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Westdeutschland in der OEEC Eingliederung, Krise, Bewäh- rung 1947-1961

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Uwe Albrecht, Der Adelssitz im Mittelalter. Studien zum Ver- hältnis von Architektur und Le- bensform in Nord- und Westeu- ropa, München, Berlin: Deut- scher Kunstverlag 1995, 279 S„

DM 198,— [ISBN 3-422-06100-2]

Der Schritt von der genossenschaftli- chen zur ständischen Daseinsform, der sich an der Wende vom Früh- zum Hochmittelalter vollzog, führte auf dem Gebiet der Profanarchitektur seit dem 10./II. Jahrhundert zur Herausbildung einer neuen Bauaufgabe: An die Stelle der Volks- und Fluchtburgen, der weit- läufigen Wallanlagen und gewaltigen Landwehren traten Adelsburgen, die als Wehranlagen nun nicht mehr der Allgemeinheit dienten, sondern Bau- werk eines Herren waren und dessen persönlichen und repräsentativen An- sprüchen genügten. Erst die Burg be- glaubigte die Herrschaft; Ritterbürtig- keit und Adelssitz gemeinsam qualifi- zierten die Landstandschaft, sicherten dem Grundherrn seinen gesellschaftli- chen Rang, seine Rechte und Pflichten zu. Die Burg war somit das zu Stein ge- wordene Ebenbild ihres Bewohners, sie veranschaulichte dessen politischen Einfluß und militärische Stärke, dessen Rechts- und Standesqualität. Sie waren als gebaute Wehr-, Wohn- und Wirt- schaftsform das Spiegelbild ritterlichen Denkens und Wollens überhaupt. Im Laufe der Zeit wurde die Burg zum Schloß, der befestigte Herrschaftsmit- telpunkt zur strahlenden Residenz, in deren veränderter Gestalt Wohnlichkeit und Repräsentation einen breiten Raum einnahmen. Ritter und später die Mini- sterialen waren lange Zeit die eigentli- chen Wegbereiter der kulturgeschicht- lich so überaus folgenreichen Entwick- lung des europäischen Adelssitzes, des- sen drei wichtigste Grundtypen spätestens mit dem Übergang zum

Steinbau auch architektonisch greifbar werden: Halle, Saalgeschoßhaus und Wohnturm. Die Geschichte und Ent- wicklung dieser drei Archetypen herr- schaftlicher Profanarchitektur des Mit- telalters hängen eng zusammen mit der Entstehung, Ausbreitung und dem all- mählichen Wandel des Rittertums selbst. Erst in der Erweiterung um lan- desgeschichtliche, volkskundliche, wirt- schafts-, rechts- und sozialgeschicht- liche Aspekte offenbart der Bau des Adelssitzes seine ganze kulturprägende Bedeutung. Absicht des anzuzeigenden Buches ist es, diese Architektur zum ei- nen in zeitlichen Längsschnitten als Ausdruck der sich im Laufe des Mit- telalters allmählich verändernden Le- bens- und Wohngewohnheiten, exi- stentiellen Bedürfnisse und gesell- schaftlichen Ansprüche eines Standes zu begreifen und außerdem in zeitli- chen Querschnitten Rezeptionsvorgän- ge aufzuzeigen, Ursachen, Art und Aus- maß kulturellen Gefälles zu ermitteln.

So werden die drei Archetypen Halle, Saalgeschoßhaus und Wohnturm in ih- rer Entstehung, Entwicklung und Ver- breitung in Europa ebenso untersucht wie die Aufnahme und Verbreitung adeliger Wohnkultur im Mittelalter.

Prägend hierbei waren die französi- schen Impulse des 14. und 15. Jahr- hunderts. Die Entwicklung in Skandi- navien und Norddeutschland zeugt davon und Schloß Gottorf wird als ei- ne Residenz von europäischem Format beschrieben. Wenn auch die militärge- schichtlichen Aspekte des Adelssitzes nicht im Vordergrund der anzuzeigen- den Untersuchung stehen, so werden sie doch immer wieder ins Blickfeld mit einbezogen und Grundrisse und Auf- risse durch hervorragende Fotos ver- deutlicht, so daß auch der militärge- schichtlich Interessierte das Buch mit großem Gewinn benutzen kann. Leider ist die Entwicklung des Adelssitzes in

Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 207-251 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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Italien nicht berücksichtigt, was man um so mehr bedauert, als sich dort die verschiedensten Stileinflüsse bemerk- bar gemacht haben. Aber dies hätte den Rahmen des Buches gesprengt. Viel- leicht entschließt sich der Verfasser in einer späteren Arbeit, diesen Aspekt doch noch aufzugreifen.

Manfred Kehrig

Robert Bartlett, Die Geburt Euro- pas aus dem Geist der Gewalt.

Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350. Aus dem Engl, von Hen- ning Thies, München: Kindler 1996, 509 S., DM 78,— [ISBN 3- 463-40249-1]

Bei dem hier vorzustellenden Buch des britischen Historikers Robert Bartlett handelt es sich um eine Darstellung zur Geschichte Europas im Hochmittelal- ter. Worum es dem Autor in seinem Werk vorrangig geht, ist in der Einlei- tung präzise formuliert: »Es geht vor al- lem um Eroberung, Kolonisierung und den damit einhergehenden kulturellen Wandel in Europa und im Mittelmeer- raum zwischen 950 und 1350« (S. 13).

Folgt man dem Verfasser, so fand in eben dieser Epoche die »Geburt Euro- pas« statt, nämlich als ein Prozeß der Eroberung und Kolonisierung von Randgebieten, welcher von Westeuro- pa ausging. »Die Europäisierung Euro- pas im Sinne der Ausbreitung einer speziellen Kultur mit Hilfe von Erobe- rung und Beeinflussung hatte ihr geo- graphisches Zentrum in einem be- stimmten Teil des Kontinents, nämlich in Frankreich, Deutschland westlich der Elbe und in Norditalien, also in Ge- bieten, die auf eine gemeinsame Ge- schichte als Teile des karolingischen Reiches zurückblickten.« (S. 325 f.) Akribisch genau analysiert Bartlett die-

se zumeist blutig verlaufenen Expan- sionsvorgänge. Dabei handelte es sich namentlich um den »englischen Kolo- nialismus in der keltischen Welt, die Ausdehnung des deutschen Siedlungs- gebietes nach Osteuropa, die Rücker- oberung Spaniens und die Unterneh- mungen der Kreuzfahrer und Koloni- sten im östlichen Mittelmeerraum«

(S. 13). Diese Vorgehensweise ermög- lichte es der lateinischen Christenheit, den Bereich ihrer Herrschaft zwischen 950 und 1350 ungefähr zu verdoppeln, und zwar erstreckte er sich in seiner größten Ausdehnung von Irland bis Je- rusalem und von Südspanien bis ins Baltikum.

Dem Bereich Militärtechnik widmet der Autor ein eigenes Kapitel, in wel- chem die wesentlichen Merkmale hoch- mittelalterlicher Kriegführung in West- europa kurz abgehandelt werden. Bart- lett benennt diese wie folgt: »1. die be- herrschende Stellung der schweren Reiterei, 2. die wachsende Bedeutung der Bogenschützen (insbesondere der Armbrustschützen) und 3. die Ent- wicklung einer speziellen Form der Be- festigung — der Burg — sowie, im Ge- genzug, die Ausbildung einer entspre- chenden Belagerungstechnik« (S. 79).

Zwar enthält dieser Abschnitt des Bu- ches unbestritten die grundlegenden diesbezüglichen Erkenntnisse, gleich- wohl wäre eine eingehendere Betrach- tung gerade dieses Aspektes nach dem neuesten Forschungsstand wünschens- wert gewesen (zur Militärtechnik im Mittelalter: Kelly DeVries, Medieval Military Technology, Petersborough, Ont. 1992).

Alles in allem handelt es sich aber durchaus um eine vortreffliche Dar- stellung. So ist es dem Autor gelungen, den höchst komplexen und nur schwer rekonstruierbaren Prozeß der Entste- hung Europas zwischen 950 und 1350 unter Verwendung umfangreichen Quellenmaterials präzise dargelegt zu

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haben. Darin liegt zweifellos die be- sondere Bedeutung des vorgestellten Werkes.

Lutz Schönsee

Frank Tallett, War and Society in Early-Modern Europe, 1495-1715, London, New York: Routledge 1992, XV, 319 S. (= War in Con- text), £ 40 [ISBN 0-415-02476-6], Pb 1997, $ 19.95 [ISBN 0-415- 16073-1]

Wenn ein Forschungsgebiet über den engsten Kreis der Spezialisten und den außerwissenschaftlichen Markt einer Liebhaberschaft hinausgekommen ist, zeigt sich das nicht zuletzt am Erschei- nen von handlichen Gesamtdarstellun- gen auf wissenschaftlichem Niveau.

Wer sich für Militärgeschichte der Frühen Neuzeit interessiert, muß noch immer neidvoll auf den englischspra- chigen Raum blicken. Frank Talletts Buch ist ein erfreuliches Beispiel, ein Lehr- und Lesebuch, das sich um so leichter loben läßt, weil es keinen Ein- zelfall darstellt und folglich nicht daran gemessen werden muß, ob es als »das«

singulare Standardwerk für die näch- sten Jahre gelten soll.

Zu den Stärken des Buches zählt sei- ne breite Perspektive, wie sie in den Überschriften der vier Hauptkapitel »The changing art of war«, »Recruitment«,

»Life and death in the armies« und »The impact of war« erkennbar wird. Die Ent- wicklungen von Technik und Taktik skiz- ziert Tallett knapp, aber kenntnisreich, doch den Schwerpunkt des ganzen Bu- ches bildet die Frage nach der Realität des Krieges für die Menschen der Frühen Neuzeit. Dementsprechend bemüht sich der Autor, den in der Historiographie verbreiteten Blickwinkel, aus dem Mi- litär und Soldaten letztlich als bloße In- strumente der politisch gelenkten Krieg-

führung erscheinen, zu ergänzen, ohne jedoch eine »Militärgeschichte von un-

ten« als neuen Königsweg zu postulie- ren. Der Stil von Talletts Darstellung wird nicht zuletzt von einer beeindruckenden Fülle von Beispielen bestimmt, die seine durchdachte Argumentation nicht nur il- lustrativ begleiten, sondern ihr gleicher- maßen Tiefe und Farbe verleihen.

Militärgeschichte ist in der Frühen Neuzeit immer zugleich Kriegsge- schichte, erst mit der dauerhaften Eta- blierung der stehenden Heere im 18. Jahrhundert ändert sich dies teil- weise. Somit spielt der >Ernstfall<, das Kämpfen und Sterben der Soldaten in Schlachten und Belagerungen, die ihm zustehende wichtige Rolle in Talletts Buch. Doch weit darüber hinaus fragt er nach der sozialen Herkunft, der Mo- tivation und den Lebensbedingungen von Soldaten und Offizieren. So fällt manch neues Licht auf das Alltagsleben auf Märschen und in Garnisonen, die Bezahlung und Ernährung der Solda- ten und ihrer Familien, ihre Hoffnun- gen auf wenigstens zeitweise Existenz- sicherung, aber auch deren ständige Ge- fährdungen durch Mangel und Krank- heit, durch Verwundung und Tod. Auch wenig beachtete Aspekte wie Kriegs- gefangenschaft, Situation von Ex-Sol- daten und Invaliden, Religion und Ka- meradschaft finden Beachtung. Dabei bleibt der Blick nicht auf die >soziale Großgruppe Militär< beschränkt; die Si- tuation der mit Krieg und Militär kon- frontierten Bevölkerung kommt eben- so ins Bild wie der Tatsache Rechnung getragen wird, daß von einer Trennung von >Militär< und >Gesellschaft< für die Frühe Neuzeit so einfach nicht gespro- chen werden kann.

Tallett verliert die großen Entwick- lungslinien und Strukturen bei aller Le- bendigkeit der Darstellung nie aus dem Auge. Ausgehend von der zentralen Rolle der Logistik und Besoldung für die Söldnerheere stellt er etwa die Ent-

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Wicklung der Staatsfinanzen dar, nicht ohne wiederum auf die Konflikte zwi- schen Herrschaft und Bevölkerung ein- zugehen, die sich mit der Intensivierung der Steuererhebung verbanden.

Bei der Fülle des Gebotenen können Verkürzungen, Lücken und Ungenau- igkeiten nicht ausbleiben, und es wäre unbillig, Detailkritik zu üben. Grund- sätzlich mag jedoch kritisiert werden, daß die vielen Zahlenangaben in den Beispielen eine Informationsdichte sug- gerieren, die ohne Vergleichsmaßstäbe wertlos bleibt. Auch hätte man für man- che interessante Thesen gerne genaue- re Begründungen als Diskussions- grundlage, wie auch für die bisher un- gebräuchliche Setzung des Jahres 1715 als Epochenmarke. Die ausgiebige Ver- arbeitung der neueren Forschungslite- ratur läßt, wie so oft, die deutschspra- chige Forschung weitgehend unberück- sichtigt, so daß das Bild hinsichtlich der mitteleuropäischen Verhältnisse ziem- lich fragmentarisch wird.

Dennoch bleibt festzuhalten, daß das Buch nicht nur als gut lesbare Ein- führung seinen Wert hat, sondern auch für Fachleute eine echte Fundgrube, manche Anregung zum Widerspruch und viele interessante Einsichten bietet.

Daniel Höhrath

Gerhard Söllner, Für Badens Eh- re. Die Geschichte der badischen Armee. Formation, Feldzüge, Uniformen, Waffen, Ausrüstung 1604-1832, Karlsruhe: Info Ver- lagsgesellschaft 1995, 300 S.

(= Dokumente zur Landesge- schichte, 23), DM 98,— [ISBN 3- 88190-154-X]

Der Verfasser des hier anzuzeigenden großformatigen Werkes ist im Fachkreis der Sammler von Zinnfiguren wegen seiner Publikationen und der Heraus-·

gäbe von Modellen bekannt. Man darf also eine heereskundliche Arbeit er- warten. Im Vorwort gibt Söllner als Ziel an, es »soll die Geschichte der badi- schen Armee in Wort und Bild darge- stellt werden« (S. 9). Zu diesem Zwecke behandelt er fünf Bereiche: »Badisches Militär von 1604 bis 1648«, »Garde du Corps« (1773-1830), »Jäger und leichte Infanterie« (1803-1832), »Die Leib-Gre- nadier-Garde« (1806-1832) sowie »Die Husaren« (1771-1813). In der ersten Hälfte des Buches ist jedes Kapitel sy- stematisch in die Abschnitte »Ge- schichte und Formation«, »Uniformie- rung und Ausrüstung« sowie »Fahnen und Standarten« gegliedert. Im zwei- ten Teil folgen die farbenprächtigen Bildtafeln, die vom Autor anhand von Vorlagen oder nach Angaben in den Re- glements gezeichnet wurden. Jeder hee- reskundlich Interessierte wird ihm für seine filigrane Feinarbeit dankbar sein, zumal er auch auf zahlreiche Fehler in der bisherigen Literatur hinweist und seine Darstellungen auf quellenkriti- sches Studium stützt. Andererseits muß auch Söllner in den Uniformbeschrei- bungen oft genug mit Vokabeln wie

»vermutlich«, »wohl«, »anscheinend«,

»wir können annehmen«, »wir wissen nicht« und dergleichen arbeiten — Aus- druck der bislang vernachlässigten Hee- reskunde in Baden, das hier als pars pro toto für zahlreiche deutsche Klein- und Mittelstaaten des 18. und 19. Jahrhun- derts stehen kann. Es bleibt also zu hof- fen, daß weitere Bände — vielleicht ebenfalls mit finanzieller Unterstützung des Militärgeschichtlichen Forschungs- amtes — bald erscheinen, damit auch die anderen Bestandteile der Armee — etwa die Infanterieregimenter, der Ge- neralstab usw. — militärkundlich er- schlossen werden.

Kritisch ist anzumerken, daß der Verfasser darauf verzichtete, das Pro- gramm für die noch ausstehenden Bän- de vorzustellen und die Zäsur von 1832

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zu begründen. Ein Werk, das zeitlich vor dem Dreißigjährigen Krieg einsetzt, sollte bis zum Jahr 1849 reichen, als die badische Armee infolge ihrer Teilnah- me an der Revolution bis auf geringe Ausnahmen aufgelöst wurde. Die Ru- brik »Quellen« entspricht nicht dem Standard in geschichtswissenschaftli- chen Werken, zumal nicht nach Quel- len und Literatur unterschieden wurde und nur die ersten 228 Titel in alpha- betischer Reihenfolge erfaßt sind; mehr als 150 weitere Literaturangaben schließen sich in bunter Reihenfolge an.

Trotz dieser Einschränkungen er- weist sich das Kernstück der Monogra- phie aber als wahre Fundgrube für

»Knopfologen«. Darüber hinaus wird jeder Interessierte an der badischen Ar- mee das Werk begrüßen, weil es eine Menge an Informationen bietet, zur Re- gierungszeit der badischen Regenten ebenso wie zur Abfolge der Komman- deure/Kommandanten der jeweiligen Regimenter, zur Bewaffnung, zur Aus- rüstung der Pferde usw. Söllner hat al- so tatsächlich ein Werk geschaffen, das seinem Wunsch entspricht, wonach die

»Arbeit ein Denkmal sein [möge] für die badische Armee und für die Män- ner, die in ihr dienten« (S. 11).

Karl-Heinz Lutz

Peter Hansen Hajstrup, Das Me- morial und Jurenal des Peter Hansen Hajstrup (1624-1672).

Kommentierte Textedition und Einf. von Frank Ibold, Jens Jäger und Detlev Kraack, Neumünster:

Wachholtz 1995, 206 S. (= Quel- len und Forschungen zur Ge- schichte Schleswig-Holsteins, 103), DM 50,— [ISBN 3-529- 02203-9]

Im Zuge einer immer stärker sozialge- schichtlich ausgerichteten Militärge-

schichte gewinnen die Selbstzeugnisse gerade von Personen, die nicht dem Herrschaftsstand oder den sozioöko- nomischen Oberschichten angehören, als Quellengruppe zunehmende Be- deutung. In diesem Sinne sind in letzter Zeit nicht nur zahlreiche Selbstzeug- nisse ediert, sondern auch diesbezüg- lich eine eigene Schriftenreihe (Selbst- zeugnisse der Neuzeit) ins Leben geru- fen worden.

Die von den drei Herausgebern vor- bildhaft edierten schriftlichen Hinter- lassenschaften (außer dem Reiseme- morial sind dies noch mathematische Aufgaben, eine Weltchronik bis zum To- de Cäsars, Rezepte und Bibelsprüche) des Bauernsohnes Peter Hansen aus Hajstrup bei Tondern stellen eine un- schätzbare Quelle über die Lebenswelt kleiner Leute des 17. Jahrhunderts dar.

Hansen verdingte sich, und dies ist für den Militärhistoriker besonders inter- essant, als Söldner bei der Niederlän- dischen Westindischen Kompanie, die ihn in Südamerika zur Verteidigung der Kolonie in Brasilien gegen Portugiesen und gegen die aufständische auto- chthone Bevölkerung kämpfen ließ, ehe er, als die Niederländer die Kolonie 1654 aufgaben, nach Europa zurück- kehrte. Der Leser erfährt eindrucksvolle Details nicht nur über das soziale Bin- nensystem Militär, den Alltag der Söld- ner und die Probleme im Umgang mit Vorgesetzten, sondern auch über Ver- sorgungsprobleme in der Truppe, Tak- tik und Kriegführung. Schließlich wer- den Kultur und Lebenswelt der Tropen aus dem Blickwinkel eines Nordeu- ropäers geschildert.

Es handelt sich um ein wichtiges Selbstzeugnis, das dazu beitragen wird, die innere Struktur frühneuzeitlicher Militärgesellschaften intensiver unter- suchen und die Wirkungsmechanismen verstehen zu können.

Ralf Pröve

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Lothar Schilling, Kaunitz und das Renversement des alliances. Stu- dien zur außenpolitischen Kon- zeption Wenzel Antons von Kau- nitz, Berlin: Duncker & Humblot 1994, 419 S. (= Historische For- schungen, 50), DM 118,— [ISBN 3-428-08084-X]

»Richtig ist, daß Preussen muß übern Hauffen geworffen werden, wann das durchlauchtigste Ertzhauss aufrecht ste- hen soll.« (Zit. S. 48) So formulierte Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711-1794) im August 1755 in einer sei- ner Denkschriften das »Grundaxiom«

für die österreichische Politik. Dieses Axiom bot die Basis für den häufig als

»diplomatische Revolution« bezeichne- ten Wechsel der Allianzen, das offensiv gegen Preußen gerichtete Bündnis mit Frankreich. Der habsburgisch-bourbo- nische Gegensatz hatte bis dahin als un- verrückbare Konstante der europäischen Politik gelten können. Noch während der ersten fünfzig Jahre des 18. Jahr- hunderts hatten die beiderseitigen Ar- meen in drei Kriegen rund 24 Jahre lang gegeneinander gekämpft (1701-1713, 1733-1735,1741-1748).

Der österreichische Staatskanzler gilt als Architekt dieses Bündnisses, das, ergänzt durch Rußland und Schweden, eine sichere Überlegenheit über das trotz englischer Unterstützung nahezu eingekreiste Preußen Friedrichs des Großen zu garantieren schien. Daß die Rechnung nicht aufging, sondern am Ende von sieben Jahren Krieg der Status quo in Mitteleuropa bestehen blieb, ist bekannt. Sowohl die politische als auch die militärische Geschichte des Sieben- jährigen Krieges und seiner Hauptak- teure sind in einer beachtlichen Breite und Qualität erforscht und müssen auf der Faktenebene kaum mehr umge- schrieben werden.

Lothar Schilling setzt mit seiner be- eindruckenden Studie denn auch auf ei-

ner anderen Ebene an. Das Buch ver- steht sich weder als neue Geschichte der österreichischen Politik noch als Kau- nitz-Biographie. Auf der Basis eirier um- fassenden Auseinandersetzung mit der älteren und neuesten Forschungslitera- tur konzentriert der Autor sich ganz auf die in großer Dichte im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhaltenen Vor- träge, Denkschriften und Korrespon- denzen des Staatskanzlers. Indem er diese mit geradezu philologischer Prä- zision auswertet und kontextualisiert, vermeidet Schilling die Übernahme ver- breiteter Urteile über die »raison« der großen Politik des Ancien regime, oh- ne dabei in eine individualisierende Persönlichkeitsstudie abzudriften. Schil- ling fragt nach den »Kategorien, [...]

nach den Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, den Maximen, Zielvorstellungen, Werten und Normen, die Kaunitz' politischem Kalkül zu- grunde lagen« (S. 11). Dies gelingt ihm in überzeugender Weise. Die Grund- strukturen der außenpolitischen Kon- zeptionen des österreichischen Staats- kanzlers und ihre Entwicklung über die Jahre vor, während und nach dem Sie- benjährigen Krieg werden sorgfältig nachgezeichnet.

Der Wechsel der Allianzen war für Kaunitz gerade kein Umsturz der beste- henden Verhältnisse, sondern vielmehr ein Mittel zur Rettung des Systems, in dem sich die divergierenden Interessen der >alten< Großmächte in einem relativ stabilen Gleichgewicht befanden. Der Aufstieg des Mittelstaats Preußen stellte für ihn die eigentliche Bedrohung dieses Systems dar, und seine Reduktion zu ei- ner »puissance tres secondaire« mußte aus seiner Sicht im gemeinsamen Inter- esse der europäischen Staaten liegen. Mit- hin würde die Rückgewinnung der von Friedrich dem Großen eroberten Provinz Schlesien nicht nur zur Wiederherstellung der österreichischen Position, sondern zur dauerhaften Ruhe Europas beitragen.

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Schilling zeigt die innere Logik von Kaunitz' mächtepolitischem Weltbild auf, ordnet sie geistesgeschichtlich ein (geometrisches Methodenideal von Wolff und Justi), macht aber auch ihre Grenzen transparent, die sich in der Konfrontation mit der Realität ergaben:

Weder Kontrahenten noch Bündnis- partner verhielten sich stets der Logik ihrer von Kaunitz erkannten »natürli- chen Interessen« konform, wie na- rrtentlich am Beispiel der Rollen Eng- lands und Rußlands deutlich wird.

Aus militärgeschichtlicher Sicht sei noch besonders auf den Abschnitt der Darstellung verwiesen, in dem die Kriegsjahre 1756 bis 1763 thematisiert werden. Die Probleme der Koalitions- kriegführung relativierten die materi- elle Überlegenheit des antipreußischen Bündnisses. Kaunitz' anfänglich gerin- ge Aufmerksamkeit für die militärische Umsetzung seiner Pläne wich bald ei- nem heftigen Engagement, mit dem er auf die militärische Führung Einfluß zu nehmen suchte. Er trat ständig für eine offensivere Kriegführung ein, was aber angesichts der strukturellen Defizite des militärischen Instrumentariums der Zeit nur in begrenztem Maße wirksam wer- den konnte. Auch seine Bemühungen um die Effizienzsteigerung der inneren Verwaltung zur Kriegsfinanzierung stießen an Grenzen, zumal er eine so rücksichtslose Ressourcenmobilisie- rung, wie sie Friedrich der Große prak- tizierte, für nicht akzeptabel hielt. Krieg war für Kaunitz ein begrenztes, ratio- nal zu nutzendes Mittel der Außenpo- litik, für das er die Grundlagen des Staa- tes nicht aufs Spiel zu setzen bereit war.

Ein lesbarer und eleganter Stil, ein überlegter Aufbau und ein hohes Re- flexionsniveau zeichnen Lothar Schil- lings Arbeit aus, die einen bedeutenden Beitrag zum tieferen Verständnis von Politik und Krieg im 18. Jahrhundert darstellt.

Daniel Höhrath

Hans Schmidt, Persönlichkeit, Po- litik und Konfession im Europa des Ancien Regime. Aufsätze und Vorträge zur Geschichte der Frühen Neuzeit, Hamburg: Krä- mer 1995, 401 S. (= Beiträge zur deutschen und europäischen Ge- schichte, 13), DM 68,— [ISBN 3- 926952-99-7]

Als die Frühneuzeitforschung die Mi- litärgeschichte noch im allgemeinen links liegen ließ (erst seit einigen Jah- ren ist hier ein deutlicher Wandel zu erkennen), gehörte Hans Schmidt zu den wenigen Autoren, die mit ihren fundierten Beiträgen dafür sorgten, daß die militärgeschichtliche Per- spektive in dieser Phase wenigstens nicht ganz in Vergessenheit geriet. Zu seinem 65. Geburtstag ist nun ein Sam- melband erschienen, der zwölf Auf- sätze zur politischen und militärischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhun- derts, die ursprünglich zwischen 1972 und 1989 erschienen sind, enthält! Für den Militärhistoriker besonders her- vorzuheben sind die Beiträge über den

»Einfluß der Winterquartiere auf Stra- tegie und Kriegführung«, über »Mi- litärverwaltung in Deutschland vom Westfälischen Frieden bis zum 18. Jahrhundert«, über »Wallenstein als Feldherr« oder über die »Proble- matik kriegsgeschichtlicher Beurtei- lung« am Beispiel der Verteidigung des Oberrheins sowie über Matthias Johann von der Schulenburg, eine

»europäische Soldatenkarriere im Zeit- alter des Hochabsolutismus« und end- lich über »das Türkenjahr 1683 und seine historische Bedeutung«. Schmidt hat Militärgeschichte nie isoliert gese- hen, sondern stets in den Zusammen- hang mit anderen Teildisziplinen wie etwa der Verwaltungsgeschichte ge- stellt. Die kompetenten und anschau- lich geschriebenen Aufsätze haben deshalb von ihrer Aktualität nichts

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verloren, u n d es ist gut, d a ß diese n u n b e q u e m zu erreichen sind.

Ralf Prove

Theo Schzvarzmüller, Zwischen Kaiser u n d >Führer<. General- feldmarschall A u g u s t von Mackensen. Eine politische Bio- graphie, 2., durchges. Aufl., Pa- derborn, München, Wien, Zü- rich: Schöningh 1996, 462 S., DM 68,— [ISBN 3-506-78284-3]

Am 6. Dezember 1849 in »Haus Leip- nitz« bei Wittenberg geboren u n d am 18. N o v e m b e r 1945 zu Burghorn bei Celle gestorben, erlebte u n d durchleb- te Mackensen fünf für die deutsche, die europäische u n d schließlich die Welt- geschichte b e d e u t e n d e u n d folgen- schwere Epochen, u n d zwar die Eini- gungskriege, das zweite deutsche Kai- serreich, den Ersten Weltkrieg, die Wei- marer Republik sowie die sechs Jahre Frieden u n d sechs Jahre Krieg der na- tionalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Insbesondere die letzte sollte das Welt- gefüge verändern. Mackensen selbst stieg während dieses rund 80 Jahre um- fassenden Zeitraums v o m Landwirt z u m Kavallerieoffizier u n d General- stäbler, zum Flügeladjutanten Wilhelms II. u n d im Verlauf des Ersten Weltkrie- ges zum Generalfeldmarschall auf. Sei- ne Erfolge als H e e r f ü h r e r korrespon- dierten mit einer außerordentlichen Po- pularität. Der Verfasser schildert die Karriere Mackensens in f ü n f z e h n Ka- piteln, die er mit den folgenden Über- schriften versehen hat: »Die Träume der Jugend (1849-1870)«, S. 17-31; »>Affen- artig< aufgestiegen (1870-1890)«, S. 32-53;

»Seiner Majestät Schatten (1891-1901)«, S. 54-71; »Vorkriegsgeneral in Danzig (1901-1914)«, S. 72-91; »Feldherrnglück und Menschenschlächterei (1914/15)«, S. 92-118; »Der Pyrrhus der Mittelmäch-

te (1915/16)«, S. 119-143; »Vom König Rumäniens zum Gefangenen (1917/18)«, S. 144-171; »Wider Weimar und Versail- les (1919-1923/24)«, S. 172-201; »Reisen- der für nationalen Rummel (1924H929)«, S. 202-231; »>Alte Kameraden< oder Die Zerstörung der Republik (1930-1933)«, S. 232-262; »>Vernunftehe< u n d >Blut- hochzeit< (1933/34)«, S. 263-295; »»Ta- felaufsatz des Dritten Reiches«

(1934-1936)«, S. 296-326; »>Eine Art Großvater der Kirchen< (1937-1939)«, S. 327-362; »Der Husar u n d der Hasar- deur (1939-1944)«, S. 363-399; »Das En- de (1945)«, S. 400-415.

Die detaillierte Darstellung ist ein eindrucksvoller Beleg für die Denk- und Verhaltensweise eines »in der Wolle ge- färbten« Preußen, darüber hinaus f ü r das P r e u ß e n t u m schlechthin. Das be- deutet, daß das Handeln Mackensens orientiert war am Thron- u n d Altarbe- griff bzw. an einer christlich-konserva- tiven Staatsanschauung, der demokra- tische Grundsätze suspekt waren, über- dies an der außergewöhnlichen Rolle, die das Militär in Staat und Gesellschaft Preußens u n d seit 1871 des Reiches spielte, weil es sich als »Gralswächter der Nation« betrachtete, dies zumal des- halb, da das 1871 geschaffene Reich das Ergebnis von drei Kriegen war. Dem- entsprechend äußerte Mackensen bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914:

»Deutschland über alles! Aber über uns allen der große Gott da oben!... der nicht d u l d e n wird, d a ß unser v o n ihm 1870/71 so herrlich geeintes deutsches Vaterland schon nach 44 Jahren zer- schmettert wird durch Neid und Haß«

(S. 93). Überaus deutlich wird Macken- sens Bewußtseinslage im Verlauf des Er- sten Weltkriegs, als er angesichts der sich verschlechternden militärischen La- ge Deutschlands aius der Preußenmy- thologie schöpfend auf den »großen Al- liierten« setzte, »der Friedrich den Großen über [seine] Feinde ringsum ha- be siegen lassen u n d auch diesmal

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Deutschland den Sieg schenken werde«

(S. 135). Als das Reich den Krieg den- noch verlor, gehörte er zu den eifrigen Verfechtern der Dolchstoßlegende.

»Nicht die Truppen der Entente haben uns besiegt«, konstatierte er 1919, »son- dern Deutschlands ärgster Feind, das ei- gene Volk in seiner Eigenart hat den Zu- sammenbruch herbeigeführt. Und jetzt wütet dieses Volk in den großen Städ- ten weiter gegen deutsches Fleisch und Blut [...] und zieht alles Erhabene und Hervorragende in den schmutzigen Brei der Masse. Der preußische Militarismus erzog, die sozialdemokratische >Freiheit<

verdirbt das Volk [...] Meine ganze Be- rufsarbeit hat dem Vaterland nichts genützt [...] meine Truppen haben ver- geblich geblutet und gesiegt [...] Ist denn niemand im Vaterland Bismarcks und Luthers, der auf die Schanze springt und zur Sammlung um die Fahne Deutsch- lands ruft?« (S. 172 f.). Es versteht sich beinahe von selbst, daß ein Mann der- artigen Zuschnitts nach 1933 nicht gleichgeschaltet werden mußte, er viel- mehr in Hitler den Erfüller seiner Sehn- süchte sah und daher zu seinem Erfül- lungsgehilfen wurde, wiewohl er nicht seinen ungetrübten Beifall fand.

Schwarzmüller legt mit seiner gründ- lich recherchierten Arbeit eine kritische Studie zur preußisch-deutschen Ge- schichte von 1849 bis 1945 vor, die auf den Seiten 416-428 bilanziert wird.

Konrad Fuchs

Ludmila Thomas, Streben nach Weltmachtpositionen. Rußlands Handelsflotte 1856 bis 1914, Ber- lin: Akademie Verlag 1995, 240 S. (= Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas, 32), DM 124,— [ISBN 3-05-002053-9]

Die Studie beschäftigt sich mit der Ent- wicklung der wichtigsten russischen Re-

edereien, insbesondere der ROPIT, der

»Freiwilligen Flotte«, der Gesellschaft Kaukasus und Merkur, der Schwarzmeer- Donau-Schiffahrtsgesellschaft sowie der Russisch-Ostasiatischen Schifffahrtsge- sellschaft. Besonders hervorzuheben ist, daß sich die Darstellung auf eine Fülle von Archivalien aus russischen und deutschen Archiven stützen kann, aller- dings hat das auch zur Folge, daß sie manchmal den Charakter des Aktenre- ferats annimmt. Es gelingt der Autorin, ein farbiges Bild der Subventionspolitik der russischen Regierung bzw. einzel- ner Ministerien zu entwerfen. Die Ziele und das Ausmaß dieser politischen Maßnahmen waren das Ergebnis stän- diger persönlicher und sachlicher Aus- einandersetzungen und Intrigen der handelnden Personen, wobei die Rolle des Großfürsten Michael von der Au- torin hervorgehoben wird. Im Vergleich zu den übrigen europäischen Nationen hielten sich die russischen Subventi- onszahlungen durchaus im Rahmen;

wie aus einer Aufstellung aus dem Jah- re 1909 hervorgeht (Tab. 6), aber die Au- torin zeigt an vielen Beispielen die man- gelnde Effizienz der Regierungsmaß- nahmen. Militärgeschichtlich interessant ist der russische Versuch, mit Hilfe der

»Freiwilligen Flotte« die Bestimmungen des Pariser Friedensvertrages von 1856 durch den Bau von Schiffen zu umge- hen, die gegebenenfalls als Hilfskreuzer zu verwenden waren. An einem kon- kreten Beispiel aus der Anfangsphase des russisch-japanischen Krieges ver- anschaulicht die Autorin die Ineffizienz auch beim Einsatz dieser Schiffe, wobei es zu diplomatischen Verwicklungen mit grotesken Zügen kam (S. 147 f.). So interessant diese und andere, ausführ- lich geschilderte Vorgänge auch sind, ein »Streben nach Weltmachtpositionen«

wird in ihnen nicht ohne weiteres sicht- bar und die Autorin unternimmt auch nicht den Versuch, ihre Aktenfunde un- ter dieser These einzuordnen und zu in-

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terpretieren. Der Titel des Bandes ist tatsächlich irreführend. Besonders deut- lich wird dies in dem 40seitigen Kapitel zu den russischen Bemühungen, sich an dem lukrativen Geschäft der Auswan- derung nach Amerika zu beteiligen — Weltmachtpositionen sind hier nicht im Spiel.

Wilhelm Deist

Justus Scheitert, Strategie und Taktik. Hrsg. von Horst Schei- bert, Wyk auf Föhr: Verlag für Amerikanistik 1995, 123 S., DM 38 — [ISBN 3-89510-034-X]

Der dritte Band des von seinem Enkel, Brigadegeneral a.D. Horst Scheibert, herausgegebenen militärischen Schrift- tums von Justus Scheibert über den nord- amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 liegt nun unter der Überschrift

»Strategie und Taktik« vor (vgl. Be- sprechung der Bände 1 und 2 in MGM 54 (1995), S. 254-256). Der militärhisto- rische Wert von »Justus Scheibert's US- Bürgerkrieg«, wie die Buchserie heißt, ist unbestritten. Auch die hier wieder- gegebenen strategischen und taktischen Überlegungen des Kriegsbeobachters und Militärschriftstellers zur »Charak- teristik des Nordamerikanischen Se- zessionskrieges«, wie der Autor einen der sieben abgedruckten Beiträge ge- nannt hat, vermag er sowohl für Fach- historiker als auch für den interessier- ten Laien spannend zu vermitteln.

Die unterschiedlich langen Artikel stammen alle aus der Zeit des Bürger- krieges der USA bzw. dürften unmit- telbar danach angefertigt worden sein.

Den Krieg hatte der Autor selbst als Be- obachter miterleben können. Seine Sym- pathien für die konföderierten Militärs vermag er auch in diesen Schriften nicht zu verheimlichen. Einige der behan- delten Themen lassen sich an den ge-

wählten Überschriften ablesen, wie

»Aus dem Soldatenleben der ehemali- gen konföderierten Armee«, »Reiter- skizzen aus dem Amerikanischen Bür- gerkriege« oder »General J.E.B. Stuart's letzter großer Raid«.

In seinen Aufsätzen verbindet Schei- bert eigene Beobachtungen sowie aus Dokumentenstudien und Zeitzeugen- befragungen resultierende Schilderun- gen mit praktischen Beschreibungen, temperamentvollen Darlegungen von Schlachten sowie von Szenen aus dem alltäglichen Leben aus den Feldlagern.

Er wertete auch schriftliche Aufzeich- nungen von Teilnehmern (nicht nur von führenden Offizieren) des Bürgerkrie- ges aus und nutzte diese für seine ei- genen Arbeiten.

Illustriert ist dieser Band wiederum mit zum Teil kaum bekannten histori- schen Fotos. Leider wird über deren Herkunft ebensowenig informiert wie über die hier wiedergegebenen Beiträ- ge. Dies ist besonders bedauerlich, weil auch versäumt wurde, diesem abschlie- ßenden Band der Scheibertschen Bür- gerkriegs-Schriften eine kurze Ein- führung ins Gesamtwerk und zu dem vorliegenden voranzustellen. Denn Ver- lag und Herausgeber können nicht da- von ausgehen, daß dem Leser alle drei Bände gleichermaßen bekannt sind oder gemeinsam in die Hände fallen, zumal sie zu unterschiedlichen Zeiten auf dem Büchermarkt erschienen.

Dieser editorische Lapsus ist gera- de bei einem für seine soliden Publika- tionen bekannten Verlagshaus bedau- erlich. Die angehängte kurze Lebens- skizze von Justus Scheibert vermag dies auch nicht wettzumachen.

Dem insgesamt doch zu würdigen- den Verdienst der zusammengefaßten Herausgabe der militärischen Schriften über den nordamerikanischen Bürger- krieg von Justus Scheibert tut dies Mo- nitum allerdings keinen Abbruch.

Ulrich van der Heyden

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Kriegsgedenken in Freiburg. Trau- er — Kult — Verdrängung. Von Christian Geinitz, Volker Ilgen, Ute Scherb, Holger Skor und Andreas Weber, Freiburg: Haug 1995, 238 S. (= Alltag und Pro- vinz, 6),'DM 24,80 [ISBN 3- 928276-06-9]

Das Ziel öffentlichen Gedenkens an die Opfer von Kriegen sei in den vergan- genen 125 Jahren häufig gewesen, gei- stig für den nächsten Krieg aufzurüsten.

Demgegenüber sehen die Herausgeber im Editorial »das Erinnern wider den Krieg [als] die einzige Legitimation, die öffentliche Gedenkrituale noch haben können« (S. 11). In sechs wissenschaft- lichen Aufsätzen wird das Fallbeispiel Freiburg i. Br. beleuchtet und dabei die keineswegs neue Erkenntnis vermittelt, daß »öffentlich zelebrierter Erinnerung«

stets eine »politische Dimension« inne- wohnt (S. 9). Ute Scherb gibt in ihrem Beitrag zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Kriegerdenkmal- wesens in Deutschland und behandelt im Schwerpunkt das Freiburger Sie- gesdenkmal, das Gefallenendenkmal auf dem Hauptfriedhof und jenes am Waldsee. Formulierungen wie »Welt- krieg, der von der eben überwundenen Monarchie angezettelt worden war«

(S. 16) zeigen, in welche Richtung oft- mals argumentiert wird.

Andreas Weber befaßt sich mit dem Kriegsgedenken nach dem Krieg von 1870/71 und rückt neben dem 18. Ja- nuar (Reichsgründungstag) und dem 2. September (Sedanstag) noch den 17. Januar (Belforttag) in den Mittel- punkt seiner Betrachtung, wobei letz- terer die Gelegenheit bot, der Waffen- tat der badischen Soldaten unter dem preußischen General v. Werder zu ge- denken. Auch wenn der Autor zum Er- gebnis kommt, daß seit den 1890er Jah- ren das Interesse der Bevölkerung an den Feiern kräftig nachließ und in »Frei-

burg keine kriegslüsterne, aggressiv- chauvinistische Stimmung herrschte«, meint er, die Feiern als geistige und mo- ralische Kriegsvorbereitungen stigma- tisieren zu'müssen.

Freiburg als Ziel französischer Bom- benangriffe im Ersten Weltkrieg ist das Thema von Christian Geinitz. Er weist nach, daß diese Angriffe essentiell in die Lebenswelt Freiburgs eingriffen. Wenn das heute kaum noch bekannt ist, so sind die Gründe nicht nur die ausster- benden Zeitzeugen und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, wie er zu Recht angibt, sondern auch die politischen Wirkungen des Zeitgeistes. Immerhin war das Oberrheingebiet in Deutschland am schwersten vom Bombenkrieg be- troffen; allein Freiburg hatte 4 Prozent der Menschenverluste und 10 Prozent der Sachschäden zu ertragen. In einem ausgewogenen Beitrag erfährt man von einigen größeren Angriffen, der Frage der völkerrechtlichen Auslegung, den deutschen Schutzmaßnahmen, denen am 21. August 1915 beinahe der von ei- ner deutschen Flak unter Beschüß ge- nommene Flugzeugführer Göring zum Opfer gefallen wäre sowie den Reak- tionen von Stadtverwaltung und Be- völkerung auf diese neue Art der Krieg- führung, die umfassender war, als in der Epoche der Kabinettskriege.

Volker Ilgen wendet sich dem »Krieg in Straßennamen« zu, den er am soge- nannten Freiburger »Heldenviertel« in der Unterwiehre festmacht. Freiburg hat mit Offenburg gemeinsam, daß es hier geschlossene Ensembles gibt, in denen Straßen nach Schlachtorten oder Helden des Ersten Weltkrieges benannt sind; die Freiburger Namen gehen dabei auf ei- ne Initiative von Wilhelm Kotzde-Kot- tenrodt zurück. Breiten Raum nehmen eine Erörterung des Gefechts von Lan- gemarck am 10. November 1914 und der Langemarck-Mythos ein. Der Autor schildert eindringlich, wie das Kriegs- gedenken an den Ersten Weltkrieg für

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die Zwecke des Nationalsozialismus in- strumentalisiert wurde. Dabei konnte Hitler als Gefreiter die große Zahl der unbekannten Soldaten ebenso* verein- nahmen wie Göring die Jagdflieger. Ob man Ernst Jünger mit der Formel von

»einem emotionslosen Techniker des Tötens« (S. 155) zutreffend charakteri- siert, soll dahingestellt bleiben; die Jagd- flieger aber als »präfaschistische Her- renmenschen« (S. 157^ zu kennzeichnen schießt über das Ziel hinaus.

In welch perfider Weise Hitler das deutsch-französische Frontkämpfer- treffen von 1937 für seine Zwecke mißbrauchte, belegt Holger Skor, bevor Andreas Weber im letzten Beitrag das Ge- denken an den britischen Nachtangriff vom 27. November 1944 aufarbeitet, bei dem fast 2500 Menschen den Tod fan- den.

Insgesamt ein sehr facettenreiches und informatives Werk, das durchaus wert ist, gelesen zu werden, auch wenn man mit mancher ideologiebehafteten Formel nicht übereinstimmt. Ein Regi- ster hätte den Gebrauchswert des mit 68 Illustrationen reich bebilderten Sam- melbandes noch erhöht.

Karl-Heinz Lutz

Jörg Kastl, Am straffen Zügel. Bis- marcks Botschafter in Rußland, 1871-1892, München: Olzog 1994, 240 S„ DM 59,— [ISBN 3- 7892-8230-8]

Karl-Alexander Hampe, Das Aus- wärtige Amt in der Ära Bis- marck. Mit einem Vorw. von Klaus Hildebrand, Bonn: Bouvier 1995, 256 S„ DM 52,— [ISBN 3-416- 02558-X]

Die deutsche Geschichte des 19. Jahr- hunderts und besonders die Ära Bis- marcks ist derzeit nicht gerade en vogue.

Dies bestätigen die Widerstände gegen die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Fried- richsruh ebenso wie die Schwerpunkte der Wissenschaftsförderung. Vor allem für die Erforschung der Außenpolitik Bismarcks gelten alle Tatsachen als bekannt, alle Probleme als beleuchtet und alle Quellen als ausgeschöpft. Un- ser Wissen stützt sich aber größtenteils auf die ältere Literatur, deren Gewich- tungen und Interpretationen offenbar so sehr zum Allgemeingut geworden sind, daß sie lieber übernommen als überprüft werden. Dabei haben erst in jüngster Zeit die Studien Ulrich Lap- penküpers, Axel Riehls und Christoph Studts sowie die anregenden Aufsätze von James Stone in dieser Zeitschrift die Möglichkeiten einer modernen Analy- se des alten und neuen Quellenmate- rials bewiesen. Diese Beispiele sollten Mut machen, sich nicht von. Vorurteilen abschrecken zu lassen und das Kapitel

»Außenpolitik der Bismarck-Zeit in neuer Sicht« fortzuschreiben.

Die beiden hier vorgestellten Bü- cher beschäftigen sich mit einem be- sonders interessanten Bereich dieses Forschungsfeldes, dem Auswärtigen Dienst unter der Leitung Bismarcks.

Auch hier gilt: Viele Einzelheiten sind bekannt, doch sowohl zur Organisati- on der Außenpolitik als auch zum Ver- hältnis Bismarcks zu seinen Diploma- ten fehlen bisher systematische Unter- suchungen. Jörg Kastl und Karl-Alex- ander Hampe, die als pensionierte Diplomaten ein besonderes Verständ- nis für den Gegenstand ihrer For- schungen mitbringen, bieten Vorarbei- ten und geben Anstöße hierzu.

Die Arbeit Kastls lenkt den Blick auf die beiden Botschafter Bismarcks in St. Petersburg, Prinz Heinrich VII. zu Reuß (1871-1876) und Hans Lothar von Schweinitz (1876-1892). Während das Bild des Prinzen Reuß blaß bleibt (hier bringt vielleicht eine Auswertung des wiederentdeckten Reuß-Nachlasses

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mehr Erkenntnisse), gelingt dem Autor bei Schweinitz das aufschlußreiche Por- trät eines Diplomaten, der trotz guter Beobachtungsgabe und Einsicht in die sich verschlechternden Beziehungen zu St. Petersburg dem bedingungslosen Führungswillen Bismarcks und damit einer bereits in dieser Zeit sprunghaf- ten, teilweise ungenügenden Rußland- politik wenig entgegenzusetzen hatte.

Es ist bedauerlich, daß der Autor das Problem der Bismarckschen Personal- führung am Beispiel eines seiner wich- tigsten Untergebenen nicht tiefer aus- lotet. Das seitenlange Referieren altbe- kannter Tatsachen der politischen Ent- wicklung hätte getrost dafür geopfert werden können. Das sehr gut lesbare, wenn auch manchmal etwas salopp for- mulierte Buch zeigt vor allem, wie in- teressant es wäre, das Verhältnis Bis- marcks zu seinen außenpolitischen Bera- tern insgesamt zu untersuchen und zu klären, ob hier nicht eine über 1890 hin- ausreichende Strukturschwäche der deutschen Außenpolitik begründet liegt.

Während Kastl auf breiter Quellen- basis und gutem Niveau eher einen breiteren Leserkreis anspricht, ist die Bonner Dissertation Hampes auch dem Spezialisten von großem Nutzen. Weil die Mammutleistung einer Organisati- onsgeschichte des deutschen Auswär- tigen Dienstes noch nicht erbracht wur- de, war man bisher darauf angewiesen, sich die organisatorischen Grundlagen der Außenpolitik aus verstreuten In- formationen zu erschließen. Nun liegt wenigstens für die Ära Bismarck ein guter Überblick über die innere Struk- tur des Auswärtigen Dienstes vor. Die Benutzer diplomatischer Akten dieser Zeit können Hampe für die Einführung in Aufbau, Geschäftsgang und Perso- nal des Hauses in der Wilhelmstraße dankbar sein. Dieses Verdienst wird auch dadurch nicht geschmälert, daß der strukturelle Teil insgesamt doch zu

knapp ausgefallen ist und die zweite Hälfte des Buches, in der die Wir- kungsmöglichkeiten der Diplomaten unter Bismarck an einigen bekannten Beispielen (Arnim, Radowitz, Holstein u.a.) illustriert werden, kaum Neues bringt. Die zusammenfassende Dar- stellung einiger >Highlights< ist solide Geschichtserzählung, kann aber an dem bei Kastl deutlich gewordenen Deside- rat einer eingehenden Untersuchung des komplizierten Wechselspiels zwi- schen Bismarck und seinen außenpoli- tischen Beratern nichts ändern. Viel- leicht hätte Hampe statt dessen noch mehr von seiner profunden Kenntnis der Personal- und Verwaltungsakten des Auswärtigen Amts vermitteln und sich stärker auf die Behördengeschich- te konzentrieren sollen. Durch einen Ausbau des ersten Teils sowie den An- hang von Statistiken, Organisations- plänen und Personallisten wäre seine Arbeit zu einem Handbuch des Aus- wärtigen Dienstes der Bismarck-Zeit ge- worden. So bleibt auch das verdienst- volle Buch Hampes ein Anreiz, weiter- führenden Fragestellungen nachzuge- hen.

Johannes Hürter

Mark Russell Shulman, Navalism and the Emergence of American Sea Power, 1882-1893, Annapo- lis, MD: Naval Institute Press 1995, X, 239 S., $ 39.95 [ISBN 1- 55750-766-X]

Der amerikanische Schlachtflottenbau vor 1918 ist von der Forschung bisher stiefmütterlich behandelt worden.

Nicht nur, daß es nur wenige übergrei- fende Untersuchungen gibt und die vorhandenen Arbeiten im Hinblick auf Themenstellung, analytische Schärfe und Quellenverarbeitung gegenüber den Arbeiten etwa zur wilhelminischen

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Marinepolitik stark abfallen, sondern der amerikanische Schlachtflottenbau ist auch von der internationalen For- schung über den Marinerüstungswett- lauf vor 1918 kaum angemessen berücksichtigt worden. Dies gilt insbe- sondere für die deutsche Literatur (mit der Ausnahme der bahnbrechenden Arbeiten von Ragnhild Fiebig-von Ha- se u n d neuerdings von Ute Mehnert), die immer noch dazu neigt, diesen Wettlauf auf das deutsch-englische Wettrüsten zu reduzieren und ihn mit den deutschen Flottengesetzen von 1898 u n d 1900 beginnen zu lassen.

Tatsächlich betrieben die USA eine Flot- tenrüstung in einem mit der des kai- serlichen Deutschlands vergleichbaren Umfang und besaßen in den zwölf Jah- ren vor 1918 eine der drei mächtigsten Schlachtflotten der Welt. Der 1890 ein- setzende amerikanische Schlachtflot- tenbau war ein integraler Bestandteil des allgemeinen Siegeszuges navalisti- scher Seemachtideologien u n d ent- sprechender Rüstungsprogramme. Er vollzog sich in enger Wechselwirkung mit der maritimen Aufrüstung in Eu- ropa und in Ostasien. Kurzum, es war kein Zufall, daß der Papst des neuen Navalismus, Alfred Thayer Mahan, ein amerikanischer Marineoffizier war.

Angesichts dieser Tatbestände wird man Mark Russell Shulmans Buch über den Beginn des amerikanischen Schlachtflottenbaus uneingeschränkt be- grüßen müssen. Shulman liefert eine umfassende Analyse der Genese und des Triumphs des navalistischen Schlacht- flottenkonzepts in den USA zwischen 1882 und 1893. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der amerikanischen Marinerüstungspolitik im Zeitalter des Imperialismus. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Ana- lyse der Entscheidungen auf der Ebene der »Hohen Politik«, sondern räumt auch der Propagierung des Navalismus in der Öffentlichkeit, den sich wandeln-

den Weltbildern der Marineoffiziere so- wie den Veränderungen innerhalb der Marine breiten Platz ein. So dokumen- tiert etwa das erste Kapitel die navali- stische Reinterpretation des Krieges von 1812 durch eine kleine Gruppe von Hi- storikern in den 1880er Jahren, die dem Navalismus als Geschichtsphilosophie und dem Schlachtflottenkonzept als see- militärischer Doktrin verpflichtet waren.

Der erweiterte Blickwinkel Shulmans ist besonders deutlich in den beiden Kapi- teln, die sich mit dem sich verändernden Pazifikbild amerikanischer Marineoffi- ziere beschäftigen. Shulman zeigt hier, wie eine ältere Generation von Offizie- ren den Pazifik »as a place of physical challenge« begriff, »where native peo- ples controlled their own destinies and where commerce was best based upon exporting fine goods to the United Sta- tes« (S. 4), während eine jüngere nava- listische Generation den Pazifik nicht mehr als einen solchen Ort der Gefahr betrachtete, den »native peoples« nur mehr eine passive Rolle zuwies und statt dessen den Pazifik primär als einen stra- tegischen Raum für eine offensive Ma- rinestrategie und als Rollbahn ökono- mischer Expansion ansah.

Insgesamt arbeitet Shulman die zen- trale Bedeutung einer zunächst recht kleinen Gruppe von Navalisten in Zi- vil u n d Uniform heraus, die in den 1880er Jahren eine neue militär- u n d außenpolitische Agenda im Zeichen ei- ner neuartigen Seemachtideologie zu formulieren begannen. Sodann hebt er hervor, daß die Entstehung und Aus- formung der neuen navalistischen Stra- tegie von der Interaktion dieser Nava- listen mit der allgemeinen Öffentlich- keit sowie der Struktur des eigentlichen politischen Prozesses, der >Politics<, be- stimmt worden seien. Dies gelte insbe- sondere für die Schattenseite dieses Konzepts, d.h. die übermäßige Fixie- rung auf Schlachtschiffe zu Lasten des Baus einer ausgewogeneren Flotte, für

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deren Entstehung Shulman insbeson- dere die verhängnisvolle Wirkungs- macht jener allgemeinen »culture of bigness« verantwortlich macht, die die amerikanische Gesellschaft geprägt und die Marginalisierung kleinerer Schiffe unabwendbar gemacht habe.

Der Wert von Shulmans an und für sich verdienstvoller Arbeit wird durch eine Reihe von Schwächen erheblich geschmälert. Die Interaktion zwischen politischen und intellektuellen Eliten einerseits, der breiteren Öffentlichkeit andererseits wird zwar postuliert, aber kaum im einzelnen nachgewiesen. So beschränkt sich Shulman vor allem darauf, die geschickte Benutzung der Öffentlichkeit und ihrer verschiedenen Medien durch die Marineoffiziere so- wie einige der Auseinandersetzungen zwischen Navalisten und skeptischen Kongreßabgeordneten nachzuzeich- nen. Auch die Bedeutung der »culture of bigness« wird mehr festgestellt als eng an den Quellen nachgewiesen, und die Konzentration auf Schlachtschiffe, ein internationales Phänomen, bedarf sicherlich keiner auf die Besonderheit der amerikanischen Kultur rekurrie- renden Erklärung. Sodartn ist nicht zu übersehen, daß Shulman dazu tendiert, Begriffe wie Modernisierung und Pro- fessionalisierung in seiner Analyse der Veränderungen im Denken und Han- deln der Marineoffiziere unkritisch zu verwenden und es dabei versäumt, ei- ne systematischere Analyse vorzule- gen und diese Begriffe genau zu be- stimmen. Angesichts der zentralen Be- deutung, die Shulman dem Einfluß von »Politics« auf die Durchsetzung ei- ner navalistischen Marinepolitik bei- mißt, ist es zudem irritierend, daß er nicht untersucht, wie die Marineoffi- ziere in den USA im Namen von Wis- senschaft und Sachverstand ihren Na- valismus mit weitreichenden Herr- schaftsansprüchen verbanden. Diese Ansprüche enthielten die Konturen ei-

ner neuen Herrschaftsordnung auf pro- fessionell-bürokratischer und indu- strieller Grundlage, die dem bestehen- den »state of courts and parties« dia- metral entgegenstand und damit zu- gleich die politischen Agenden der Progressive State-Builders widerspiegel- te. Das Ausblenden dieses für den ame- rikanischen Schlachtflottenbau zentra-\ len Aspekts entspricht der Beschrän- kung auf Fragen der Marinestrategie, die Shulmans Buch kennzeichnet, und die sich auch darin niederschlägt, daß die außenpolitische Dimension des Na- valismus trotz der Kapitel über die Sichtweise des Pazifik eher blaß bleibt und genaue Analysen der neuen außen- politischen Positionsbestimmung feh- len.

Trägt die Arbeit zu einem neuen Ver- ständnis des internationalen Marine- wettrüstens vor 1918 bei oder wirft sie gar ein neues Licht auf den wilhelmini- schen Schlachtflottenbau? Die Antwort muß leider überwiegend negativ aus- fallen bzw. offenbleiben. Eine verglei- chende Sichtweise ist Shulmans Sache nicht, und der internationale Kontext bleibt bis auf gelegentliche allgemeine und zum Teil irreführende Verweise (vgl. etwa Seite 116) bestenfalls sche- menhaft. Insoweit wird der an solchen Fragen interessierte Leser das Buch mit Enttäuschung aus der Hand legen.

Dirk Bönker

Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Hrsg. von Richard G. Plaschka [u.a.], Wien: Verlag der Öster- reichischen Akademie der Wis- senschaften 1995, XXVII, 390 S.

(= Zentraleuropa-Studien, 1), DM 118,— [ISBN 3-7001-2138-5]

Der vorliegende Sammelband faßt die Beiträge einer multinationalen Tagung

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zusammen, die vom 19. bis 21. No- vember 1991 in Wien stattgefunden und

— im interdisziplinären Zugriff — den Themenkomplex »Mitteleuropa« be- handelt hat. Die Diskussion, an der Wis- senschaftler aus Österreich, der Bun- desrepublik Deutschland, aus Italien, Kroatien, Polen, der Schweiz, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn teilgenommen haben, glie- dert sich in fünf Themengruppen, die auch die Hauptkapitel des Sammel- bandes bezeichnen: Zunächst beschrei- ben Wolfgang }. Mommsen (Düsseldorf), Jifi Kofalka (Prag), Andrej Mitrovic (Bel- grad) und Istvän Dioszegi (Budapest) je- ne Mitteleuropapläne und ihre Reso- nanz, die vom Deutschen Reich zwi- schen 1900 und 1918 ausgingen. Sodann referieren Istvän Dioszegi (Budapest), Va- silij Melik (Laibach), Helmut Slapnicka (Linz), Läszlo Szarka und Zoltän Szäsz (Budapest), Peter Broucek (Wien), Hel- mut Rumpier (Klagenfurt) sowie Feier Hanäk (Budapest) die Reichsreformplä- ne Österreich-Ungarns desselben Zeit- raumes. Im dritten Kapitel geben Jan Kren (Prag), Dusan Koväc (Preßburg), Arnold Suppan (Wien), Lorant Tilkovszky (Pees), György Litvän (Budapest), Hans Lemberg (Marburg) und Francesco Leon- cini (Venedig) einen Überblick über po- litische Mitteleuropapläne von 1918 bis 1938, während im vierten Abschnitt Herbert Matis (Wien), Vlastislav Lacina (Prag), Mira Kolar-Dimitrijevic (Agram), Werner G. Zimmermann (Zürich) und Pe- ter Krüger (Marburg) die wirtschaftli- chen Konzepte dieser Zeitspanne vor- stellen. Schließlich untersuchen Jörg K.

Hoensch (Saarbrücken), Jaroslav Valenta (Prag), Marian Zgomiäk (Krakau), Vaclav Kural (Prag), Helmut Konrad (Graz) und György Gyarmati (Budapest) die Verän- derungen der Mitteleuropapläne zwi- schen 1938 und 1948.

Alle Beiträge sind in die aktuelle Diskussion der europäischen Integrati- on eingebettet, die sich gegenwärtig vor

unseren Augen vollzieht und seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes durch die Anbindung der Staaten Ostmitteleuro- pas ergänzt wird. Mit der historischen Rückbesinnung — der Analyse fehler- hafter Entwicklungen, vertaner Chan- cen, aber auch bereits vorhandener An- sätze und Perspektiven — trägt die ge- genwärtige Diskussion um »Mitteleu- ropa« der Vielgestaltigkeit und Dynamik bei der Gestaltung der europäischen Ar- chitektur in der Gegenwart deutlich Rechnung. Dabei ist der Begriff »Mittel- europa« — wie Horst Haselsteiner (Graz) in seinem die Einzelbeiträge inhaltlich verklammernden Teil der Einleitung de- finierend herausarbeitet — durchaus

»oszillierend« geblieben. Einerseits weist der zentral- oder mitteleuropäi- sche Raum keine feste und selbstver- ständliche Grenze auf — weshalb eine genaue historisch-territoriale Abgren- zung »Mitteleuropas« eigentlich un- möglich wird. Zum anderen tritt die po- litische Ambivalenz des Begriffs bei ei- nem Blick in die Geschichte deutlich hervor. Eingebettet in das theoretische Problem des Föderalismus — als staats- und völkerrechtliches Gestaltungsprin- zip — spannt sich der Boden der Mit- teleuropakonzeptionen vom Modell ei- nes Föderalismus gleichberechtigter und emanzipierter Partner — mit inne- rer Balancefunktion durch Interessen- ausgleich und Kooperation — bis hin zu Mitteleuropaplänen, die der Prä- ponderanz des jeweils stärksten Part- ners den Weg geebnet hätten. Für letz- tere Kategorie standen die deutschen Mitteleuropapläne (1900 bis 1918) bei- spielhaft, die auf Friedrich List und Constantin Frantz zurückgingen und schließlich im Ersten Weltkrieg in den Vorstellungen Friedrich Naumanns (1915) kulminierten. Sie bildeten — bei aller Vieldeutigkeit in der Regel den Versuch, die »Ausdehnung deutschna- tionaler Herrschafts- oder doch zumin- dest Vorherrschaftsansprüche auch auf

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fremdnationale Territorien in Südost- und Ostmitteleuropa« zu legitimieren (Wolfgang J. Mommsen, S. 4). Die Mit- teleuropapläne Österreich-Ungarns da- gegen folgten dem Ansatz, über eine Föderalisierung der Monarchie den in- nenpolitischen Desintegrationstenden- zen entgegenzuwirken, die aus der un- gelösten Nationalitätenfrage resultier- ten. Doch diese Konzepte konnten sich bei der Diskussion einer Reichsreform nicht durchsetzen; hier dominierten Be- harrungsstreben und zentralis tische Po- sitionen. Schließlich wurde die mittel- europäische Perspektive im Verlauf des Ersten Weltkrieges völlig aus den Au- gen verloren, die Vision eines Mitteleu- ropas unter deutscher Führung fand in Wien 1917/18 keine Unterstützung mehr. Nach 1918 stand die Diskussion von Mitteleuropakonzepten auf der Grundlage einer in Richtung national- staatlicher Norm veränderten europäi- schen Ausgangslage. Die Debatte flau- te sichtbar ab. Im Rahmen der natio- nalsozialistischen Neuordnungspläne pervertierte sie schließlich zum Vehikel einer brutalen Expansions- und Ver- nichtungspolitik, die mit einem koope- rativen Föderalismus nichts mehr ge- mein hatte.

Indem der Sammelband den histo- rischen Linien der Mitteleuropadiskus- sion kritisch nachgeht, leistet er einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen europapolitischen Standortbestimmung.

Er wendet sich daher nicht nur an ei- nen historisch interessierten Leserkreis, sondern auch an Politiker und Journa- listen. Die Einzelbeiträge werden durch Personen- und Ortsregister komplet- tiert, in denen — allerdings ohne nähe- re Angaben — eine textliche Zuord- nung der einzelnen Namen erfolgt.

Jürgen Angelow

Kann man aus Kriegen lernen? Zur Bedeutung von Kriegen im 20. Jahrhundert. Europäisches Gespräch zu den Ruhrfestspielen 1994. Hrsg. von Bernd Faulen- bach und Franz-Josef Jelich, Es- sen: Klartext 1995,144 S. (= Ge- schichte und Erwachsenenbil- dung, 3), DM 19,80 [ISBN 3- 88474-261-2]

Dem durch Kriege erzwungenen Lern- prozessen waren die »Europäischen Ge- spräche« im Rahmen der Ruhrfestspie- le 1994 gewidmet. In dem daraus ent- standenen Sammelband stellt einleitend der Soziologe Karl Otto Hondrich Über- legungen zu den Grenzen des Lernens an: Die Balance zwischen prinzipieller Friedensliebe und notfalls gewaltsamer Selbstbehauptung sei nicht endgültig

»lembar« sondern situationsabhängig.

Dieses Problem vermag auch eine in- ternationale Schiedsgerichtsbarkeit nicht grundsätzlich zu lösen. Umsonst, so seine ernüchternde Bilanz, wird der Frieden auch in Zukunft nicht zu haben sein.

Die erste Diskussionsrunde behan- delte die Grundsatzfrage der Friedens- erziehung: sind Kriege in der Natur des Menschen angelegt? Der Militär- und Friedensforscher Wolfram Wette bestritt dies energisch und verwies auch auf die verhängnisvolle Instrumentalisierbar- keit dieses Denkens. Die Bündnis 90/

Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer er- gänzte, daß die Gewaltbereitschaft nicht in den Genen, wohl aber im Zusam- menleben der Menschen verwurzelt sei.

Früher wurde sie durch die Religion ge- zähmt, später im innerstaatlichen Leben zurückgedrängt. Das Ende des Kalten Krieges machte nunmehr neue Formen zwischens taatlicher Konflikteindäm- mung notwendig. DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel beklagte die Fixierung auf militärische Lösungsstrategien und der Theologieprofessor Hans-Eckehard

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Bahr plädierte für eine Intensivierung der Jugendfriedensdienste. Hondrich forderte von den Intellektuellen, gegen ein Denken Stellung zu beziehen, das ein gutes Ziel mit Gewalt durchzuset- zen für notwendig oder gerechtfertigt hält.

In der zweiten Diskussionsrunde wurde der Zusammenhang zwischen Kriegserfahrung und nationaler Iden- tität diskutiert. Generalisierungen sind wegen der Mannigfaltigkeit nationaler Erfahrungen kaum möglich. Der in den USA lehrende Historiker Konrad Jar- ausch beschrieb das vom Unabhängig- keitskrieg bis zu den Weltkriegen posi- tive Verhältnis der USA zu Kriegen, die tatsächlich oder vermeintlich einer

»guten Sache« dienten. Vietnam wurde hier zum erst durch den Golfkrieg über- wundenen Trauma. Wie die Publizistin Marina Pavlova-Silvanskaja erläuterte, bestand durch die Entstehungsge- schichte der UdSSR dort die Gleichung zwischen Krieg und Bürgerkrieg. Ihr Zu- sammenbruch stellt die doppelte Auf- gabe: die einstige ideologische Verkru- stung aufzubrechen und die UdSSR-Er- fahrungen in »russische« umzudeuten.

Für Polen dagegen bedeutete, darauf wies Waclaw Dfagoborski hin, der Zwei- te Weltkrieg eine doppelte Besatzungs- erfahrung und das nachwirkende Trau- ma, von den Westmächten 1939 und 1945 im Stich gelassen worden zu sein.

Die Haltung zu diesem Krieg wurde in Deutschland von der Niederlage her de- finiert, wie Gottfried Niedhart referierte.

Dadurch sah man sich als Opfer, ohne sich den von Deutschen begangenen Verbrechen zu stellen.

Die letzte Runde diskutierte die Aufgaben der Völkergemeinschaft, wo- bei von Norbert Gansei (SPD) über Poli- tikprofessor Luigi Vittorio Ferraris bis zum Journalisten Daniel Vernet Konsens darüber bestand, daß eine Polizeitrup- pe für die »Weltinnenpolitik« geschaf- fen werden solle, um ein Gewaltmono-

pol der UNO durchzusetzen. Alle wa- ren auch prinzipiell einig, daß die deut- sche Vergangenheit keine Ausrede für den »Rückzug in die Idylle pazifisti- scher Enthaltsamkeit« (Henryk M. Bro- der) sein dürfe. Allein Alfred Mechters- heimer verwies zu Recht darauf, daß die UNO oft das Instrument westlicher In- teressen sei und die langfristigen Kriegs- ursachen (ungerechte Weltwirtschafts- ordnung, Waffenexporte usw.) überse- hen würden. Auch die Leitbilder der fragwürdigen »Rückkehr zur Norma- lität« der Außenpolitik wurden von ihm abgelehnt.

Um diese Fragen kreiste auch das Abschlußreferat Erhard Epplers, der be- tonte, daß Militärs wie Pazifisten noch immer von der Bedrohung durch re- guläre Kriege ausgingen. Zu erwarten seien künftig jedoch Eruptionen von Gewalttätigkeit, die irgendwo zwischen kriminell, terroristisch und kriegerisch angesiedelt seien. Wenn darauf keine Antwort gefunden werde drohe, so Eppler, die Teilung der Welt in eine sta- bile und vom Westen dominierte Kern- zone sowie eine in anarchischer Ge- waltausübung versinkende Peripherie.

Die hier dokumentierten Gespräche reflektieren in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit die Vagheit der gegenwärtigen Situation nach dem Ende der Blockkonfrontation. Zugleich zeigen sie trotz aller Relativierungen doch einen Trend zur Reduktion inter- nationaler Spannungen auf militärische Machtfragen. Ob dies für das 21. Jahr- hundert ein angemessenes Denken ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Skep- sis erscheint angebracht.

Christoph fahr

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James Cavallie, Ludendorff und Kapp in Schweden. Aus dem Le- ben zweier Verlierer, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1995,396 S., DM 98,— [ISBN 3-631-47678-7]

Der Verfasser, Archivar in Stockholm, schildert Flucht und Aufenthalt von zwei politischen Flüchtlingen in Schwe- den. Der eine, General Erich Luden- dorff, hatte sich nach Ausbruch der deutschen Novemberrevolution am Jah- resende 1918 über Dänemark unter falschem Namen und unterstützt durch die finnische Gesandtschaft in Berlin nach Südschweden abgesetzt, um hier seine »Kriegserinnerungen« zur Selbst- rechtfertigung zu schreiben. Der andere, der ostpreußische Generallandschafts- direktor Wolfgang Kapp, war im März 1920 nach seinem gescheiterten Putsch- versuch gegen die Weimarer Republik per Flugzeug ins schwedische Asyl ge- flüchtet. Beide Personen waren der so- zial-liberalen, dann rein sozialdemo- kratischen Regierung in Stockholm an sich unerwünscht, konnten aber wegen des weitreichenden schwedischen Asyl- rechts weder ausgewiesen, noch — wie im Falle Kapps — an die deutschen Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert werden.

Im Zentrum der Untersuchung steht diese asylpolitische Problematik, die Schweden sowohl innen- wie außen- politisch in eine unangenehme Lage brachte: im einen Falle gegenüber den Ententemächten, bei Kapp gegenüber dem Deutschen Reich. Der Autor ver- sagt es sich freilich, die beiden Vorgän- ge im Vergleich abzuhandeln, sondern schaltet sie letztlich weitgehend unver- bunden hintereinander. Überhaupt do- miniert in der ganzen Untersuchung ein extremes Detailinteresse an den Um- ständen der Flucht und den privaten Verhältnissen beider Asylanten in Schweden. In geradezu detektivischer Feinarbeit wurden dazu alle nur denk-

baren Archive in Deutschland, Schwe- den und Finnland ausgewertet. Daraus entstehen dichte Schilderungen über beinahe jeden Schritt der beiden Flücht- linge. Da fehlt bei Ludendorff weder der Name des Pferdes, das sein Gepäck bei seiner Rückkehr aus Schweden zum Bahnhof zog, noch der Name des Bar- keepers, mit dem sich Kapp in Stock- holm zu unterhalten pflegte! Auf diese Weise erfährt man freilich auch eine Menge über das Netzwerk rechter Ver- bindungen, über die Ludendorff wie Kapp mit den deutschen Verhältnissen verknüpft blieben, wobei Fragen der fi- nanziellen Absicherung einen wesent- lichen Platz einnehmen. Insgesamt ist damit die schwedische Episode im Le- ben dieser beiden »Verlierer« erschöp- fend recherchiert, wenngleich die über- liefernswerten Details daraus auch mit weniger Aufwand und Umfang zu er- schließen gewesen wären.

Bruno Thoß

Tobias R. Philbin III, The Lure of Neptune. German-Soviet Naval Collaboration and Ambitions, 1919-1941, Columbia, South Ca- rolina: University of South Ca- rolina Press 1994, XXII, 192 S.

(= Studies in Maritime History),

$ 34,95 [ISBN 0-87249-992-8]

Tobias R. Philbins Studie beginnt mit ei- ner Einführung in die deutsch-sowjeti- schen Marinebeziehungen in der Ra- pallo-Ära zwischen 1920 und 1933, die sich gewissermaßen im Windschatten der damaligen Kooperation der beiden Heeresführungen vollzogen und für de- ren Charakterisierung der Autor die Ka- pitelüberschrift »Coexistence and In- terface« wählt. Dem schließt sich ein kurzer Abschnitt unter der Schlagzeile

»Competition« an, der die Jahre der po- litisch-ideologischen Konfrontation bei-

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der Länder zwischen 1933 und 1939 be- handelt. In die Endphase dieses Zeit- abschnitts fällt in beiden Staaten die im Zeichen der totalitären Diktatur erfolg- te Orientierung auf die Konzeption ei- ner hochseetauglichen Kriegsflotte aus Großkampfschiffen; eine seestrategische Option, die Philbin in Berlin wie in Moskau eng mit den persönlichen Prä- ferenzen der beiden Diktatoren ver- knüpft sieht (»Both Hitler and Stalin were obsessed by the battleship«, S. XIV). Auf Hitlers Z-Plan folgte Ende der dreißiger Jahre Stalins ehrgeiziges Bauprogramm für 15 Schlachtschiffe und die gleiche Anzahl von Schlacht- kreuzern. Die folgenden drei Kapitel, tituliert »The Naval Dimension of the Hitler-Stalin Pact«, »Basis Nord« und

»Cruiser >L<«, bilden den Schwerpunkt der Darstellung, dem ein abschließen- des Kapitel über »Submarines and Mer- chant Cruisers« folgt.

Grundsätzlich Neues kann die Ar- beit nicht bieten, zumal sie sich im we- sentlichen auf die Auswertung be- kannter deutscher Marineakten der amerikanischen >Pinched German< (PG) Serien, das Tagebuch der Seekriegslei- tung und die >Documents on German Foreign Policy< konzentriert. Philbins hauptsächliche Stütze auf dem Gebiet sowjetischer Marinehistorie ist Robert W. Herricks Studie >Soviet Naval Theo- ry and Policy< aus dem Jahre 1989. Da- neben benutzt er noch die Erinnerun- gen Admiral Kuznecovs und Valentin Bereskovs sowie einen 1990 im >Voen- no-istoriceskij-Zurnal< erschienenen Auf- satz über das >Geheimnis der Basis Nord<. So erfahren wir weder Neues über die marinetechnische Seite des deutsch- sowjetischen Wirtschaftsabkommens vom Februar 1940 im allgemeinen noch zum Kreuzer Lützow und seinem wei- teren Schicksal in den Docks von Le- ningrad im besonderen. Auch über die durch Deutschland reisenden sowjeti- schen Marinekommissionen und ihre

personelle Zusammensetzung ließe sich wesentlich mehr und Interessanteres sa- gen, als Philbin uns mitteilt.

Im Abschnitt über jene etwas ge- heimnisumwitterte >Basis Nord< der deutschen Kriegs- und Handelsmarine in den russischen Eismeergewässern zwischen Petsamo und Murmansk in den Monaten zwischen dem Kriegsbe- ginn 1939 und der Besetzung Norwe- gens im Frühjahr 1940 steckt zweifellos der größte Informationsgehalt der Stu- die. Hier hat der Autor wirklich alle ihm erreichbaren Quellen und Informationen ausgewertet und ein instruktives Bild je- ner Einrichtung geliefert, deren realer Nutzen für operative Zwecke schon auf- grund ihrer nur kurzzeitigen Aktualität in den für Hochseeoperationen ungün- stigen Herbst- und Wintermonaten des Halbjahres 1939/40 von sehr begrenzter Bedeutung war. »Nord was ultimately much more significant as a political sym- bol«, lautet das Fazit des Autors. »It was not a Subic Bay for the German Navy«

(S. 117). So ist das mit einer Reihe von Fotos und Übersichtskarten gut illu- strierte Buch durchaus lesenswert, bie- tet jedoch keine wesentliche Erweiterung unseres Kenntnisstandes in dieser Ma- terie. Störend wirken die zahlreichen Falschschreibungen vor allem deutscher Personennamen.

Manfred Zeidler

Philippe Masson, Die deutsche Armee. Geschichte der Wehr- macht 1935-1945. Vorw. und Anm. von J.A. Graf Kielmans- egg. Aus dem Franz. von August Graf Kageneck. Mit 17 Karten, München: Herbig 1996, 560 S., DM 68,— [ISBN 3-7766-1933-3]

Der Verlag und Johann Adolf Graf Kiel- mansegg, der ein Vorwort und einige Anmerkungen zur deutschen Ausgabe

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