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Mit einem Mechanismus die Staatsinsolvenzen bewältigen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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VERSCHULDUNG

14 Die Volkswirtschaft  12 / 2016

Dass die durchschnittlichen Schuldenquoten in den Entwicklungsländern im Vergleich zu den Industriestaaten auf einem tiefen Niveau liegen, sollte nicht zu Sorglosigkeit verleiten. Denn: Ent- wicklungs- und Schwellenländer sind anfällig für Währungsinkongruenzen, die dann entstehen, wenn Länder ihre Schulden in Fremdwährungen aufnehmen müssen und dadurch einem Wech- selkursrisiko ausgesetzt sind.2 Somit weisen Ent- wicklungsländer selbst mit Schuldenständen, die für Industriestaaten als unproblematisch gelten würden, erhöhte Risiken auf.

Während einkommensschwache Länder noch vor wenigen Jahren für günstige Kredite auf multi- laterale und bilaterale Geldgeber angewiesen wa- ren, können sie ihre Staatsanleihen mittlerweile am Markt platzieren – wodurch die Risiken ebenfalls zugenommen haben. Denn: Kommerzielle Schuld- titel weisen kürzere Laufzeiten und höhere Zins- sätze auf als traditionelle öffentliche Kredite. In Subsahara-Afrika erhöhte sich beispielsweise das gesamte Emissionsvolumen von 1 Milliarde Dollar im Jahr 2011 auf weit über 6 Milliarden im Jahr 2014.

Vergangenes Jahr haben mindestens zwölf Sub- sahara-Staaten ihre Gläubiger noch nicht bedient.3

Auf eine übermässige Kreditaufnahme folgt meist eine starke Zunahme von Kreditausfällen:

Dass es dieses Mal anders sein wird, ist eher un- wahrscheinlich. Es stellt sich somit die Frage, was nach dem Kreditrausch geschehen wird: Werden die Staatsinsolvenzen des zweiten und des drit- ten Jahrzehnts dieses Jahrtausends so ungeord- net verlaufen wie die Staatsbankrotte der Neun- zigerjahre und der frühen Nullerjahre?

Fehlende Lösungsmechanismen verstärken Krisen

Der Mangel an Lösungsmechanismen bei Staats- schuldenkrisen bringt vier Probleme mit sich.

E

s ist beunruhigend: 15 Jahre nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Mechanismus zur Umstrukturierung von Staats- schulden (Sovereign Debt Restructuring Me- chanism, SDRM) vorgeschlagen hat, verfügt die internationale Finanzarchitektur nach wie vor über kein strukturiertes System für den Umgang mit Staatsschuldenkrisen.1 In den nächsten zehn Jahren dürften Staatsbankrotte deshalb ver- mehrt an der Tagesordnung sein.

Eine Ursache dafür ist die weltweite Finanz- krise: Die durchschnittliche öffentliche Schul- denquote der Industrieländer erhöhte sich von 72 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahr 2007 auf knapp 110 Prozent im laufenden Jahr. In den Schwellenländern stieg die Staats- verschuldung von 35 auf 47 Prozent und in den einkommensschwachen Entwicklungsländern von 31 auf 39 Prozent (siehe Abbildung). Dank der multilateralen Entschuldungsinitiativen («Heavily Indebted Poor Countries Initiative»

und «Multilateral Debt Relief Initiative») war es beispielsweise den Subsahara-Staaten um die Jahrtausendwende noch gelungen, ihre hohe Auslandsverschuldung zu verringern. Doch auch in dieser Region erhöhten sich die Staats- schulden von 23 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf 33 Prozent im Jahr 2016.

Mit einem Mechanismus die Staatsinsolvenzen bewältigen

Zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen braucht es einen Mechanismus auf internatio- naler Ebene. Im Zentrum könnte der IWF stehen.  Ugo Panizza

Abstract  Der internationalen Finanzarchitektur fehlt ein strukturierter Mecha- nismus für den Umgang mit Staatsschuldenkrisen. Die hier vorgeschlagene Lö- sung zielt auf die Anreizstruktur des internationalen Kreditgebers der letzten In- stanz – den Internationalen Währungsfonds (IWF) – ab. Sie umfasst überprüfbare Indikatoren und verbindliche Abmachungen; Ausnahmeklauseln kämen einzig bei externen Schocks zum Zuge. Mit dem vorgeschlagenen Mechanismus könnte erstens die Verwässerung der Schulden eingedämmt werden. Denn das aktuelle System bietet den Staaten Anreize, neue Schulden aufzunehmen. Zweitens könn- te eine absichtliche Verzögerung der Kreditausfälle verhindert werden. Drittens würde der Mechanismus die Zwischenfinanzierung in einer Umstrukturierungs- phase verbessern. Und schliesslich könnte man sogenannte Hold-outs, d. h. die Blockade durch einzelne Gläubiger, stoppen.

1 Dieser Artikel stützt sich auf das Working- Paper «Do We Need a Mechanism for Solving Sovereign Debt Crises?

A Rule-Based Discus- sion», Ugo Panizza (2013).

2 Zu solchen Währungs- inkongruenzen vgl. Ei- chengreen, Hausmann und Panizza (2007).

3 World Bank (2015).

(2)

FOKUS

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 15 Erstens gibt es im Staatsschuldenmarkt keinen

formellen Mechanismus zur Durchsetzung der sogenannten Seniorität – der Reihenfolge, in der Schulden im Falle eines Staatsbankrottes bedient werden. Dies führt zu einer Verwässerung der Schulden: Wenn ein Land in Zahlungsschwierig- keiten gerät, gibt es gewisse Anreize, neue Anlei- hen auszugeben, was den bestehenden Gläubi- gern schadet.

Das zweite Problem betrifft verzögerte Kredit- ausfälle. So versuchen die politischen Entschei- dungsträger oft, die notwendigen Kreditausfälle aufzuschieben – was zu einer Wertvernichtung führt: Jede Verlängerung einer Krise schwächt die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft und schadet sowohl den Kreditgebern als auch den Schuldnern.

Drittens ist die Zwischenfinanzierung wäh- rend der Umstrukturierungsphase oft mangel- haft. Um das Tagesgeschäft weiterführen zu können, sind solche externe Mittel jedoch ent-

scheidend. Wenn also keine Zwischenfinanzie- rung verfügbar ist, verstärkt sich unter Umstän- den die Krise, und die Zahlungsfähigkeit nimmt weiter ab.

Schliesslich gibt es das sogenannte Hold- out-Problem. Dieser Fall tritt ein, wenn einzelne Gläubiger einen Teilerlass der Schulden blockie- ren und stattdessen den ganzen ihnen zustehen- den Betrag einfordern. Indem sie darauf speku- lieren, dass andere Gläubiger ihre Forderungen reduzieren, verhindern sie eine für Schuldner wie auch Gläubiger grundsätzlich sinnvolle Re- duktion der Gesamtverschuldung.

Einwände von Kritikern widerlegt

Einzelne Kritiker betrachten die erwähnten As- pekte vorab als positiv und behaupten, diese för- derten die Zahlungsbereitschaft. Sie sind zudem der Meinung, jeder Versuch, das System zu ver- bessern, erhöhe letztlich die Kreditkosten und

KEYSTONE

Spielt bei der Umstrukturierung von Staatsschulden eine Schlüsselrolle:

IWF-Chefin Christine Lagarde.

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VERSCHULDUNG

16 Die Volkswirtschaft  12 / 2016

verschlimmere ganz allgemein die Situation. Sol- che Einwände beruhen nicht auf überzeugenden empirischen Grundlagen.4 Vielmehr gibt es Hin- weise darauf, dass vertragliche Neuerungen, wel- che die Restrukturierung von Staatsschulden er- leichtern, keine negativen Auswirkungen auf die Kreditkosten haben. Im Gegenteil: Möglicher- weise verringern vertragliche Neuerungen die Kosten der Kreditaufnahme sogar.5

Auch das vorgebrachte Argument, die Einfüh- rung von kollektiven Handlungsklauseln mache einen Mechanismus zur Umstrukturierung von Staatsschulden überflüssig, ist fehlerhaft. Denn:

Mit Umschuldungsklauseln kann im besten Fall das Hold-out-Problem angegangen werden – für die übrigen Probleme taugt es hingegen nicht.

Ein Bericht der Interamerikanischen Ent- wicklungsbank, der den Zusammenhang zwi- schen Kreditausfällen und Wirtschaftskrisen beleuchtete, führte 2006 innerhalb der Bank zu einem Tumult. Der Grund: Die Autoren waren zum Schluss gekommen, dass die politisch Ver- antwortlichen Umschuldungsentscheide teil- weise zu lange hinauszögerten.6 Für die Geneh- migung des Berichts musste schliesslich eine ausserordentliche Sitzung des Verwaltungsrats einberufen werden. Was 2006 als Irrlehre galt, hat sich mittlerweile zu einer gängigen Meinung entwickelt: Umschuldungen werden meist in einem zu geringen Ausmass und zu spät vorge- nommen.7

Schlüsselrolle für den IWF

In einer typischen Staatsschuldenkrise for- dern Länder, die Schwierigkeiten mit der Ver- längerung ihrer bestehenden Kredite haben, die Unterstützung des Kreditgebers der letzten In- stanz an. Normalerweise ist das der IWF, wo- bei dessen Hilfe teilweise mit Mitteln von ande- ren multilateralen und bilateralen Geldgebern ergänzt wird. Oftmals läuft es gut, und dank einer Teilfinanzierung und einigen Anpassun- gen erhält das betreffende Land wieder Zugang zum Markt – wie beispielsweise Brasilien 1999 und die Türkei 2001. Manchmal verschlechtert sich die Lage jedoch, und das Land kann seine Schulden nicht mehr bedienen, beispielsweise Argentinien im Jahr 2001. Da die Parteien das IWF-Kreditprogramm ständig neu verhandeln, schieben sie schwierige Entscheidungen auf und spekulieren auf eine Schuldentilgung. Da- mit wird der Zeitpunkt der Abrechnung auf in- effiziente Weise verzögert.

Daraus folgt: Verzögerte Kreditausfälle kön- nen nur mit der Entwicklung eines Systems vermieden werden, das Anreize gegen einen unnötigen Aufschub enthält. Denn: Einen Kre- ditausfall zu verzögern, wird ohne externe fi- nanzielle Unterstützung schwierig. Daher muss eine Lösung auf die Anreizstruktur des IWF fo- kussieren.

Verbindliche und realistische Abmachungen

Mit einem transparenten Verfahren für das Aus- lösen des Umstrukturierungsprozesses könnte das Spekulieren auf eine Schulden tilgung besei- tigt – oder zumindest eingeschränkt – werden:

Länder, die den IWF um Unterstützung ersuchen, würden umgehend in Bezug auf ihr tragfähiges Schuldenniveau, ihre fiskalische Nachhaltigkeit und die Tragfähigkeit ihrer Auslandsverschul- dung analysiert. Wenn sich herausstellt, dass ein Land ein Solvenzproblem hat, erhält es kei- ne Unterstützung. Dadurch wird es zu einer Um- schuldung gezwungen.

Falls die Situation hingegen nachhaltig er- scheint oder wenn zu erwarten ist, dass das Land mittelfristig eine nachhaltige Situation erreichen kann, erhält es die erforderliche Unterstützung.

Schuldenquoten nach Industrie- und Entwicklungsländern (in % des BIP)

IWF, BERECHNUNGEN PANIZZA / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

125

0 25 50 75 100

  2007           2016

Industriestaaten Schwellenländer Länder mit niedrigem Einkommen

Subsahara- Afrika 4 Für nähere Angaben

siehe: Borensztein und Panizza (2009); Panizza, Sturzenegger und Zet- telmeyer (2009), Gel- pern et al. (2013).

5 Carletti et al. (2016).

6 Borensztein, Yeyati und Panizza (2006), S. 236.

7 Vgl. IMF (2013).

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FOKUS

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 17 Im Zusammenhang mit der finanziellen Unter-

stützung werden landesspezifische Kriterien und Schwellenwerte festgelegt. Werden diese nicht eingehalten, wird die Unterstützung um- gehend eingestellt, und das Land wird de facto in die Zahlungsunfähigkeit gezwungen.

Der vorgeschlagene Mechanismus unter- scheidet sich in mindestens zwei Punkten von den derzeitigen Auflagen bei Staatsbankrot- ten. Erstens enthalten diese normalerweise eine Vielzahl von Indikatoren. Dieser Vorschlag hin- gegen umfasst nur eine kleine Zahl von leicht überprüfbaren Indikatoren. Zweitens beinhal- tet der Vorschlag eine uneingeschränkte Ver- pflichtung: Überschreitet ein Land die vorgän- gig definierten Schwellenwerte, muss der IWF die Unterstützung unter allen Umständen ein- stellen. Damit unterscheidet sich der Vorschlag vom gegenwärtigen System, bei dem sich der internationale Kreditgeber der letzten Instanz nicht glaubhaft verpflichten kann, die finanziel- le Unterstützung einzustellen, wenn das Kri- senland die Bedingungen des Kreditprogramms nicht erfüllt. Heute legt der IWF zu Beginn harte und möglicherweise unrealistische Bedingun- gen fest, die im weiteren Verlauf neu verhandelt werden.

Demgegenüber diszipliniert ein System, in dem keine Neuverhandlungen möglich sind, das Krisenland und zwingt den IWF, seine anfäng- liche Entscheidung sorgfältig zu prüfen. Legt er zu strenge Bedingungen fest, wird das Kredit- programm scheitern, und er wird seine Unter- stützung einstellen müssen. Definiert der Kre- ditgeber stattdessen zu lockere Bedingungen, wird das Programm ebenfalls scheitern, und das Land wird den Marktzugang nicht wieder- erlangen.

Ausnahmeklauseln für externe Schocks

Das oben erläuterte System lässt sich nicht in Ein- klang mit unvorhersehbaren Ereignissen wie Na- turkatastrophen oder grossen externen Schocks bringen. Doch sollten solche unvorhersehbaren Er- eignisse zu einer unhaltbaren Verschuldung eines Landes führen, wäre eine Umschuldung ohnehin die einzig gangbare Lösung.

Wie ist bei einem externen Schock vorzugehen, der die Zah- lungsfähigkeit nicht beeinträch- tigt, aber dazu führt, dass ein Schwellenwert des Programms nicht eingehalten werden kann?

Wäre der IWF in diesem Fall ge-

zwungen, die finanzielle Unterstützung einzu- stellen und damit möglicherweise ein zahlungs- fähiges Land in die Insolvenz zu drängen? Solche Bedenken könnten ausgeräumt werden, indem für den Kreditgeber Ausnahmeklauseln vorgese- hen werden, die bei wirklich aussergewöhnlichen Ereignissen zur Anwendung gelangen. Eine noch bessere Alternative würde darin bestehen, die Ver- wendung von Versicherungs- und Eventualschuld- instrumenten zu fördern.

Ugo Panizza

Professor of Economics and Pictet Chair in Finance and Development, Department of International Economics, The Graduate Institute, Geneva

Ein System, in dem keine

Neuverhandlungen mög-

lich sind, diszipliniert

das Krisenland.

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