Die Gutachterhaftung gegenüber dem Dritten im deutschen und schweizerischen
Recht
Dissertation im Fachbereich Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz zur Erlangung des
akademischen Grades des Doktors der Rechtswissenschaft (Dr.jur.)
vorgelegt von
Zeynep Derya Tarman
Tag der mündlichen Prüfung 26 Januar 2007
Vorsitzender und mündlicher Prüfer Herr Professor Dr.Hailbronner
Mündliche Prüfer Frau Professorin Dr. Stadler
Herr Professor Dr. Hausmann
Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2007/2289/
URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-22895
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS ... I ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ... V LITERATURVERZEICHNIS ...VIII
EINLEITUNG... 1
A. ZUM BEGRIFF DES GUTACHTERS UND DES GUTACHTERVERTRAGS ... 7
I.DER BEGRIFF DES GUTACHTERS... 7
II.INHALT UND ZWECK DER GUTACHTERTÄTIGKEIT... 9
III.DAS GUTACHTEN UND DIE PFLICHTEN DES GUTACHTERS... 11
IV.DIE HAFTUNG GEGENÜBER DEM AUFTRAGGEBER... 13
1. Rat und Auskunft ... 14
2. Die vertragliche Haftung des Gutachters... 15
a. Die Haftung des Gutachters im deutschen Recht... 15
aa. Die Rechtsnatur des Gutachtervertrags ... 15
bb. Die Haftung des Gutachters ... 16
b. Die Haftung des Gutachters im schweizerischen Recht... 18
aa. Die Rechtsnatur des Gutachtervertrags ... 18
bb. Die Haftung des Gutachters ... 19
c. Wegbedingung der vertraglichen Haftung gegenüber dem Auftragsgeber .... 20
V.DIE HAFTUNG DES GUTACHTERS GEGENÜBER DEM DRITTEN... 21
B. DIE GUTACHTERHAFTUNG GEGENÜBER DRITTEN IM DEUTSCHEN RECHT... 26
I.ANSPRÜCHE AUS DEM DELIKTSRECHT... 27
1. § 823 Abs. 1 BGB ... 28
2. § 823 Abs. 2 BGB ... 29
3. § 826 BGB ... 31
II.BERUFSHAFTUNG... 34
III.HAFTUNG AUS EINEM EIGENSTÄNDIGEN AUSKUNFTSVERTRAG... 37
IV.DER VERTRAG MIT SCHUTZWIRKUNG FÜR DRITTE... 41
1. Bedeutung ... 42
2. Zur Entwicklungsgeschichte des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte... 43
a. Ursprüngliche Entwicklung ... 45
b. Die Annahme der Wohl-und-Wehe-Formel ... 47
aa. Bei Personen- und Sachschäden ... 48
bb. Bei Vermögensschäden... 49
c. Die Aufgabe der Wohl-und-Wehe-Formel ... 51
aa. Die Lastschrift–Entscheidung... 51
bb. Die Käufergruppe–Entscheidung ... 53
d. Die Annahme des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bei gegenläufigen Interessen ... 55
aa. Der Konsulfall... 55
bb. Die Dachboden–Entscheidung ... 57
3. Zusammenfassung ... 59
3. Die Rechtsgrundlage ... 61
a. Anwendung von § 328 BGB ... 61
b. Vertragsauslegung oder Vertragsergänzung ... 63
c. Richterliche Rechtsfortbildung... 66
d. Nach der Schuldrechtsreform: Eine gesetzliche Grundlage?... 67
4. Die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte... 70
a. Leistungsnähe... 71
b. Schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung (Gläubigernähe)... 72
c. Erkennbarkeit des geschützten Personenkreises ... 74
d. Schutzbedürftigkeit des Dritten... 76
5. Rechtsfolgen ... 77
a. Schadensersatz... 77
b. Einwendungen des Schuldners... 79
V.ZWISCHENERGEBNIS... 83
C. DIE GUTACHTERHAFTUNG GEGENÜBER DRITTEN IM SCHWEIZERISCHEN RECHT ... 84
I.DIE HAFTUNG AUS EINEM EIGENSTÄNDIGEN AUSKUNFTSVERTRAG... 85
II.DER VERTRAG MIT SCHUTZWIRKUNG FÜR DRITTE... 87
III.DIE HAFTUNG NACH DELIKTSRECHT... 89
1. Haftung nach Art. 41 Abs. 1 OR... 90
a. Schaden ... 90
b. Widerrechtlichkeit ... 91
c. Adäquater Kausalzusammenhang... 94
d. Verschulden ... 96
2. Haftung nach Art. 41 Abs. 2 OR... 97
3. Begründung der Widerrechtlichkeit beim reinen Vermögensschaden... 99
a. Die Rechtsprechung... 100
b. Die Lehre ... 103
aa. Widerrechtlichkeit bei Verletzung von Treu und Glauben ... 104
bb. Widerrechtlichkeit bei Verletzung von objektiven Sorgfaltspflichten ... 106
cc. Widerrechtlichkeit bei Verletzung von Verkehrspflichten... 108
IV.ENTWICKLUNGEN IM SCHWEIZERISCHEN RECHT:VERTRAUENSHAFTUNG ALS SELBSTÄNDIGE HAFTUNGSGRUNDLAGE... 110
1. C.i.c. als Ausgangspunkt einer allgemeinen Vertrauenshaftung ... 112
2. Die Vertrauenshaftung in der Rechtsprechung ... 114
3. Die Vertrauenshaftung in der Lehre... 117
V.ZWISCHENERGEBNIS... 119
D. DIE VERTRAUENSHAFTUNG ALS HAFTUNGSGRUNDLAGE FÜR DIE GUTACHTERFÄLLE... 121
I.VORAUSSETZUNGEN UND RECHTSFOLGEN EINER VERTRAUENSHAFTUNG... 121
1. Voraussetzungen einer Vertrauenshaftung ... 123
a. Haftungsbegründende Voraussetzungen... 123
aa. Sonderverbindung zwischen dem Gutachter und dem Dritten ... 123
(1) Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen... 124
(2) Das Vertrauen des Dritten und die Schutzbedürftigkeit dieses Vertrauens ... 128
bb. Verletzung der Schutzpflichten ... 129
cc. Die Vermögensdisposition ... 130
b. Haftungsbeschränkende Voraussetzungen ... 130
aa. Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr... 130
bb. Objektive Voraussehbarkeit des Haftungsrisikos... 132
c. Weitere Voraussetzungen ... 135
aa. Der Schaden... 135
bb. Die Kausalität... 136
cc. Das Verschulden ... 137
2. Rechtsfolgen einer Vertrauenshaftung ... 138
a. Umfang des Schadensersatzanspruchs... 138
b. Beweislast, Haftung für Hilfspersonen und Verjährung ... 140
c. Einwendungen, Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse ... 141
II.AUSWIRKUNGEN DER SCHULDRECHTSREFORM IM DEUTSCHEN RECHT AUF DIE GUTACHTERHAFTUNG... 142
1. Dritthaftung aus c.i.c. ... 143
a. Die Rechtslage vor der Schuldrechtsreform ... 144
aa. Besonderes persönliches Vertrauen ... 144
bb. Eigenes wirtschaftliches Interesse ... 145
b. Die Rechtslage nach der Schuldrechtsreform ... 146
2. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als Anspruchsgrundlage für die Gutachterhaftung?147 a. Begründung der Gutachterhaftung nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB und die Rechtsfolgen ... 149
b. Einwände gegen die Anerkennung der Vorschrift § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB für die Gutachterfälle... 152
E. LÖSUNGSANSÄTZE FÜR DIE GUTACHTERHAFTUNG GEGENÜBER DRITTEN ... 158
I.HAFTUNGSGRUNDLAGEN ZUR GUTACHTERHAFTUNG GEGENÜBER DEM DRITTEN.. 159
1. Haftung aus Deliktsrecht ... 159
2. Vertragliche Lösungen ... 160
3. Die Vertrauenshaftung... 162
II.ANWENDUNG DES VERTRAGS MIT SCHUTZWIRKUNG FÜR DRITTE AUF DIE GUTACHTERFÄLLE... 166
1.Herausbildung von Fallgruppen im Rahmen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ... 167
a. Klassische Fälle... 167
b. Die Gutachterfälle ... 167
aa. Parteigutachten ... 168
bb. Verkehrsfähige Gutachten ... 168
2. Einwände gegen die Anerkennung eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte für die Gutachterfälle ... 170
a. Die Problematik der Rechtsgrundlage ... 170
b. Die Problematik der Gegenläufigkeit der Interessen... 171
c. Die Problematik der unzumutbaren Risikoerhöhung für den Gutachter ... 174
d. Objektivität der gutachterlichen Tätigkeit ... 179
3. Voraussetzungen für die Gutachterfälle ... 182
a. Leistungsnähe ... 182
b. Gläubigernähe ... 183
c. Erkennbarkeit ... 186
d. Schutzbedürftigkeit... 189
4. Mitverschulden, Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse (§ 334 BGB) ... 190
a. Mitverschulden des Auftraggebers ... 190
b. Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse ... 193
III.VERGLEICH:DELIKTISCHE ODER VERTRAGLICHE HAFTUNGSGRUNDLAGE... 194
F. ZUSAMMENFASSUNG ... 198
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
a.A. anderer Ansicht Abs. Absatz
AcP Archiv für civilistische Praxis (Zeitschrift) a.F. alter Fassung
AFG Bundesgesetz vom 18. März 1994 über Anlagefonds (SR 951.31) AG Aktiengesellschaft
AGB AJP
Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift) AktG
Allg.
Art.
AT Aufl.
Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089) Allgemeine
Artikel
Allgemeiner Teil Auflage
BankG Bundesgesetz vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (SR 952.0)
BauR Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht BB Der Betriebs-Berater (Zeitschrift)
Bd.
BernK.
Band
Berner Kommentar BG Bundesgericht (Schweiz) BGB
BGBl.
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt
BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts BGH Bundesgerichtshof
BGHZ BJM BörsG BRAO Bsp.
BSG BT
BT-Drucks.
BVerwG
Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Basler Juristische Mitteilungen
Börsengesetz in der Fassung vom 17. Juli 1996 (BGBl. I S. 1030) Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung
Beispiel
Bundessozialgericht Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverwaltungsgericht
bzw. beziehungsweise c.i.c. culpa in contrahendo DB
d.h.
Der Betrieb (Zeitschrift) das heißt
Diss. Dissertation DVBl
Einl.
f., ff.
FamRZ FN
Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Einleitung
folgende; fortfolgende
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote
FS Festschrift
GmbH gem.
GewO HGB hrsg.
i.d.R.
i.d.S.
i.S.v.
JA Jura
Gesellschaft mit beschränkter Haftung gemäß
Gewerbeordnung in der Fassung von 22.2.1999 Handelsgesetzbuch
herausgegeben in der Regel in diesem Sinne im Sinne von
Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JZ Juristische Zeitung (Zeitschrift) KAGG
krit.
KritV
LG LMK m.a.W.
MDR MüKo m.w.N.
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften kritisch
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift)
Landgericht
Kommentierte BGH-Rechtsprechung mit anderen Worten
Monatschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) Münchener Kommentar
mit weiteren Nachweisen
NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report, Zivilrecht (Zeitschrift)
Nr.
NZG
Nummer
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZV
OLG
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht
OR
recht
Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220)
recht: Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis Rdnr.
RG
Randnummer Reichsgericht
RGZ Entscheidungen des (deutschen) Reichsgerichts in Zivilsachen
S. Seite
SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) sog.
StGB u.a.
u.ä.
VersR vgl.
sogenannt(e)
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0) und andere
und ähnliche
Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche
WPM=WM WPO z.B.
Wertpapier Mitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaftsprüfungsordnung
zum Beispiel ZBJV
ZflR ZGB
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für Immobilienrecht
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210) ZGR
ZGS
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht
ZHR ZSR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZSW Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen ZVglR Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
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Einleitung
Die vorliegende Arbeit ist einer rechtsvergleichenden Darstellung des Themas
„Gutachterhaftung gegenüber dem Dritten im deutschen und schweizerischen Recht“
gewidmet. Ziel der Arbeit ist es, die Gutachterhaftung rechtsvergleichend zu analysieren, um festzustellen, welche Lösungen Rechtsordnungen mit verschiedenen Deliktsrechtssystemen zu der Gutachterhaftung gegenüber dem Dritten gefunden haben.
Die Tätigkeit eines Gutachters ist entsprechend des weitverzweigten Wirtschaftslebens und der Komplexität der Lebenssachverhalte sehr vielseitig. Ist der Zustand einer Sache zu beurteilen, die Qualität einer Ware oder Leistung zu bewerten oder die Ursache eines Schadens zu ermitteln und seine Höhe festzustellen, so kann der Privatmann nicht auf die Mitwirkung fachkundiger Personen verzichten, wenn das eigene technische Wissen für eine Beurteilung nicht ausreicht oder insbesondere wenn ein Gutachten Dritten gegenüber als glaubwürdiger Nachweis dienen soll. Die Erstellung von Gutachten ist in vielen Lebensbereichen insbesondere aufgrund technischer und wissenschaftlicher Entwicklungen eine Selbstverständlichkeit geworden.
Der Gutachter wird tätig entweder als Privatgutachter oder als ein von einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft nach den Vorschriften einer Verfahrensordnung (ZPO, StPO) bestellter Gutachter1. Die Haftungsvoraussetzungen sind in beiden Fällen unterschiedlich. Deshalb muss man die Gutachtertätigkeit im privatrechtlichen Bereich von dem Gutachten, das aufgrund öffentlich rechtlicher Vorschriften erteilt wird, unterscheiden. Ist der Gutachter vom Gericht oder einer Behörde ernannt, so bestehen weder zum Gericht oder zu der Behörde noch zu den Prozessparteien privatrechtliche Beziehungen. Die Rechtsbeziehungen eines vom Gericht ernannten Gutachters sind öffentlich rechtlicher Natur, so dass sich seine Rechte und Pflichten nach den öffentlich rechtlichen Vorschriften richten. Der vom Gericht ernannte Gutachter ist von Gesetzes wegen zur Erstellung eines Gutachtens verpflichtet (§ 407
1 Der Einsatz von Gutachtern hat in den letzten Jahren auch in allen Gerichtszweigen ständig zugenommen. Im Zivilprozessrecht werden z.B. in Kfz-Schadenssachen, Bausachen, Arzthaftungssachen, Computersachen und Familiensachen immer häufiger Gutachter eingesetzt, um dem Gericht Entscheidungsgrundlagen beizubringen. Dadurch hat die gutachterliche Tätigkeit einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens.
ZPO, § 75 StPO). Das Gutachten ist wie die Zeugenaussage ein Beweismittel, durch das eine umstrittene Parteibehauptung bekräftigt oder widerlegt werden soll. Damit hat die gutachterliche Tätigkeit in vielen Gerichtsverhandlungen einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang eines Rechtsstreits. In dieser Arbeit wird allerdings nur die Haftung der von einer privaten Person oder Institution beauftragten Gutachter untersucht. Auf die Haftung der gerichtlichen Gutachter soll hier nicht weiter eingegangen werden2.
Gutachten bergen immer die Gefahr in sich, ungenau oder gar falsch zu sein. Dann stellt sich aus haftpflichtrechtlicher Sicht die Frage, ob derjenige, der aufgrund der ungenauen Auskunft eine ungünstige wirtschaftliche Transaktion getätigt hat, vom Gutachter den erlittenen Schaden ersetzt erhalten kann. Der Gutachter haftet aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber seinem Auftraggeber. Zunächst muss geprüft werden, ob der Auftraggeber und der privat beauftragte Gutachter einen rechtlich verbindlichen Vertrag (Gutachtervertrag) geschlossen haben. Denn bei der Begutachtung eines bestimmten entscheidungsrelevanten Sachverhalts kann es sich durchaus um eine reine Gefälligkeit handeln. Wenn der Abschluss eines Gutachtervertrags bejaht werden kann, erfolgt die Haftung des Gutachters gegenüber seinem Vertragspartner durch die Anwendung der entsprechenden vertraglichen Bestimmungen. Im deutschen Recht sind die Bestimmungen des Werkvertragrechts und im schweizerischen Recht die des Auftragsrechts von Bedeutung. Zum anderen bewirkt das falsche Gutachten an sich keine Schädigung. Erst wenn der Auftraggeber im Vertrauen auf das Gutachten weitere Vermögensdispositionen trifft, tritt der Schaden als weitere Folge der Schlechterfüllung des Gutachtervertrags ein. Deshalb muss der Kausalität und dem Problem des Mitverschuldens und damit der Schadensersatzbemessung besondere Aufmerksamkeit zugewendet werden.
Die Gutachterfälle werden aber erst dann problematisch, wenn aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens ein Schaden nicht beim Auftraggeber, sondern bei einem
2 Mit Wirkung zum 01.08.2002 wurde die Vorschrift des § 839a in das BGB eingefügt und damit erstmalig die Haftung des gerichtlichen Gutachters geregelt. Danach haftet ein gerichtlicher Gutachter den Prozessparteien bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit auf Schadensersatz, wenn die gerichtliche Entscheidung auf der Falschbegutachtung beruht. Diese Vorschrift ist eine abschließende Regelung.
Danach kann der Geschädigte seine Ansprüche nur auf § 839 a BGB, nicht aber auf weitere Anspruchsgrundlagen stützen. Vgl. Palandt/Sprau, § 839 a, Rdnr. 1.
Dritten entsteht, an den der Auftraggeber das Gutachten weitergegeben hat. Das Gutachten kann von dem Auftraggeber an eine Drittperson weitergereicht werden, indem der Auftraggeber einem Dritten über das erlangte Gutachten mündlich oder schriftlich Auskunft gibt. Insbesondere ist an die Möglichkeit der Weitergabe eines schriftlichen Berichts des Gutachters durch den Auftraggeber zu denken. Die Übergabe eines entsprechenden Schriftstücks (bzw. einer Kopie davon) kann auch auf Veranlassung des Auftraggebers durch den Gutachter selber geschehen. In der Praxis spielt die Haftung des Gutachters gegenüber dem Dritten eine bedeutsame Rolle, da die Gutachten häufig dazu bestimmt sind, Dritten vorgelegt zu werden, die auf ihrer Grundlage Vermögensdispositionen tätigen sollen.
Ob ein Gutachter außer seinem Auftraggeber auch einem Dritten, der auf die Richtigkeit des Gutachtens vertraut hat und entsprechende Dispositionen getroffen hat, zum Schadensersatz verpflichtet sein soll, ist sehr umstritten. Da in der Praxis die Gutachterhaftung nicht gegenüber dem Auftraggeber, sondern insbesondere gegenüber dem Dritten eine große Diskussion hervorruft, wird sich die Arbeit auf die Haftung gegenüber dem Dritten konzentrieren. Die folgenden Sachverhalte können einen Überblick über das Problemfeld schaffen:
Ein Eigentümer gibt mit der Absicht, sein bebautes Grundstück zu verkaufen, bei einem Gutachter ein Wertgutachten in Auftrag. Dieser lässt bei der Erstellung des Gutachtens schuldhaft einige schwerwiegende Baumängel außer Acht und schätzt daher den Wert des Grundstücks zu hoch. Der Eigentümer legt das Gutachten dem späteren Käufer bei den Vertragsverhandlungen vor. Dieser entscheidet sich im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens, ohne selbst ein Zweitgutachten einzuholen, das Grundstück zu einem überhöhten Kaufpreis zu erwerben und erleidet deshalb einen Schaden. Soll in diesem Fall der Gutachter dem Käufer gegenüber haften? Nicht nur der Käufer, sondern auch eine Bank, die dem Auftraggeber auf der Basis des Gutachtens einen Kredit gewährt, kann durch das falsche Gutachten einen Schaden erleiden. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob auch die Bank zum Schadensersatz gegenüber dem Gutachter berechtigt sein soll.
Eine ähnliche Fallkonstellation kann sich ergeben, wenn ein Gutachter einen Schaden im Auftrag des Geschädigten bewertet, in dem Gutachten überhöhte Reparaturkosten angibt und die Haftpflichtversicherung des Schädigers deshalb
zuviel bezahlt oder wenn der Gutachter im Auftrag einer Versicherung einen Unfallschaden schätzt, seine Schätzung zu niedrig ist und der Unfallgegner sich im Vertrauen auf das Gutachten mit einer zu niedrigen Zahlung zufrieden gibt. Von der Grundstruktur gleich liegt der Fall, dass ein Tierarzt den Gesundheitszustand eines Pferdes leichtfertig falsch begutachtet oder ein Kunstgutachter eine Kopie fahrlässig als Original ausweist, worauf ein Kaufinteressent einen überhöhten Preis bezahlt.
In den oben beispielhaft ausgeführten Fällen geht es um die Haftung gegenüber einer anderen Person als derjenigen, die das Gutachten bestellt hat. Dabei werden die zivilrechtlichen Ansprüche derjenigen betrachtet, die sich auf ein Gutachten verlassen, entsprechende Dispositionen treffen und schließlich – weil das Gutachten fehlerhaft oder ungenau war – einen Schaden erleiden. In dieser Fallgruppe ergeben sich besondere rechtliche Probleme schon durch die Art des entstandenen Schadens.
Es geht in der Regel um reine Vermögensschäden, die in den fraglichen Konstellationen zumeist daraus entstehen, dass das Gutachten entweder fehlerhaft war oder eine vorhandene Information im Gutachten nicht erwähnt wurde oder eine später als fehlerhaft oder unvollständig erkannte Information nicht unverzüglich richtiggestellt wurde. Diese Fehler führen zum Schaden, weil ihretwegen der Vertrag zwischen den beiden anderen Beteiligten überhaupt oder mit einem für eine der Parteien nachteiligen Inhalt abgeschlossen wird. Der Ersatz der reinen Vermögensschäden kann sowohl im schweizerischen als auch im deutschen Recht problematisch sein. Das Vertragsrecht gewährt in diesen Fällen zwar Vermögensschutz, bedarf aber für den Schutz Dritter, die das Gutachten nicht bestellt haben, schwieriger und umstrittener Zusatzbegründungen. Dagegen gewährt das deutsche Deliktsrecht zwar als Jedermann-Recht Drittschutz, versagt aber grundsätzlich die Erstattung primärer Vermögensschäden. Ein weiteres Problem der Gutachterfälle besteht in der großen Zahl von Personen, welche von dem Gutachten Kenntnis erlangen können. Der Kreis möglicher Geschädigter kann dementsprechend sehr groß sein. Somit ist es fraglich, inwiefern auch Dritte, welche von dem Gutachten Kenntnis erlangt haben, in ihren Vermögensinteressen geschützt werden sollen.
Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Gutachter für Fehler ihres Gutachtens gegenüber einem Dritten einstehen müssen. Schließlich soll der Gutachter einer Haftung in unbestimmter
Höhe, für eine unbestimmte Zeit und gegenüber einer unbestimmten Personengruppe nicht ausgesetzt werden. Deshalb muss der geschützte Personenkreis mit möglichst adäquaten Kriterien abgegrenzt werden, um die Trennung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung beibehalten zu können. In Rechtsprechung und Lehre sind verschiedene dogmatische Wege aufgezeigt worden, um diese Fälle rechtlich erfassen zu können. Wenn man die deliktischen Vorschriften nicht von vornherein als abschließende Regelung dieser Haftungsfrage ansieht, gilt es zu überlegen, auf welche Rechtsgrundlagen sich eine weitergehende Haftung der Gutachter stützen könnte und welchen Beschränkungen sie unterliegen muss. Kann diese Frage über das Deliktsrecht gelöst werden oder ist es möglich, den Gutachter für den Schaden des Dritten aus dem Vertrag des Gutachters mit dem Auftraggeber haftbar zu machen? Kann man die Haftung des Gutachters gegenüber dem Dritten auf das erweckte Vertrauen stützen? Diese Fragen haben sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz Lehre und Rechtsprechung eingehend beschäftigt und nicht alle Probleme, die in diesem Zusammenhang auftreten, konnten bisher von der Rechtsprechung befriedigend gelöst werden. Aufgabe dieser Arbeit ist es, die unterschiedliche Behandlung dieser Problematik in den verschiedenen Rechtsordnungen darzustellen und neben der dogmatischen Erklärung der Haftungsbegründung auch Kriterien zur Einschränkung des konkreten Kreises der Anspruchsberechtigten herauszuarbeiten.
Die vorliegende Arbeit beginnt mit der Darstellung des Gutachterbegriffs und die Haftung des Gutachters gegenüber seinem Auftraggeber im deutschen und schweizerischen Recht. Anschließend daran soll die Haftung des Gutachters gegenüber dem Dritten ausführlich behandelt werden. Es werden die verschiedenen Möglichkeiten dargestellt, die für eine Haftungsbegründung für ungenaue Gutachten gegenüber einem erweiterten Personenkreis in Frage kommen können.
Die deutsche Rechtsprechung hat diese problematischen Fälle lange Zeit so gelöst, dass sie zwischen dem Auskunftsgeber und dem Dritten einen stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrag angenommen hat. Der BGH hat hinsichtlich der Gutachterhaftung seine Rechtsprechung modifiziert und auf diese Fallgruppe später die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte angewendet. Da regelmäßig schon ein Vertragsverhältnis besteht (z.B. zwischen dem Auftraggeber und dem Gutachter), erscheint es einfacher, den geschädigten Dritten in den
Schutzbereich dieses Vertrags miteinzubeziehen. Das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist von der deutschen Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Lehre seit langem anerkannt, aber sowohl seine Voraussetzungen als auch seine Anwendung auf die Gutachterfälle sind sehr umstritten. Deshalb soll in der Arbeit die jeweilige BGH-Rechtsprechung zur Gutachterhaftung dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Die Frage, ob der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auf die Gutachterhaftung angewendet werden kann, ist nur dann zu beantworten, wenn man sich vorher mit dem Institut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte beschäftigt hat. Aus diesem Grund wird die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in dieser Arbeit ausführlich behandelt. Es wird zunächst darum gehen, das Rechtsinstitut auf eine feste dogmatische Grundlage zu stellen und ihre Voraussetzungen und Merkmale klar festzulegen. Insbesondere wird es dabei darauf ankommen, den Kreis der geschützten Personen zu begrenzen. Denn durch die Tendenz, den Schutzbereich immer weiter zu fassen, sind erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Voraussetzungen aufgetreten.
Neben den vertraglichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen werden weitere Haftungsfiguren diskutiert. Dazu gehört die Möglichkeit, auch außerhalb des klassischen Schemas Vertrag-Delikt Anspruchsgrundlagen zu schaffen. Ebenso ist die Idee einer eigenständigen Berufshaftung zu erwähnen. Allerdings wird im Rahmen dieser Arbeit auf eine ausführliche Darstellung dieser Modelle verzichtet, da diese Theorien bezüglich der Gutachterhaftung keinen bedeutenden Niederschlag in der Rechtsprechung gefunden haben. Die hauptsächlich auf Canaris`
Habilitationsschrift zurückgehende Theorie einer eigenständigen Vertrauenshaftung wird dagegen ausführlicher behandelt, weil diese auch Einzug in die schweizerische Rechtsprechung gefunden hat. Dementsprechend folgen zunächst die Darstellung der Vertrauenshaftung und danach die nähere Untersuchung der dogmatischen Grundlagen einer Vertrauenshaftung. Um die Brauchbarkeit und Notwendigkeit einer Vertrauenshaftung zu prüfen, ist es erforderlich, die genauen Voraussetzungen dieser eigenständigen Vertrauenshaftung zu benennen. Die Vertrauenshaftung hat im deutschen Recht besonders nach der Schuldrechtsreform3 mit der Kodifizierung der c.i.c. weitere Kritik hervorgerufen. In der deutschen Lehre sind zahlreiche Versuche unternommen worden, eine vertragsähnliche Eigenhaftung für den Gutachter
3 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138).
rechtsdogmatisch zu gestalten. Deshalb wird im Anschluss an die Voraussetzungen einer Vertrauenshaftung untersucht, ob die Gutachterhaftung gegenüber Dritten nach der Schuldrechtsreform und mit der Einführung der Vorschrift des § 311 Abs. 3 BGB mit den Grundsätzen der Vertrauenshaftung zu vereinbaren ist. Fraglich ist, ob die Rechtsprechung durch diese Kodifizierung das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte für die Gutachterfälle aufgeben soll.
Das abschließende Kapitel fasst die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Darstellung zusammen. Ziel der Arbeit ist die Beantwortung der Frage, ob es tatsächlich möglich ist, die Problematik der Gutachterhaftung gegenüber Dritten mit Hilfe des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu lösen. Dabei geht es insbesondere um das Verhältnis der verschiedenen Anspruchsnormen zueinander, die Gründe für die Bevorzugung gewisser Rechtsfiguren in den verschiedenen Ländern und die Frage, ob nicht die verschiedenen Anspruchsgrundlagen auf einer einheitlichen theoretischen Grundlage basieren.
A. Zum Begriff des Gutachters und des Gutachtervertrags
I. Der Begriff des Gutachters
Der Gesetzgeber hat weder im deutschen noch im schweizerischen Recht bestimmt, wer sich als Gutachter bezeichnen kann. Die Aufgaben und Pflichten dieses Personenkreises sind auch nicht geregelt worden. Daraus folgt, dass sich die Antwort auf die Fragen, wer Gutachter ist und wie seine Pflichten zu bestimmen sind, nur aus dem Begriff selbst und aus der Zweckbestimmung seiner Tätigkeit ableiten lässt4.
Als Gutachter werden Personen bezeichnet, die auf einem abgrenzbaren Gebiet der Geistes- oder Naturwissenschaften, der Technik, der Wirtschaft, der Kunst oder in einem sonstigen Bereich über überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und diese besondere Sachkunde zur Verfügung stellen5. Allgemein geht es um Personen mit besonderer Sachkunde, die kraft dieser Sachkunde in der Öffentlichkeit besonderes Vertrauen genießen und dieses beruflich auswerten. Die
4 BLEUTGE, S. 1187; ROEßER, S. 170; DÖBEREINER/KEYSERLINGK, Rdnr. 14.
5 WELLMANN, S. 2; BREMER, S. 21; BLEUTGE, S. 1187; ROEßNER, S. 170.
Definitionsversuche in der Lehre stellen zwei Kriterien heraus, die eine Tätigkeit als Gutachtertätigkeit kennzeichnen: Sachkunde und Unabhängigkeit.
Zur Sachkunde gehört die Fähigkeit, fachliche Beurteilungen und Schlussfolgerungen in Wort und Schrift in klarer, logisch aufgebauter und allgemein verständlicher Weise darzustellen, so dass sie von Fachleuten überprüft und von Nichtfachleuten nachvollzogen werden können6. Danach sollten Gutachter nur Aufträge übernehmen, für deren Bearbeitung sie die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen besitzen, ferner die erforderlichen technischen Ausrüstungen und qualifizierten Mitarbeiter zur Verfügung stellen können.
Der Gutachter soll zum anderen unabhängig, frei und nur seinem Gewissen verantwortlich seine gutachterliche Meinung äußern7. Deshalb hat ein Gutachter die Übernahme eines Gutachterauftrags abzulehnen, wenn er sich gehindert sieht, sein Gutachten vorurteilsfrei und unbeeinflusst von sachfremden Einflüssen und Erwägungen zu erstatten8. Aus theoretischer Sicht soll ein Gutachter, als zwar vertraglich beauftragter, aber in hohem Maße unabhängiger und objektiver Sachkenner und nicht als ein weisungsgebundenes Organ des Auftraggebers angesehen werden. Eine derartige Sichtweise ist mit dem Wortlaut und der ratio des
§ 36 Abs.1 GewO9 vereinbar und soll an die Neutralitäts- und Objektivitätspflicht des Gutachters erinnern, die auf die Besonderheit eines Gutachtervertrags zu stützen ist10. In diesem Zusammenhang ist es sehr umstritten, ob ein Gutachter einen Auftrag, der das Ergebnis des Gutachtens von vornherein bestimmt, annehmen darf11. Es gibt keinen Rechtssatz, der dem Gutachter die Übernahme eines solchen
6 WELLMANN, S. 2.
7 BREMER, S. 22.
8 ROEßNER, S. 176.
9 § 36 Abs.1GewO:„Öffentliche Bestellung von Sachverständigen: (1) Personen, die als Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft einschließlich des Bergwesens, der Hochsee- und Küstenfischerei sowie der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues tätig sind oder tätig werden wollen, sind auf Antrag durch die von den Landesregierungen bestimmten oder nach Landesrecht zuständigen Stellen für bestimmte Sachgebiete öffentlich zu bestellen, sofern für diese Sachgebiete ein Bedarf an Sachverständigenleistungen besteht, sie hierfür besondere Sachkunde nachweisen und keine Bedenken gegen ihre Eignung bestehen. Sie sind darauf zu vereidigen, dass sie ihre Sachverständigenaufgaben unabhängig, weisungsfrei, persönlich, gewissenhaft und unparteiisch erfüllen und ihre Gutachten entsprechend erstatten werden. Die öffentliche Bestellung kann inhaltlich beschränkt, mit einer Befristung erteilt und mit Auflagen verbunden werden.“
10 Zur Objektivitäts- bzw. Unabhängigkeitspflicht des Gutachters vgl. KÖNDGEN, S. 232;
PHILIPPSEN, S. 10:“Das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses bei der Gutachtertätigkeit sei mit der Sachverständigeneigenschaft unvereinbar“; BLEUTGE; NJW 1985, S. 1185-1187;
LAMMEL, AcP 1979, S. 363; KARAMPATZOS, S. 107.
11 WELLMANN, S. 7.
ergebnisgebundenen Auftrags verbieten würde. Allerdings zählt die Neutralität und Unabhängigkeit des Gutachters zu den Grundvoraussetzungen jeder Gutachtertätigkeit. Aus diesem Grund sollte ein Gutachter, ehe er solch einen Auftrag annimmt, mit größter Sorgfalt vorprüfen, ob er als Gutachter die Auffassung seines Mandanten wirklich auch zu seiner eigenen machen kann12. Wenn es darum ginge, dass der Gutachter nur das täte, was sein Auftraggeber ihm sagt, dann wäre er ein bloßer Erfüllungsgehilfe und es bestünde kein Anlass für einen Dritten sich auf ein Gutachten zu verlassen. Außerdem ist es für die Gutachter sehr wichtig, das Neutralitätsbild aufrechtzuerhalten, weil die Gutachter schließlich von deren Ruf leben. Deshalb ist die Zuverlässigkeit ihrer Gutachten sehr entscheidend. Ein Gefälligkeitsgutachten würde sie in Verruf bringen, wenn es sich etwa herausstellt, dass das Gutachten nicht der Wahrheit entspricht und für den Auftraggeber geschönt ist.
II. Inhalt und Zweck der Gutachtertätigkeit
Der Inhalt der Gutachtertätigkeit umfasst die Feststellung von Tatsachen (z.B.
Feststellung von Bauschäden; Analyse eines chemischen Stoffes), die Ableitung von Schlussfolgerungen aus Tatsachen (z.B. Ursachen eines Verkehrsunfalls) und die Darstellung von Erfahrungssätzen eines Fachgebietes (z.B. Bewertung von Kunstgegenständen oder Grundstücken)13.
Ein Auftraggeber kann die Dienste eines Gutachters aus zwei Gründen in Anspruch nehmen. In erster Linie dient ein Gutachten dazu, dem Auftraggeber fehlendes Fachwissen zu vermitteln, z.B. bei der Beurteilung des Wertes eines Hauses, das der Auftraggeber zu erwerben oder zu schenken beabsichtigt (interne Gutachten). Diese Gutachten sind nur zur Belehrung des Auftraggebers, aber nicht zur Verwendung im Rechtsverkehr gegenüber Dritten bestimmt. Es kommt allerdings viel häufiger vor, dass der Auftraggeber ein Gutachten nicht nur zur eigenen Belehrung bestellt, sondern um von ihm gegenüber Dritten Gebrauch zu machen (verkehrsfähige Gutachten). Da in diesem Fall der Auftraggeber das Gutachten benötigt, um es einem Dritten als Nachweis für bestimmte Umstände vorlegen zu können, ist er in der Regel daran interessiert, dass die Ausarbeitung die entsprechende Beweiskraft
12 ROßNER, S. 176.
13 ROßNER, S. 171.
besitzt. Denn er bezweckt mit dem Gutachten, den Dritten zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, z.B. im Kunsthandel zum Kauf eines Kunstobjekts14. Das ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Gutachter das Gutachten richtig erstellt.
Dabei ist es zu beachten, dass das Urteil eines Gutachters im Gegensatz zu einem Richter oder Schiedsgutachter weder den Auftraggeber noch Dritte bindet. Ein Gutachten schafft auch kein Recht15, es hilft nur bei einer Entscheidungsfindung.
Innerhalb des Tätigkeitsbereichs eines Gutachters muss auch zwischen einer Beratung und einer Begutachtung unterschieden werden16. Eine Beratung liegt vor, wenn der Gutachter dem Auftraggeber ein bestimmtes Verhalten als zweckmäßig empfiehlt. Eine rein beratende Tätigkeit fällt nicht unter den Begriff des Gutachtens.
Denn die Beratung ist grundsätzlich auf die besonderen Verhältnisse des Auftraggebers abgestellt. Somit enthält die beratende Tätigkeit eine an den persönlichen Bedürfnissen des Auftraggebers orientierte Empfehlung für sein subjektives Verhalten, das im betreffenden Fall das Beste und Kostengünstigste ist.
Mit dem Gutachten dagegen wird ein objektives, allgemeingültiges Urteil abgegeben, so dass auch ein Dritter von dem Gutachten Kenntnis nehmen und auf die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der im Gutachten niedergelegten Feststellungen und Ergebnisse vertrauen kann. Aus diesem Grund ist ein Gutachten seiner Natur nach geeignet, unter bestimmten Voraussetzungen auch Dritten als Grundlage einer Entscheidung zu dienen17.
Die Unterscheidung zwischen internen und verkehrsfähigen Gutachten beruht auf dem Wortlaut und Zweck des jeweils in Betracht kommenden Gutachtervertrags. Der Gutachter, der eine Sache oder Leistung zu bewerten hat, muss sich zunächst Klarheit darüber verschaffen, welchem Zweck das Gutachten dienen soll. Schließlich hängt die Methode und damit das Ergebnis der Bewertung von der Zweckbestimmung ab18. Die haftungsrelevante Problematik ergibt sich vor allem für die zweite Fallgruppe, in der das Gutachten an einen vertragsfremden Dritten weitergegeben wird. Die folgenden Ausführungen in der Arbeit werden sich insbesondere auf die sog. Fälle der Drittweitergabe konzentrieren, d.h. auf Fälle, in
14 WELLMANN, S. 2; ROEßNER, S. 173.
15 WELLMANN, S. 2; BLEUTGE, S. 1186.
16 WELLMANN, S. 3.
17 BLEUTGE, S. 1186.
18 So unterscheidet sich der Wert, den eine Maschine für den arbeitenden Betrieb besitzt, regelmäßig von dem Wert, der bei einer Veräußerung auf dem Markt zu erzielen ist. Vgl. WELLMANN, S. 12.
denen es in der Regel an einem unmittelbaren Kontakt zwischen Gutachter und Dritten fehlt und das Gutachten vom Auftraggeber des Gutachters an den interessierten Dritten weitergegeben wird. In diesen Fällen kann der Gutachter unter bestimmten Voraussetzungen auch dem Dritten für die Richtigkeit seines Gutachtens haften19.
III. Das Gutachten und die Pflichten des Gutachters
Mit einem Gutachtervertrag verpflichtet sich der Gutachter gegenüber seinem Vertragspartner, ein technisches, medizinisches oder anderes Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen, das zum gewöhnlichen und vereinbarten Gebrauch tauglich und nicht mit Fehlern behaftet ist20.
Die Art und Weise des Abfassens des Gutachtens, seine Form und sein Aufbau wird durch keine gesetzliche Vorschrift geregelt. Allerdings lassen sich aus dem Wesen und der Zweckbestimmung des Gutachtens bestimmte Regeln ableiten, die als Mindestanforderungen zu beachten sind. Zunächst soll jedes Gutachten inhaltlich richtig, klar und unmissverständlich sein, insbesondere für die Dritten, die mit den gegebenen Verhältnissen nicht vertraut sind. Aus diesem Grund ist es unverzichtbar, am Anfang des Gutachtens den Auftraggeber zu benennen und den Auftrag zu umschreiben. Danach folgt die Darstellung des Sachverhalts, von dem das Gutachten ausgeht. Grundsätzlich muss jedes Gutachten unter Anwendung aller fachlichen Regeln systematisch und logisch aufgebaut und damit in seinen wesentlichen Teilen unter Angabe von Quellen, Belegen und Erfahrungssätzen, aus denen der Gutachter seine Erkenntnisse gewonnen hat, nachvollziehbar sein21. Ein guter Gutachtenstil und unmissverständliche Begriffe sowie klar formulierte Aussagen sind grundsätzlich für die Qualität des Gutachtens entscheidend22.
Wenn der Gutachter bei der Erstellung seines Gutachtens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, so kann er unter bestimmten Voraussetzungen außer seinem Auftraggeber auch einem vertragsfremden Dritten für
19 Zur Haftung des Gutachters gegenüber dem Dritten vgl. Abschnitt B, C, D und E.
20 BREMER, S. 35.
21 ROEßNER, S. 239; WELLMANN, S. 21.
22 KLOCKE, BauR 1986, S. 296.
den Mangel und damit entstandenen Schaden haften23. Der Maßstab für die Sorgfalt ist auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichtet. Erforderlich ist demnach das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil eines gewissenhaften Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises von dem in seinem Rahmen Handelnden zu verlangen ist24. Der Gutachter hat die Pflicht, die Richtigkeit der Tatsachen mit größter Sorgfalt zu überprüfen und jedem Zweifel, der bei ihm auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Sachkunde aufkommt, nachzugehen. Sind dem Gutachter die maßgeblichen Umstände nicht bekannt, muss er entsprechende Informationen beim Auftraggeber abrufen25. Dabei hat der Gutachter die Aufgabe, die Angaben seines Auftraggebers zu überprüfen. Der Sorgfaltsmaßstab wird nicht eingehalten, wenn der Gutachter falsche Angaben ungeprüft übernommen hat, ohne dies mit Angabe der Quelle in seinem Gutachten eindeutig zu vermerken. Denn fehlt eine solche Angabe, entsteht beim Leser der Irrtum, der Gutachter habe den Befund selbst erhoben26. Schließlich hat der Gutachter für die Richtigkeit der zugrunde liegenden Tatsachen einzustehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob sie von dem Auftraggeber vorgegeben sind oder ob sie auf den eigenen Feststellungen des Gutachters beruhen. Wenn sich der gegebene Sachverhalt nicht mit Bestimmtheit auf eine einzige Ursache zurückführen lässt, erfordert die Anforderung an die Sorgfaltspflicht, dass der Gutachter die Umstände, deren Zusammenwirken für den Erfolg ursächlich waren, darlegt27. Der Gutachter darf sich nicht damit begnügen, nur eine von vielen möglichen Ursachen nachzuweisen. Schließlich hat der Gutachter nicht die Aufgabe, den Sachverhalt zu vereinfachen, sondern alle Möglichkeiten zu berücksichtigen. Lässt ein Sachverhalt mehrere Erklärungen zu, dann hat er sie alle einzubeziehen und den Wahrscheinlichkeitsgrad der Ursächlichkeit anzugeben28. Wenn das Schadensobjekt nicht mehr vorhanden oder in wesentlichen Teilen verändert ist, so hat der Gutachter diesen Umstand in seinem Gutachten klar zum Ausdruck zu bringen29.
In diesem Zusammenhang ist auch die Verpflichtung zur persönlichen Leistung zu nennen. Demzufolge muss ein Gutachter den Gutachterauftrag in wesentlichen
23 Zur Rechtsgrundlagen einer eventuellen Dritthaftung im deutschen Recht vgl. Abschnitt B.
24 WELLMANN, S, 26; KLOCKE, BauR 1986, S. 297.
25 BGH LM Nr. 75 = BGH, NJW 1984, 355.
26 BGH, NJW 1998, 1059.
27 WELLMANN, S. 14.
28 WELLMANN, S. 14.
29 WELLMANN, S. 14.