aber um Dolmetschen als einen Bestandteil unseres Lebens: Hierbei denken wir nicht nur an Seminare und Konferenzen, an Auslandsreisen und fremdsprachliche Stadtbesichtigungen, sondern auch an Fernseh-/Radionach- richten, Filme u. a. audiomediale Alltags- erscheinungen, die uns nur über Dolmet- schleistungen zugänglich werden. Hier zeigt Andres dem Leser, wie Dolmet- scher/Übersetzer die Geschichte des Jahr- hunderts mitgestaltet haben, »wie die
Dolmetscher arbeiteten, welche Anforde- rungen an die Qualität ihrer Leistung gestellt wurden, wie sie selbst ihre Arbeit, ihre Erfolge und Mißerfolge empfanden, und schließlich, was diese Dolmetscher von den Dolmetschern in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unterschied« (11).
In diesem kurzen Kapitel gelingt es Andres, ein meisterhaftes Bild des Dol- metschers zu zeichnen. Hiermit über- zeugt sie den Leser, daß der Dolmetscher ein Mensch ist, der versteht, denkt und fühlt, nicht aber ein quasi automatisierter Wortkettenumkodierer.
Genau dieser Gedanke ist der ›rote Fa- den‹ des Buches und wird im 2. und 3.
Kapitel weiterentwickelt, wovon die in der Zusammenfassung dieses einführen- den Kapitels genannten Ziele und der Gegenstand der empirischen Untersu- chung zeugen:
»Welche Techniken können die universitä- ren Ausbildungsstätten im Konsekutivdol- metschen, das Gegenstand dieser Arbeit ist, vermitteln? Welche Schwierigkeiten erge- ben sich? Entstehen für die Dolmetschlei- stung dadurch Defizite, dass es im Ver- gleich zu den Memoiristen an entsprechen- dem Sprach-, Fach- und Weltwissen sowie genauer Kenntnis des Kontextes mangelt?
Und gibt es ggf. Strategien, um diesen Defiziten zu begegnen? Auf welche Strate- gien greifen Anfänger in der Dolmetscher- ausbildung zurück und mit welcher Konse- quenz, um mit einer Vielzahl von für sie unbekannten oder weniger bekannten Si- tuationen fertigzuwerden? Welchen Stellen- wert nehmen die Notizen ein? Über welche Strategien verfügen professionelle Dolmet- scher? Welche sind erfolgreich und welche Rolle spielen für sie beim Konsekutivdol- metschen die Notizen? Und schließlich: was unterscheidet professionelle Dolmetscher von Anfängern?« (55)
Um diese so umfangreiche Fragenkette zu beantworten, werden 28 Versuchsper- sonen – 14 Dolmetschstudenten aus ver- schiedenen Ausbildungsstätten und 14 professionelle Dolmetscher – in ihre Un- tersuchung miteinbezogen. Mit einer
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speziell konzipierten Kamera gefilmt, sollte der Ausgangstext, eine auf Video aufgezeichnete Fernsehansprache des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, gedolmetscht werden. Das beson- dere bei dieser Untersuchung ist nicht nur die Messung von Sprechgeschwin- digkeit, die im Zusammenhang mit der Notizenanalyse und der Dolmetschlei- stung auf beinahe 200 Seiten sehr detail- liert dargestellt und analysiert wird, son- dern auch die holistische Herangehens- weise, wobei Sprachproduktions- und Gedächtnisprozesse mitberücksichtigt bzw. in jedem der Kapitel kurz analysiert werden (z. B. 1.3.2 Vorbereitung/Wissen, 1.3.3 Verstehensprozesse, 1.3.4 Intuition 2.6.4 Gedächtnis und Décalage, 2.6.5 Ge- dächtnis, Wissen und Erfahrung, 3.1 Ver- stehenstechniken, sowie auch in 2.7 Zu- sammenfassung), wodurch ein weiterer Schritt in die Richtung der Erforschung mentaler Prozesse gemacht wird.
Trotz/wegen des großen und vielschich- tigen Umfangs (siehe die oben erwähnten Ziele) der Untersuchung, wird diese im- mer tiefer: die Bewertungskategorien der Dolmetschleistung werden im Rahmen einer weiteren kleinen empirischen Un- tersuchung zum Thema »Bewertungskri- terien«, deren Basis ein von Andres erar- beiteter und evaluierter Fragebogen bil- det, bestimmt.
Bei den befragten Personen ist eine Glie- derung nach Geschlecht, Alter und Er- fahrung mit Dolmetschen vorgenommen worden, und die 50 Befragten haben
»einen für die Zwecke dieser Umfrage kompetenten Personenkreis« (71) darge- stellt. Es wird jedoch nicht besonders transparent, wie es genau zu der Einstu- fung (gut–mittel–schlecht) der Proban- den, die eine sehr unterschiedliche Be- rufserfahrung haben, gekommen ist: Ist für jede Versuchsperson eine Bewer- tungskriterien-Tabelle mit inhaltlichen und formalen Aspekten angelegt wor-
den? Der Leser weiß nur, daß »Anforde- rungen an die professionellen Dolmet- scher höher angesetzt [wurden] als an die Studierenden« (83).
Obwohl Andres keine eindeutigen Ant- worten auf die im ersten Kapitel gestell- ten Fragen (siehe oben) gibt – da diese auch nicht möglich wären –, führen die geschilderten Analyseverfahren der Dol- metschleistung zu einer objektivierenden Konkretisierung. Nach der Auswertung der empirischen Daten formuliert die Autorin im 3. Kapitel ihre Überlegungen zu der Dolmetschdidaktik, darunter auch eine gewisse Polemik gegen Hönigs An- sichten.
Bei weiterführenden Recherchen gibt es allerdings Probleme, so stimmen die auf der Seite 27 (Schmidt 1954) und Seite 35 (Pöchhaker 1998) zitierten Quellen nicht mit den Angaben im Literaturverzeichnis überein, und die auf den Seiten 243/248 erwähnten Abschnitte 2.8/2.8.1 sind nicht in dem zweiten Kapitel des Buches zu finden.
Jeder, der sich wissenschaftlich mit dem Dolmetschen beschäftigt, sollte das Buch lesen, da es einfach zum Handapparat gehört. Aber auch Nichtdolmetscher soll- ten das erste Kapitel zur Kenntnis neh- men, da sie bestimmt einmal mit irgend- einer Dolmetschleistung noch zu tun haben werden.
Apeltauer, Ernst (Hrsg.):
Interkult urelle Kommunikation.
Deutschland – Skandinavien – Großbri- tannien. Tübingen: Narr, 2002. – ISBN 3- 8233-5887-1. 159 Seiten, €28,–
(Michaela Haberkorn, Regensburg)
Diese Textsammlung, die einen breiten Einblick in die vielfältigen Aspekte der interkulturellen Kommunikation gibt, geht auf eine Ringvorlesung mit dem