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ZUR MEHRNAMIGKEIT ALTÄGYPTISCHER ORTE
Von Karola Zibelius, Tübingen
Bei der diachronischen und synchronischen Betrachtung des altägyptischen
Ortsnamenmaterials fällt auf, wie häufig Orte nebeneinander mehrere Namen
tragen können. Die Tendenz zur Mehrnamigkeit besteht durch die ganze ägypti¬
sche Geschichte. Sie ist schon im AR greifbar, weitet sich im MR und NR aus
und erreicht ihren Höhepunkt in der SpZt. Dagegen behauptet Montet (i), im
Prinzip könne eine Stadt nicht zwei Namen haben. Eine Ausnahme davon bil¬
deten nur die Gauhauptstädte, die sowohl den Gaunamen als auch einen eige¬
nen Namen tragen können. So sieht er als Folge dieser Annahme z.B. in
hwt-kl-pth nicht einen anderen Namen für Memphis, sondern die Bezeichnung
eines Stadtviertels von Memphis (2). Nun erscheint aber für hwt-k?-pth und
auch für mhlt-tlwj (3) im demot. Teil des trilinguen Dekretes für Ptole¬
maios IV. (4) der Stadtname mn-nfr, ebenso in der Rosettana für jnb-ljd und
mhat-tjwj im demot. und griech. Text(5), so daß wohl doch feststeht, daß es
sich bei hwt-k5-pth und mhU-tiwj um Äquivalente für den Stadtnamen Memphis
handelt. Andere Beispiele, die sich gar nicht anders als durch Mehrnamig¬
keit erklären lassen, werden unten besprochen, und auch Montet selbst nimmt
u.a. für Edfu Mehrnamigkeit an (6). Mehrnamigkeit von Orten ist auch aus
unserem Kulturkreis bekannt. Sie besteht hier gewöhnlich in einem volks¬
tümlichen Namen oder in der Tatsache, daß verschiedene Ortschaften und
soziale Schichten verschiedene Namen für einen Ort haben (7).
Wie verhält es sich nun mit der ägyptischen Mehrnamigkeit? Sind bestimm¬
te Muster erkennbar ? Wie werden die einzelnen Namen gebraucht und auf wel¬
chem Hintergrund ist die Mehrnamigkeit zu verstehen?
Die bei uns bekannte, relativ kurzlebige Doppelnamigkeit eines Ortes, die
durch Umbenennung entsteht (z.b. Petrograd/Leningrad), ist in Ägypten nur
einmal greifbar in db'wt, dem älteren Namen von p (Buto). PT 1668 a nennt
Horus von db'wt, wo die späteren Fassungen p haben. PT 734 c ist der Name
in der Verbindung db'wt-p (Horus, Kind in db'wt-p) erhalten und im Toten¬
tempel des Sahure im Beinamen der b§w von p als p-db'wt (8). Danach ver¬
schwindet der Ortsname db'wt. Nur in einem Spruch der CT (9) oder sonst
in stark archaisierendem Kontext (lo) tritt db'wt in späterer Zeit noch auf (ll).
Mehrnamigkeit entsteht auch, wenn zwei Orte zusammenwachsen. Die bei¬
den ursprünglichen Ortsbezeichnungen dienen dann zumeist unterschiedslos
zur Bezeichnung der gesamten Ortschaft, behalten aber bei den traditionsbe¬
wußten Ägyptern wohl auch weiterhin ihre primäre Bedeutung. Beispiel für diese
Art der Bildung von Mehrnamigkeit ist jimnw/wnw (Hermopolis). Wann die
beiden Orte zusammengewachsen waren, läßt sich noch nicht bestimmen (12).
Jedenfalls scheinen sie in ramessidischer Zeit bereits vollständig zusam¬
mengefallen zu sein. Denn das On. Am. erwähnt nur hmnw (13), und in ei¬
nem magischen Text, dessen früheste Version aus ramessidischer Zeit
stammt, ist bei der näg. Paraphrasierung des Textes wnw durch hmnw er-
setzt (14). In der Pi{anchi )-Inschrift treten beide Ortsnamen unterschieds¬
los für einander ein. Zeile 31 schlägt Pi(anchi) sein Camp im Südwesten von
hmnw auf und belagert die Stadt, Zeile 32 ist dann davon die Rede, daß wnw
zu stinken beginnt und sich ergeben möchte. Ganz ähnlich verhält sich der
Fall des Städtepaares ddt und 'npt. «npt ist seit der 4. Dyn. im Titel "Prie¬
ster (hm-ntr) des hl von 'npt" überliefert, der wohl identisch mit dem spä¬
teren bä nb ddt ist (15). In der Mendesstele (16) werden beide Orte als Zwil¬
lingsstadt ddt-'npt erwähnt, und die Ortsnamen sind wohl nur als Äquiva¬
lente zu verstehen, wenn Edfou VI, 51 der bJ nb ddt 'npt darbringt (17) und
Edfou 1, 334 pr-b?-nb-ddt, ein weiterer Name der Stadt, mit den lebenden
Widdern in 'npt genannt ist (18). Dagegen können die Namen des Städte¬
paares p und dp nie für einander eintreten. Der übergeordnete Begriff ist
hier die Neubildung pr-wi djjt-(nbt-p-dp). Daneben können Ortsteile ihren
Namen auf ein größeres Gebiet oder einen ganzen Ort übertragen, so z.B.
im Fall dämt/tämt/ ^MMe, das zuerst Medinet Habu und Deir el-Medine, dann
aber den ganzen thebanisehen Westen bezeichnete und sogar das Ostufer ein¬
bezog, sofern die Annahme richtig ist, das griech. QsftoLl leite sich von d'mt
her (19). 'I
Zu einer weiteren Form von Doppelnamigkeit kommt es, wenn Gauhaupt¬
städte, die ursprünglich den Gaunamen tragen, einen sie unterscheidenden
Namen oder Gauhauptstädte mit eigenem Namen den Gaunamen zusätzlich
annehmen. Als Beispiel diene hier für den ersten Fall die Hauptstadt wjst
des gleichnamigen 4. oäg. Gaus, die den Namen njwt (jmn) zusätzlich an¬
nimmt (2o), und für den zweiten Fall die Hauptstadt tp-jhw (Atfih), die nach
dem 22. oäg. Gau auch mtnw heißen kann (21).
Seit dem NR tauchen zunehmend Ortsbezeichnungen auf, die die Bildung
pr (Haus) plus Stadtgott plus gegebenenfalls nb und alten Namen des Kult¬
ortes aufweisen. Der Ort wird hier als Domäne des Stadtgottes gekennzeich¬
net. So wirkt etwa die Hauptgottheit von Buto, WJdjjt, namengebend für die
neue Bezeichnung von p und dp, inpr-wjdjjt, auch mit dem Zusatz nbt p dp.
Aus der verkürzten Form pr-wJdjjt entstand schließlich das griech. ß OWTCO wie
auch das griech.ßouß L^tjaus dem verkürzten pr-wsjr von pr-wsjr-nb-ddw,
der neuen Form des alten ddw, gebildet wurde. Andere Beispiele für die Neu¬
bildung mit pr sind pr-nbt-tp-jhw für tp-jhw, pr-bjstt für b'st, pr-pth für
Memphis und andere mehr (22).
Daneben übertragen verschiedene Orte ihre Namen aufeinander, weil Ähn¬
lichkeiten zwischen den Orten in Kult, Mythen und ideologischem Anspruch
bestehen. Auch schafft man neue deskriptive und dogmatische Bezeichnungen
zusätzlich für einen Ort und verwendet sie neben den anderen Ortsbezeich¬
nungen. Beispielsweise nimmt der Gott Horus den Namen seines Kultortes
bhdt im Delta - es sei hier dahingestellt, ob das uäg. oder das oäg. bhdt
das ursprüngliche ist - mit in das oäg. dbi/Edfu. Auch seinen Kultort msn,
der seinen kriegerischen Aspekt betont, bringt er dorthin. Andererseits über¬
nimmt die Grenzfestung Sile (tjrw), wohl das ursprüngliche msn (23), den
Namen dbS von Edfu. Der Mythos von Horus, dem Harpunierer, ist das aus¬
lösende Moment für diese Übertragung. Ideologische, aber auch kultische
Gründe hatte es wohl, wenn die Hauptstadt Theben, wäst, ihren Namen der
Hauptstadt des Äthiopenreiches, Napata, lieh. W?st übertrug seinen Namen
auch auf die nördlichste Stadt Ägyptens, smS-bhdt, nach Theben auch njwt
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mhtt genannt, denn an beiden Orten wurde der gleiche Götterkreis verehrt.
Zur gleichen Gruppe gehört jwnw (Heliopolis). Alsjwnw^mCj bedeutet es
Erment und die Re-Kapelle im Karnaktempel, als jwnw mhj Heliopolis. Als
deskriptive oder dogmatische Namen haben solche wie ht-hrj-jb (Haus der
Mitte) und mh»t-tJwj (Waage der beiden Länder) zu gelten. Ht-hrj-jb, das
alte km-wr, wurde wohl hauptsächlich wegen seiner Lage in der Mitte des Del¬
tas so bezeichnet (24). Später wurde der Name jedoch auch als ht-jb verstan¬
den und mit der sekundär dort verehrten Osirisreliquie in Verbindung ge¬
bracht (25). Der Name mhJt-tJwj für Memphis nimmt sowohl auf die geogra¬
phische Bedeutung von Memphis als Knotenpunkt zwischen Oäg. und Uäg.
Bezug, als auch auf die politische Bedeutung, die Memphis als "dem Züng¬
lein an der Waage" zukam.
Bei der Verwendung der Namen lassen sich verschiedene Tendenzen fest¬
stellen, die daraufhinweisen, daß jede Bezeichnung einen bestimmten Aspekt
eines Ortes betont, wie etwa den religiösen, weltlichen oder territorialen As¬
pekt, obwohl die Bezeichnung an sich in der Regel den ganzen Ort meint. So
steht in den Epitheta eines Stadtgottes mit der Form nb plus Kultort gewöhn¬
lich der alte oder sakrale Namen der Stadt. Entsprechend ist Min der Herr
von jpw und nicht von hnt-mnw, so wie Uto die Herrin von p und dp ist und
nicht von pr-wJdjjt. In ihrem Epitheton nbt p dp hntt pr-wjdjjt in der Götter¬
liste in Dendera (26) bezieht sich das pr-wldjjt nicht auf Buto, sondern im
Spiel mit dem Namen der Göttin auf Dendera, denn auch im Beinamen der in
der Liste vorhergenannten Göttin Bastet nbt bjst jintt pr-b?stt Sm't nimmt das
pr-bistt nicht auf Bubastis, sondern durch den Zusatz äm't ganz klar auf
Dendera Bezug. Beide Göttinnen sind nämlich der Hathor von Dendera ange¬
glichen worden und nehmen deshalb die Namen ihrer eigenen Kultorte mit
nach Dendera. Ähnlich heißt Thot stets nb jimnw und nicht nb wnw, obwohl
beide Orte in ihrer Bedeutung ja schon in der Ramessidenzeit vollständig zu¬
sammengefallen waren. In Amtstiteln dagegen kommt der amtliche, admini¬
strative Name eines Ortes zum Tragen. So erscheint Edfu im Titel des h^tj-*
dieser Stadt stets als ^b». (27) Bhdt, msn oder andere Namen der Stadt wer¬
den in dieser Verbindung nicht gebraucht, und so ist auch von dbi die Rede,
wenn der Beamte Jwf zur Zeit Thutmosis' I. das Eigentum der Königin Ahho-
tep in Edfu verwaltet (28). Für Theben, wjst, ist die amtliche Bezeichnung
njwt oder njwt rst. Sie tritt seit dem MR in den Amtstiteln der Verwaltung
auf. Bei Tempelangestellten ist die entsprechende Bezeichnung jpt-swt (29).
In Wortspielen hingegen werden die administrativen, religiösen und terri¬
torialen Namen nicht primär wegen des in ihnen eingeschlossenen Aspektes
benutzt, sondern sie dienen als Träger religiöser Bedeutungsinhalte, mit an¬
deren Worten: der Ägypter gibt dem Namen durch das Wortspiel wieder sekun¬
där inhaltliche Bedeutung. So wird die Herkunft des Ortsnamens dbjdurch
Wortspiele auf verschiedene Weise gedeutet. Einmal wird er mit dem Verb
^b! "Feinde bestrafen" (3o) zusammengebracht, und damit wird gleichzei¬
tig auf den Mythos vom "siegreichen Horus" hingewiesen. Edfou I, 15 (29)
heißt es von Horus: ixT ^ ^ £l 5^*^ AJ ■' c= ^ J S> O - Horus
von Behedet, der seinen Vater in Behedet rehabilitiert und seine Feinde in
db? bestraft (db). Db? ist also hier als Ort des Bestrafens aufgefaßt (31).
Der Ortsname kann, beeinflußt durch diese Auffassung, auch mit dem schla¬
genden Arm geschrieben werden, als hinge er mit dem Verb dbj zusammen (32).
EbenfaUs in Edfu wird db? ganz deutlich als Stätte der Vernichtung des Seth
erklärt. Es heißt: a*^*^ O i ^ S> - man nennt db§ den Namen
dieses Bezirkes, weil Hours den Seth erschlagen (dbJ ) hat (33). Nach einer
anderen Stelle in Edfu (34) bezieht sich der Name db? auf die Gründung der
Stadt durch ein Schilfrohr. Schilf kam geflogen, eine Hälfte davon wurde ab¬
geteilt, und die zwei Sbtjw pflanzten das dbJ in das Urwasser. Als der Falke
(Horus) kam, hob ihn das Schilf empor (wts), und so kamen dbJ und wtst-hr
in Existenz und zu ihrem Namen (35).
Der Ortsname smj-bhdt ist mit dem Ritus des "Vereinigens der beiden Lä.n-
der" in Verbindung gebracht. Im Tempel von Hibis (36) heißt es:
^ V? a>^^ «^Tr^^^O -du hast die beiden Länder ver¬
einigt unter deinem sm>t-Thron auf deinem Thron von sm}-bhdt. Anders ist
mit smJ-bhdt in den Epitheta des Month-Re gespielt, wo sich auch oäg. und
uäg. Orte entsprechen: Month-Re, der Herr von w5st (Theben), König der
Götter auf seinem Thron in jpt-swt, mrtj, groß an Kraft, Herr des nördlichen
wist, smJ tJwj (der die beiden Länder vereinigt), der erste von sm?-bhdt,
Herr des südlichen jwnw, Herrscher des nördlichen jwnw (37). Daß die Mehr¬
namigkeit auch zum Ausdruck der Konzeption von der Dualität der beiden Län¬
der dient, zeigt das letzte Beispiel deutlich. Aber auch Beispiele wie die Be¬
nennung von Napata, der Hauptstadt der Äthiopen, mit wjst gehören dazu.
Denn der Name bezieht sich sicherlich nicht nur auf denselben Götterkreis,
der in Theben und Napata verehrt wurde, sondern auch auf die Hauptstadt¬
funktion von Theben. Man wollte für Napata eine ebenso wichtige Funktion
fordern, wie sie Theben innehatte. Von mhjt-t'wj, der "Waage der beiden
Länder" wird auf dem Schabaka-Stein (38) ausgesagt, daß dort die beiden
Länder gewogen wurden. Das heißt, Memphis liegt in der Mitte zwischen bei¬
den und hält das Gleichgewicht. Dieser Aspekt des Namens zeigt sich auch
deutlich, wenn sich im Dekret für Ptolemaios IV. (39) die Priesterschaft
von Ober - und Unterägypten im Tempel von ml}3t-tJwj versammelt, zumal
in der vorhergehenden Zeile davon die Rede ist, daß die Priester schaff des
gesamten Landes kommt, um den König inhwt-kj-pth zu sehen. Hier hat die
Erwähnung der Priesterschaft offenbar das ljwt-k5-pth bedingt, also den reli¬
giösen Namen: mh't-t'wj steht wohl deshalb nicht, weil von der Priester¬
schaft in ihrer Gesamtheit die Rede ist und nicht von ihr nach Landeshälften
getrennt. Der Waageaspekt von Memphis wird auch deutlich in der Gaupro¬
zession in Philae (4o). Hier bringt der Gau jnbw-hd die Gauhauptstadt jnbw-hd
dar. Jnbw-hd ist wohl als Anspielung auf den Gaunamen gedacht. Dagegen heißt
es am Ende der Inschrift, daß der Gau dem Gott die Pflanzen vom Süden und
Norden des Landes auf seinem Thron in ml}?t-t}wj präsentiert. Besonders klar
wird diese Aspektgebundenheit der Namen am Beispiel von Memphis in der
Pi(anchi)-Stele (41). Der König zieht zur Eroberung der Stadt nach jnbw-hd,
wodurch vielleicht der Aspekt der Festungs- oder Gauhauptstadt ausgedrückt
werden soll, die erobert werden muß. Der Gegner Tefnachte kommt inzwischen
heimlich mit Truppen nach jnbw-hd, wohl der Festung, und stellt fest, daß
mn-nfr, das ganze Stadtgebiet in seinem territorialen und administrativen
Aspekt, mit den besten Truppen des Nordens und Nahrungsmitteln ausgerüstet
sei. Pi(anchi) zieht mit Schiffen vor jnbw-hd "Festung" und findet, daß das
Wasser die Mauern erreicht hat und daß die Schiffe an der Mauer von mn-nfr
44
vor Anker lagen. Mit mn-nfr, später ist noch direkt von dem Hafen von mn-nfr
die Rede, ist wohl wieder die territoriale und administrative Einheit der Stadt
gemeint. Dann wird der Hafen von mn-nfr angegriffen. Schließlich fordert der
König zum Sturm auf die Stadt auf. Seinen Offizieren, die eine Belagerung vor¬
geschlagen hatten, gibt er zu verstehen, daß es verwerflich (hsj) wäre, den
Süden zu schließen und im Norden der Stadt zu landen und mhJt-tJwj zu bela¬
gern. Mn-nfr wird genommen - vielleicht sollte man hier eher jnbw-hd er¬
warten. Aber daß die ausschließliche Benutzung der Namen in den Texten nach
dem jeweiligen Aspekt nicht für unsere Begriffe konsequent ist, sondern sich
nach dem Akzentuierungswunsch des jeweiligen Verfassers richtet, ist dabei
in Betracht zu ziehen. Der König zieht dann in die Stadt ein und opfert der Göt¬
tergemeinschaft von hwt-kä-ptlj - hier erscheint der religiöse Name - und
reinigt mn-nfr mit Natron. Danach folgt die Ubergabe des Distriktes von mn-
nfr, und die Vorräte von mn-nfr werden zwischen Amun, Ptah und der Götter-
neunheit von hwt-k'-pth geteilt.
Wie erklärt sich nun die Vorliebe des Ägypters für Mehrnamigkeit ? Zweifel¬
los haben die seit dem NR gehäuft auftretenden pr-Bildungen mit der Vermeh¬
rung des Tempelbesitzes und wie auch andere Neuschöpfungen vielleicht mit
dem Wunsch nach sprachlich verständlicheren Namen zu tun. Jedenfalls sei
in letzterem Zusammenhang daran erinnert, daß die ägyptischen Personen¬
namen - ungleich den unseren - größtenteils verständlich waren und auch
sein mußten, da nach der ägyptischen Denkweise ein Name gleichzeitig auch
Wesen ist. Daneben ist es immer eine Eigentümlichkeit des Ägypters gewesen.
Altes neben Neuem zu bewahren. Aber der Hauptgrund für das bewußte Schaf¬
fen von Mehrnamigkeit liegt sicher in der assoziativen und dualistischen Denk¬
weise des Ägypters. Während der moderne Mensch zum Rationalen tendiert
und in der Sprache nach Möglichkeit Homonyme ausschaltet, knüpft der Ägyp¬
ter Verbindungen und schafft Homonyme. So soll z.B. in den Texten der ver¬
schiedenen Tempel durch Verwendung ähnlicher Namen für Stadt und Tempel
eine enge Beziehung zwischen beiden hergestellt werden, ohne daß allerdings
dabei gesagt werden kann, ob der neue Stadtname erfunden oder aus einer Fül¬
le von Namen ausgewählt wurde (42). Dazu sind die Götter ihren Kultzentren
verhaftet. Dieser Aspekt bleibt ihnen erhalten, wenn sie an einem anderen
Ort verehrt oder mit dem dortigen Gott identifiziert werden. So übertragen
sie den Namen ihres ursprünglichen Kultortes auf andere Ortschaften, an de¬
nen sie verehrt werden. Die Konzeption von der Dualität der beiden Länder be¬
dingt, daß viele Orte mit gleichem Namen in Oäg. und Uäg. erscheinen. Alle
Namensübertragungen sind aber nur möglich über die Vorstellung vom mythi¬
schen Ort, der sich ja jederzeit überall realisieren kann (43). Daneben wird
man das stark gehäufte Auftreten der Mehrnamigkeit in der SpZt. vielleicht
auch mit dem Bestreben des Ägypters in Zusammenhang bringen, die Duali¬
tät von Oäg. und Uäg. als Ganzes zu erfassen und hinter der Vielheit der As¬
pekte die Einheit zu sehen und diese wiederum in die Vielheit aufzufächern (44).
Anmerkungen
1. Kemi 10, 1949, 46; MGI, 108.
2. Kemi 10, 1949, 46.
3. Montets Interpretation von mjj't-tlwj s. MG I, 48.
5. Urk. II 172, 6. 9; 183, 4. Jnbw-hdist zwar der Gauname, fällt also nach Montet
aus dem Prinzip der Einnamigkeit heraus, aber für jnbw-hd ist auch die
griech. Übersetzung^ ^^qv TuvOj bekannt.
6. MG II, 33.
7. Bach, Deutsche Namenkunde II 2, § 702-703.
8. Borohardt, Sahure II, Taf. 23 und S. 103.
9. Harhotep 1. 484.
10. Bisson de la Roque, FIFAO 7, 1929, 82 und pl. 4; Drioton, Revue de 1'
fegypte ancienne 2, 1929, 264 fig. 6; Petrie, Palace of Apries, pl. 2;
Sarg CGC 29306 (?).
11. Vgl. auch pr-db'wtj, Annalen des Userkaf: Urk. I 241, 13.
12. Zur Zeit der 1. ZwZt (Anthes, Hatnub, Inschr. 23, 7; 24, lo) werden
hmnw und wnw als zwei verschiedene Orte nebeneinander genannt. Noch
in der Luxorliste sind beide Orte durch drei weitere getrennt, und auch
die Stele Leiden V, 1 trennt wnw und hmnw. S. AEO III, pl. 26.
13. AEO II, no. 377.
14. S. Sethe, Kom. I, 190 f; Jeli'nkova-Reymond, Statue guerisseuse, 43 n.
3; 9 n. 1. Vgl. auch derartige Paraphrasierung bei Schott, Deutung der
Geheimnisse, 189.
15. S. Helck, Beamtentitel, 122.
16. Urk. II 37, 14.
17. Ddt wird allgemein aufgrund von Fundmaterial in Tall ar-Rub*, dem nörd¬
lichen Tall von Mendes, lokalisiert. Der alte Name hat sich aber in dem
des südlichen Talis von Mendes, Timay al-Amdid, erhalten [aEO II, 151;
s. auch Czapkiewicz, Toponomy of Contemporary Egypt, 43 (84), 69
(174)]. In diesem südlichen Tall von Mendes das alte 'npt zu lokalisieren,
schlug Soghor als letzter vor (JARCE 6, 1967, 31), obwohl für diesen
Hügel bislang kein Material bekannt wurde, das ein so frühes Gründungs¬
datum nahelegt.
18. Vielleicht sind aber die beiden Städte auch nicht zusammengewachsen,
denn 'npt könnte möglicherweise ein älterer Name für ddt sein. S. Helck,
Gaue, 191.
19. S. Otto, Theban. Gau, 11. 75. 77 f; gegen die Gleichung djmt- OijPoi'-
s. AEO II, 25 f.
20. Für die Auffassung von njwt als Eigennamen s. Otto, Theban. Gau, 8 f.
21. Andere Beispiele sind jnbw-hd/mn-nfr für die Hauptstadt des 1. uäg.
Gaus jnbw-hd, km-wr/ht-hrj-jb (Athribis) für die Hauptstadt des 10.
uäg. Gaus km-wr; db?/wtst-hr (Edfu) für die Hauptstadt des 2. oäg.
Gaus wt,st-hr und jpw/hnt-mnw/mnw (Achmim) für die Hauptstadt des
9. oäg. Gaus mnw.
22. S. auch die Beispiele in der näg. Ritualübersetzung bei Schott, Deutung
der Geheimnisse, 189.
23. S. Gardiner, JEA 5, 1918, 242 f; AEO II, 203; Gutbub, Kemi 17, 1964.
3 5 ff.
24. Helck, Gaue, 176; vgl. dagegen LÄ I, 519.
25. LÄ I, 519.
26. Dümichen, Geo. Inschr. I, pl. 73 (8); s. auch Chassinat, Dendera V, 68.
27. S. z.B. Couyat/Montet, Ouädi Hammämät, 65 (87), 1. 13; Engelbach,
ASAE 22, 1922, 128; Davies, Rekh-mi-Re, pl. 29; CGC 22048.
46
28. Urk. IV, 29. Zu beachten ist, daß die weltlichen Namen eines Ortes in
den Titeln wechseln können, ein religiöser Name dabei aber nicht benutzt
werden kann. So ist in einem anderen Titel auf einer Statue aus griech.-röm.
Zeit ein mr-ml< wr n wtst genannt (Daressy, ASAE 18, 1919, 186). Vgl.
auch die Titel in Helck, Verwaltung, 484. 485; 521. 524. S. oben S. 6.
29. Otto, Theban. Gau, 10 mit Beispielen.
30. Wb V, 556 II D a.
31. S. auch Edfou VI, 112, 5-6. Vgl. Reymond, Origin of the Temple, 170.
32. Edfou I, 16o.
33. Edfou VII, 10, 5-6.
34. Edfou IV, 358, 14-15.
35. Reymond, JEA 48, 1962, 83 ff; s. auch id.. Origin of the Temple, 14.
36. Brugsch, Reise nach der großen Oase, Taf. 26 1. 30.
37. Urk. VIII, 29 (34b).
38. Sethe, Dram. Texte, 35 ff.
39. Gauthier/Sottas, Decret trilingue, 6 1.5.
40. Dümichen, Geo. Inschr. II, pl. 27.
41. Urk. III, 27 ff.
42. S. Beinlich, Studien zu den "Geo. Inschr." (13. - 14. oäg. Gau), Ms.
der noch unveröff. Diss., 73.
43. Zum myth. Ort. S. Brunner, Studium Generale 10, 1957, 612-620.
44. Vgl. den ägypt. Gottesbegriff in der SpZt bei Otto, FuF 35, 1961, 278.
SEKTION II. KEILSCHRIFTFORSCHUNG
Sektionsleiter Burkhart Kienast, Freiburg
DER GEGENWÄRTIGE STAND DER AKKADISTIK (1975)
UND IHRE AUFGABEN
Von D.O. Edzard, München
Der hier verkürzt wiedergegebene Vortrag war in zwei Teile gegliedert.
Im ersten suchte der Referent den Anschluss an Erica Reiner in Current Trends
in Linguistics 6: Linguistics in South-West Asia and North Africa (1970) S. 274-
303: "Akkadian" (l). Der zweite Teil behandelte ein Forschungsdesideratum,
die Frage nach den näheren Zusammenhängen des Sumerischen und des Akka¬
dischen in der Form eines "Sprachbundes". Das zweite Thema wird hier nur
in Stichworten umrissen; es soll in AfO 25 näher ausgeführt werden (2).
I.
Wenn der akkadische Wortschatz demnächst, wie man hofft, von A bis Z in
modernen Wörterbüchern greifbar ist, können systematisch auswertende Stu¬
dien beginnen, wie W. von Soden sie schon öfters angeregt hat. Man denkt z.B.
an die Untersuchung fremdsprachiger Wörter im Akkadischen und umgekehrt
an lexikalische Ausstrahlung des Akkadischen; an neue Übersichten über Nomi¬
nalformen oder an Studien zur verbalen Rektion; die vergleichende Semitistik
wird zweifellos profitieren. Vor allem aber sollte es demnächst leichter fest¬
stellbar sein, was einen bestimmten Dialekt lexikalisch besonders kennzeich¬
net, positiv wie auch negativ durch das Fehlen bestimmter Wörter (3). Im Üb¬
rigen laufen revidierende und erweiternd-präzisierende lexikalische Arbeiten
nebenher (4). Wie sehr unsere Wörterbücher auch in der weiteren Nachbar¬
schaft des Faches Früchte tragen, zeigte kürzlich wieder O. Szemerenyis
Aufsatz (1974) über cdtorientalische Wörter im Altgriechischen (5).
Über das Akkadische hinausgehend hat von Soden (1973) grundsätzliche Er¬
wägungen zu einem semitischen Wur zel Wörterbuch vorgetragen (6). Eine wich¬
tige neue Studie zum Onomastikon stammt von C. Saporetti (1970) (7).
Eine Sprachgeschichte des Akkadischen ist noch ein fernes Ziel. Die Vorge¬
schichte hat in einem kühnen Entwurf I.J. Gelb (1969) zu zeichnen versucht.
In seiner "Sequential Reconstruction of Proto- Akkadian" ( = AS 18) finden
wir das Modell einer agglutinierenden Sprache reinsten Wassers mit der säu¬
berlichen Verteilung einzelner Funktionen auf einzelne Morpheme (8). I.M.
Diakonoff hat zuerst 1965 (9), dann erneut 1967 (lO) die Entwicklungsstufen
des Akkadischen in Beziehung zum Entwicklungsstand anderer semitischer
Sprachen gesetzt (alte, mittlere Stufe). 1970 hat er in "Problems of Root
Structure in Protosemitic" versucht, ältestmögliche Wurzelformen zu rekon¬
struieren und Gesetzmässigkeiten für das Verhalten der akkadischen Wurzel
zu finden (11).
Einen ausführlichen Abriss der akkadischen Grammatik gab Diakonoff 1969 (l2)
Aus dem Jahre darauf stammt - leider erst im Manuskript (dem Referenten
durch die Freundlichkeit des Verfassers bekannt) und nicht allgemein zugäng¬
lich - eine sehr ausführliche "Structural Grammar of Babylonian" von G.
Buccellati, die sich u.a. durch eine besonders liebevolle Pflege der Syntax