• Keine Ergebnisse gefunden

Jean- Yves Lerner/ Wolfgang Sternefeld Zum Skopus der Negation im komplexen Satz des

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Jean- Yves Lerner/ Wolfgang Sternefeld Zum Skopus der Negation im komplexen Satz des"

Copied!
44
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Jean- Yves Lerner/ Wolfgang Sternefeld Zum Skopus der Negation im komplexen Satz des

Deutschen

A, Was ist schon Negationsanhebung?: l. Eine Transformation aus dem goldenen Zeital- ter; 2. Läßt sich Negationsdurchlässigkeit syntaktisch erklären?; 3. Erster Versuch einer pragmatischen Erklärung. B. Unsere Lösung: 4. Allgemeine Strategie; 5. Grundbedeutung und abgeleitete Bedeutung von intensionalen Verben; 6. Die Skala und R; 7. Ein pragmati- sches Prinzip der intensionalen Hinwendung; 8. Zwei semantische Eigenschaften von R (bzw. RO; 9. Das formale System; 10. Erläuterungen; 11. Was passiert, wenn ein skalarer Operator negiert wird?; 12. Austauschbarkeit der Formen; 13. Warum wird-eine Form bevorzugt?; 14. Ist die Üb-Form immer schwächer?; 15. Einige kontrastive Bemerkungen.

'. C. Negationsverhalten in kohärenten Konstruktionen: 16. Die Problemstellung; 17. Eine nicht-lexikalische Skopusbedingung; 18. Kohäsionen; 19. Eine Bemerkung zur histori- I sehen Semantik; 20. Einstellungsbezogene Verwendungen von Modalen; 21. S-Struktur

; und Logische Form; 22. Fokus und Skopus.1

Das Thema dieses Aufsatzes gehört zu einem Teil der Syntax

r

der die Überset-

| zung der syntaktischen Struktur in eine logische Repräsentation beschreibt.

• Eine erste empirische Untersuchung der Fakten ergibt ein reichlich verworre-

| nes Bild. Einerseits finden wir Beispiele, in welchen sich die Negation trotz ihrer

1

* Stellung im übergeordneten Satz und deutlicher Satzgrenze auf das Verb im untergeordneten Satz zu beziehen scheint.

(1) Ich glaube nicht, daß dein Hund in meinen verliebt ist.

Andrerseits wird bei den Skopusverhältnissen zwischen Negation und Modalen auf den ersten Blick keine Gesetzmäßigkeit sichtbar.

l (2) Mein Hund möchte deinem nicht mißfallen.

; (3) Dein Hund soll meinen nicht standesgemäß begrüßt haben.

i (4) Mein Hund darf deinen nicht beschnüffeln.

In (2) scheint sich die Negation sowohl auf das eingebettete Verb wie auf das Modal beziehen zu können. Jn (3) und (4) dagegen ist nur eine Lesart möglich: in (3) hat die -Negation engen Skopus und in (4) weiten.

l Wir danken Arnim von Stechow und Ede Zimmermann für ihre nützlichen, mal vernichtenden, mal wieder aufrichtenden Bemerkungen.

ij Zeitschrift für Sprachwissenschaft 3,2 (1984), 159-202

<& Vandenhoeck & Ruprecht 1984 l ISSN 0721-9067

(2)

j 60 Jean- Yves Lerner I Wolfgang Sternefeld

Offenbar bildet die Satzgrenze normalerwcise eine Barriere für die Negation.

Gegenüber Beispielen wie (1) finden wir leicht solche wie (5):

(5) Es stört mich nicht, daß dein Hund in meinen verliebt ist.

Verben, die in einem noch zu definierenden Sinne die Negation durchlassen, sind in der Minderheit.

Bei der Untersuchung wurde bald klar, daß die Durchlässigkeit für die Nega- tion eine Eigenschaft des Matrixverbs ist und daß andere Faktoren wie z. B. die Art des Komplementierers nur eine untergeordnete Rolle spielen (s. Hörn 1978R: 151ff.; 1978S: 191rT.). Nichts lag deshalb näher als zu versuchen, die Klasse von Verben syntaktisch abzugrenzen, die ein solches Verhalten an den Tag legen. Dieser Weg erwies sich als ein Irrweg, und dafür gibt es einen guten Grund: diese Verben verhalten sich syntaktisch ganz normal. Die überraschen- den Lesarten der Sätze, in welchen sie vorkommen, lassen sich durch eine ge- nauere semantische Analyse voraussagen. Was sich zuerst als ein syntaktisches Phänomen präsentierte, entpuppt sich als Auswirkungen semantischer und pragmatischer Prozesse in einer syntaktischen Struktur. Trennen wir diese Ebe- nen säuberlich voneinander, so bleiben alle drei Komponenten autonom: die Negation kommt syntaktisch über die Satzgrenze nicht hinaus, die Veibsemantik erklärt, warum wir die Negation intuitiv auf die eingebettete Proposition bezie- hen können und die Pragmatik erklärt die Verwendungsweise der Ausdruckfor- men mit über- und untergeordneter Negation.

Es bleiben noch die Skopusverhältnisse in den kohärenten Konstruktionen der Beispiele (2) bis (4) zu beschreiben und, wenn möglich, zu erklären. Trotz aller Widersprüchlichkeit der Daten ist es uns gelungen, einen Block von einfa- chen Regeln aufzustellen. Ihr Zusammenspiel wird so formuliert, daß die allge- meineren Regeln durch spezifischere aufgehoben werden. Unter der Grundan- nahme, daß die Negation weiten Skopus hat, es ist möglich, die verschiedenen Faktoren, die für die Skopusverhältnisse in (2) bis (4) verantwortlich sind, zu isolieren. Auch hier liefert ein Rückgriff auf die Pragmatik und die Semantik die erwünschten Generalisierungen.

' A. Was ist schon Negationsanhebung?

1. Eine Transformation aus dem goldenen Zeitalter

Jespersen.(1917) stellt in vielen Sprachen die Tendenz fest, daß das Hauptverb die Negation attrahiert, die logisch zum untergeordneten Nexus gehören sollte.

Seine Beispiele, für die uns (6) als Prototyp dienen kann, stammen aus dem Englischen, Dänischen, Schwedischen, Lateinischen und einer irischen Variante

(3)

Skopus der Negalion im Deutschen 161 des Englischen. (6) wird, wie sich Jespersen ausdrückt, in vielen Fallen so wie (7) verstanden. Im Deutschen bietet sich (8) als Standard-Beispiel für dieses Phäno- men an:

(6) I don't think he has come.

(7) I think he has not come.

(8) Ich glaube nicht, daß er kommt.

Was bei Jespersen nur eine anschauliche Ausdrucksweise war, nämlich die vom Hauptverb ausgeübte Attraktion, erhält in der Transformationsgrammatik der sechziger und siebziger Jahre eine handfeste Bedeutung. In der Tiefenstruktur steht die Negation im eingebetteten Satz. Eine Transformation bringt sie von dort zu dem Verb im Matrixsatz. Man findet für diesen Vorgang viele Namen:

-transportation (Fülmore 1963), Neg-absorption (Klima 1964) etc., von de- nen Neg-raising sich am besten durchgesetzt hat; wir werden fortan von Nega- tionsanhebung reden.

Auch zu den fröhlichsten Zeiten der Transformationsgrammatik hat man keine neuen Transformationen ohne eine aufwendige Argumentation einge- führt. Wir werden hier nicht die Argumente bringen, die man für die Negations- anhebung anführen kann. Man findet sie bei Hörn (1978 R) ausführlich darge- stellt. Bei dem jetzigen Stand der Syntaxforschung wäre man .eher geneigt, den Spieß umzudrehen, und sich zu fragen, ob es eine solche Anhebungsregel über- haupt geben kann.

2. Läßt sich Negationsdurchlässigkeit syntaktisch erklären?

Die Motivation für eine Anhebungsregel war hauptsächlich in der generativen Semantik begründet. Dort waren es ja semantisch zu deutende Tiefenstruktu- ren, die transformationeil in Oberflächenstrukturen überführt werden. Im Rah- men der Erweiterten Standardtheorie Chomskys (EST) sind es jedoch Oberflä- chenstrukturen (S-Strukturen), die in die logische Form (LF) abgebildet werden - das Konzept der Tiefenstruktur als syntaktisch eigenständige Repräsenta- tionsebene ist in dieser Theorie eliminierbar geworden (s. Chomsky 1981: 90f.).

Unter diesem Gesichtspunkt wäre der „Neg-Transport" keine Anhebungs-, sondern eine Senkungsregel. Will man diese sicherlich unschöne Konsequenz vermeiden - alle übrigen syntaktischen Prozesse in LF sind Fälle von „raising"

(vgl. z.B. May 1977)- so wird man auch die Durchlässigkeit der Negation unter

„move ** fassen, d.h., die Negation wird unter Hinterlassung einer Spur in den Matrixsatz bewegt:

(9) I do not think that he has t come.

(4)

162 Jean- Yves Lernerj Wolfgang Sternefeld

Im Rahmen der EST spielt es nun eine besondere Rolle, daß eine solche Anhe- bung lexikalisch gesteuert ist: nur eine bestimmte Klasse von Verben erlaubt ja Negationsübcrtragung. Das Konzept der lexikalisch gesteuerten Transforma- tion ist jedoch aus der EST zugunsten von nurmehr strukturellen Bezügen zwi- schen Antczcdens und Anapher eliminiert worden. Spezifische Transforma- tionsregeln über Satzgrenzen hinweg, also „two-story rules" wie „subject-to- subject raising", „subject-to-object raising", „equi-NP deletion" und somit auch „Neg-raising" sind in dieser restriktiven Theorie nicht formulierbar.

Somit müssen wir annehmen, daß „Neg-raiser" die syntaktische Eigenschaft haben, innerhalb ihres Satzes eine Operator-Position zuzulassen, die als Lande- platz für Negationsbewegung dient. Dabei ist Neg-Bewegung unter „move " zu subsumieren.

Es bleibt nun immer noch zu erklären, warum Operatoren in LF so interpre- tiert werden können, als seien sie nicht über eine Satzgrenze hinaus bewegt worden. Soweit wir sehen, ist dies in allen übrigen Fällen von Bewegung an Operator-Position nicht möglich. Trotzdem scheint es Ausnahmen zu geben:

(10) (a) Nobody seems t to have come, (b) It seems that nobody has come.

Ein Verweis darauf, daß (10a) die Interpretationsmöglichkeit (lOb) besitzt, kann nicht begründen, daß Operatoren ganz allgemein an ihrer Ausgangsposition vor

„move " interpretiert werden können. Vielmehr kann der Quantor gerade des- halb den Skopus der Spur haben, weil seem ein negationsdurchlässiges Prädikat ist. Am deutlichsten wird dies wohl im Vergleich mit der Anhebungsvariante von . drohen. So hat (l l a) die Lesart (lib), keinesfalls jedoch die Paraphrase (llc):

(11) (a) Kein Haus droht abgerissen zu werden.

(b) Für kein Haus besteht die Gefahr, daß es abgerissen wird.

(c) Es besteht die Gefahr, daß kein Haus abgerissen wird.

Daraus folgt, daß eine syntaktische Behandlung der Neg-Übertragung unbefrie- digend ist. Das Phänomen bleibt isoliert und widerspricht der syntaktischen Generalisierung, daß Operatoren in LF allenfalls weiteren Skopus haben kön- nen als ihre S-Struktur-Position, nicht jedoch engeren.

Es bleibt die Möglichkeit einer Aufweichung der Theorie. Die Vertreter einer syntaktischen Lösung des Problems führen folgendes zu ihrer Verteidigung an:

Es gibt Sprachen X und Y, die im Prinzip Negationsanhebung zulassen und in denen es gleichbedeutende Lexeme a, und ay gibt, so daß axs nicht jedoch ay

Negationsanhebung auslöst. Also ist die Negationsanhebung syntaktisch. Sol- chen Argumenten werden wir in § 15 zu begegnen versuchen.

Es genügt an dieser Stelle festzuhalten, daß eine erklärende Syntax das Phäno- men nicht behandeln kann: weder kann sie die Klasse der Negationsanheber

(5)

Skopus der Negation im Deutschen 163

noch überhaupt die Möglichkeit des engen Skopus mit syntaktischen Eigen- schaften korrelieren bzw. aus syntaktischen Bedingungen ableiten, die unabhän- gig vom zu erklärenden Phänomen sind.

3. Erster Versuch einer pragmatischen Erklärung

Sollte man die Negationsanhebung zu den Requisiten einer veralteten Syntax rechnen, so ist es Zeit, sich auf der pragmatischen Spielwiese nach einer Lösung umzuschauen. Dem Satz (8) würde man eine Lesart zuordnen, die sich syntak- tisch und semantisch normal erzeugen läßt, das heißt ohne Hinzunahme einer dafür geschaffenen Transformation. Die intuitiv normale Lesart jedoch könnte man unter den üblichen Anwendungsbedingungen gemäß allgemeiner Prinzi- pien ableiten, die entweder Konversationsprinzipien sind, wie sie Grice und Gazdar aufgestellt haben, oder auch allgemeiner nur Verhaltensregeln, die beim Gebrauch von Verben einer besonderen semantischen Klasse von den meisten Sprechern befolgt werden.

Der erste explizite Versuch in dieser Richtung, die Negationsanhebungsphä- nomene zu erklären, findet man bei Bartsch (1973). Bartsch nimmt an, daß sich das Subjekt a eines Glaubensverbs B in nicht-markierten Kontexten schon über die Wahrheit einer Proposition Gedanken gemacht hat. Es gilt also:

(12) B

a

pvB

a

-ip

\ Außerdem gilt aus Konsistenzgründen

(13) -n(B

aP

AB

a

-ip)

Unter den genannten Bedingungen (12) und (13) gilt also folgende Äquivalenz,

| die wir im Anschluß an Hörn das Bivalenzprinzip nennen wollen.

(14) ~iB

a

p~B

a

-ip

Bartsch hat (13) in die Semantik von B aufgenommen, so daß die «- Implikation bei ihr semantisch ist. Dies spielt aber keine Rolle bei unserer Argumentation, wenn wir anstatt nur (13) auch (12) zu den Anwendungsbedingungen rechnen.

Das Problem, das diese Lösung aufwirft, besteht in der Abgrenzung der Klas- se von Verben, die diese Art von Implikaturen erlauben.

Für die «-»Implikatur (bei Bartsch Implikation) sind es genau alle Einstel- lungsverben. Die -> Implikatur aber gilt nur für eine Subklasse dieser Verben:

„Die pragmatische Voraussetzung [bei uns Prinzip (14)] gilt nicht für die Ver-

wendung aller Verben dieser Klasse, sondern nur für die zu Beginn des Aufsatzes

aufgezählte Subklasse^Die pragmatische Voraussetzung „aF, daß p; oder aF,

(6)

164 Jean· Yves Lerner/ Wolfgang Sternefeld

daß nicht p44 ist eine pragmatische Eigenschaft eines jeden Verbs F der Subklas- se, d.h. gehört zu seinen Vcrwcndungsbcdingungen" (Bartsch 1973: 6).

Bartsch gibt für diese Klasse kein Kriterium an. Wir müßten demnach anneh- men, daß gewisse Verben diese pragmatische Eigenschaft haben und andere nicht, und würden gerade auf den Vorteil verzichten, den eine pragmatische Erklärung bringen soll: nämlich ihre Unabhängigkeit von den lexikalischen und syntaktischen Idiosynkrasien.

Da wir eine echt pragmatische Lösung anstreben, müssen wir die pragmati- sche Bedeutung des Prinzips (l 2) näher beleuchten. Stellen wir uns vor, daß wir eine Gemeinschaft politisch interessierter Menschen sind. Wir wissen, daß in Genf Abrüstungsverhandlungen stattfinden, von denen, wie wir meinen, unsere Zukunft abhängt. Für jeden von uns gilt:

Er befürchtet, daß diese Verhandlungen im Sand verlaufen, oder er be- fürchtet, daß diese Verhandlungen nicht im Sand verlaufen.

(„Politisch interessiert" bedeutet nicht, daß man keine Aktien in der Rüstungs- industrie hat, und unter den Mitgliedern unserer Gemeinschaft wird es auch Leute geben, für welche die zweite Alternative gilt). Nehmen wir außerdem an, daß wir im Haushalt unserer Gefühle schon soviel Klarheit geschaffen haben, daß wir nicht zugleich ein Gelingen und ein Scheitern der Verhandlungen be- fürchten. (12) und (13) und demnach das Bivalenzprinzip gelten. Jedoch kann (15) nicht im Sinne von (16) verstanden werden (vgl. Epstein (1976) für ein ähnliches Argument).

(l 5) Er befürchtet nicht, daß die Genfer Verhandlungen im Sand verlaufen.

(16) Er befürchtet, daß die Genfer Verhandlungen nicht im Sand verlaufen.

Warum?

Unter den gemachten Annahmen können die Sprecher von (15) auf (16) und umgekehrt schließen. Diese Annahmen jedoch sind nicht derart, daß jemand, der sie stillschweigend nicht macht, gegen irgendeine Gricesche Konversations- maxime verstoßen würde. Es besteht keine Pflicht der konversationellen Koope- ration, (12) explizit aufzuheben, wenn man (15) äußert und (12) bzw. (16) nicht für wahr hält. Da wir aber auch keine Möglichkeit sehen, die Befolgung von (12) für das Prädikat glauben durch Konversationsrnaximen zu untermauern, müs- sen wir bis auf weiteres annehmen, daß (12) kein Prinzip ist, das Implikaturen zu erzeugen vermag, sondern ein lexikalisches Merkmal des Verbs 'glauben.

Trotz dieser Einschränkung besteht die Möglichkeit, eine gewisse Generalisie- rung in dieser Theorie zu erreichen, wenn man Einstellungsprädikate wie be- furchten in zwei Komponenten zerlegt:

(17) Befürchtenap Bap Furchtap

(7)

Skopus der Negation im Deutschen 165

Man könnte annehmen, daß Furcht

a

p von Befürchten

a

p präsupponiert wird, und würde die intuitiv plausible Implikation (18) (evt. Implikatur) erhalten.

Nach (14) folgt dann auch (19), nicht aber (20), da unsere Prinzipien für das psychologische Prädikat Furcht

a

nicht gelten.

(18) — Befürchten

a

p -» Furcht

a

p A —i B

a

p (19) Furcht

a

p B

a

-i p

(20) Furcht

a

-i p B

a

-i p (= Befürchten

a

-i p)

Die Ungültigkeit von (14) für das Prädikat befiirchten ist also in einem gewissen Umfang voraussehbar.

Ein ähnliches Verfahren läßt sich auf faktive Verben anwenden und könnte den unerwünschten Schluß von (21 a) nach (21 b) blockieren:

(21)(ä) Gott weiß nicht, daß die Welt schlecht ist.

(b) Gott weiß, daß die Welt nicht schlecht ist.

. Man könnte wissen folgendermaßen lexikalisch dekomponieren:

(22) Wissen

a

p = B

a

p

; Wir nehmen auch an, daß wissen sein Komplement präsupponiert. Aus (23) folgt (24), was theologisch, aber nicht semantisch problematisch ist. Aus (24) folgt (25), aber nicht (26).

(23) ^(B

GoltP

A

P

) (24) -i B

GoM

p

! (25) B

G o t |

-ipA

P

ij (26) B

Gott

-i p - ( = Wissen

a

~i p)

Probleme würden jedoch entstehen, wenn wir erklären wollen, warum ein Verb wie erwarten für die Negation durchlässig ist. Man müßte wieder die Gül- tigkeit von (12) extra postulieren, was schon zeigt, daß selbst für Einstellungs- prädikate dieser Ansatz noch keine allgemeine Lösung liefert. Noch unbefriedi- gender erscheint dieser Lösungsversuch, wenn man sich nach anderen nega- tionsdurchlässigen Prädikaten umsieht. Tabelle (27) zeigt einige davon.

Es scheint also, daß die Eigenschaft, für die Negation durchlässig zu sein, mit semantischen Strukturen zusammenhängt, die man nicht nur bei den Einstel- lungsprädikaten vorfindet. Unsere Lösung wird dies bestätigen und die adäqua- i te Generalisierung zeigen. Es gibt schließlich einen dritten Punkt, in welchem der

« diskutierte Ansatz nicht ganz adäquat erscheint. Das Prinzip (14) stellt für die r normalen Anwendungsfalle eine Äquivalenz zwischen zwei Typen von Sätzen

E

her. Die Sätze mit delegation im Hauptsatz drücken jedoch, wie schon viele

(8)

166 Jean-Yves Lerner I Wolf gang Sternefetd (27) englisch

be likely, that be probable seem appear should ought to be desirable want

suggest

deutsch wahrscheinlich sein scheinen

so aussehen, als ob sollen

wünschenswert sein, daß ratsam sein, daß gut sein, wenn wollen

Ich rate dir (Ihnen) Ich empfehle dir (Ihnen)

französisch etre probable sembler

devoir falloir

vouloir

Je te (vous) conseille

Gruppe 2

Gruppe 3

i Gruppe 4

Autoren bemerkt haben, eine schwächere Verneinung aus (vgl. Hörn 1978 R:

131ff. und die dort zitierten Quellen). Ein eindrucksvolles Beispiel aus einem Roman von Monterlant gibt Hörn:

(28) II ne faut pas que ce mariage se fasse.

(29) II faut que ce mariage ne se fasse pas.

Zwischen der Äußerung von (28) und der von (29), die im Roman nur eine Seite trennt, hat die Hauptperson gegen die geplante Hochzeit Argumente gesam- melt, die in der entschiedenen Aussage (29) gipfelt.

Auch wenn der Unterschied zwischen (30) und (31) (30) Ich glaube nicht, daß man dieses Problem lösen kann.

(31) Ich glaube, daß man dieses Problem nicht lösen kann.

nicht so kraß ist wie zwischen (28) und (29), drückt die Äußerung von (31) deutlich mehr Gewißheit über die Unlösbarkeit des Problems aus als (30). In einem Ansatz wie dem vorigen kann dieses Phänomen nicht erklärt werden: unter Annahme von (14) sind (28) und (29) genau in denselben Situationen wahr.

(9)

Skopus der Negation im Deutschen 167 ß. Unsere Lösung

4. Allgemeine Strategie

Im § 2 haben wir Gründe angegeben, warum wir keine syntaktische Lösung des Problems befürworten.

Im § 3 haben wir eine pragmatische Lösung geschildert und die Schwierigkei- ten gezeigt, mit der sie zu kämpfen hat. Die Lösung, die wir vorschlagen, - auch sie z. T. pragmatisch -, wird den Umstand besonders ernst nehmen, daß keine Synonymie zwischen der Form mit der Negation im Hauptsatz und der Form mit der Negation im Komplementsatz besteht. Dies wird für die Erklärung der Bedeutungsangleichung der Formen eine gewisse Erleichterung verschaffen und uns erlauben, Prinzipien anzuwenden, die weniger stark und deshalb auf eine größere Klasse von Verben anwendbar sind als das Prinzip (12) von Bartsch.

Andrerseits wird man natürlich noch zusätzlich klar machen müssen, warum die eine Ausdruckweise, nämlich die mit der übergeordneten Negation, für die zwei- te gebraucht werden kann. Dieser Frage werden wir einen besonderen Paragra- phen widmen (§13). Alsdann werden wir einige diskurspragmatische Gründe dafür angeben, warum die eine Form bevorzugt wird (§14).

Wir beginnen mit einer semantischen Charakterisierung unserer Prädikate.

5. Grundbedeutung und abgeleitete Bedeutung von intensionalen Verben

Es ist von mehreren Autoren bemerkt worden (vgl. Hörn 1978 R: 188ff. und die dort zitierte Literatur), daß Verben wie believe oder glauben sowohl eine vollere wie eine abstraktere Bedeutung haben. In der volleren Bedeutung beschreiben sie den mentalen Zustand des Subjekts, im abgeschwächten Sinne relativieren sie die Gültigkeit der im Komplementsatz ausgedrückten Aussage.

Wie es zu dieser Nebenbedeutung kommt, läßt sich folgendermaßen erklären:

In der normalen Kommunikation ist uns der psychische Zustand der Leute, die uns darüber berichten, was sie glauben, meistens nicht so wichtig wie die konversationellen Konsequenzen dieses Zustandes für uns, nämlich das Fak- tum, daß sie in einem gewissen Maß für die Richtigkeit ihrer Aussagen einste- hen. Aus (32) wird (33) herausgefiltert.

(32) a glaubt, daß p.

(33) a ist bereit, zu einem gewissen Grad für die Aussage p einzustehen.

Diese Bedeutung hat sich dann lexikalisiert, so daß man sagen kann, daß diese

Verben zwei Bedeutungen haben.

(10)

168 Jean· Yves Lerncr/ Wolfgang Sternefeld

Der für uns interessante Punkt ist nun, daß nur in dieser abgeleiteten Bedeu- tung diese Verben eine Übertragung der Negation erlauben.

In der abgeleiteten Bedeutung lassen sich die Verben des Meinens auf ein allgemeines Schema (34) mit der Bedeutung von (35) bringen:

(34) a \ daß p ( = Stamm eines Verbs des Meinens)

(35) a ist bereit, zu einem gewissen Grad p zu verteidigen bzw. anzugreifen.

Wir werden später eine genauere und abstraktere Definition dieser Relation zwischen Personen, Propositionen und Graden geben. Im Augenblick genügt es, folgendes zu kontrollieren: Zwei Verben des Meinens unterscheiden sich nur durch den Grad, zu welchem ihr Subjekt bereit ist, für die Wahrheit ihrer Kom- plemente einzustehen: ich glaube, daß p; ich vermute, daß p; ich könnte mir den- ken, daß p; ich bin sicher, daß p; ich bezweifle, daß p; ich habe (starke) Bedenken dagegen, daß p usw.

Jeder dieser Wendungen kann man einen Grad zuordnen: glauben und vermu- ten ungefähr den gleichen, sich denken können einen niedrigeren, sicher sein einen höreren, zweifeln und Bedenken haben wieder ungefähr den gleichen Wert usw.

Sonst unterscheiden sich diese Redewendungen semantisch nicht.

Die Ausdrücke der zweiten Gruppe (s. (27)) können ihre normalen Bedeutun- gen behalten. Sie sind schon von Hause abstrakt genug. Ihre Bedeutung ist analog zu der der verba sentiendi in ihren abgeleiteten Bedeutungen. Nur die Identität des Subjekts wird im Ungewissen gelassen; (36) kann man mit (37) paraphrasieren:

(36) ', daß p ' =

es ist wahrscheinlich es ist unwahrscheinlich . es scheint

(37) Man ist bereit, p zu einem gewissen Grad zu verteidigen bzw. anzugrei- fen.

Unter man kann man sich bei wahrscheinlich sein ein gut informiertes abstrak- tes Wesen vorstellen, bei scheinen den Sprecher selbst.

Die Prädikate der dritten Gruppe (s. (22)) lassen sich in ihrer normalen Bedeu- tung ebenfalls auf eine Skala bringen. Die Relation, die wir mit R' bezeichnen wollen, läßt sich ungefähr durch (38) paraphrasieren, z. B. Du sollst gehen = man kann zum Grad g vertreten, daß du gehst. Man steht für eine kontextuell zu definierende moralische Autorität. Es geht hier nicht um Wahrheit, sondern um moralische Qualität.

(38) Man kann p zu einem gewissen Grad moralisch vertreten bzw. anfech- ten.

(11)

Skopus der Negation int Deutschen l69

Die vierte Gruppe muß wie die Verben der ersten Gruppe eine abgeleitete Bedeutung erhalten. Hier wird die psychologische Komponente der Beeinflus- sung eliminiert.

Man kann wieder die Relation R' benutzen, (39) wäre als (40) zu lesen.

(39) Ich rate dir wegzugehen.

(40) Ich vertrete zu einem gewissen Grad, daß du weggehst.

6. Die Skala und R

Wie die vorgeschlagenen Paraphrasen andeuten, lassen sich unsere Prädikate auf eine Skala bringen. Betrachten wir zuerst die verba sentiendi.

Sie drucken eine Relation zwischen einer Person, dem Subjekt des Verbs, einer Proposition p und einem Grad aus, den wir als Zahl auffassen können. Am rechten Ende der Skala wollen wir die l setzen, die wir als den Grad auffassen, zu welchem R erfüllt ist, wenn das Subjekt sicher ist, daß p. l wird also für das Verb

wissen und seine Synonyme reserviert. Bis zur Mitte der Skala, wo wir die 0

setzen, wird die Sicherheit des Subjekts abnehmen. Bei 0 hat es keine Gründe mehr für p, es hat aber auch keine dagegen. Es befindet sich in einem Zustand der Indifferenz, es hat jedoch eine Einstellung zu p - es betrachtet es sozusagen.

Links von der 0 stehen Werte, die die Stärke der Gegengründe gegen p anzei- gen, bis zu — 1. Dieser Wert soll die Sicherheit gegen p bezeichnen.

Unsere Relation R soll also als Oberbegriff für die Bereitschaft fungieren, für oder gegen p zu sein.

Die Wendungen der zweiten Gruppe lassen sich unter dieselbe Relation subsu- mieren. Für das nicht explizite Subjekt wollen wir N (= ein gut informiertes Wesen) oder im Falle von scheinen den Sprecher einsetzen.

Bei den Verben der dritten und vierten Gruppe läßt sich in ähnlicher Weise eine Skala konstruieren mit entsprechenden Interpretationen für R' und die Werte —1,0, -hl. Wir überlassen dies dem Leser.

7. Ein pragmatisches Prinzip der intensionalen Hinwendung

Betrachten wir die verba sentiendi in ihren abgeleiteten Bedeutungen und die

Ausdrücke der 2. Gruppe. Erinnern wir uns außerdem an die Deutung der 0 auf

unserer Skala: das Subjekt der Einstellung befindet sich in bezug auf p in einem

Zustand der totalen Ungewißheit - es hat entweder überhaupt keine Argumente

für oder wider p oder die Argumente, die es hat, heben sich gegenseitig auf. Wir

wollen bei Äußerungen, die über Personen, Propositionen und Einstellungen

gemacht werden, nur solche Kontexte für normal halten, in welchem das Subjekt

die Proposition wenigstens betrachtet. Das heißt, wir fuhren folgendes pragma-

tische Axiom ein:

(12)

170 Jean- Yves Lernerf Wolfgang Sfernefeld (A) 3* R (a, p, x) für ein bestimmtes a und p

Verglichen mit dem Prinzip (14) ist dies eine sehr schwache Annahme, denn aus (A) folgt nur, daß die betrachtete Person irgendeine Einstellung des M einen s bzgl. p hat, und nicht - wie auf Grund von (14) - die in Rede stehende Einstel- lung bzgl. p oder-»p.

Beim Prädikat wahrscheinlich wird A zum semantischen Prinzip, weil das abstrakte Individuum nur einen Zustand der Informiertheit bezuglich des Sach- verhalts verkörpert und sonst keine Funktion hat.

Man kann für die Wendungen der vierten Gruppe ein ähnliches Axiom für R' annehmen. Die pragmatische Interpretation bietet keine besonderen Schwierig- keiten. Wie das informierte Wesen bei wahrscheinlich erfüllt die nicht explizit angegebene moralische Autorität bei diesen Ausdrücken per definitionem das Axiom A.

8. Zwei semantische Eigenschaften von R (bzw. R')

a) Wir nehmen an, daß es in einer bestimmten Situation nur einen Grad geben kann, zu welchem R für ein bestimmtes a und p gilt (siehe rt in § 9.2 (v)).

b) Wenn jemand stark zu der Annahme, daß p der Fall ist, neigt, so wird er ebenso stark gegen die Annahme des komplementären Sachverhaltes eingestellt sein. Dies soll eine Grundeigenschaft der Verben der ersten Gruppe in ihren abgeleiteten Bedeutungen und der Ausdrücke der zweiten Gruppe in ihren Grundbedeutungen sein. Es gilt also für alle a, q, i:

r2:R(a,q,/) ~ R(a,q, -/)

Ein ähnliches Gesetz gilt für die deontischen Prädikate. Wenn es gut ist, daß p, so ist es zum selben Grade schlecht, daß nicht-p:

~ R'(a,q,-/)

9, Das formale System

Wir definieren nun eine Sprache LK, einen Interpretationsrahmen für LK und eine Bedeutungsfunktion für LK derart, daß der uns interessierende Bereich des Deutschen mit dieser Sprache isomorph ist:

Es seien P, I, Op disjunkte, nicht leere Mengen von Aussagenvariablen, Indivi- duenvariablen und Operatorenvariablen.

(13)

Skopus der Negation im Deutschen 171

1. Die Menge der Formeln von L

K

sei.die kleinste Menge Flm, so daß

PC Firn,

r

aA/?jeFlm, «"-lajeFlm und

r

K(a, a)j eFlm, wobei K e Op, a € l, a e Flm und e Flm.

2. M = <D, W, G, F, R> ist ein Rahmen för L

K

, wobei (i) D = {a':a e l ein Name des Individuums a' ist}

(ii) W ist eine Menge von möglichen Welten

(üi) G ist die Menge der reellen Zahlen im Intervall [1; —1]

(iv) F ist Funktion, die jedem K e Op ein Intervall in G und jedem p e P eine Teilmenge von W zuordnet.

(v) R ist eine Funktion von <D P (W) G W> in {0, l}, wobei für alle a'eD, qeP(W), /eG, we W gilt:

r

A

: 3xR(a', q, x, w) = l -> 3!A'R(a', q, .v, w) = l r

2

: R(a', q, i, w) = l <-* R(a', W - q, -/, w) = l

3. Wahrheit in M und w: Für jedes w aus W sei V

w

diejenige Fkt von Ausdrücken aus L

K

in {0,1} so daß gilt:

(i) V

w

(p) = l gdw we F(p), p e P (ii) V

w

(-i a) = l gdw V

w

(a) = 0

(iii) V

w

(a ) = l gdw V

w

(a) = V

w

(0) = l

(iv) V

w

(K(a,a)) = l gdw 3/(R(a', {w: V

w

(a) = 1}, i, w) = l und ieF(K))

a ist wahr in M gdw Vw V

w

(a) = 1.

(A) Pragmatisches Postulat: 3/ R(a', p, /, w) = 1.

10. Erläuterungen

Die uns interessierenden Prädikate sind durch ihre Eigenschaften im System definiert.

Die intuitive Bedeutung von R und den drei Axiomen r

l9

r

2

und A haben wir schon erläutert.

F ordnet jedem K ein Intervall auf der Skala 201. Welches genau, ist eine Frage, deren Beantwortung einiges Nachdenken erfordert. Für sicher sein ist es plausi- bel anzunehmen, daß das Intervall am obersten Ende der Skala liegt.

(41) Adolf ist sicher, daß er recht hat.

ist genau dann wahr, wenn

3x(R(a', { w: V

w

(Adolf hat recht) = l}, je, w) = l und e [0,9; l])

Wie ist es nun mit glauben! Wenn jemand (42) äußert, so scheint dies zu

implizieren, daß Peter über den Glaubensinhalt keine Gewißheit hat.

(14)

1 72 Jean· Yves Lerner I Wolfgang Sternefeld (42) Peter glaubt, daß ich ihn beluge.

Dies könnte uns veranlassen, das Intervall nach oben etwa bei 0,7 abzugrenzen.

Wir haben uns jedoch für eine andere Losung entschlossen und setzen für F (glauben) das Intervall [i ; 1], wobei einen Wert darstellt, der ein wenig größer als 0 ist.

Den obigen Schluß kann man mit Hilfe von skalaren Implikaturen erklären (Gazdar 1979: 58f.). Unsere Behandlung hat den Vorteil, daß wir auch Schlüsse wie die von (43) nach (42) ganz einfach ableiten können.

(43) Peter ist sicher, daß ich ihn belüge.

Es gilt nämlich:

3x(R(a', {w: Vw(ich belüge Peter) = 1}, je, w) = l und

xe [0,9; 1]) -> 3*(R(a', {w: Vw(ich belüge Peter) = l}x, w) = l und

* [5;!]) '

Diesen Schluß hätten wir jedoch nicht bekommen, wenn wir für K (Glauben) etwa [<$; 0,7] angesetzt hätten.

11. Was passiert, wenn ein skalarer Operator negiert wird?

Nach 9.3 gilt:

Vw(-i K(a, a)) = l gdw Vw(K(a, a)) = 0, d.h., nach 9.3 (iv) gdw

~ 3jc(R(a', {w: Vw(«) = 1}, Je, w) = l und F(K)), d. h., Vx(~ (R(a', {w: Vw(«) = 1}, *, w) = l oder F(K)) Nach (A) und gilt

3!* R(a', {w, Vw(a) = 1}, x, w) = l und demnach:

Vw(-iK(a,a)) = l gdw 3!x(R(a;, {w,Vw («) = !}, *,w) = l und

Nach 2 ist dies genau dann der Fall, wenn:

31x(R(a',{W-{w:Vw(a) = l},Jc,w) = l und -Jc£F(K)) mit

(15)

Skopus der Negation im Deutschen 173

Das zweite Konjunkt läßt sich umschreiben als:

-xe(G - F(K)), d.h., xe {x: -xe(G - F(K))}

Wir erhalten:

3! x(R(a', {W - {w: V

w

(a) = 1}, Je, w) = l und Je e {x: -xe(G Auf Deutsch: der einzige Grad gehört zum Intervall, das bezüglich des Null- - punktes zum Intervall G — F(K) symmetrisch ist.

Was ergibt diese Analyse z.B. für (44)?

(44) Adolf glaubt nicht, daß sich die Erde bewegt.

Wir erhalten als Ergebnis, daß (44) genau dann wahr ist, wenn:

j 3!;c(R(a', {W - {w: V

w

(a) = 1}, Je, w) = l und

; xe{x: -xe G -[<$;!]})

Dabei setzen wir daß sich die Erde bewegt = a, Adolf = a. Graphisch ergibt dies, . daß der Grad, zu welchem Adolf zu vertreten bereit ist, daß sich die Erde nicht j bewegt, zwischen — und.+l liegt.

|

;

Für (45) erhält man:

3!x(R(a', {W - {w: V

w

(a) = 1}}, x, w) = l und x e [<5; 1]) (45) Adolf glaubt, daß sich die Erde nicht bewegt.

\ (46) -l (45) bzgl. - + 1

l - · · · ' '

-<50<5

(44) bzgl.- Für (47) und (48) hätte man ein anderes Bild, nämlich (49):

(47) Adolf ist nicht sicher, daß sich die Erde bewegt.

(48) Adolf ist sicher, daß die Erde sich nicht bewegt.

(49) -l (48) +1 l , , \ ' l

-J 0 ^

(47)

(16)

174 Jean- Yves ferner l Wolfgang Sternefeld

Wenn wir angesichts dieser Ergebnisse die Verben betrachten, die für die Ne- gation durchlässig sind, so sehen wir, daß man gerade für diese Verben in nicht uncinsichtigcr Weise F(K) so ansetzen kann, daß der semantische Unterschied zwischen der Form üb (mit der übergeordneten Negation) und der Form Un (mit der untergeordneten Negation) verhältnismäßig klein ist. Nachdem wir diese Korrelation festgestellt haben, brauchen wir noch eine Erklärung für die Austauschbarkeit von den Üb- und Un-Formen. Es ist zwar klar, daß Sätze wie (47) und (48) normalerweise austauschbar sind. Es könnte aber auch so sein, daß der kleine Unterschied zwischen (44) und (45) doch genügen würde, um die Negationsdurchlässigkeit zu verhindern. Die Antwort auf die Frage, warum dem nicht so ist, wollen wir im nächsten Paragraphen geben.

12. Austauschbarkeit der Formen

Die Frage ist also nun, inwieweit eine geringe Differenz zwischen Üb- und Un- Formen die Anwendung von Üb-Formen für Un-Formen blockiert oder zuläßt.

Es sei das Prinzip A vorausgesetzt. Betrachten wir zuerst einen Fall, wo die Differenz die Anwendung einer Üb-Form für eine Un-Form blockiert. Hörn gibt das Beispiel:

(50) It is not probable that a fair coin will land heads.

(51) It is probable that a fair coin will not land heads.

Offenbar kann (50) nicht wie (51) verstanden werden. Im Deutschen könnte man ein ähnliches Resultat mit (52) erzielen:

(52) Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine einwandfreie Münze nicht auf dem Kopf landet.

In einem solchen Fall faßt man „gewisse Wahrscheinlichkeit" als Wahrschein- lichkeit höher als 0,5 auf, und (52) drückt aus, daß man mit einer gewissen Tendenz rechnet. Es ist klar, daß man die Wahrheit einer (52) entsprechenden Üb-Form nicht vertreten kann, wenn man (52) für wahr hielte. Das liegt daran, daß ein spezieller Wert, nämlich der Null-Wert unserer Skala, der der 0,5-Wahr- scheinlichkeit entspricht, bei der Bewertung solcher Sätze eine entscheidende Rolle spielt: Alles geht ja darum, ob das abstrakte Wesen N bereit ist, für die Wahrheit des eingebetteten Satzes zu einem Grad einzutreten, der größer oder kleiner ist als 0.

Vergleichen wir jetzt diesen Fall mit den (j/aw£e/i-Beispielen oder mit Beispie- len wie (53)/(54):

(53) Es ist wahrscheinlich, daß wir morgen kein mildes Wetter haben.

(54) Es ist nicht wahrscheinlich, daß wir morgen mildes Wetter haben.

(17)

Skopus der Negation im Deutschen 1 75 Die Daten zeigen uns, daß die Üb-Formen mit den Un-Formen austauschbar sind. Warum?

Das Phänomen, das hier zugrunde liegt, gilt allgemein für alle skaläre Eigen- schaften. Betrachten wir eine Skala mit Temperaturen in einem bestimmten Kontext (z. B. beim Biertrinken):

kühl

eisig kalt lau warm

l - 1 - 1 - 1 - 1 - 1

2 6 1 5 2 5 4 0

Ein lauwarmes Bier ist ein Bier, dessen Temperatur streng genommen zwischen 15° und 25 °C liegt, wobei diese Werte durch den betrachteten Kontext festgelegt sind. Allgemein wird man jedoch ein Bier als lauwarm verstehen, dessen Tempe- ratur in der Mitte zwischen 15° und 25 °C liegt. Dasselbe Phänomen begegnet l uns bei (55):

(55) Ich wohne zwischen Konstanz und Bregenz.

(55) gut nur dann als pragmatisch adäquat, wenn ich auf der Strecke Konstanz- Bregenz weder zu nahe bei Konstanz noch zu nahe bei Bregenz-wohne. Es gibt also für die Relation zwischen so etwas wie ein Stereotyp, das für skaläre Eigen- schaften - bei welchen die Zwischen-Relation eine wesentliche Rolle spielt -

: wieder Stereotype schafft: jeder skalaren Eigenschaft entspricht ein Stereotyp,

1 das den Bereich umfaßt, der im zentralen Bereich des semantisch möglichen ' Bereichs liegt. Ein nicht laues Bier ist streng genommen entweder ein warmes : Bier oder ein Bier zwischen 0 und 1 5 Grad. Im normalen Kontext ist die Alterna-

tive 'warm' ausgeschlossen. Es bleibt der Bereich zwischen 0 und 15; und das

| Stereotyp beschränkt sich auf einen Teil in der Mitte dieses Bereichs.

i Kehren wir zu unseren Prädikaten zurück, a glaubt, daß nicht p wird stereotyp i auf einen Bereich zwischen und l eingeschränkt, während a glaubt nicht, daß p

einen Bereich zwischen — und l erhält:

l (56)

1 - 1 — l

-l . -

Wegen der Geringfügigkeit von überlappen sich beide Bereiche zum größten Teil. Beim Prädikat sicher ist dies, wie man leicht sehen kann, nicht der Fall:

(57) l - 1 - 1 — " ') - 1 — t——J - 1 -l -,5 l

(18)

176 Jean- Yves Lerncrl Wolfgang Sternefeld

Halten wir fest: mittleren Prädikaten, das heißt Prädikaten mit einem F(K) um die Null herum, entsprechen Üb- und Un-Formen, deren Stereotype sich wesentlich überdecken. Diese Formen sind in allen Kontexten, wo das pragmati- sche Prinzip A gilt, austauschbar, solange es nicht, wie in (50)/(51) auf totale Präzision ankommt, was eine stereotype Deutung verhindert.

13. Warum wird eine Form bevorzugt?

Es bleibt noch die letzte Frage: nämlich, ob eine Form vorgezogen wird, und wenn dies der Fall ist, warum?

Die Antwort, die wir hier geben können, ist rein diskurspragmatischer Natur.

In der ersten Person z. B. wird man oft aus Gründen der Höflichkeit oder allge- mein, weil apodiktisches Verhalten nicht so beliebt ist, die schwächere Form wählen. Tatsächlich beobachtet man mehr Fälle der Vertretung von Un-Formen durch Üb-Formen in der ersten Person der verba sentiendi.

Die auffallende Tendenz bei den Sprechern, die Üb-Formen nur in der ersten Person als Vertreter der Un-Formen zu verwenden, die von mehreren Autoren für die verba sentiendi bemerkt worden ist (vgl. Prince 1976), hat sicher noch andere Gründe. Nach Prince hat diese Verwendung mit der quasi-performativen Funktion dieser Verben in der hier betrachteten abstrakten Bedeutung zu tun.

Bei anderen Prädikaten wird man andere konversationsstrategische Gründe fin- den. Ihre Analyse fallt in den Bereich der Konversationsanalyse. Es sei deshalb nur ein Beispiel gegeben.

Die Wendungen der vierten Gruppe, etwa (58), erhalten gerade durch die euphemistische Verwendung des Verbs raten ihre Schärfe. Die Wahl von (59) statt (60) verstärkt diese untertreibende Tendenz und verschärft eben dadurch die Bedrohlichkeit des Tons.

(58) Ich rate dir zu verschwinden.

(59) Ich rate dir nicht, hier zu bleiben.

(60) Ich rate dir, hier nicht zu bleiben.

' 14. Ist die Üb-Form immer schwächer?

In den bis jetzt betrachteten Beispielen war die Üb-Form die schwächere (und deshalb auch die bevorzugte). Dies braucht nicht immer der Fall zu sein, wie das nächste Beispiel zeigt.

(61) Ich bezweifle nicht, daß ich dich besiegen werde.

(62) Ich bezweifle, daß ich dich nicht besiegen werde.

(19)

Skopus der Negation im Deutschen 1 77 Es scheint vernünftig für P (bezweifeln) den komplementären Bereich zu F (glauben) anzusetzen. Das heißt, wir hätten für F (bezweifeln) das Intervall

(63) l

-l + 1 (61) ist genau dann wahr, wenn

3Lx(R(a'{W - {w: Vw(a) = 1}, Je, w) = l und xe{x: —xeG — [— 1;<5])

d.h. 3!x(R(a',{w: Vw(<x) = 0},x, w) = l und xe[-l; -<5]) Für (62) ergibt sich

3!x(R(a',{w: Vw(a) = 0},x,w) = l und e[-!;£]).

Dabei ist a' der Sprecher und = daß ich dich besiegen werde. In graphischer Form:

r-(62)- (64) · l

-l - 0 S + 1 (6l) .

Dies bedeutet, daß (61) (62) impliziert, also stärker ist. Wer (61) sagt, prahlt offen damit, daß er seinen Gegner besiegen wird. Wer (62) äußert, drückt sich feiner aus, weil er weniger sagt, als er meint.

15. Einige kontrastive Bemerkungen

1 Was auf den ersten Blick als ein spezielles Problem der Durchlässigkeit einiger ' Verben für die Negation erschien, haben wir durch das Zusammenspiel semanti- scher Strukturen mit der Bildung von Stereotypen im Rahmen einer natürlichen Diskurspragmatik erklären können. Dies ist um so überraschender, als die Un- einheitlichkeit der Daten sowohl innerhalb einer Sprache wie interlingual zuerst jeder Generalisierung zu trotzen schien.

Unsere Lösung ist im Prinzip auf jede Sprache anwendbar, die Wörter der beschriebenen semantischen Struktur aufweist, und deren Syntax erlaubt, Kon- struktionen mit übergeordneter Negation von Konstruktionen mit untergeord-

(20)

178 Jean- Yves Lernerj Wolfgang Sternefeld

ncter Negation zu unterscheiden. Wer die Daten in verschiedenen Sprachen untersucht, wird jedoch bald feststellen, daß diese Allgemeinheit durch gewisse Idiosynkrasien der einzelnen Sprachen eingeschränkt ist. Diese Idiosynkrasien betreffen aber nicht das Phänomen selbst, sondern finden sich an Stellen, wo man sie erwarten kann. Es wird z. B. niemanden überraschen, daß sich gewisse Wörter einer Sprache in der unter § 5 beschriebenen abstrakten Bedeutung ver- wenden lassen, während ihre gängigen Entsprechungen in anderen Sprachen diese Verwendungen nicht kennen.

Man vergleiche das englische guess mit dem deutschen raten:

(65) I don't guess that Harry slept a wink.

Nicht ganz so einfach zu erklären scheint das Verhalten der Lexeme, die in verschiedenen Sprachen den Begriff der Hoffnung umkreisen.

Wir haben es mit einem komplexen Begriff zu tun, der erstens sicher nicht universell ist und zweitens in seinen sprachspezifischen Ausprägungen eine auf- fallende semantische Instabilität aufweist. Untersucht man an Hand histori- scher Wörterbücher die Bedeutungsvarianten des Verbs hoffen und seiner Ent- sprechungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Dialekten, so erhält man eine Vielfalt von Bedeutungstypen. Wir geben hier einige charakteristische Beispiele:

(66) (a) Meiner armen Muatta gehts recht schlecht, i hoff, sie machts nimmer lang. (Trübner 1939: 461).

(b) Warum hofft der mensch in die nähe, da musz er handeln und sich helfen, in die ferne soll er hoffen und gott vertrauen.

(c) Pour la joie qu'elle eut que son mari n'estoit point si mal ne si devoye qu'elle esperoit. (Littre 1963: 1034)

(d) Ils esperent de jouir d'un paradis oü ils goüteront mille delices.

(e) Oh! le beau petit gar$on. J'espere qu'il a'pousse depuis les vacances.

(Robert 1966: 631).

('Was für ein hübscher Junge; es freut mich zu sehen, wie er seit den Ferien gewachsen ist').

(0 I hope I shall be hanged tomorrow, (g) Sperans suprum ignavia bellum trahi.

(h) Spero aeternam inter nos gratiam fore.

Alle vier Sprachen weisen Entwicklungsstufen oder Dialekte auf, in denen das Verb bloße Erwartung ausdrückt: vergleiche (a), (c), (f) und (g).

Das französische Beispiel (e) belegt eine Bedeutung, die die epistemische Komponente völlig ausschaltet.

Bei den Varianten, die sowohl Erwartung wie Wunsch ausdrücken, gibt es Abstufungen in bezug auf das subjektive, von der Situation nicht beeinflußbare

(21)

.. y

Skopus der Negation im Deutschen 179

Vertrauen! In den Beispielen (b) und (d) ist dieser Bedeutungsaspekt deutlich.

Vergessen wir auch nicht, daß die Hoffnung zu den göttlichen Tugenden gehört!

Es ist anzunehmen, daß dieser subjektive Aspekt zur zentralen modernen und nicht-dialektalen Bedeutung von hoffen, esperer und hope gehört. Daraus würde folgen, daß diese Prädikate dem Prinzip r

2

, das bei den epistemischen Prädika- ten nur für rational begründete Einstellung gilt, nicht folgen. Wir dürfen in diesem Bedeutungsbereich erwarten, daß diese Verben keine Negation durchlas- sen. Warum läßt hoffen jedoch die Negationsanhebung zu? Die Beispiele (67) und (68) zeigen, daß dies auf jeden Fall nicht allgemein zutrifft.

(67) Seine Mutter hatte gehofft, daß er nicht wieder zu saufen anfangt.

(68) Seine Mutter hatte nicht gehofft, daß er wieder zu saufen anfangt.

Folgende Beispiele dokumentieren einen Gebrauch von hoffen, in welchem das Verb, wie das deutschspezifische Adverb hoffentlich, als eine Art Wunsch- Performativ fungiert.

(69) Ich hoffe nicht, daß er weiter säuft.

(70) Ich hoffe, daß er nicht weiter säuft.

(71) Hoffentlich säuft er nicht weiter. -

Hier ist hoffen wie die Prädikate der Gruppe 3 für die Negation durchlässig. In diesem Zusammenhang ist die Redewendung ich will nicht hoffen, daß interes- sant.

(72) Ich will nicht hoffen, dasz ein ehrlicher Karl sein werde, der dir dieses werde übel ausdeuten.

(73) Ich will doch nicht hoffen, dasz ihr mit einander kompiimentirt?

(74) Ich will nicht hoffen, dasz man ohne mich vollziehen wird, was nur der mutter ziemt.

Diese Fälle von Negationsanhebung finden sich im Grimmschen Wörterbuch (Grimm/Grimm 1935). Syntaktisch bezieht sich die Negation auf das Modal- verb wollen. Wir können aber hoffen wollen als Einheit auffassen, deren Bedeu- tung sich der Bedeutung der Prädikate der vierten Gruppe nähert. (72) bis (74) sind also keine Beispiele für Negationsanhebung bei hoffen, sondern solche für die Negationsdurchlässigkeit der Wendung: ich will hoffen, daß ...

Im Franzosischen scheint (abgesehen vom südlichen Sprachgebrauch, vgl.

(66e)) die epistemische Komponente weniger abschleifbar zu sein. Ein Indiz für

die Richtigkeit dieser Annahme könnte man in dem Streit finden, der bis in

jüngere Zeit ausgetragen wurde zwischen den Grammatikern, die die Konstruk-

tionen des Verbs esperer mit dem Indikativ Präsens oder Perfekt verpönen (weil

(22)

180 Jean· Yves Lerner/ Wolfgang Sternefeld

man nicht erwarten kann, was schon da ist), und den Leuten, die sich nach dem sogenannten alltäglichen Gebrauch richten. Littres Kommentar zu dieser Frage bestätigt unsere Hypothese: „Des grammairiens ont condamne esperer avec le present. Cependanl ce verbc, prcsentant seulement l'idee d'une chose douteuse, peut etre suivi d'un verbe au present ou au passe" (Littre 1964: 1034).

Das heißt, daß ein Verteidiger des Gebrauchs von esperer mit dem Präsens keine Abschwächung der epistemischen Komponente in diesem Kontext sieht:

statt zukunftorienticrter Erwartung drückt das Verb eine epistemische Erwar- tung aus. (Das Verb souhaiter verhält sich dagegen wie ein Prädikat der Klasse 3 und ist für die Negation durchlässig). Testsätze für unsere Hypothese sind (75) bis (77):

(75) Hoffentlich lebt er. Aber ich fühle in mir die Gewißheit, daß er tot ist.

(76) Ich hoffe, daß er lebt, aber ich fühle in mir die Gewißheit, daß er tot ist.

(77) J'espere qu'il vit. Mais j'ai le sentiment certain qu'il est mort.

(75) enthält keinen Widerspruch, (76) hat eine nicht widersprüchliche Lesart, während (77) widersprüchlich ist.

Wir verzichten auf eine Analyse der Verhältnisse im Englischen und im La- tein. Wir wollen jedoch nicht hoffen, geneigter Leser, daß eine sorgfaltige Unter- suchung der Daten mit Einbeziehung der Dialekte, darin die Negationsanhe- bung gnedig zugelassen wird, uns bestätigt, daß wir hier vor einem vollkomme- nen Mysterium staunen müssen.

C. Negationsverhalten in kohärenten Konstruktionen

16. Die Problemstellung

In den vorigen Abschnitten haben wir gezeigt, wie es möglich ist, daß die Nega- tion, die syntaktisch zum übergeordneten Nexus gehört, doch so verstanden werden kann, als gehöre sie zum untergeordneten Satz. In diesem Teil haben wir es mit Fällen zu tun, wo es im Deutschen keine klare Satzgrenze zwischen über- und untergeordnetem Verb gibt. Dies betrifft vor allem Anhebungsverben wie scheinen, drohen, beginnen, verba sentiendi wie sehen, hören,flihlen, Subjektkon- trollverben wie versuchen, versprechen, beabsichtigen und Modalverben im enge- ren Sinne, also müssen, können, dürfen etc. Hier könnte es auf den ersten Blick zunächst so. aussehen, als stände die Negation im syntaktisch untergeordneten Nexus, inhaltlich bezieht sie sich jedoch auf das jeweilige Matrixverb. Betrach- ten wir beispielsweise Konstruktionen mit ACI-Verben, wobei wir von der dem Deutschen zugrundeliegenden Nebensatzstellung ausgehen:

(23)

Skopus der Negation im Deutschen 181

(78) (a) obwohl sie ihn nicht schnarchen hörte

(b) daß wir es nicht regnen sahen

In der Chomsky verpflichteten Tradition der Transformationsgrammatik wird seit jeher angenommen, daß das Komplement von ACI-Verben im Engli- schen ein Satz ist. Auf irgendeiner Repräsentationsebene, insbesondere aber auf der Ebene der S-Struktur, setzt man also folgende Struktur an:

(79) [s she [vp heard [$ him snore]]]

Wollen wir diese Analyse aufs Deutsche übertragen, so erhalten wir zunächst (80):

(80)

m

[s sie [

VP

[5 ihn schnarchen] hörte]]

Wir bekommen aber auch Ärger mit der Negation; tatsächlich steht diese ja in (78 a) zwischen ihn und schnarchen^ oberflächlich gesehen also im eingebetteten Satz. Semantisch bezieht sie sich jedoch auf den ganzen Satz. In einer syntakti- schen Struktur, die direkt deutbar wäre (also in LF), stände die Negation im Matrix-Satz, und man wäre geneigt anzunehmen, daß es nun doch eine Trans- formation geben müßte, welche die Negation aus dem eingebetteten Satz her- ausbringt. Als Pendant zur Negationsanhebung wäre dies in der generativen Semantik vielleicht eine Negationssenkung.

Es gibt jedoch gute Gründe dafür, einen anderen Lösungsweg einzuschlagen.

Betrachten wir den Hauptsatz:

(81) Schnarchen hören wird sie ihn nicht.

Wird die Hauptsatzstellung aus der Nebensatzstellung durch Voranstellung des Finitums und nachfolgender Topikalisierung einer Konstituente abgeleitet (vgl.

Thiersch 1978), so besteht Grund zu der Annahme, daß schnarchen hören schon im Nebensatz eine Konstituente'bildet. Evers (1975) hat in seiner Arbeit zum Deutschen und Niederländischen eine Regel namens V-Raising motiviert, die eine Struktur der Art (82) in eine der Form (83) überfuhren kann:

(82) sie Q ihn schnarchen] nicht hört i V-Raising

(83) sie ihn nicht [

v

schnarchen hört],

Beim Übergang von (82) zu (83) wird durch Verb-Anhebung schnarchen an hört

adjungiert, anschließend wird durch eine Baumbeschneidungskonvention der

eingebettete C-Knoten getilgt. Die Adjunktion erfolgt im Deutschen in der Regel

links an das nächsthöhere Verb, im Niederländischen in der Regel rechts an das

(24)

182 Jean- Yves Lerner I Wolfgang Sternefeld

nächsthöhere Verb. Damit ist zunächst gezeigt, daß es nicht notwendig ist, einen Neg-Transport vorzunehmen, um direkt interpretierbarc syntaktische Struktu- ren zu bekommen.

Die Skopusprobleme für die Negation sind damit jedoch noch nicht gelöst.

Wenn wir (82) als die „bedeutungsnächste" Struktur ansehen, warum ist es dann nicht ebenso möglich, die Negation auf den Komplementsatz zu beziehen, d.h.

(83) aus (84) abzuleiten und wie (85) zu deuten?

(84) sie Q ihn nicht schnarchen] hört (85) sie hört, daß er nicht schnarcht.

Bei den verba sentiendi ließen sich semantische Unterschiede ins Feld führen, die mit den verschiedenen syntaktischen Konstruktionen (84) und (85) einherge- hen (vgl. Barwise 1980; Bayer 1982) und die darauf hinauslaufen, daß negative Sachverhalte nicht direkt wahrnehmbar sind. Keinerlei semantische Schwierig- keiten gibt es bei (86) oder (87),

(86) ich sie nicht sehen will (87) sie nicht zu kommen scheint

die sich sowohl mit weitem als auch mit engem Skopus verstehen lassen:

(86') (a) Es ist nicht mein Wille, daß ich sie sehe.

(b)Ich will, daß ich sie nicht sehe.

(87') (a) Es scheint so, als komme sie nicht.

(b)Es scheint nicht so, als käme sie.

Wenn nun der Skopus der Negation ausschließlich durch semantische Fakto- ren bestimmt ist, so wäre es nicht notwendig, die syntaktische Struktur (84) zu verhindern; sie wäre aus semantischen Gründen nicht interpretierbar und würde so ausgefiltert. Nun gibt es aber auch eine Reihe von Infinitiv-einbettenden Verben, bei denen die Negation immer weiten Skopus haben muß:

(88) (weil) Fritz nicht kommen muß/kann/darf

Eine logische Paraphrase von (88) kann nur die Form (89) haben, nicht jedoch eine Deutung wie in (90):

(89) Es ist nicht notwendig/möglich/erlaubt, daß er kommt.

(90) Es muß/kann/darf so sein, daß er nicht kommt.

Wie auch immer die syntaktische Struktur von (88) sein mag, aus rein seman- tischen Überlegungen heraus wären beide Deutungsmöglichkeiten gleichbe-

(25)

Skopus der Negation im Deutschen 183 rechtigt. Setzen wir nun D neutral als den „starken" Modaloperator an, der universell über eine Menge von kontextuell oder seraantisch eingeschränkten Welten quantifiziert und den gemeinsamen Bedeutungskern von müssen, sollen etc. wiedergibt. Entsprechend sei O der duale existenzquantifizierende Operator fur können, dürfen etc. Aus der Semantik dieser Operatoren, insbesondere aus der Äquivalenz von — D p und O —i p ergibt sich allenfalls ein Plausibilitätsar- gument dafür, daß der Skopus der Negation in den betrachteten Konstruktio- nen grammatikalisiert sein muß. Andernfalls gäbe es keine inhaltliche Unter- scheidungsmöglichkeit etwa zwischen nicht können, das als — O oder — (= ~n D) gedeutet werden könnte, und nicht müssen, das ebenfalls die Interpre- tationen — D (= O —i) oder D —i (= — ) erhalten könnte. Dies brächte eine seltsam anmutende Ausdrucksschwäche der Sprache und pragmatisch unan- nehmbare Ambiguitäten mit sich.

Die bisherige Betrachtungsweise ging von einer im Prinzip freien Wahl des Negationsskopus aus, sie erklärte die ausgeschlossenen Skopusmöglichkeiten entweder semantisch oder nahm einen eher „pragmatischen Zwang" zur Gram- matikalisierung des Skopus an. Letzteres ist als Erklärungsmöglichkeit jedoch unzureichend. Betrachten wir nämlich Beispiele mit lassen in seinen Bedeutungs- varianten:

(91) (a) Sie läßt ihn nicht eintreten. (permissiv) (b) Sie läßt das Auto nicht reparieren. (kausativ) (c) Sie läßt sich nicht hochheben. (modal)

Hier finden wir durchgehend nur den weiten Skopus für nicht, es gibt dafür jedoch weder eine plausible semantische Erklärung wie bei den Wahrnehmungs- verben, noch gibt es einen zu lassen dualen Operator wie beim müssen /können- Paar. Aber auch dann, wenn es duale Operatoren gibt, wie in der Deontik für dürfen und sollen angenommen wird, so ist noch nicht klar, in welcher Weise die Grammatikalisierung den Skopus festlegt:

(92) (a) Du darfst nicht kommen. (nur weiter Skopus) (b) Du sollst nicht kommen. (weiter und enger Skopus) Da uns die Semantik darüber keine unmittelbaren Aufschlüsse zu geben scheint, haben wir es offenbar mit einer syntaktischen Regularität zu tun, welche als lexikalisch gesteuerter Prozeß der Skopuszuweisung für bestimmte Verben (las- sen, sehen, dürfen, müssen etc.) nur weiten Skopus erlaubt, für eine andere Verb- klasse, zu der beispielsweise auch versuchen gehören würde, jedoch beide Optio- nen offen ließe.

(93) (weil) er ihr nicht zu begegnen versuchte (eng) (94) Ich habe ihn nicht zu betrügen versucht, (weit)

(26)

184 Jean· ve* Urner l WolfyanK Sternefeld

Eine lexikalische Behandlung des Problems dürfte jedoch, wie schon im ersten Teil der Arbeit in bczug auf die Ncgationsanhebung vermerkt, nur dann eine unvermeidbare Strategie sein, wenn keine allgemeinere Lösung in Sicht ist. Wir werden im folgenden Abschnitt zeigen, daß eine solche Notlage nicht besteht, d.h., wir werden den Skopus der Negation zunächst rein strukturell festlegen durch eine syntaktische Bedingung, die auf bestimmte Verbklasscn keinen Bezug nimmt.

17. Eine nicht-lexikalische Skopusbcdingung

Die These, die wir in diesem Abschnitt vertreten wollen, besagt nicht viel mehr, als daß die Negation im Deutschen immer den wciteslmögiichcn Skopus bezüg- lich der in einem Satz vorkommenden Prädikate oder Operatoren besitzt. Bei der »Bestimmung des Ncgationsberciches setzen wir also insbesondere voraus, d>lß mehrere Prädikate in einem Satz vorkommen können, d. h., wir nehmen als Eingabe für die scmantische Deutung eine oberfläehennahc Strukturebene an, wie sie etwa in der Theorie von Evers nach Verbanhebung und clause-union entstehen würde.

Diese Auffassung deckt sich mit der erweiterten Standardtheorie Chomskys und wird, wie wir zeigen werden, auch durch das Verhalten der Negation bestä- tigt. Zunächst jedoch müssen wir uns jenen Fällen zuwenden, die unserer These auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. Betrachten wir ein schon relativ komplexes Beispiel:

(95) (da) sie ihn nicht [

v

[

v

enltäuschen zu wollen] schien]

Neben der von uns vorausgesagten Lesart (96) dürfte es auch möglich sein, den Negationsskopus wie in den Paraphrasen (97) und (98) zu verstehen:

(96) Es sah nicht so aus, als wollte sie ihn enttäuschen.

(97) Es hatte den Anschein, als sei es nicht ihr Wille, ihn zu enttäuschen.

(98) Es hatte den Anschein, als sei es ihr Wille, ihn nicht zu enttäuschen.

Nun hatten wir jedoch festgestellt, daß gerade Verben vom Typ scheinen, wollen, mögen, sullen etc. und ihre englischen Äquivalente schon in inkohärenten Kon- struktionen Negationsübcrtragung zulassen.

Wenden wir nun diese Analyse auf die propositionalcn Einheiten in kohären- ten Konstruktionen an, so läßt sich einerseits die grammatische Regel aufrecht- erhalten, daß die Negation grundsätzlich weiten Skopus hat, andererseits finden wir die Interpretationsmöglichkeitcn mit engem Skopus, wie nicht anders zu erwarten, gerade bei den sog. Verben mit Negationsanhebung.

Für die Verben der Gruppe 2 und 3 ist dies durch die Lesarten (97) bzw. (98)

(27)

Skopus der Negation im Deutschen \ 85 gezeigt. In der Gruppe l finden wir kohärente Konstruktionen des folgenden Typs:

(99) weil sie ihre Unschuld nicht glaubte beweisen zu können

Auch hier scheint uns eine Lesart mit engem Skopus gegenüber glauben noch möglich zu sein; gegenüber können, was Teil B zufolge kein mittleres Prädikat ist, ist eine solche Lesart selbstverständlich nicht möglich. Auf Verben der Gruppe 4 kommen wir noch zurück.

Anders als in den Beispielen der Teile A und B gibt es keine Satzgrenze zwi- schen den Verben in kohärenter Konstruktion. Für die syntaktische Bedingung 'weitester Skopus* im Satz folgt daraus, daß diese auf die S-Struktur appliziert.

Ob es dann eine von der S-Struktur verschiedene D-Struktur mit S-Grenzen gibt oder nicht (vgl. Sternefeld 1984; Sternefeld/v. Stechow 1984), ist in unserer Be- trachtung gänzlich unwesentlich. Da die Negation dem Verbalfeld vorausgeht, ist es plausibel, daß eine Lesart mit engem Skopus insofern erleichtert wird, als wir geneigt sind, uns eine Interpretation von Satzteilen zurechtzulegen, sobald semantisch zusammenpassende Phrasen wie sie ihn nicht enttäusch- geäußert wurden.

Gegenüber den pragmatischen Anwendungsbedingungen für die Negations- übertragung in inkohärenten Konstruktionen liegt bei den kohärenten Kon- struktionen eine andere Situation vor. Während es sich in §12 um die Aus- tauschbarkeit von zwei Formen handelte, geht es jetzt um die Interpretation einer einzigen Konstruktion, die der Negation den weiten Skopus zuweist. Wenn man den-Satz jedoch mit engem Skopus für die Negation versteht, so geschieht dies, - vorausgesetzt, daß der Präzisionsstandard im gegebenen Kontext nicht verlangt, beide Lesarten auseinanderzuhalten -, weil es an einer für diese Lesart ebenso natürlichen Ausdrucksfonn mangelt, wirkt doch die inkohärente Kon- struktion mit eingebetteter Negation oft sehr viel umständlicher als die kohären- te („er scheint nicht kommen zu wollen" gegenüber „es hat den Anschein, als wolle er nicht kommen"). In denjenigen Kontexten, die überhaupt eine Interpre- tation mit engem Skopus zulassen, mag erleichternd hinzukommen, daß eine solche Interpretation in der semantischen Verarbeitungsprozedur in „nahelie- gender" Weise-schon ins Auge gefaßt wurde. Dementsprechend scheint es uns schwieriger zu sein, eine Lesart wie (97) oder (98) zu erhalten, wenn, wie in (l 00), der syntaktische Kontext nicht enttäuschen oder nicht enttäuschen wollen aufge- löst wird:

(100) Enttäuschen zu wollen schien sie ihn nicht.

Kommen wir nun noch auf die Möglichkeit des engen Skopus zurück, die wir bei Sätzen wie (93) beobachtet haben. Es ist klar, daß wir in diesem Fall nicht semantisch argumentieren können, da versuchen keine Negationsübertragung

(28)

186 Jean-Yves Lernerf Wolfgang Siernefelcl J

zuläßt. Dieses Verb gehört jedoch zu einer Klasse von Kontrollverben, bei denen Verbanhebung bzw. die kohärente Konstruktion fakultativ ist. Dies zeigt sich an der Möglichkeit der Extraposition, die im Gegensatz zur V-Bewegung ganze Sätze erfaßt:

(101) (als) er Q, PRO ihr nicht zu begegnen] versuchte Extraposition =>

(als) er t versuchte [PRO ihr nicht zu begegnen]

Wird nun aber die Satzgrenze nicht aufgelöst, so ist nach dem bisher Gesagten nur ein „enger" Skopus möglich. Weiten Skopus dagegen erhalten wir in der kohärenten Konstruktion, wenn also Struktur zerstört wird:

(102) (als) er PRO ihr nicht [v zu begegnen versuchte]

Dies zeigt sich z.B. auch daran, daß nur weiter Skopus erlaubt ist, wenn das

;>#erk der StEukturzerstörung auch an der Oberfläche sichtbar wird:

(103) Zu überreden versucht hatte er sie nicht.

Im Gegensatz dazu ist enger Skopus dann die einzig mögliche Option, wenn die Satzeinbettung nie aufgelöst werden kann wie bei den Objekt-Kontroll-Verben der Gruppe 4 und bei Subjektsätzen:

(104) (weil) [s PRO ihr nicht zu begegnen] ratsam wäre (105) *zu begegnen ratsam wäre PRO ihr nicht.

Die Skopusmöglichkeiten korrelieren also auch in diesen Fällen mit syntakti- schen Gegebenheiten, die es erübrigen, eine Skopusregel zu formulieren, die auf bestimmte lexikalische Einheiten Bezug nimmt.

18. Kohäsionen

Wir hatten schon zu Beginn des Teils C festgestellt, daß es semantische Gründe geben mag, weshalb man die Negation nicht unter verba sentiendi einbetten kann. Handelt es sich z. B. beim Verb sehen um abbildbare, direkt wahrnehmba- re Ereignisse, so kann Hansens Nicht-Kommen nicht eine Wahrnehmung sein, welche Fritz in (106) zugesprochen wird:

(106) Fritz sieht Hans nicht kommen.

Vielmehr hat nicht weiten Skopus über sehen: es wird also verneint, daß Fritz den

(29)

Skopus der Negation im Deutschen 187

Hans kommen sieht. Nun hat schon Lewis Carrol gekalauert, daß man wohl sehr scharfe Augen haben muß, um niemandes Kommen wahrzunehmen:

(107) Ich sehe niemanden kommen.

Wiederum wird ja tatsächlich verneint, daß ich jemanden kommen sehe; die Negation, die in niemand steckt, wird hier aus der NP sozusagen „herausgenom- men*

4

und auf das Matrixverb bezogen. Ähnliches hat auch Bech (1955) beob- achtet, als er feststellte, daß die Negation, die zu brauchen gehört, mit einer Objekts-NP des untergeordneten Verbs*verschmelzen kann:

(108) Er braucht niemandem zu gehorchen.

Bech nannte dieses merkwürdige Phänomen 'Kohäsion'. Auch im Fall von (108) ließe sich auf nicht-syntaktische Weise erklären, warum die Negation weiten Skopus hat: brauchen ist nämlich ein „negative-polarity-item*\ d. h., es benötigt einen negativen Kontext (vgl. Ladusaw 1979). Das läßt sich leicht einsehen, wenn wir folgende Beispiele betrachten:

(l 09) (a) Fritz glaubt nicht, daß er zu kommen braucht, (b) * Fritz glaubt, daß er zu kommen braucht.

(110) Nur Fritz/Niemand/Kaum jemand glaubt, daß er zu kommen braucht.

Es gibt jedoch andere Fälle, bei denen keine semantischen Gründe dafür an- gebbar sind, warum nur weiter Skopus möglich ist:

(l 11) (a) Man kann keine semantischen Gründe dafür finden.

(b) Ich lasse mir keinen Bart stehen.

(c) Aureliano muß kein Pianolo besitzen.

(d) Du kannst keinen Fehler machen, (l 12) (a) Du sollst keinen Fehler machen.

(b) Du willst keinen Fehler machen, etc.

Vergleichen wir nun (l 11) mit (112), so stellt sich heraus, daß die Skopusverhält-

nisse bezüglich negativ spezifizierter Nominalphrasen genau dieselben sind, die

wir für nicht festgestellt haben. Es ergibt sich jedoch noch eine zusätzliche Kom-

plikation, von der wir schon sprachen, als wir behaupteten, die Negation sei aus

der NP herausgenommen. Die weitaus natürlichste Interpretation der Sätze in

(111) ist nämlich nicht so, daß wir der ganzen NP weiten Skopus geben:

(30)

188 Jean· Yves UrnerI Wolfgang Sternefeld (113) ? Für keinen Fehler gilt, daß du ihn machen kannst.

? Für keinen Bart gilt, daß ich ihn stehen lasse, etc.

Dies gilt - zumindest im Deutschen - auch für andere Einbettungen in intensio- nale Kontexte:

(l 14) (a) Ede sucht kein Einhorn.

(b) Es stimmt nicht, daß Ede ein Einhorn sucht.

(c) ? Für kein (existierendes) Einhorn gilt, daß Ede es sucht, (l 15) (a) Buridanus schuldet Arnim keinen Esel.

(b) Es stimmt nicht, daß Buridanus Arnim einen Esel schuldet.

(c) ? Es gibt keinen (bestimmten) Esel, den Buridanus Araim schuldet.

Aus diesen Daten ziehen wir - im Sinne einer Verallgemeinerung auf den schlechtesten aller möglichen Fälle - zunächst das Fazit, daß es nicht möglich ist, etwa kein "Einhorn mit ?~\ 3x (Einhorn( ) ( )) zu übersetzen, da wir bei vielen Satzkontexten nicht in der Lage sind, aus diesem Bedeutungsbestandteil die Bedeutung des ganzen Satzes kompositionell zusammenzufügen.

Im Rahmen einer Montague-Grammatik wird nun die Negation synkategore- matisch behandelt (vgl. etwa Montagues 1973); wir könnten uns also vorstellen, daß (114a) aus (116) abgeleitet wird:

'(116) Ede sucht ein Einhorn.

Der syntaktischen Regel, die ein durch kein ersetzt, entspricht semantisch die Negation von (116). Vom logischen Standpunkt aus ist gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Wenn jedoch die Syntax autonom bleiben soll, können wir uns auf eine bedeutungsverändernde Substitution von Lexemen nicht einlassen.

Wird also (114a) syntaktisch direkt erzeugt, so werden wir um eine semantische

„Zerlegung" von negativ quantifizierten Nominalphrasen nicht herumkommen.

Eine unseres Erachtens plausible Vorstellung, welche Kohäsionen und das

„offene" nicht gleich behandelt, bestände darin, die Negation abstrakter, näm- lich zunächst als Merkmal +NEG aufzufassen. Die Partikel nicht trägt dieses Merkmal trivialerweise, sie wird aber selbst nicht lexikalisch, sondern in ihrer satzsemantischen Funktion, mithin also synkategorematisch interpretiert. Alle negativ spezifizierten Nominalphrasen tragen ebenfalls dieses Merkmal, werden aber lexikalisch zunächst als positiv spezifiziert, also als jemand für niemand, ein Xfür kein X, jemand anderes als Xfüi nur Jfetc. gedeutet (vgl. Lieb: 1983; auf spezielle Probleme im Zusammenhang mit nur kommen wir in § 22 zu sprechen).

Das Merkmal +NEG erfahrt seine Interpretation als Negation in dem syn- taktischen Bereich, den wir bezüglich der Verben im vorigen Paragraphen ange- geben haben. Ob nun für die Gewinnung des weiten Skopus tatsächlich so etwas

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der Text sollte nach einem Jahr eines Mathematikstudiums nachvollziehbar sein und als Bonus für die jüngeren ambitionierten Kolleginnen und Kollegen flechten wir eine offene Frage

Die Kontinuitatsgleichung (2.2) be- schreibt die Erhaltung des Phasenraumvolumens unter einer hamiltonschen Dynamik, was eine direkte Konsequenz der symplektischen Struktur

Wir sind aber auch der Meinung, daß die Möglichkeiten einer Delegation von Teilfunktionen an entsprechend qualifiziertes Personal entsprechend der Entschließung des

In einem weiteren Schritt wurde beschlossen, durch Verzicht auf einen Teil der Dienstvergütung (mit entspre- chendem Freizeitausgleich) und ei- nem zusätzlichen Pool-Beitrag des

Jänner: Reagan beschuldigt die Sowjets auf seiner ersten Presse- konferenz daß sie &#34;lügen und betrü- gen&#34;, hinter allem Terrorismus stecken und sich eine Moral zu-

Looking at the basic dimensions of human development, which make up the core measurement of its achievements: health, education and a income, and additionally at the dimensions

Despite the fact that these benefits are especially available to highly skilled migrants and migrants that have formal education (ECLAC, 2002), and that access to ICTs is

Es lässt sich ferner beobachten, dass quoi als Marker stets eine der in diesem Beitrag beschriebenen Bedeutungen hat, also auch dann, wenn sein Skopus mit einem