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Das gilt für die Vergangenheit, aber auch für die Gegenwart, wo solche Vorgänge in moderner Zeit noch beobachtbar geblieben sind

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GESTALTENDE KRÄFTE ALTORIENTALISCHER GESCHICHTE

IN GEWANDELTER SICHT

von Siegfried Herrmann, Bochum

Das Thema dieses Vortrages' hat im Laufe der letzten Jahrzehnte innerhalb der

altorientalischen Forschung, aber auch über sie hinaus, ein ungewöhnliches Interesse

gefunden^. Der tiefere Gmnd dafür liegt unter anderem in einer durch den Gegen¬

stand herausgeforderten Verbindung historischer Probleme mit soziologischen und

wirtschaftsgeographischen Fragestellungen'. Denn die Bedingungen, unter denen

Stämme oder einzelne Menschengmppen aus Randzonen zivilisatorisch erschlosse¬

nen Lebens, aus Steppen und Wüsten, aus nomadischen Verhältnissen zu seßhafter

Lebensweise in dafür geeigneten Territorien übergehen, sind unterschiedhch und

ebenso von geographischen wie historischen Voraussetzungen mitbestimmt. Das

gilt für die Vergangenheit, aber auch für die Gegenwart, wo solche Vorgänge in

moderner Zeit noch beobachtbar geblieben sind. Besondere Fragen sind dabei die

generelle Vergleichbarkeit der jeweiligen Lebensverhältnisse zwischen Steppe und

Kulturland, die Beurteilung der die Bevölkemngsbewegungen auslösenden F^toren

und die Einschätzung ihrer Folgewirkungen bis hin zur Entfaltung selbständiger

Macht seitens der Zuwanderer ün Lande ihrer Seßhaftwerdung.

In klassischer Form stellt sich das Thema im Alten Testament. Deim der Über¬

gang des späteren Israel aus beweglich nomadischer Lebensweise zu festem Wohnen

1 Dem folgenden Text liegt das überarbeitete Manuskript eines öffentlichen Abendvortrages zugrunde, der am 4. Oktober 1977 im Rahmen des XX. Deutschen Orientalistentages in Erlangen gehalten wurde. Die hinzugefügten Anmerkungen belegen das Gesagte, können aber angesichts der Vielschichtigkeit der hier angesprochenen Fragen keinen vollständigen Eindruck der einschlägigen Sekundärliteratur vermitteln.

2 Arbeiten zu diesem Thema haben in einigen Sammelbänden ihren Niederschlag gefunden.

Hingewiesen sei auf den Kongreßband Dalla Tribü aUo Stato, Acc. Naz. dei Lincei CCCLIX, 54, Roma 1962, dort besonders auf den Beitrag von S. Moscati, Dalla tribii alle stato nel vicino Oriente antico, 55-65; Das Verhältnis von Bodenbauern und Viehzüchtern in histo¬

rischer Sicht, Deutsche Ak. d. Wiss. Berlin, Institut für Orientforschung, Veröff. Nr. 69, Berlin 1968; H. Klengel (Hg.), Beiträge zur sozialen Struktur des alten Vorderasien, Schrif¬

ten zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 1, Berlin 1971. Ferner sei genannt L'antica societä beduina. Studi ... raccolti da F. Gabrieli, Roma 1959; J. Helm (ed.), Essays on the Problem of Tribe. Proceedings of the 1967 Annual Spring Meeting of the American Ethno¬

logical Society, London 1968.

3 Vgl. H. Bobek, Die Hauptstufen der Gesellschafts- und Wirtschaftsentfaltung in geographi¬

scher Sicht, 1959, in: E. Wirth (Hg.), Wirtschaftsgeographie, Wege der Forschung 219, Darmstadt 1969, 441-485. Der Aufsatz berücksichtigt insbesondere wirtschaftsgeographi¬

sche und soziologische Probleme in der Geschichte des Vorderen Orients und des Altertums.

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auf anbaufähigem Boden, der Weg aus der „Wüste" in ein „gelobtes", und das heißt in ein „zugesprochenes" und „verheißenes" Land, bildet den Anfang der Volks¬

geschichte. Er hat im Alten Testament und im Geschichtsbewußtsein Israels einen

sachgemäßen und historisch weitgehend kontrollierbaren Niederschlag gefunden

und sich bis hin zu dem Glaubenssatz verdichtet, daß Gott dieses Land seinem

Volke zuwies, das schon den Vätern versprochen war. Israel war es schließlich mög¬

lich, im Lande selbst die Oberhand zu gewinnen und Staaten zu bilden.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Israel in einem Zeitraum von maximal 300

Jahren, sehr mnd gerechnet, zwischen 1400 und 1100 v. Chr. allmählich und haupt¬

sächlich im Westjordanland Fuß gefaßt*, hat sich sodann in der sogenannten , Rich¬

terzeit" gegen eine Reihe umhegender Völkerschaften verteidigen müssen' und wäre

ihrem Vordringen namenthch aus den Küstenebenen beinahe erlegen. Dorthin

waren fast gleichzeitig mit den Israeliten, die von Osten her kamen, die PhUister als

Gmppe der „Seevölker"* von Norden her eingewandert. Sie besaßen vor allem

waffentechnisch kraft ihrer Streitwagentmppen eine militärische Überlegenheit, die

die israehtischen Stämme zu äußerster Kraftanstrengung herausforderte^. Ihr Ver¬

teidigungsapparat war in steter Bereitschaft einsatzfähig zu halten; für ihn mußte

eine zentrale Fühmngsinstanz geschaffen und zu dauernder Anerkennung gebracht

werden. Israel wählte sich einen König*. Aber der erste Mann dieser neuen Institu¬

tion, König Saul, hatte das Unglück, gegen die Philister Schlacht und Leben zu

4 Auf die Problematik det zeitlichen Ansetzung der Einwanderung Israels in das alte Kanaan kann hier nicht eingegangen werden, zumal die chronologische Fixierung der sog. „Patriar¬

chen" noch immer umstritten ist. Jedoch darf der für die spätere Überlieferungsbildung ent¬

scheidende Vorgang in den genannten Zeitraum eingeordnet werden. Er umfaßt u.a. auch die Zuwanderung der Südgruppen, die mit den Mosetraditionen verknüpft sind. Die Anset¬

zung des Mose im 13. Jh. v. Chr., wahrscheinlich gleichzeitig mit Ramses II. und seinem Nachfolger Metenptah, darf als weitgehend gesichert gelten. Die Probleme sind in Verbin¬

dung mit der neuesten Literatur jetzt fast handbuchartig zusammengefaßt in J.H.Hayes- J.M.Miller (ed.), Israelite and Judaean History, London 1977, 70-212; vgl. auch den Forschungs- und Literaturbericht von J. Scharbert, Patriarchentradition und Patriarchenreli¬

gion, in: Verkündigung und Forschung 19, 1974, 2-22. Für die Auffassung der Landnahme der Israeliten in Palästina wurden namenthch für die deutsche Forschung die Arbeiten von A. Alt richtungweisend; vgl. hauptsächUch Kl. Schriften I, 89-192 (die gleichen Arbeiten wieder abgedruckt in: Grundfragen zur Geschichte des Volkes Israel, 1970, 99-202). In Zustimmung und Auseinandersetzung mit Alt, streckenweise soziale und ökonomische Gesichtspunkte stark betonend, befindet sich die Dissertation von Stephen H. Bess, Systems of Land Tenure in Ancient Israel, Michigan 1963.

5 Dazu besonders R. de Vaux, Histoire ancienne d'Israel II: La periode des Juges, Paris 1973;

gesammelte Einzeluntersuchungen zur Epoche von Landnahme- und Richterzeit bietet Vol.

III: Judges (ed. B. Mazar), London 1971, im Rahmen der Buchreihe The World History of the Jewish People, First Series: Ancient Times.

6 Allgemeine Orientierung bietet W. F. Albright in: The Cambridge Ancient History (CAH) II, Ch. 33 (Einzelheft 51), 1966, 24- 33; ferner A. Malamat in: Judges (vgl. hier Anm.5), Ch. 2: The Egyptian Decline in Canaan and the Sea-Peoples, a.a.O. 23-38; neuerdings (teilweise mit eigenen Thesen) A. Strobel, Der spätbronzezeitliche Seevölkersturm. Ein Forschungsüberblick mit Folgerungen zur biblischen Exodusthematik, BZAW 145, 1976.

7 Grundlegend A. Alt, Die StaatenbUdung der Israeliten in Palästina, 1930, Kl. Sehr. II, 1953, 1- 65; dass. in: Grundfragen zur Geschichte des Volkes Israel, 1970, 258-322.

8 J. A. Soggin, Das Königtum in Israel. Ursprünge, Spannungen, Entwicklung, BZAW 104, 1967.

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verlieren'. Erst David, sein erwählter und anerkannter Nachfolger, festigte den

Stämmeverband so weit, daß er schlagkräftig nach allen Seiten wurde und tat, was

offenbar notwendig erschien, er eroberte eine Stadt, um von dort aus seine Stämme

zu regieren, die Festung Jemsalem. Jetzt frühestens wird es möglich zu sagen, daß

der Stämmeverband unter einem Monarchen sich zum Staat entwickelte.

Was aber war das für ein Staat und wie verhielten sich die Stämme angesichts

ihres Königs? Der davidische „Reichsverband", den Salomo übernahm, brach schon

nach dessen Tode auseinander. Die Stämme des Nordens, an denen im Unterschied

zum südlichen Juda der Name Israel vor allem haftete'", verselbständigten sich

unter einem eigenen Königtum. Es gab also offenbar kein den gesamten Stämme¬

verband unbestritten umfassendes Einheitsbewußtsein, es gab nach wie vor inner¬

halb des Verbandes zentrifiigale Tendenzen.

Dieser hier sehr knapp umrissene, allein aus biblischer Darstellung ablesbare

Geschichtsverlauf entbehrt nicht der inneren Folgerichtigkeit. Wie aber ordnen sich

diese Vorgänge in den größeren Rahmen der syrisch-kanaanäischen Geschichte

dieser. Zeit ein?

Über die Frühgeschichte des alten Israel urteilt die Orientalistik seit langem, aber

durchaus nicht unisono, daß die Bewegungen der Israehten einen Teil jener Bevöl-

kemngsbewegung ausmachten, die man die „aramäische Wandemng" oder gar die

„aramäische Völkerwelle" zu nennen pflegt". So kann Horst Klengel schreiben'^:

,,Die Israelstämme - die Bibel nennt zwölf als Idealzahl, während es in Wirklichkeit

noch weitere Stämme gab - schoben sich zwischen die Territorien der kanaanäi¬

schen Stadtstaaten und gingen dort im Laufe der Zeit zur vollen Seßhaftigkeit

über." Hier ist zwar noch nicht vom werdenden Staat gesprochen, aber der Land¬

nahmevorgang Israels ist in dramatischer Weise als ein ,3ineinschieben der Stämme zwischen die Territorien der kanaanäischen Stadtstaaten" beschrieben. Als wirklich gefährliche „Stadtstaaten" treten uns in der Tat die bekannten fünf Philisterstädte

Gaza, Askalon, Asdod, Ekron und Gath entgegen. Sie lagen schon weit westwärts

der Wasserscheide in der Küstenebene und mußten zunächst völlig außerhalb der

9 1. Sam. 28-31.

10 Der Nordstaat trug den Namen ,Jsraer', der Südstaat den Namen ,Juda". Die Ausweitung des Namens „Israel" auch auf die Judäer beruht auf der Idealvorstellung des Deuterono¬

miums (7. Jh. V. Chr.), das das ganze Volk als das „ganze Israel" bezeichnete. Die Unter¬

scheidung in „Israel" und „Juda" blieb folgenreich, weil die im Jahre 587/6 v. Chr. exilier¬

ten Judäer, die während des Exils und danach das „Rest-Israel" repräsentierten, den Namen , Juden" für die späteren Zeiten hergaben. Das heutige Staatsgebiet von „Israel" umfaßt hingegen die Bereiche der beiden alten Königtümer von Israel und Juda im Sinne der deute¬

ronomischen Gesamtvorstellung. Vgl. dazu auch S. Herrmann, Geschichte Israels in alt¬

testamentlicher Zeit, München 1973, 189.

11 Vgl. als Beispiele unterschiedliche! Stellungnahmen A. Dupont-Sommer, Les Arameens, Paris 1949, 24-29; S. Moscati, Geschichte und Kultur der semitischen Völker, Urban- Bücher 3, 2. Aufl. 1955, 150-152; ders., The Semites in Ancient History. An inquiry into the settlement of the Beduin and their political establishment, Cardiff 1959, 90-97; H.

Donner, Das Auftreten der Aramäer, in: Saeculum Weltgeschichte II, 1966, 50-55; A. Mala¬

mat, Die Anfänge Israels, in: Fischer Weltgeschichte 3, 1966, 203-205; R. de Vaux, Histoire ancienne d'Israel, Paris 1971, 194-201; H. Klengel, Zwisehen Zelt und Palast. Die Begegnung von Nomaden und Seßhaften im alten Vorderasien, Leipzig 1971, 74-84.

12 H. Klengel, Zwischen Zeh und Palast, 78.

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israelitischen Interessensphäre bleiben. Hier war jedenfalls für den Anfang an ein

„Einschieben" der Israeliten, wie Klengel meint, nicht zu denken. Anders stellen sich die Verhältnisse im westjordanischen Gebirge und in der Ebene Jesreel dar, wo es wenigstens einige befestigte Zentren gab, in deren Nähe Israel tatsächlich siedeln

konnte, ohne die Städte zunächst in ihre Gewalt bringen zu können. Das gilt na¬

mentlich für Jemsalem, weitgehend auch für Sichem und eine Reihe befestigter Orte

am Südrand der Jesreel-Ebene bis hinunter in den Jordangraben nach Beth-Sean. In

Betracht zu ziehen sind ferner befestigte Orte im Raum von Gezer und westwärts

Jemsalem". In welchem Sinne aber waren dies „Stadtstaaten"?

Der Begriff hat hauptsächlich in der Geschichte des alten Syrien zwischen dem

Libanon und dem nordwestmesopotamischen Bereich seinen Platz. Dieses Gebiet

war in der Tat zu einem geradezu klassischen Land der Stadtherrschaften, der Stadt¬

staaten, der Kleinfürstentümer geworden. Sie hatten eine lange Vorgeschichte, die

mindestens seit den Anfängen des 2. vorchr. Jahrtausends greifbar wird'". Diese syrischen Stadtstaaten erscheinen spätestens seit der israelitischen Königszeit als aramäische Stadtfürstentümer und sogar als Gegner Israels". Die Aramäer vö.n Da¬

maskus, von Aram-Zoba oder Hamath sind geläufige Größen. Wie aber, so muß die

Frage lauten, verhalten sich diese Aramäer des syrischen Raumes zu den Israeliten, die angeblich auch als , Aramäer" anzusprechen sind? Schoben sich die syrischen

Aramäer in vergleichbarer Weise zwischen die kanaanäischen Stadtstaaten ein wie

die israehtischen Verbände in ihren Bereichen, oder hatten es die Syrer leichter, ihre

Stadtherrschaften zu erringen? Waren die Bedingungen für eine aramäische Land¬

nahme in Syrien andere als südlich des Libanon? Oder waren am Ende die Israeliten

doch nicht durchweg Aramäer? Schließlich war doch das „Hebräische" ihre Spra¬

che'*, erst später das Aramäische. Immerhin, man könnte auf die Komplexität des¬

sen verweisen, was „aramäische Wandemng" heißt.

13 Darüber unterrichtet eines der wichtigsten Dokumente über die territorialen Besitzverhält¬

nisse im westjordanischen Raum in der Zeit der israelitischen Einwanderung, eine Liste der von den Israehten nicht eingenommenen Ortschaften Ri. 1,27-36. Zu Einzelheiten vgl.

A. Alt, Die Landnahme der Israehten in Palästina 1925, in: Kl. Sehr. I, 100-107; dass. in:

Grundfragen zur Geschichte des Volkes Israel, 1970, 110-117; siehe auch S. Herrmann, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, München 1973, 120-127.

14 Aus zahlreichen zusammenfassenden und speziellen Untersuchungen werden hier einige wichtige Arbeiten herausgegriffen: A. Alt, Völker und Staaten Syriens im frühen Altertum, 1936, Kl. Sehr. III, 20-48; B. Maisler (Mazar), Untersuchungen zur alten Geschichte und Ethnographie Syriens und Palästinas, Gießen 1930; Ph. K. Hitti, History of Syria, 2. Aufl., London 1937, 57-96; J.-R. Kupper, Northern Mesopotamia and Syria, CAH II, 1 (Einzel¬

heft 14), 1966; G. Buccellati, Cities and Nations of Ancient Syria, Studi Semitici 26, Roma 1977; W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3.-2. Jt. v. Chr., Ägyptolo¬

gische Abhandlungen 5, 2. Aufl. 1971, passim.

15 M. Noth, Das Reich von Hamath als Grenznachbar des Reiches Israel, 1937. Aufsätze zur biblischen Landes- und Altertumskunde 2, 1971,148-160; A. Jepsen, Israel und Damaskus, in: AfO 14, 1941-44, 153-173; B. Mazar, The Aramean Empire and its Relations with Israel, in: BA 25, 1962, 98-120; A. Malamat, Aspects of the Foreign Policies of David and Solomon, in: JNES 22, 1963, 1-17; S. Herrmann, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, München 1973, 282-300.

16 In einer im einzelnen differenzierteren Form ist eine Debatte darüber in Gang gekommen, dem Hebräischen, das man bisher weithin als Dialekt des ,JCanaanäischen" verstand, eine selbständige Gestalt und Geschichte zuzuerkennen. Dies wird nicht zuletzt durch Annahme

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Über den Vorgang der Seßhaftwerdung der Aramäer macht Klengel differenzier¬

te Bemerkungen je nach den geographischen Räumen, die betroffen sind. So kann

er über die Aramäerstämme, die den babylonischen Raum erreichten, sagen": ,,Der

Übergang zur vollen Seßhaftigkeit hat sich bei ümen offenbar als ein längerer Pro¬

zeß vollzogen, der in den verschiedenen Teilen Vorderasiens, in denen sich die

Aramäer ausbreiteten, eine unterschiedliche Zeitspanne in Anspmch genommen

haben dürfte." Entsprechend kann er über die Situation in Syrien zur Zeit des See¬

völkervordringens sagen**: ,, Diese Situation, verbunden mit einem Bevölkemngs-

dmck aus dem Steppengebiet und seiner Randzone (sie!) begünstigte die Expansion

der Aramäer." Und sagt weiter: „Ihre Integration in die GeseUschaft des syrischen

Kulturlandes scheint sich ziemlich rasch vollzogen zu haben. Sie äußerte sich vor

allem - und am greifbarsten - in der Übernahme der pohtischen Macht in einer

ganzen Reüre von Gebieten, die mit dem Weideland in Kontakt gestanden hatten."

Das klingt einleuchtend und muß den Eindmek erwecken, als ob hier alles mit

zwingender Selbstverständlichkeit erfolgte: Seevölker aus dem Westen, Bevölke-

mngsdmek aus dem Steppengebiet, beides begünstigte die aramäische Expansion

und wenig später aueh schon die Übernahme politischer Macht.

Man versteht, daß bei solcher Betrachtungsweise die Formel ,,Vom Stamm zum

Staat" eme gewisse Überzeugungskraft hat und wie eine leicht zu handhabende

Chiffre sieh dem Historücer anbietet. In der Formuliemng „Zwischen Zelt und

Palast", wie Klengel sem Buch tituliert, steckt aUerdings eine feinsinnige Nuance,

die darin zum Ausdmck kommt, daß pars pro toto von der Art der Wohnstätten zu

den weniger leicht definierbaren soziologischen Verhältnissen und üiren Institutio¬

nen hinübergespielt wird. Denn , /wischen Zelt und Palast" liegt gerade nicht die

überschaubare unbestrittene Linearität eines natürlichen Prozesses. Dazwischen

liegt das Spannungsfeld historischer und soziologischer Fragestellungen, um die es

recht eigentlieh geht.

Die Frage ist, welchen Beitrag das Nomadentum der Steppenzonen zur Ent¬

stehung, zur Büdung und Aufrechterhaltung politischer, geistiger, religiöser und

gesellschaftlicher Kräfte in den von ihm erreichten Kulturländern leistete. Tatsäch¬

lich sind wir über den Verlauf jener wichtigen Übergangsphasen von der nomadi¬

schen Vergangenheit der Einwanderer bis zur Konsolidiemng eines von ümen ge¬

tragenen Staatswesens in der Regel nicht orientiert. In sehr gmndsätzlicher Weise

spricht in der verbreiteten Fischer Weltgeschichte D. 0. Edzard über die Nomaden

sehr unterschiedlicher Dialektgruppen möglich, die uns freilich im südlichen Kanaan, wo später Israel Fuß faßte, nur fragmentarisch belegt sind. Vgl. hauptsächlich J. Blau, Some Difficulties in the Reconstruction of "Proto-Hebrew" and "Proto-Canaanite", in: In me¬

moriam P. Kahle, BZAW 103, 1968, 29-43. Siehe auch A. Jepsen, Kanaanäisch und He¬

bräisch. Akten des 25. OrientaUstenkongresses 1962, 316-321. Die Debatte ist nicht abge¬

schlossen und wird neuerdings durch das Problem „amoritischer" Sprachformen im syri¬

schen Raum mehr belastet als bereichert. Vgl. C. H. J. de Geus, The Tribes of Israel, 1976, 161 f Zum Problem der Sprach- und Dialektbezeichnungen siehe auch M. Weippert, Die Landnahme der israelitischen Stämme in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, Göttin¬

gen 1967, 98 A 1.

17 H. Klengel, Zwischen Zelt und Palast, 76.

18 ebd. 77.

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in der altbabylonischen Zeit, und was er sagt, ist über diese Epoche hinaus wenig¬

stens partieU verallgemeinerungsfähig" :

,,Die Lebensweise der Seßhaften war ja mit ungewohnter Arbeitsleistung verbunden. So ist die eigentliche Seßhaftwerdung fast immer ein erzwungener Vorgang. Entweder brachte die Notlage Nomaden dazu, sich als Arbeiter zu verdingen, oder der seßhafte Herrscher warb Söldner, denen er als Entgelt neben dem Beuteanteil Land als Lehen zur Verfügung stellte. Der Übergang vom Nomadentum zur Seßhaftigkeit konnte innerhalb eines Stammes auf verschiedene Weise verlaufen. Bald geriet ein ganzer Stamm in den Sog der Seßhaftwerdung, bald teilte sich der Stamm, wobei ein Teil bei den Herden blieb, während sich der andere in den Dienst der Seßhaften begab."

Dies sind immerhin einleuchtende Vorgänge, die aber zunächst nur den Über¬

gang aus dem Nomadentum zu seßhafter Lebensweise betreffen; der nächste

Schritt, wie aus der Situation seßhaft gewordener, aber doch in voller Abhängigkeit

gebliebener Nomaden selbständig handelnde Leute werden, die es zu eigener Herr¬

schaft bringen, ist die andere Frage, die aber für die Konstituiemng eines eigenen Staatswesens ausschlaggebend ist. Dazu sagt Edzard^°:

„Der Aufstieg eines Usurpators nomadischer Abkunft zum Herrscher einer Stadt und Dynastiegründer läßt sich bisher noch in keinem Fall Schritt für Schritt verfolgen."

Und weiter:

„Aber wir dürfen kaum damit rechnen, daß ein Nomadenscheich sich zum Herrscher aufschwang, ohne sich eine gehörige Kenntnis von Zivilisation und Lebensweise der Seßhaften angeeignet zu haben."

Das allerdings ist eine verständliche Voraussetzung. Wie aber gewinnt man ,, ge¬

hörige Kenntnis von Zivilisation und Lebensweise der Seßhaften"? Dies setzt

zwangsläufig ein Übergangsstadium voraus, in dem nicht nur ein solcher Usurpator allein sich der seßhaften Lebensweise aufschloß, sondern die mit ihm Gekommenen

gleichfalls im Begriff waren, die seßhafte Lebensweise zu übernehmen und auf ihre

Weise die neue Herrschaft des Usurpators zu stützen. War dagegen die Herrschaft

eines eingesessenen Stadtfürsten stark genug, um andringenden Stämmen zu wider¬

stehen, war auch die Usurpation von selten eines nomadischen Herrschers erschwert

oder so gut wie ausgeschlossen. Die Texte aus Mari geben dafür differenziertes Be¬

legmaterial her^'. Wir erfahren von Gmppen, die in älteren politischen Zentren

19 Fischer Weltgeschichte 2,1965, 170.

20 ebd. 171.

21 J.-R. Kupper, Les nomades en Mesopotamie au temps des rois de Mari, Paris 1957; ders.

(Hg.), La civilisation de Mari. XV^ Rencontre Assyriologique Intemationale, Paris 1967; H.

Klengel, Zwischen Zelt und Palast, 49-74; zum Vergleich der Mari-Texte mit der Früh¬

geschichte Israels M. Noth, Die Ursprünge des alten Israel im Lichte neuer Quellen, 1961, Neudmck in: Aufsätze zur biblischen Landes- und Altertumskunde II, Neukirchen 1971, 245-272; siehe im gleichen Band auch die beiden Beiträge 213-233 und 234-244. Noth verbindet seine Überlegungen mit der heute meist angefochtenen These, die Träger der Überlieferungen von Mari seien „Protoaramäer" gewesen. Gegen Noth D.O. Edzard, Mari- Aramäer?, in: ZA 56, 1964, 142-149. Zum Problem der Stammesorganisation und ande¬

ren biblischen Aspekten A. Malamat, Mari and the Bible. A Collection of Studies, Jerusalem 1973, dort insbesondere für die hier verhandelten Zusammenhänge wichtig 42-51: Aspects of Tribal Societies in Mari and Israel; der hebräische Beitrag 33-46: Mari and the Bible, Some Patterns of Tribal Organisation and Institutions, in verkürzter englischer Fassung:

JAOS 82,1962, 143-150.

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tatsächlich zur Herrschaft gelangen konnten, aber auch von anderen, die in einem

Übergangsstadium zwischen nichtseßhaftem und seßhaftem Leben in Symbiose mit

älteren Kulturlandbewohnern lebten; schließlich gab es Gmppen, die noch vor den

Toren des Kulturlandes in der Steppe operierten. Aber eben auch hier läßt sich in

keinem Falle das Schicksal einer einzelnen Gmppe kontinuierlich verfolgen^^ .

Offen bleibt auch die umgekehrte Frage, ob die Träger einer Stadtherrschaft

noch hn Bewußtsein ihrer nomadischen Vergangenheit lebten, ob überhaupt etwas

im Rahmen solcher Stadtstaaten noch nomadisches Erbe genannt werden darf Ge¬

genüber solchen Unsicherheiten wird selten genug, aber bisweilen doch, der Hinweis

gegeben, daß wir in einem besonderen Falle in der Lage sind, den Weg vom Stamm

zum Staat, oder vorsichtiger: das Hineinwachsen bestimmter Gmppen aus nomadi¬

scher Vergangenheit in die städtische Kultur und Zivilisation eines partiell erschlos¬

senen Raumes zu beobachten, nämlich in Israel. Denn hier bietet sich aus dem

Alten Testament ein Quellenmaterial an, das mehr als anderswo von Übergangs¬

stadien weiß, die noch in Verbindung mit der nomadischen Vergangenheit stehen,

ebenso aber auch Schritte zu staatspolitischer Formiemng und Machtbildung zu

erkennen geben. Fraglich bleibt allerdings, ob man die israelitischen Verhältnisse

sogleich auch bedenkenlos und vollkommen auf alle anderen Vorgänge von noma¬

discher Landnahme und pohtischer Usurpation übertragen darf Das ist schon des¬

halb ausgeschlossen, weil man die jeweiligen Bedingungen beobachten muß, die in

den erstrebten Territorien anzutreffen waren, auf die die Nomaden stießen. Die

altbabylonischen Verhältnisse waren allein schon geographisch andere als im sy¬

risch-kanaanäischen Raum. Immerhin, Israel kann sich als Paradigma anbieten. Aber

so zahlreich und so eindeutig die alttestamentlichen Texte sind, auch hier fehlt es

im Blick auf nomadische Vergangenheit und Seßhaftwerdung nicht an kontroversen

Auffassungen, die gerade in letzter Zeit sich zu recht unterschiedlichen Thesen ver¬

dichteten. Dazu haben rücht zuletzt terminologische Probleme und historische

Parallelen beigetragen, die hätten klärend wirken können, ohne dies in vollkomme¬

ner Weise zu leisten.

Paradigmatisch mag das an Positionen verdeutlicht werden, die die alttestament¬

liche Wissenschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten bezogen hat, ohne daß

dabei eine bestmimte Auffassung zu allgemeiner Anerkennung gelangt ist. Für die

Organisationsform des frühen Israel im kanaanäischen Raum, in der Zeit zwischen

dem Eintritt von Stämmen in das Kulturland und der Erhebung Sauls zum ersten

König, schien es lange Zeit so, als ob eine bestimmte These klassischen Rang behal¬

ten sollte. Ihr Vorzug bestand darin, daß sie mit einem Schlag politische, religiöse

und soziologische Fragen allseitig zu beantworten schien. Es war die These von der

„altisraelitischen Amphiktyonie", die auf der Gmndlage älterer Anregungen Martin

Noth der alttestamenüichen Wissenschaft in mehreren Untersuchungen, zuerst im

Jahre 1930, erfolgreich nahebrachte^'. Die These besagt: Israel hat in seiner vor-

22 Vgl. die knappe Charakteristik bei Noth, Aufsätze 2, 266; grundsätzlich bestätigt den Sach¬

verhalt auch A. Malamat, Aspects 132 bzw. 45 im Sammelband; jedoch beachtenswert der Hinweis auf ARM VIII 11, Aspects 137 bzw. 50, aufgenommen von Rowton in: La civilisa¬

tion, 118.

23 M. Noth, Das System der Zwölf Stämme Israels, Stuttgart 1930; hier zitiert Noth (43.46f.) H. Ewald, Geschichte des Volkes Israel I, 3. Ausgabe, 1864, 528ff., der auf ähnliche Glie-

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staatlichen Zeit zwar in seinen Stammes- und Sippenverbänden weitergelebt, sich

aber in der Verehmng seines Gottes einig gewußt, ein gemeinsames Heiligtum ver¬

waltet und in Form eines sakralen Stämmebundes einen festen Zusammenhalt

gefunden, der zugleich als die Vorstufe späterer Staatenbildungen gelten konnte.

Vorbild für diese Rekonstmktion des vorstaatlichen Israel waren griechische und

altitalische Verbände von in der Regel zwölf Mitgliedern, die sich durch die Ge¬

meinsamkeit ihres Kultes an einem gemeinsam verwalteten Heiligmm verbunden

und gebunden wußten und für die der Name „Amphiktyonien" üblich ist. Noth

berief sich vor allem auf die pyläisch-delphische Amphiktyonie^".

Mag zunächst die Problematik eines solchen historischen Vergleichs mit Erschei¬

nungen verschiedener Kulturbereiche ganz dahingestellt bleiben, zumal Noths These

neuerdings wie auch stellenweise schon früher heftige Kritik erfahren hat^'. Ein¬

leuchtend ist mindestens auf den ersten Blick das glückliche Zusammentreffen

verschiedener Komponenten, die geeignet sind, die These zu stützen. Sie über¬

brückt auf glänzende Weise die Lücke , /wischen Zelt und Palast", sie läßt die un

Lande angekommenen Stämme in eine anderwärts bewährte und nachgewiesene

institutionell abgesicherte Lebensform eingehen, die die nomadische Vergangenheit

der Stämme nicht außer acht läßt, die die Religion zum einigenden Band macht und

die fast mit natürlicher Konsequenz auf eine straffere Organisationsform zuzusteu¬

ern scheint, eben auf den monarchisch regierten Staat. Ein eleganter, aber auch

recht schematischer und problematischer Lösungsversuch, elegant, weü die Zwölf¬

zahl der Stämme zugleich so etwas wie eine abgemndete nationale Einheit zu um¬

greifen scheint, problematisch, weü, wie sich rasch nachkontroUieren läßt, in den

Quellen dieser frühen Zeit, die von den Stämmen in üirer vorstaatlichen Phase

sprechen, die Zwölfzahl nicht ein einziges Mal vorkommt. Die „Zwölf erscheinen

vomehmlich in Listen späterer Zeit, und diese Listen sind nicht frei von Konstmk¬

tion und Theorie^*.

Doch hat die AmphUctyonie-Hypothese in gewandelter Gestalt wieder an Boden

gewinnen können, und zwar auf dem Hintergmnd allgemeiner orientalistischer

Erwägungen. Im Jahre 1967 erschien in englischer Sprache das Werk des Italieners Giorgio Buccellati, „Cities and Nations of Ancient Syria" mit dem Untertitel: ,An Essay on Political Institutions with Special Reference to the Israelite Kingdoms"^^.

Buccellati baut seine Untersuehungen auf dem Gegensatz von Territorialstaat und

Nationalstaat auf. Unter die Territorialstaaten rechnet er das gesamte syrisch-

derungen in zwölf Stämme bei einigen Nachbarvölkern Israels hinwies. Noth untermauert seine These in: Die Gesetze im Pentateuch. Gesammelte Studien zum Alten Testament, 3. Aufl., 1966, 9-141, besonders 42-53.

24 M. Noth, Das System der Zwölf Stämme Israels, Stuttgart 1930, 47-49.

25 So hauptsächlich von H. M. Orlinsky, G. Fohrer und R. de Vaux; vgl. S. Herrmann, Ge¬

schichte Israels 138 A. 58. Siehe neuerdings O. Bächü, Amphiktyonie im Alten Testament.

Forschungsgeschichtliche Studien zur Hypothese von M. Noth, Theol. Ztschr., Sonderbd. 6, Basel 1977.

26 Gen. 49,28; Ex. 28,21; 39,41; Num. 1,44; 17,17.21; siehe auch Jos. 3,12; 4,2; Ez. 47,13.

Das Alter der Stellen kann hier nicht begründet werden. Doch stehen sie fast ausschließlich im Zusammenhang mit sogenannter „priesterschriftlicher" t)betlieferung.

27 Studi Semitici 26, Roma 1967.

(9)

kanaanäische Stadtstaatengefiige, wie es sich zunächst in der vorisraehtischen Zeit präsentierte, und wie es auch in Syrien bis in das erste vorchristiiche Jahrtausend

fortbestand. Territorialstaaten sind die syrischen Stadtstaaten in dem Sinne, daß

ausgehend von einer Stadtherrschaft über einen festen, zuweUen klar abgegrenzten Bestand von Ländereien verfügt wird. Es gibt eine abhängige und dienstverpflichtete

Bevölkemng, die Uir Selbstbewußtsein aus der Zugehörigkeit zu Uuem Stadtstaat

ableitet und den Gott der Stadt verehrt. Die Bindungen beziehen sich allein auf das Territorium. Unbekannt sind in solchen Stadtstaaten Traditionen, die zurückgreifen

auf die Zeit ihrer Begründung, auf ihre Erobemng durch landnehmende Gmppen

und deren Vorgeschichte.

Insofern sind diese syrischen Stadtstaaten überschaubare Verwaltungseinheiten mit monarchischer Spitze ohne erkennbare Traditionsbildung. Nicht ausgeschlossen

ist der politische Zusammenschluß mehrerer Stadtstaaten bzw. die Abhängigkeit

politischer Gebilde von einem oder mehreren dieser Stadtstaaten^. Soweit in aller

Kürze die Definition des Territorialstaates nach Buccellati. Ihm steht der National¬

staat gegenüber, der seine nomadische Vergangenheit nicht verleugnet. Er ist deut¬

lich erkennbar am Fortwirken nomadischer Traditionsbildung, an dem Gewicht, das

auf den verwandtschaftlichen Zusammenhang der Gmppen gelegt wird, an der Wah-

mng des genealogischen Prinzips zur Vergegenwärtigung eigener Vergangenheit^'.

Während dem Stadtstaat ein geographisch-territorialer Name gegeben ist, treten im

Nationalstaat Gmppen- und Personennamen hervor'". BucceUati erkennt solche

Nationalstaaten bei Israehten, Edomitern, Moabitern und Ammonitern, also bei

jenen Bevölkemngen, die mutmaßlich von Süden und Südosten her sich der ka¬

naanäischen Kulturlandzone näherten. Er muß feststellen, daß es auch in diesen

Nationalstaaten zu Königtümern gekommen ist. Der Weg dahin wird an Israel ver¬

deutlicht. Bereits im Zusammenschluß kleinerer Stämme, so noch vor oder während

der Seßhaftwerdung, sieht Buccellati „the tribal state", also den Stämmestaat oder Stammesstaat, entstehen.

Die Stämme schließen sich zusammen zu einem „Bund", zu einer ,J.iga", zu einem festeren Verband, zu „the tribal league". Dieser Begriff ersetzt bei BucceUati das Wort „AmphUctyonie", weU er sich nicht an die Zwölfzahl der Mitglieder oder

andere Merkmale ähnlicher Gemeinschaften aus Griechenland oder Italien binden

möchte. In „the tribal league", also im Stämmebund, sieht BucceUati die unmittel¬

bare Vorform zum Staat. „The league" führt in ihrem letzten Stadium zur Monar¬

chie. Er ist sogar der Auffassung, daß der Stämmebund schon das Gewicht einer

pohtischen Größe habe und spricht deshalb bereits vom „Stämmebund als Staat", the tribal league as state" .

28 Vgl. dazu Buccellati iiber „Vassal Kingdoms" a.a.O. 44-56. Zu den territorialen Bindungen der Bevölkerung eines Stadtstaates, die gemeinsamer historischer Traditionen entbehren, Buccellati 62-64.

29 G. Buccellati a.a.O. 86-88.

30 ebd. 97-99.

31 In dem großen Abschnitt „Government of the National State" (a.a.O. 111-135) spricht Buccellati zuerst über „The Tribal State" (111-125), sodann über „The National King¬

dom" (125-135) und sieht in diesem Nacheinander zugleich 2 Stadien der Entwicklung des frühen Israel. Im Blick auf Jerusalem speziell und das davidische Königtum schließt er frei-

(10)

Es verdient Beaciitung, mit welchen Begriffen hier historische Phänomene von¬

einander unterschieden sind. Die Form der Monarchie hat im Stadtstaat der vor-

israelitisch-syrisch-kanaanäischen Ausprägung nichts mit dem Nationalstaat gemein.

Monarchie ist dort Ausdmck territorialer Herrschaftsausübung. Der Nationalstaat hingegen, der sich zur Monarchie und auch zu territorialer Herrschaft hin entwickel¬

te, hat zu seiner Voraussetzung ,,the tribal league", den Zusammenschluß von Stäm¬

men zu gemeinsamer Willensbildung, nicht zuletzt auf der Gmndlage gemeinsamer

Gottesverehrnng, Adonaj Jahwe in Israel, Kemosch in Moab, Milkom bei den Am¬

monitern'^ .

Die Rückfrage ist unausweichlich; Was ist nun eigentlich der Nationalstaat? 1st

er nach der Rekonstmktion BucceUatis letztlich nur die Vorform territorialer

Herrschaftsausübung, zu der es schließlich auch in Israel zu Zeiten der Monarchie

kommen sollte? Und umgekehrt gefragt; Sind die syrischen Territorialstaaten als

Stadtstaaten am Ende auch als Produkte ihnen jeweils vorausgegangener national¬

staatlicher Gebilde anzusehen? Reichen unsere QueUen aus, um auf so differenzierte

Fragen zutreffende Antworten zu geben"? Oder sind am Ende die Fragen falsch

gestellt?

Man könnte diesen Eindmek gewinnen, nimmt man eine neuere Untersuchung

hinzu, die sich streckenweise wie der Antipode zu BucceUatis Arbeit ausnimmt. In

seinem Werk „The Tribes of Israel", laut Untertitel eine Auseinandersetzung mit

den Voraussetzungen der Amphiktyonie-Hypothese Noths, trifft CH. J. de Geus die

Feststellung'*, daß es eine der unglüekhehen, aber tiefverwurzelten Angewohnhei¬

ten sei, immer wieder zu versuchen, die soziale und politische Stmktur des alten

lieh Einflüsse nationalstaatlicher Vorgeschichte auf Davids Regierungsformen nicht aus.

"We are left completely in the dark when we try to ascertain whether a similar situation did occur in the other national states too. We may assume that it did, considering the similarities on other points among the several national kingdoms. But it is only a guess." Buccellati a.a.O. 129 f.

32 ebd. 103-105.

33 Eine Übersicht über das Quellenmaterial gibt Buccellati sowohl zum Territorialstaat (a.a.O.

25-31) als auch zum Nationalstaat (75-83). Jedoch ist die Literatur zum Thema nur bis 1962/63 (mit einigen Ausnahmen) angegeben, weil sich die Drucklegung des Werkes verzö¬

gerte. Für die politische Geschichte Syriens im 2. Jahrtausend v. Chr. stellt H. Klengel das Material in 3 Bänden zusammen: Geschichte Syriens im 2. Jahrtausend v.u.Z. Teil I, Berlin 1965, II 1969, III 1970; hinzuweisen ist ferner auf W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3.-2. Jahrtausend v. Chr., 2. Aufl., Wiesbaden 1971; R. de Vaux, Histoire ancienne d'Israel, 1971, 15-148, gibt eine als , .Prologue" bezeichnete ausführliche Über¬

sicht über Geographie, Geschichte und Soziologie des syrisch-kanaanäischen Raumes im 2. Jahrtausend v. Chr.; ergänzend dazu jetzt Hayes-Miller (ed.), Israelite and Judaean Histo¬

ry, London 1977, 70-198, hier freilich sehr stark konzentriert auf „The Patriarchal Tradi¬

tions". Bisher unveröffentlicht ist die umfangreiche Berliner Dissertation aus dem Jahre 1976 von W. Thiel, Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit. Thiel behandelt auch die Texte von Mari und die syrischen Verhältnisse anhand der Texte von Ugarit und Alalach. Einen Teilbereich der hier behandelten Probleme erfaßt das reich illustrierte, auch bibliophilen Ansprüchen angemessene Buch von K. H. Bernhardt, Der alte Libanon, Leipzig 1976/Zürich 1977. Ein Buch ähnlicher Art legte bereits 1967 H. Klengel vor: Geschichte und Kultur Altsyriens.

34 C. H. J. de Geus, The Tribes of Israel. An Investigation into some of the Presuppositions of M. Noth's Amphictyony Hypothesis. Assen/ Amsterdam, 1976, 140.

(11)

Israel aus nomadischen bzw. halbnomadischen Verhältnissen abzuleiten''. Er stellt

kategorisch fest: Die Entwicklung verlief von der Stadt zum Staat, nicht vom

Stamm zum Staat! Ein Staat formiert sich erst dann, wenn der Stamm aufgegeben

ist'*. Unter solchen Voraussetzungen ist selbstverständhch kein Raum fiir die Orga¬

nisation einer „tribal-league" als Ausprägung vorstaathcher Verhältnisse. Es wäre

auch ein falscher Maßstab, wollte man die Gedankenfühmng Buccellatis in einem

unmittelbaren Zusammenhang mit den Überlegungen von de Geus beurteilen. Das

ganze Bild der Frühgeschichte Israels wird von de Geus in einer Weise umgestaltet,

die darauf abzielt, das Werden Israels nicht aus nomadischer Vergangenheit, son¬

dern aus den besonderen geographischen und historischen Bedingungen des ka¬

naanäischen Kulturlandes zu erklären. Es waren nicht Stämme, die aus den umlie¬

genden Steppen heranzogen, wie es die biblische Überliefemng schildert. Es waren

vielmehr einzelne Sippenverbände, es waren Clans. Sie haben sich erst hn Kultur¬

lande selbst zu größeren Verbänden zusammengeschlossen, die man dann „Stäm¬

me" genannt hätte. Dieser Vorgang ließe sich auch an den Namen einiger israeliti¬

scher Stämme ablesen, die die Merkmale von Landschaftsbezeichnungen wie „Juda"

oder „Ephraim" tragen, nicht aber die von Stammvätern als Stammeseponymen.

Das konstitutive Element der halbnomadischen Verbände sei nicht der Stamm, son¬

dern die Sippe, die miäpähä, die Großfamüie". Die Entstehung des Stammes als des

größeren, die Sippen umschließenden Verbandes sei das Resultat der jeweüs beson¬

deren historischen Bedingungen, unter denen sich die Sippen fanden. Die israehti¬

schen Stämme könnten somit nicht als Kronzeugen und Repräsentanten einer

frühen nomadischen Phase Israels angesehen werden, sondern lediglich als regionale

Verbände ethnisch zusammengehöriger, ansonsten aber unabhängiger Sippen. Da¬

mit, so betont de Geus'*, soll nicht eine Antwort auf die generelle Frage: Was ist

überhaupt ein „Stamm"? gegeben sein, sondern allein erklärt werden, was unter

einem israelitischen Stamm speziell zu verstehen sei.

Eine so spezifizierte Auffassung nicht nur historischer, sondern auch ethnogra¬

phischer Sachverhalte bedürfte einer besonders eingehenden Begründung; sie müßte

sich auch am QueUeiunaterial selbst hinreichend verifizieren lassen. An diesem wich¬

tigen Punkte zeigt sich aber, daß de Geus seinerseits nicht unabhängig ist von theo¬

retischen Prämissen, wie er sie den Verfechtern nomadischer Vergangenheit Israels

oder den Atüiängern der AmphUctyonie-Hypothese vorwirft. Exakt in jener Zeit der

sogenannten , Richter", der Zeit des sich konsolidierenden Stämmeverbandes und

der amphüctyonischen Aktivitäten, wie sie Noth und Buccellati vertraten, gewinnen

35 "It is an unfortunately deep-rooted habit always to try to reduce the social and political structure of ancient Israel to a (semi-)nomad structure", a.a.O. 140.

36 A.a.O. 209: "The development is from city to state, not from tribe to state! A state is only formed when the tribe is given up."

37 "It was around the extended family and the mispähä that life revolved for an Israelite of the time before the monarchy", a.a.O. 144; vgl. jedoch den ganzen Abschnitt „Family, Clan, Tribe", 133-150. Noch ohne de Geus zu kennen, trat W. Thiel für eine differenziertere Sicht der halbnomadischen Frühgeschichte Israels ein: Verwandtschaftsgruppe und Stamm in der halbnomadischen Frühgeschichte Israels, in: Altorientalische Forschungen IV, Berlin 1976, 151-165; scharfe Kritik an de Geus übt Thiel im Rahmen seiner Besprechung des de Geus'schen Werkes in ZDPV 94, 1978, 82-85.

38 C. H. J. de Geus, a.a.O. 158 f.

(12)

für de Geus die städtischen Zentren an Bedeutung. Nicht die gemeinsame Verehmng eines Gottes, auch nicht der Zwang eines militärisch-poUtischen Zusammenschlusses der Stämme angesichts feindlicher Bedrohung, der die „Richter" standhielten, schu¬

fen recht eigentlich die Größe „Israel", sondern es waren die Ältesten als Sippen¬

häupter, die für de Geus identisch sind mit den Ältesten der Städte oder parallel zu ihnen agierten, die allmählich Israel zusammenfaßten und einer staatlichen Organi¬

sation entgegenführten''.

Die Betonung der besonderen Funktion der Stadt in der Frühzeit Israels ist nicht neu, wenngleich sie in verschiedener Weise gedeutet und in ein Gerüst jeweils eige¬

ner soziologischer Konstmktionen eingebaut wurde*". Mindestens seit den einge¬

henden Untersuchungen Albrecht Alts wissen wir, daß Israel erst sehr allmählich in

die vorgefundene kanaanäische Stadtkultur hineingewachsen ist*'. Gerade das ist

es, was sich aus den alttestamentlichen Quellen und den historischen Bedingungen

der Landnahme israelitischer Verbände deutlich ablesen läßt*^. Denn gerade die

whklich bedeutenden städtischen Zentren des Westjordanlandes wie Hebron, Jem¬

salem, Sichem und ein ganzer Festungsgürtel an der Ebene von Megiddo blieben den

Israeliten bis zum Beginn der Königszeit und teilweise sogar darüber hinaus unzu¬

gänglich*'. Es gibt schlechterdings keinen verbindlichen Hinweis darauf, daß in

vorstaatlicher Zeit die RoUe von Städten einflußreich geworden wäre für das Leben

israelitischer Stämme und ihrer Organisationsformen. Vielmehr waren es erst die

Könige, die unter vielfach schwierigen Bedingungen Städte erobern oder deren

Territorien erwerben mußten, um funktionsfähige Verwaltungszentren für die

39 ebd. 139-141; 193-209 passim; vgl. auch „Summary of the conclusions", 210-212.

40 In erster Linie ist der Versuch von G. E. Mendenhall zu nennen, der im Kanaan der Land¬

nahmezeit einen scharfen Gegensatz nicht zwischen dem Bauern und dem Hirten, sondern zwischen dem Städter und dem Landbewohner erkennen will. Er spricht von einer „Bauern¬

revolte" gegen die Stadtstaaten, die die Landbewohner bedrückt hätten. Er sieht in den israelitischen Stämmen Gruppierungen, die sich gegen die städtische Ordnung und ihre Ver¬

waltungspraxis im Lande auflehnten. G. E. Mendenhall, The Hebrew Conquest of Palestine, BA 25, 1962, 66-87; vgl. Darstellung und Wertung dieses Aufsatzes bei M. Weippert, Die Landnahme der israehtischen Stämme, 1967, 59-66; den weiteren Hintergrund seiner Auf¬

fassungen vermittelt Mendenhall in seiner Aufsatzsammlung The Tenth Generation. The Origins of the BibUcal Tradition, Baltimore-London 1973. In differenzierter Weise gibt W. Richter der städtischen Verfassung in vormosaischer Zeit eigene Bedeutung. Die ,, Rich¬

ter" seien die „über eine Stadt und einen entsprechenden Landbezirk von den (Stammes-) Ältesten eingesetzten Vertreter einer Ordnung im Übergang von der Tribal- zur Stadtverfas¬

sung" gewesen. W. Richter, Zu den „Richtern" Israels, ZAW 77, 1965,40-72, bes. 71; vgl.

auch die Übersicht über Landnahmetheorien bei R. de Vaux, Histoire, 1971, 443-454.

Mendenhall nahestehend, doch in vieler Hinsicht sehr theoretisch, M. K. Gottwald, A So¬

ciology of the Religion of Liberated Israel, 1250-1000 B.C., MaryknoU, New York 1975;

vgl. die Kurzfassung der Hauptgedanken in: Congress Volume, Edinburgh 1974, VTS 28, 1975,89-100.

41 A. Alt, Kl. Schriften I, 124 f.

42 S. Herrmann, Geschichte Israels, 116-146; M. Noth, Geschichte Israels, 6. Aufl., 1966, 54-82; ausführliche Übersicht über die Stämme, ihre Landnahme und ihre Wohnsitze bei R. de Vaux, Histoire, 1971, 455-620. Einen selbständigen Entwurf bietet Sh. Yeivin, The Israelite Conquest of Canaan, Istanbul 1971; bisher ungedruckt ist die Studie von A. Elliger, Die Frühgeschichte der Stämme Ephraim und Manasse, Diss. Rostock 1972.

43 Vgl. obige Anm. 13 mit zugehörigem Text.

(13)

israelitischen Verbände zu schaffen**. Auch aus der vorstaatlichen Rechtsliteratur

Israels geht die besondere Rolle der Stadt als normativer Verwalmngseinheit nicht

hervor, - in voller Übereinstimmung mit allem, was wir über Israels Leben in vor¬

staatlicher Zeit wissen können*' .

Es bleibt zu bedauern, daß de Geus seine Beobachtungen sehr stark auf die un¬

mittelbar vorstaatliche Zeit beschränkt hat, dadurch einen gewollten Abstand von

einer nomadischen Frühzeit gewinnt, aber auch andererseits die organische Über¬

leitung zum Staat nicht darstellt. Man sollte angesichts dieser Probleme von noma¬

discher Landnahme und dem Verhältnis der Einwanderer zur Stadt nicht aus dem

Auge verlieren, was besonders seit der eingehenderen Erforschung der Texte aus

Mari ins Bewußtsein gerückt ist. Es ist die Einsicht in die sehr unterschiedlichen

Lebensbedingungen und Lebensformen von Stämmen und Sippen, gerade un Ver¬

hältnis zu den städtischen Kulturen, auf die sie stoßen**. Die weitgehende Selb¬

ständigkeit einer Sippen- und Stammeskultur mit ihren jeweiligen ökonomischen

Bedingungen ist auch noch im Stadium der Seßhaftigkeit möglich, und zwar unter

bewußter Aufrechterhalmng nomadischer und halbnomadischer Traditionen. Das

Verhältnis zur Stadt kann distanziert sein und bleiben, es kann aber auch zu einem

engen Miteinander und zu einem Güteraustausch kommen.

Diese differenzierten Verhältnisse zwischen Stamm und Stadt, für die seit den

Untersuchungen von Rowton der Begriff der „dunorphic society" an Bedeutung

zu gewinnen scheint*', haben sicherlich auch für die Geschichte Israels, und zwar

nicht allein für ihre sogenannte vorstaatliche Phase, ihre Bedeutung. Aber es bleibt bei aller generellen Vergleichbarkeit problematisch, ob die Verhältnisse, die uns die Mari-Briefe schildern, exakte Parallelen für das Alte Testament hergeben. Damit soll

der Wert von Einzelbeobachtungen nicht herabgesetzt werden. Aber allein schon

der Unterschied verdient Beachtung, daß das Archiv von Mari die Beurteilung der

Verhältnisse aus der Sicht der etablierten Machtträger darbietet ; das Alte Testament

44 Dies gilt in erster Linie für Jerusalem, das David fiir sich erobern mußte (2. Sam. 5,6-10), und Omri, der den Stadthügel von Samaria kaufte (1. Kön. 16,24), um dort seine künftige Hauptstadt zu gründen. Schwierigkeiten hatten die Israeliten mit der Stadt Sichem (vgl.

Ri.9), die sich als Hauptstadt des Nordstaates Israel zwar anbot, aber schon von Jerobeam I.

als Regierungssitz aufgegeben wurde (zugunsten von Pnuel, 1. Kön. 12,25, und später Thirza, 14,17); im übrigen sind Städte wie Hebron, Megiddo, Beth-Sean oder Hazor keines¬

wegs in erkennbarer Weise von den Israeliten so favorisiert worden, wie es ihr historischer, geographischer und strategischer Rang hätte nahelegen können.

45 Im übrigen hat sich ein ausgesprochenes ,, Stadtrecht" in Israel nie entwickelt, auch nicht ein solches, das den Städten eine besondere Rechtsstellung im Staate zugebilUgt hätte. Jeden¬

falls ist davon aus vorexUischer Zeit im Alten Testament nichts überliefert.

46 Vgl. die oben Anm. 21 zitierte Literatur; insbes. sei hier auf die Kategorien verwiesen, die M. B. Rowton im Hinblick auf die Lebensverhältnisse der „dimorphic society" zusammen¬

gestellt hat, La civilisation de Mari, (ed. Kupper) 1967, 116. Die Problematik wird deutlich in den Ausführungen von H. Klengel unter der Überschrift ,,Vom Stamm zum Staat", in:

Zwischen Zelt und Palast, 103-145.

47 M. B. Rowton, The Physical. Environment and the Problem of the Nomads, in: La civilisa¬

tion de Mari, 1967, 109-121; ders.. Autonomy and Nomadism in Western Asia, Orientalia 42, 1973, 247-258; ders., Urban-Autonomy in a Nomadic Environment, JNES 32, 1973, 201-215; ders., Enclosed Nomadism, in: JESHO 17, 1974, 1-30; ders., Dimorphic Struc¬

ture and the Problem of the „'Apiru-'Ibrim", JNES 35, 1976, 13-20.

(14)

hingegen bietet das Selbstzeugnis der Zuwanderer und der Träger künftiger Macht.

Das Verhältnis von Stamm und Stadt und der Begriff der „dimorphic society"

bedürfen für Israel mindestens der vorsichtigen Überprüfung und gegebenenfalls

einer modifizierten Anwendungsweise. Immerhin ist die Möglichkeit nicht auszu¬

schließen, daß hier für künftige Forschung Ansatzpunkte liegen, die Frühgeschichte Israels soziologisch zutreffend zu erfassen**.

Versucht man, diese Geschichte aus den biblischen Quellen und unter Berück¬

sichtigung der historisch-soziologischen Voraussetzungen der Zeit, wie sie uns frei¬

lich recht unvollständig auch unter Berücksichtigung außerbiblischen Materials be¬

kannt sind, in einem weiten Rahmen zu verstehen, so ist die Einwandemngsthese,

gegen die sich de Geus sträubt, noch ünmer der wahrscheiiüichste Lösungsweg.

Gerade die detaillierte Art, wie das Alte Testament über die von den einzelnen

Stämmen erreichten und die nicht einnehmbaren Territorien spricht, steht in Über¬

einstimmung mit allem, was wir hauptsächlich aus ägyptischen Quellen über die

territorialgeschichtliche Situation des Landes zur Zeit der israelitischen Einwande-

mng wissen*'. Danach mußten für Israel die wahrscheirüich schon im 13. Jahrhun¬

dert von den Phüistern in Besitz genommenen Küstenebenen, ferner eine Reihe von

städtischen Zentren ün gebirgigen Hinterland, unter üinen Jemsalem und Sichem,

zunächst uneinnehmbar bleiben. Das galt weitgehend auch für den alten Festungs¬

gürtel am Südrand der Ebene von Megiddo und die Festung Hazor im östlichen

Galiläa, ferner für eine Reihe fest besiedelter Ortschaften auf der Höhe von Gezer bis hinauf in das Gebirge bei Ajalon und Gibeon nordwestlich von Jemsalem'".

Das Alte Testament verschweigt nicht, daß alle diese hier genannten Städte und

Territorien zunächst nicht von den Israeliten besetzt wurden. Ri 1, 27—36 ist dafür

das überzeugendste Dokument, einmalig und unerfindbar in seiner Art. Anzuneh¬

men ist also em sukzessives Vordringen von Bevölkemngselementen gleicher ethni-

48 Vgl. dazu jetzt die knappe, aber instruktive Diskussion mit der neuesten Forschung von W.

G. Denver in: Hayes-Miller (ed.), Israelite and Judaean History, 1977, 102-120. Denver sieht in der Konzeption der dimorphic society "the best analytical model for any promising direction in future research on patriarchal background" a.a.O. 117. Die Frage ist, ob das nur für die Patriarchen gilt oder für die Gesamtproblematik der israelitischen Landnahme über¬

haupt.

49 Das Material bietet in leicht zugänglicher Form W. Helck, Die Beziehungen (siehe obige Anm. 33); Hayes-Miller, Israelite and Judaean History, 1977, IV § 2 „Egyptian Sources", 245-252; vgl. auch A. Alt, Syrien und Palästina in Onomastikon des Amenope, 1950, Kl.

Schriften I, 231-245; Das Stützpunktsystem der Pharaonen an der phönikischen Küste und im syrischen Binnenland, 1950, Kl. Schriften III, 107-140.

50 Vgl. die Literatur in Anm. 13. Zur Geschichte von Hazor und besonders zur Frage, ob Israeliten sie einnahmen und zerstörten, vgl. die positive Antwort auf Grund des archäologi¬

schen Befundes bei Y. Yadin, Hazor, London 1972; ders., Hazor, Die Wiederentdeckung der Zitadelle König Salomos, Hamburg 1976; ders., Art. Hazor, in: Encyclopedia of Archaeol.

Excavations in the Holy Land II (ed. M. Avi-Yonah), London 1976,474-495; abweichend von Y. Yadin: Y. Aharoni, The Land of the Bible, London 1967, 205-208; V. Fritz, Das Ende der spätbronzezeitlichen Stadt Hazor, Stratum XIII, und die biblische t)berlieferung in Josua 11 und Richter 4, in: Ugarit-Forschungen Bd. 5, 1973, 123-139; vgl. auch die grund¬

sätzlichen Erwägungen, die zu einer Revision der These der „friedlichen Landnahme" der Israeliten auffordern, von F. Maass, Hazor und das Problem der Landnahme, in: Von Ugarit nach Qumran, (Festschrift O. Eißfeldt), BZAW 77, 1961, 105-117.

(15)

scher Herkunft über einen längeren Zeitraum hinweg in die Bereiche dünner besie¬

delter gebirgiger Landschaften in der Nachbarschaft befestigter Siedlungen. Nichts hindert daran, sich dies als ein Vordringen aus halbnomadischem Milieu vorzustel¬

len. Offen bleibt allein die Frage, wie groß die jeweihgen Kontingente zu denken

sind. Es können ebenso Sippenverbände gewesen sein wie Gmppen größeren Aus¬

maßes, die den Begriff „Stamm" verdienen" . So wenig man die ethnischen Ge¬

meinsamkeiten dieser Gmppen wird bestreiten wollen, die Frage einer ihnen von

allem Anfang an gemeinsamen Religion ist eine andere Sache. Auch über solche

Differenziemngen läßt das Alte Testament keinen Zweifel. Denn die alten Patriar¬

chen Abraham , Isaak und Jakob scheinen, so weit wir urteilen können, dem Glau¬

ben der Ortsgötter, an deren Orte sie kamen, sich durchaus verpflichtet zu haben.

Es waren damnter die kanaanäischen Elun, die ihnen dort erschienen. Die wohlbe¬

kannte Theophanie zu Bethel, wo Jakob den Himmel sich öffnen und eine Treppe

sich herabneigen sah, mag durch die Erscheinung einer Ortsgottheit veranlaßt ge¬

wesen sein'^ .

Der Glaube an den Gott des Berges Sinai (Horeb), dessen Eigenname nur in

Gestalt des Tetragramms JHWH sicher greifbar ist und dessen Lesung als „Jahwe"

alle Wahrscheinlichkeit für sich hat'', dürfte durch südliche Wandemngsgmppen ins

Land gebracht und dort zu stämmeübergreifender verpflichtender Allgemeingültig¬

keit erhoben worden sein. Es ist angesichts dieser Entwicklung nicht einmal auszu¬

schließen, daß alte Ortsheiligtümer zu Sammelpurücten angrenzender Stämme wur¬

den, so etwa Bethel, aber auch Sichem, besonders eindmcksvoll Hebron in Juda**

und das HeUigtum auf dem Berge Tabor im Nordosten der Ebene von Jesreel. Der

Gedanke der „tribal league" hat hier zumindest einen Ansatzpunkt, und solche

nach der Zahl üuer Mitgheder unterschiedlich großen „amphUctyonischen" Ver¬

bände mögen durchaus dazu beigetragen haben, Sippen und Stämme zu binden und

üir Selbstbewußtsein zu stärken. Die Zwölfzahl der Stämme freUich ist damit noch

nicht unbedingt gegeben, allenfalls vorbereitet. Hinzu kam der Zwang zu kriegeri¬

scher Auseinandersetzung mit benachbarten übergreifenden ethnischen Gmppen,

51 Vgl. dazu de Geus, a.a.O. 133-156; einen ausgewogenen Versuch, die Probleme zu differen¬

zieren, bietet W. Thiel, Verwandtschaftsgruppe und Stamm in der halbnomadischen Früh¬

geschichte Israels, in: Altorientahsche Forschungen IV, Berlin 1976, 151-165;in strecken¬

weise anderer Beleuchtung unter Berücksichtigung literarischer Fragen des Alten Testaments erscheint die Problematik nomadischer Vergangenheit Israels bei B. Zuber, Vier Studien zu den Ursprüngen Israels, Freiburg-Göttingen 1976, 99-138.

52 O. Eißfeldt, El und Jahwe, KI. Schriften III, 386-397; ders., Jahwes Begegnung mit El, und Moses Begegnung mit Jahwe, in: OLZ 58, 1963, Sp. 325-331 = Kl. Schriften IV, 92-98;

ders., Der kanaanäische El als Geber der den israelitischen Erzvätern geltenden Nachkom¬

menschaft- und Landbesitzverheißungen, in: Studia Orientala ... C. Brockelmann 1968. 45- 53 (Wiss. Ztschr. Univ. Halle) = Kl. Schriften V, 50-62.

53 G. Quell, ThWNT III, 1938,1056-1080; Jenni-Westermann, THAT I, 1971, 701-707.

54 Zu denken ist nicht nur an Hebron als ursprünghchem Sammelpunkt judäischer Stämme mit der Begräbnisstätte Abrahams (Höhle Machpela, Gen. 23), sondem auch an das nördlich Hebron gelegene alte Baumheiligtum von Mamre (Gen. 13.18), wo die Gottheit in Gestalt dreier „Männer" erschien (Gen. 18,2), möglicherweise ein Hinweis auf den ursprünglichen Wohnsitz mehrerer Götter an diesem Ort.

(16)

gegen die die .Richter" kämpften". Daß der sich verstärkende Dmck von außen schließhch eine einzige Fühmngsspitze erzwang, leuchtet ein; aber es überrascht,

daß dem ersten König Saul nur zögernd zugestimmt wird'*, er außerdem nur

über einen Teil der Stämme verfügen kann''. Juda ist allem Anschein nach noch

nicht beteiligt'*. Das einigende Band eines amphiktyonischen Bewußtseins, das

sich auf eine Einheit von zwölf Mitgliedern berief, kann es damals noch nicht

gegeben haben. Was auf solche Weise das Alte Testament über den politischen

Verlauf berichtet, der zur Wahl eines Königs führte, steht in einer unmer schon

beobachteten Spannung zur Verfassung Israels als eines aus Stämmen erwachsenen

Verbandes, für den die Zentralgewalt eines Königs als Fremdkörper empfunden

wurde. So geläufig Könige in der Nachbarschaft Israels waren, für Israel selbst be¬

deutete das Königtum eine Neuemng, die es endgültig aus den Gewohrüieiten freier

Selbstbestimmung aus nomadischer Vergangerüieit riß. Mit seinen Königen tritt

Israel in eine Phase neuer Selbstfmdung und Selbstbindung eüi. Israel als lockerer

Verband von Sippen und „Stämmen" unterstellt sich ün Kulturland nicht der

Suprematie einheimischer Institutionen, begibt sich nur in den seltensten FäUen in

eine abhängige Stellung zu ihnen", sondern entwickelt einen selbständigen Regie-

mngsapparat, der konkurrenzfähig und sogar müitärisch expansiv werden kann.

Die „dimorphic society" einer landsuchenden GeseUschaft zwischen den etablierten

Königtümern in seiner Nachbarschaft entwickelt sich zum selbständigen „Staats¬

volk", zu einer Macht, die sich selbstbewußt neben das Kanaanäertum setzt und

faktisch eigene Tradition begründet. Erst als hinreichend konsolidierte Macht ver¬

mag Israel die üi seinem Gebiet gelegenen alten Stadtstaaten zu überwinden und üir

Erbe anzutreten.

Tatsächlich gelmgt das erst David. Bezeichnenderweise verfügt er über eine

eigene, vom Heerbann der Stämme unabhängige Tmppe, die üim selbständige Ope¬

rationen erlaubt*". In Hebron, hier nun tatsächlich in oder bei einem städtischen

Zentmm, wird er zum König über Juda gesalbt*' und schließlich auch von dem

55 Im Prinzip bleibt die sog. ..Richterzeit" eine für das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der israelitischen Stämme wichtige Periode (vgl. das Debora-Lied Ri. 5), doch wohl nicht in einer so umfassenden Weise, wie es Noth für das Funktionieren einer Zwölf-Stämme-Am- phiktyonie voraussetzt.

56 l.Sam. 10,27; 11, 12.13.

57 2. Sam. 2,9, wird allem Anschein nach das alte Herrschaftsgebiet Sauls erfaßt.

58 Juda fehlt in 2. Sam. 2,9. Das „ganze Israel" meint hier eindeutig das spätere Nordreich;

Juda kann hier nicht einbegriffen sein, weil unmittelbar vorher (2. Sam. 2,4) Davids Herr¬

schaftsantritt über Juda ausführhch mitgeteilt ist. Die Stellung Judas zu Gesamtisrael in vor¬

staatlicher Zeit ist ein altes Problem der Forschung; vgl. R. Smend, Gehörte Juda zum vor¬

staatlichen Israel?, in: Fourth World Congress of Jewish Studies, Papers I, 1967, 57-62;

ders.. Zur Frage der altisraehtischen Amphiktyonie, in: Ev. Theol. 31, 1971, 623-630, bes.

625 f.; H.-J. Zobel, Beiträge zur Geschichte Groß-Judas in früh- imd vordavidischer Zeit, in:

Congress Volume. Edinburgh 1974, VTS 28,1975, 253-277.

59 MögUches Beispiel: der Stamm Issachar, dazu A. Alt, Kl. Schriften III, 169-175; S. Hen- mann, Geschichte Israels, 1973,127-129.

60 Vgl. 1. Sam. 22,2; 2. Sam. 22; K. Elliger. Die dreüiig Helden Davids, in: Palästina-Jahrbuch 31, 1935, 29-79; B. Mazar, The MUitary EUte of King David, in: VT 13, 1963, 310-320.

61 2. Sam. 2,1-4.

(17)

nördlichen, einst saulidischen Herrschaftsbereich anerkannt"''. Damit sind „Juda"

und „Israel" zwar unter einheitliche Fühmng gelangt, aber doch als zwei Gebilde,

deren unterschiedliche Vorgeschichte bis in die Tage der Einnahme des Landes

zurückverfolgt werden kann. Damm zeigen sich schon sehr bald Spannungen, die

den davidischen Staat von innen her bedrohen, so erfolgreich es diesem König auch

gelang, militärisch weit über die Grenzen Israels hinauszugreifen und fast alle seine

Nachbarn in den Status verschieden streng gehandhabter Abhängigkeiten zu brin¬

gen. So gewiß Israel und Juda ethnisch eine Einheit dargestellt haben werden*', ver¬

fassungsmäßig blieb ihr Verhältnis zum Königtum immer ein Problem. Zwar hat

sich in Jemsalem der dynastische Gedanke durchzusetzen vermocht und die Thron¬

nachfolge der Davididen ohne Ausnahme bewirkt. Der israelitische Norden dagegen

trennte sich schon nach Salomo von Juda und bildete ein selbständiges Königtum

mit eigenen Herrschem und Dynastien.

Trotz dieser recht selbständigen Entwicklungen innerhalb Israels ist doch ein

Vergleich mit den syrischen Stadtstaaten kaum möglich. Denn in den territorialen

GebUden von Israel und Juda beherrschten nicht die Könige von ihren Residenzen

aus mehr oder minder geräumige Stadtstaaten, sondern es blieb im Gmnde bei

Stämmeverbänden, die die monarchische Spitze ihrerseits anerkannten. Die Vor¬

stellung von Israel als Vereinigung von Stämmen, die das Volksganze ausmacht, ist

unabhängig von allen Regiemngsformen als konstitutives Element stets ün Bewußt¬

sein erhalten worden. Es hat alle Wahrscheiiüichkeit für sich, daß die ausführlichen

Listen im Buche Josua Kap. 13-19 mit üirer Aufzählung von Stammesgrenzen und

Grenzfixpunkten ein Stück der Verwaltungsstmktur der Königszeit widerspiegeln**,

möglicherweise unter Berücksichtigung älterer Vorstellungen von der Verteilung

und Administration des Landes*'. Insofern spricht sehr viel dafür, daß Israel sich

62 2. Sam. 5,1 -S.

63 Vgl. die Rede der Israeliten über den Judäer David: ,,WiT sind deines Gebeins und deines Fleisches" 2. Sam. 5,1.

64 Dies güt insbesondere für eine Liste der Orte des Staates Juda aus der Zeit des Königs Josia in Jos. 15, 21-62; dazu A. Alt, Kl. Schriften II, 276-288; bis auf davidisch-salomonische Zeit geht eine Liste über Verwaltungsbezirke im Nordreich Israel zurück, die sogenannte

„Gauliste Salomos", 1. Kön. 4,7-19; dazu A. Alt, Kl. Schriften II, 76-89. Diese Liste ist mit den Texten über Grenzfixpunkte und Stammesgrenzen im Josuabuch nicht durchweg vereinbar. Ein Grund kann darin bestehen, daß die Listen des Josuabuches primär Jerusale¬

mer Tradition darstellen, im Gegensatz zu einer von Salomo aus praktischen Gründen durch¬

gesetzten Verwaltungsordnung im Nordreich, die alte Stammesgrenzen nicht unbedingt zu berücksichtigen brauchte.

65 So gewiß die Listen über den Umfang der Stammesgebiete im Prinzip auf die Verhältnisse seit den Tagen der Landnahme zurückgehen, ist nicht auszuschließen, daß ihre spätere For¬

mulierung den Umständen der Königszeit vielfach Rechnung trug. Ideal und Wirklichkeit klar zu unterscheiden, ist eine nicht leichte Aufgabe territorialgeschichtUcher Forschung;

vgl. A. Alt, Das System der Stammesgrenzen im Buche Josua, KI. Schriften I, 1922, 193- 202, bes. 201f.; M. Noth, Josua, Handbuch zum Alten Testament I, 7, 2. Aufl., 1953, 13- 15. Siehe jetzt Z. Kallai, The United Monarchy of Israel - A Focal Point in Israehte His¬

toriography, in: Israel Explor. Joumal (lEJ) 27, 1977, 103-109, wo der interessante Ge¬

sichtspunkt vertreten wird, daß die topographischen Listen, vomehmlich im Buche Josua, daraufhin konzipiert sind, Israel als den Nachfolger Kanaans in machtpolitischer und terri¬

torialer Hinsicht erscheinen zu lassen. Ein älterer Bestand an Überlieferungen ist im Laufe der israehtischen Königszeit in diesem Sinne ergänzt und vervollständigt worden. Die Frage

(18)

erst im Laufe der Königszeit endgültig als ein Volk von zwölf Stämmen verstand,

nachdem dazu auch die politischen Voraussetzungen im Rahmen der beiden Monar¬

chien von Israel und Juda gegeben waren.

In so komplizierter Weise und nur in wechselseitiger Betrachtung des alttesta¬

mentlichen Quellenbefundes einerseits und der topographisch-soziologischen Vor¬

aussetzungen andererseits läßt sich für Israel, nicht ganz frei von Hypothesen, der Weg , /wischen Zelt und Palast" nachzeichnen. Und doch ist das, was wir angesichts

dieses nachgewiesenermaßen komplexen Vorganges an Israel beobachten können,

trotz mancher Unsicherheit weit mehr, als wir über ähnliche Vorgänge aus Syrien

und dem Zweistromland sagen können. Die Frage läßt sich zuspitzen: Wamm wis¬

sen wir aus dem Alten Testament überhaupt so viel über diesen Prozeß der Landes¬

einnahme von den Steppen her, aus anderen Gegenden des Vorderen Qrients hin¬

gegen so gut wie nichts? Weil in Israel das nicht geschehen ist, was Buccellati

zutreffend für die syrischen Stadtstaaten feststellte, der Verlust der Erinnemng an eine nomadische Vergangenheit. Also muß doch für Israel mit dieser Frühzeit außer¬

halb des Landes, mit der Landnahme selbst und dem Zusammenschluß der Gmppen

und Stämme im Kulturland Außergewöhnliches verbunden gewesen sein.

Es ist sicher kein Ausweichen in ein anderes Genos der Betrachtung, wenn hier

der Tatsache gedacht wird, daß dieser israelitische Stämmeverband in der Tat durch

nichts mehr verbunden worden und gewesen zu sein scheint als durch die gemein¬

same Anerkennung eines Gottes. Dies begründete eine Tradition, die die nomadi¬

sche Vorgeschichte nicht dem Vergessen auslieferte, sondern sie im Gegenteil im

Bewußtsein erhalten wissen wollte. Wenn der Gott, mit dessen erklärter Hilfe Israel in Ri 5 gegen eine starke kanaanäische Koalition siegte, dazu eigens von dem südli¬

chen Gebirge Seir aufbrechen mußte, wie es Ri 5,4 heißt, dann war eben das Erinne¬

mng an eine unvergeßliche Frühzeit, an Gotteserfahmngen, die vor dem Eintritt m

das Kulturland gemacht wurden. Daß unter solchen Voraussetzungen Stammes¬

religion auch Stammesbewußtsein schafft und erhält, sollte einleuchten. Der Staat

hat die Religion Israels nicht geprägt, eher umgekehrt, die Religion hat die Formen des Staates mitbestimmt, ja sogar unter ihre Kontrolle gebracht. Nur andeutungs¬

weise katm hier gesagt werden, daß die „verfassungsrechtliche" Stellung der Könige

von Israel und Juda letztlich dadurch bestimmt und begründet war, daß Propheten

sie designierten und salbten, daß sie aber auch noch als regierende Fürsten dem

prophetischen Urteil unterworfen blieben"*. Dies kann allein deshalb nicht als

ist jedoch nicht berührt, wo man sich diesen Prozeß der Überlieferungsverarbeitung denken soll, ob als ein Werk des Jerusalemer Hofes oder der im Nordreich Israel etablierten Ver¬

waltungsinstanzen. Vgl. auch Z. Kallai, The Boundaries of Canaan and the Land of Israel in the Bible, in: Eretz-Israel (EI) 12, 1975, 27-34 und Bibliographie (hebr.); ders.. The Tribes of Israel, Jerusalem 1967 (hebr.); ders.. Interpreter's Dictionary of the Bible, Suppl.

Vol., Abingdon 1976, 920-923.

66 Das bekannteste Beispiel ist der Prophet Nathan, der seinen Einfluß auf David geltend machte (2. Sam. 7; 12; 1. Kön. 1); jedoch ist gerade dessen Stellung als „Prophet" umstrit¬

ten. Wichtiger sind prophetische Erscheinungen im Nordreich Israel, beginnend bei Samuel, die auf das Königtum einwirkten, Köruge salbten, ihnen aber auch den Untergang voraus¬

sagten. Prinzipiell A. Alt, Das Königtum in den Reichen Israel und Juda, Kl. Schriften II, 1951, 116-134. Spätere Untersuchungen bauten wesentlich auf Alts Erkenntnissen auf.

(19)

„billige Staatsideologie" herabgesetzt werden, weil aus der Mitte des Königtums

selbst religiöse Anstöße von weittragender Bedeutung ausgingen und die innere Ver¬

fassung Israels mitgestalteten. Dazu gehört mit gewissen Vorbehalten die problema¬

tische Figur des Königs Jehu*', vor allem aber der durch seine kultischen Reform¬

maßnahmen hervorragende, innenpolitisch kluge, aber strategisch glücklose Köiug

Josia**. Die „dimorphic society" Israels bewährte sich nicht zuletzt in der Abwehr der kanaanäischen Landeskultur zugunsten einer politisch und rehgiös selbständigen Konzeption, die nicht im Kulturland erfunden, die aus Wüstentagen herübergenom¬

men war und zu staatstragender und das Gememschaftsgefühl prägender Bedeutung

aufstieg.

Israel ist ein besonders hervorragendes Beispiel für den Beitrag, den Zuwanderer

aus den Bereichen der Steppe in ein Kulturland gebracht haben, den sie freilich

auch recht selbständig entwickelten unter eklektischer Aufnahme vorgefundener

kanaanäischer Einrichtungen und VorbUder*'. Läßt sich auch für andere Länder des

Vorderen Orients ein solcher kultureller oder religiöser Beitrag nachweisen, der

zweifelsfrei auf den Einfluß zugewanderter Gmppen zurückgeht? GenereU darf

gesagt werden, daß mit unterschiedlichen Graden eigentlich jede der aus der syrisch¬

arabischen Wüste kommenden Bevölkemngsgmppen auf die Gestaltung der Kultur¬

länder, in die sie vordrangen, Einfluß nahm, d^ dort, wo ihre Landnahme gelang,

auch eine Entwicklung einsetzte, die zu neuen Impulsen führte. Semitische „Wel¬

len" haben je auf ihre Weise die Dynastien von Akkad und Babylon heraufzuführen

vermocht. Der Einfluß der aramäischen Bewegung auf fast alle TeUe des sogenann¬

ten „fmchtbaren Halbmondes" hat vornehmlich in Syrien und Obermesopotamien

zur Ausprägung der dort begründeten Stadtstaaten beigetragen; mehr noch aber hat

die Sprache dieser Zuwanderer, das Aramäische, einen Siegeszug angetreten, der die

Anfänge ethnischer Ausbreitung des Aramäertums geographisch weit überschritt

und in Gestalt des , Reichsaramäischen" eine Amtssprache hervorbrachte, die über

das aramäische Volkstum hinaus normierend und verbindend wirken konnte'". Der

Einfluß der Nabatäer blieb begrenzt; aber die Ausbreitung des Arabertums, fast ein

Spätling in dieser Ahnenreihe, konnte nicht zuletzt unter religiösem Vorzeichen

eine bis auf den heutigen Tag spürbare geistig-kultureUe Welt begründen, die das

antike Erbe in den betroffenen Ländern geradezu aufsog.

In so umfassender Perspektive erscheint die Geschichte des alten Israel nur als

ein Element, als ein TeUstück im Rahmen altorientalischer Geschichte, das aber

doch in ungewöhnlicher Weise paradigmatisch vor Augen steUt, in wie differenzier-

67 2. Kön. 9.10.

68 2. Kön. 22.23.

69 Dies ist insbesondere auf dem Gebiet des israehtischen Rechts beobachtbar geworden; vgl.

dazu jetzt den großen Überbhck über die wesenthchen Gesichtspunkte von H. J. Boecker, Recht und Gesetz im Alten Testament und im alten Orient, Neukirchen 1976; die Ver¬

schmelzung israelitischer und kanaanäisch-syrischer Formelemente ist außerdem im Bau¬

wesen nachweisbar, besonders deutlich an den Tempelbauten; dazu neuerdings V. Fritz, Tempel und Zelt, Studien zum Tempelbau in Israel und zu dem Zeltheiligtum der Priester¬

schrift, Neukirchen 1977.

70 Vgl. den Abschnitt , Aramäisch und Syrisch" in: Handbuch der Orientahstik 1,3 Semitistik, Leiden 1964,135-204.

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