28 granatapfel2 ∙ 2019
Kultur
&Gesellschaft Porträt
Leopold Kohr (vom Salzburger Maler Karl Hartwig Kaltner künstlerisch gestaltetes Fotoporträt)
Im Kleinen
liegt das Große
Vor 25 Jahren starb Leopold Kohr.
Den Nationalökonomen, Staatswissenschafter, Juristen, Autor, Lehrer und Philosophen
kannte die ganze Welt, ehe er auch in seiner Heimat Österreich Anerkennung fand. Seine Forderung nach einer „Rückkehr zum menschlichen Maß“ ist heute
aktueller denn je.
V O N F R A N Z P A U L E N Z I N G E R
Es war ein Österreicher, den man nahezu in der ganzen Welt kannte, weil er unermüdlich vor Überentwicklung, Größenwahn und der zerstörerischen Energie zu großer Strukturen
warnte: Leopold Kohr. In seinen 84 Lebensjahren unternahm er eine spannende Reise durch das Leben und die Welt. Die Stationen waren über den Globus verstreut. Überall, wo er wirkte, gewann er eine Schar von Bewunderern. Sein Wahlspruch „Small is beautiful“ machte ihn weltweit berühmt, 1983 wurde er für sein Werk mit dem „Alternativen Nobelpreis“ aus-
gezeichnet. Doch seine Gedankenwelt inspi- riert bis heute alle, denen die Lebensgrund- lagen unseres Planeten ein Anliegen sind.
Geboren wurde Leopold Kohr am 5. Oktober 1909 in Oberndorf bei Salzburg. Sein Vater war Sprengelarzt, und der begabte Sohn ge- noss seine Kindheit im Flachgau, nur 20 Kilo- meter von der Landeshauptstadt entfernt.
Mutiger Vordenker
Der Nationalökonom, Staats wissenschafter, Jurist, Autor, Lehrer und Philosoph Leopold Kohr war ein mutiger Vordenker, der vor allem mit seiner Forderung nach einer
„Rückkehr zum menschlichen Maß“ be- rühmt wurde. Während des Zweiten Welt- kriegs lebte er im Exil in Kanada und den USA. Er schloss sich der „Österreich-Frei- Bewegung“ an und begann eine emsige journalistische Tätigkeit gegen den National- sozialismus und für das Recht Österreichs auf staatliche Unabhängigkeit. Gemeinsam mit Dr. Otto Habsburg- Lothringen übte er starken Einfluss auf die Politik des Weißen Hauses aus, um zu erreichen, dass Österreich nach Kriegsende wieder ein selbstständiger Staat werde.
Kohr unterrichtete an Universitäten in New Jersey und in Puerto Rico, wo er sein Konzept der Dorferneuerung und Verkehrsberuhigung erstmals propagierte. Als 1967 die kleine Karibikinsel Anguilla mit ihren 6.000 Ein- wohnerInnen versuchte, vom weit entfernten Großbritannien unabhängig zu werden, war Kohr der wichtigste Berater. Anguilla wurde zwar kein selbstständiger Staat, bekam aber An der Salzachschleife
in Oberndorf ließ die Stadtgemeinde 2013 das von Günter Hartl in Stahlblech ausgeführte Leopold- Kohr-Denkmal errichten.
Je größer die Staaten,
desto größer auch die
Katastrophen.
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Porträt
Kohr widerlegte die Theorie, dass nur ein möglichst starkes
Wirtschafts- wachstum das
Gemeinwohl stärke.
Mit dieser kleinen Kofferschreibmaschine verfasste Kohr die meisten seiner Buchmanuskripte und Zeitschriftenartikel (heute im Leopold- Kohr-Archiv).
Fotos: Franz Paul Enzinger
weitreichende Autonomierechte zugestanden.
Auch in Wales, wo er von 1973 bis 1983 lebte und lehrte, unterstützte er die Bemühungen um mehr Autonomie. Und er förderte eine Initiative, die sich für die Erhaltung der kelti- schen Kultur einsetzte.
Gegen Kernkraft und Atomrüstung International fand Leopold Kohr Aufmerk- samkeit, als er vehement gegen Kernkraft- werke, gegen Atomrüstung und gegen die Vorherrschaft der Großmächte auftrat. Bereits 1941 hatte er in einer New Yorker Zeitschrift einen Artikel verfasst, in dem er als Basis für einen dauerhaften Frieden eine Auftei- lung der europäischen Machtblöcke in ihre historischen Landschaften vorschlug. Das 1957 erschienene Buch „The Breakdown of Nations“ („Das Ende der Großen“) wurde das Hauptwerk Kohrs. Der Satz „Alles ist Gift, ausschlaggebend ist die Dosis“ von Paracelsus, dem Begründer der modernen Medizin, gelte nach Kohrs Auffassung nicht nur für Heilpflanzen, sondern auch für Atome, Heuschrecken und eben auch für Nationen. Daraus lässt sich schließen:
Je größer die Staaten, desto größer auch die Katastrophen. Kohr widerlegte die Theorie, dass nur ein möglichst starkes Wirtschafts- wachstum das Gemeinwohl stärke. Ihm war bewusst, dass sein Unterfangen aussichtslos war; aber ohne Folgen blieben seine Forde- rungen nicht, und vieles, was er prophezeite, ist in der Zwischenzeit eingetreten.
Plädoyer gegen Maßlosigkeit
Sein Plädoyer gegen Maßlosigkeit, für über- schaubare Räume, für die „richtige Größe“
entstand zwar in einer Zeit, in der internatio- nale Zusammenschlüsse entstanden und das Wirtschaftswachstum dominierte, es ist aber heute, im Zeitalter der Globalisierung, aktuel- ler denn je. Der renommierte „Club of Rome“
gab ihm recht, als er 1972 „die Grenzen des Wachstums“ aufzeigte. Da wurde ein beklem- mendes Bild für die Entwicklung des Planeten Erde gezeichnet. Der Appell an die Mensch- heit lautete, zur Vermeidung zukünftiger Katastrophen müsse der Boden für ein ökolo- gisches Denken und Handeln bereitet werden.
Erst spät wurde man in Österreich auf den wichtigen Mahner Leopold Kohr aufmerksam.
1979 lernte er in Salzburg den Kulturmanager Alfred Winter und Landeshauptmann Wilfried
Haslauer kennen. Beide trugen dazu bei, die Gedanken Kohrs bekannt zu machen. Schon 1980 wurde in Neukirchen am Großvenediger
die Leopold-Kohr-Akademie gegründet, um die Theorien der regionalen Eigenständigkeit in der alten Heimat in die Praxis umzusetzen.
Mit dem Leopold-Kohr-Archiv im Herzen der Stadt Salzburg hat seine Arbeit Eingang in den universitären Bereich gefunden. Es beher- bergt heute auch seinen gesamten Nachlass.
Wegbereiter der Ökologiebewegung Am 26. Februar 1994 starb Leopold Kohr
in Gloucester im Südwesten Englands. Zur geplanten Übersiedlung nach Oberndorf, wo er sich in einer Dachwohnung mit Blick zur Salzachschleife zur Ruhe setzen wollte, kam es nicht mehr.
Als Wegbereiter von Ökologie- und Menschen- rechtsbewegungen, als Verfechter der dörf- lichen Strukturen und der Regionalität wird Leopold Kohr auch im 21. Jahrhundert eine große Rolle spielen (müssen).
1983 wurde Leopold Kohr für
sein Werk mit dem „Alternativen
Nobelpreis“
ausgezeichnet.