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Magnetismus gegen flinke Finger
Bei elektronischen Diebstahlsiche- rungen spielen magnetische Mate- rialien eine entscheidende Rolle.
Seit in Paris 1852 das erste Kauf- haus Bon Marché eröffnet wurde, ist der Ladendiebstahl als Massendelikt eine Begleiterscheinung der Kon- sumwelt. Was betriebswirtschaftlich mit dem harmlosen Terminus „In- venturdifferenz“ bezeichnet wird,
verursacht dem bundesdeutschen Einzelhandel jedes Jahr Milliarden- verluste. Kein Wunder, dass die be- troffenen Unternehmen – vor allem im Kosmetik- und Textilgewerbe – erhebliche Summen in Sicherheits- systeme investieren. Neben Detek- tiven und Videoüberwachung neh- men heutzutage vor allem eine Reihe von elektronischen Waren- sicherungssystemen den Kampf gegen die Ladendiebe auf.
Alle Systeme der elektronischen Artikel-Sicherung (EAS), so der Fachbegriff, funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Ein Siche- rungsetikett an der Ware muss da- bei eine Schleuse passieren, die ein elektromagnetisches Feld erzeugt, etwa großflächige Rahmenantennen (Abb. 1). Nobelboutiquen bevorzu- gen oft dezent im Boden verlegte Drahtschleifen. Das Etikett löst ei- nen Alarm aus, wenn die Kasse um- gangen wurde. An der wird nämlich das Etikett entfernt oder deakti-
viert, sodass der ehrliche Kunde das Geschäft unbehelligt verlassen kann. Unbezahlte Waren, d. h. akti- ve Etiketten, empfangen hingegen ein Signal und werden angeregt, ih- rerseits ein Signal auszusenden. Die verschiedenen Systeme unterschei- den sich in der Art der elektroma- gnetischen Strahlung und damit zu- sammenhängend in der Funktions- weise und im Material des Etiketts.
Am ältesten sind Sicherungssys- teme, die Radiofrequenzen (RF) nutzen (meist ein Frequenzband um 8,2 MHz). Das Etikett besteht dabei aus einem Schwingkreis (Abb. 2a), der – etwa wie bei einem Radio – auf die Sendefrequenz abgestimmt ist und im Resonanzfall Energie aus der eingestrahlten Strahlung absor- biert, was in der Empfangsantenne detektiert wird. Das RF-Signal ist periodisch um die Resonanzfre- quenz moduliert, sodass die Absorp- tion ebenfalls periodisch auftritt und sich somit von anderen Absorp- tionen unterscheiden lässt. Die Eti- ketten der RF-Systeme sind relativ preiswert herzustellen, lassen sich aber leider auch recht einfach durch metallische Gegenstände abschir- men und kommen deshalb haupt- sächlich im Textileinzelhandel zum Einsatz. RF-Systeme sind zudem störanfällig gegenüber anderen Schwingkreisen, beispielsweise in Hörgeräten oder Handys, die relativ häufig die für alle Beteiligten ärger- lichen Fehlalarme auslösen.1)
Oberwellen als Warnsignal
Radiofrequenzen sind nicht das einzige Mittel, Ladendiebe elektro- magnetisch zu stoppen. Sicherungs- systeme neuerer Bauart nutzen zu- nehmend elektromagnetische und sog. akustomagnetische Detektions- techniken. Sie verwenden weich- magnetische Metallstreifen als Sensorelemente, deren Ummagneti- sierungsverhalten in einem Wech- selfeld zur Alarmauslösung genutzt wird. Begleitet werden die Sensor-
streifen meist noch von hartmagne- tischen Streifen, die für das Aktivie- ren bzw. Deaktivieren des Etiketts zuständig sind.
Elektromagnetische Systeme sind vor allem in Europa verbreitet; in den USA findet man sie nur noch in Bibliotheken. Sie werden auch als
„harmonische“ Systeme bezeichnet, was auf das Funktionsprinzip hin- deutet. Gerät ein aktiviertes Etikett in das magnetische sinusförmige Wechselfeld der Schleuse, wird es periodisch ummagnetisiert und er- zeugt auf diese Weise in den Emp- fängerspulen eine induzierte Span- nung. Diese ist aber nun nicht mehr sinusförmig, sondern hat einen ho- hen Anteil harmonischer Oberwel- len. Das liegt daran, dass während des Ummagnetisierens die Permeabi- lität ständig wechselt – um bis zu einen Faktor 1000 – und somit die Magnetisierung nicht den gleichen Verlauf wie das äußere Magnetfeld zeigt. Der Oberwellenanteil und da- mit die Erkennungssicherheit ist um so höher, je stärker das Erregerfeld ist; allerdings setzt nicht zuletzt der Strahlenschutz einer Verstärkung dieses Feldes Grenzen. Außerdem muss das Bestreben dahin gehen, auch bei kleinen Feldstärken eine gute Ummagnetisierung zu errei- chen, damit sich die Etiketten von Einkaufswagen, Schlüsseln und an- deren magnetischen Materialien un- terscheiden und so Fehlauslösungen vermeiden lassen. Der entscheiden- de Faktor, den es für die Funktions- fähigkeit des Systems zu optimieren gilt, ist somit der Entmagnetisie- rungsfaktor des Sensorstreifens:
Je kleiner der Querschnitt, desto besser. Deshalb sind diese Streifen in der Regel nur 1 bis 2 mm breit und 20 bis 30 mm dick. Der Nach- teil: Auch das emittierte Signal ist dann relativ klein und begrenzt die Schleusenbreite auf etwa einen Meter.
Neben dem Sensorstreifen sitzen auf dem Etikett noch kürzere mag- netisch halbharte Streifen (Abb.
2b). Zur Deaktivierung werden die- se Streifen magnetisiert, und zwar jeweils bis zur Sättigung. Dadurch wird der Sensorstreifen effektiv in mehrere kurze Stücke unterbrochen mit jeweils sehr hohem Entmagneti- sierungsfaktor, sodass er sich nicht mehr durch das Wechselfeld in die Sättigung bringen lässt. Damit bleibt das charakteristische Ober- wellenmuster aus. Die Antenne rea- giert nicht – der Kunde kann unbe- helligt das Kaufhaus verlassen.
Physik Journal 2 (2003) Nr. 6
58 Physik im Alltag
Abb. 1:
Den Eingangsbe- reich von Kaufhäu- ser dominieren oft die großflächigen Rahmenantennen der elektronischen Diebstahlsiche- rung.
Abb. 2:
Die verschiedenen Sicherungsetiketten im Überblick: Radiofrequenzsystem mit durchgedruckter Schaltung für den
elektrischen Schwingkreis (a), elektro- magnetisches System (b) und akusto- magnetisches System (c).
a b
c
1) Eindeutiger Vorteil der RF-Technologie ist, dass sie sich zur Speicherung und zum Auslesen von Daten eignet (z. B. als Skipass, s. Physik Jour- nal, Dezember 2002, S.
64), was für die Zukunft zahlreiche Kombinatio- nen aus Sicherungssyste- men und Identifizie- rungsaufgaben vorstell- bar macht.
Dr. Ulrich Kilian, science & more redaktionsbüro, uk@science-and- more.de
Warenschutz, den man knicken kann
Auf der Suche nach einem Sys- tem, das dem Kunden nicht zumu- tet, sich durch einen schmalen Aus- gang drängen zu müssen, anderer- seits aber trotzdem zuverlässig funktioniert, wurden vor etwa zwölf Jahren akustomagnetische Systeme entwickelt, die sich inzwischen in den USA quasi zum Standard ge- mausert haben. Das liegt vor allem an ihrer geringen Fehlerquote, denn fälschlicherweise verdächtige ameri- kanische Kunden zögern nicht mit Schadensersatzklagen, die Unter- nehmen empfindlich treffen können.
Akustomagnetische Systeme be- ruhen auf dem Prinzip der Magne- tostriktion. Dahinter verbirgt sich die Eigenschaft vieler Ferromagne- ten, unter dem Einfluss eines Mag- netfeldes ihre Länge zu ändern, da sich der Atomabstand geringfügig ändert. In einem magnetischen Wechselfeld beginnt ein magneto- striktiver Streifen mit der Frequenz des Feldes zu schwingen, vor allem, wenn genau die akustische Reso- nanzfrequenz getroffen wird. Bei amorphen Metallen, einer relativ neuen Werkstoffgruppe, ist der Effekt besonders ausgeprägt. Die Atome amorpher Werkstoffe sind – im Gegensatz zu herkömmlichen Metallen – völlig ungeordnet, ähn- lich wie in einer Flüssigkeit oder Schmelze und analog zu Glas, wes- halb man amorphe Metalle auch als metallische Gläser bezeichnet. Die amorphen Streifen in Sicherungseti- ketten bestehen typischerweise zu 75 bis 85 % aus Eisen, Nickel und Kobalt und zu 15 bis 25 % aus Sili- zium und Bor. Der wichtigste Vor- teil amorpher Werkstoffe ist ihre hohe mechanische Streckgrenze, die eine Zerstörung der magneti- schen Eigenschaften durch Knicken etc. praktisch unmöglich macht.
Die Anregung des Metallstreifens ist aber nur die halbe Miete; ent- scheidend ist, dass die Magneto-
striktion auch umgekehrt funktio- niert, ein schwingender magneto- striktiver Metallstreifen also ein magnetisches Wechselfeld aussen- det. Das machen sich akustomagne- tische Sicherungssysteme zunutze, indem sie das Etikett mit einem Magnetfeldimpuls im Ultraschall- bereich (58 kHz) „beschallen“ und in der anschließenden Sendepause auf dessen Antwort lauschen, da der Sensorstreifen auch nach Ab- schalten des Magnetfeldes noch wie eine Stimmgabel weiterschwingt.
Das abwechselnde Empfangen und Senden bildet den großen Vor- teil des akustomagnetischen Verfah-
rens, da der Empfänger hier sehr viel empfindlicher als beim elektro- magnetischen System ausgelegt werden und damit weiter vom Sen- der entfernt werden kann; Schleu- senbreiten von einigen Metern sind dadurch realisierbar. Es gibt aber auch schon RF-Systeme mit Echo, welche die Trägheit des Schwing- kreises ausnutzen.
Das Etikett eines akustomagne- tischen Systems besteht aus einer kleinen weißen Kunststoffbox und ist etwa 40 mm lang, je nach Aus- führung 8 bis 14 mm breit und nur knapp 1 mm hoch. Am Boden der Box befindet sich ein dünner hart- magnetischer Streifen, der abwech- selnd magnetisiert ist und mit dem sich das Etikett ein- und ausschal- ten lässt. Im aktivierten Zustand ist er magnetisiert, im deaktivierten entmagnetisiert, was die Resonanz- frequenz verstimmt und den amor- phen Metallsensor unempfindlich macht. Für potenzielle Diebe ent- täuschend: Die Entmagnetisierung benötigt ein langsam abklingendes, starkes magnetisches Wechselfeld und lässt sich nicht mal eben mit einem Dauermagneten bewerkstelli- gen.
U l r i c h K i l i a n
Physik Journal 2 (2003) Nr. 6
Physik im Alltag
59 Sicherungsetikett
Kunststoffhülle
Sender
schickt Magnetfeldimpulse (58 kHz, 2 ms an, 20 ms aus)
Resonator (amorphes Metall)
Empfänger Hartmagnetischer Streifen
Resonator
antwortet Abb. 3:
Funktionsweise des akustomagne- tischen Waren- sicherungssystems (Quelle: Siemens)