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Ordnung im Affekthaushalt

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Academic year: 2022

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Ordnung im Affekthaushalt

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Nach Süden, nach Süden: Yann Queffélec folgt der Leidenschaft. Ein Bestseller, so hieß es, als Literatur noch nach ‚affirmativ‘ und ‚gesellschaftlich-relevant‘ eingeteilt wurde, verginge sich an den Interessen der Gesellschaft. Wie sich die Zeiten geändert haben. Der literarische Markt hat seine eigene Mengenlehre. Möglichst schnell möglichst viele Leser zu finden heißt, vor allem neu, nicht unbedingt anders zu sein.

Der französische „Erfolgsautor“ Yann Queffélec scheint ein Lehrstück in dieser Hinsicht zu geben. Sein erster Roman „Barbarische Hochzeit“ wurde gelobt, verkauft, preisgekrönt und verfilmt. Queffélec hat die Sprache, die er darin fand, konsequent, so scheint es, zu einem narrativen Set ausgebaut. Das Personal: Leute am unteren Ende der Gesellschaft, Zukurzgekommene aus kaputten Familien; meist Kinder und Jugendliche auf der Suche nach Lebensmöglichkeiten. Wohl deshalb schauen sie so intensiv und dringlich auf die Bestände ihrer Außen- und Innenwelt. Doch es hilft ihnen nichts. In ihrem Milieu herrschen die brutalen Gesetze der Leidenschaften, sie bestimmen die meist namenlosen Tragödien des Alltags.

Sein jüngstes Buch zeigt schon auf den ersten Blick an, daß es so weitergehen soll.

„Die Macht der Liebe“ heißt es (treffend übersetzt von Michael Hoffmann) und lockt also mit einem Stoff, aus dem literarische Erfolge sind. Die Geschichte ist entsprechend angelegt.

Eine junge Frau, Mona Zigler, die von der Mutter nicht geliebt wird; der Vater ist früh „nach Süden“, übers Meer, verschwunden. Das halbwüchsige Mädchen hat ihn am Strand gesucht und dabei ihren ersten Liebhaber gefunden, einen jüngeren Freund des Vaters voller Macho- Phantasien. Gemeinsam führen sie ein ungeregeltes Leben am Wasser. Dann wird sie schwanger, während er ebenfalls nach Süden will, wo es Sonne, Geld und Frauen gibt. Monas Leidenschaft ist dadurch elementar verletzt; das wird sie später dazu treiben, es ihm ihrerseits tödlich heimzuzahlen.

Der Roman beginnt sieben Jahre später, als die Strafgefangene noch einmal dem Gericht überstellt werden soll. Die Fahrer verlieren, wohl aus erotischer Irritation, die Kontrolle über den Wagen, stürzen ins Meer, sie entkommt. Die Suche geht weiter: jetzt nach der Tochter, die sie im Gefängnis geboren hat. Damit beginnen gefährliche Intrigen;

Verfolgungsszenen mit der Polizei; bis sie zu ihrer Tochter und der Roman zu seinem Finale kommt: Sie ertrinkt an ebenjener Stelle des Meeres, an der sie liebte und tötete.

Was ist nach Queffélec die Macht der Liebe? „Sex and Crime“ und „human touch“ gewiss; aber diese Mittel des Romans sind, das spricht für ihn, nicht schon sein ganzer Zweck. Nachdem die attraktiven Motive der Liebe ausgekostet sind, werden sie mit der

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Konsequenz einer Tragödie aufgelöst. Von der einstigen Himmelsmacht bleibt nur die Macht, und die ist tödlich. Aus den Pfeilen Amors werden für Monas Geliebten 27 Messerstiche; und die Mutter, die ihre Tochter suchte, war der Täter, den es an den Tatort zurückzog, um selbst Opfer zu werden. Leidenschaft, so Queffélec, ist selbstzerstörerisch.

Diese Lektion ist nicht unbekannt.

Doch das klassische Theater gewann den tragischen Untergängen eine Moral ab. Hier löst sich aber alles im Banalen auf. Am Anfang aller ungesättigten Emotionen steht der verschwundene Vater, der einem diffusen Klischee des Südens nachlief. Nichts spricht dafür, dass das hintersinnig oder (sozial-)kritisch gemeint war. Es sei denn, der Autor hielte es mit dem Trend und wollte im Affekthaushalt für ‚political correctness’ sorgen.

Keine Frage: Queffélec kann erzählen. Was macht er aber daraus? Auch sein letzter Roman war vor allem eines: routiniert. Dieses Niveau, ist man versucht zu sagen, hat er gehalten. Auch die vielen Monologe, erlebten Reden und Wachträume dienen nicht der Vertiefung, sondern der Intensivierung dessen, was in ihnen vorgeht: ihr Fall soll den Leser mitnehmen. Queffélec setzt dabei vor allem auf die Macht der Bilder. Sie kommen über seine Personen wie die Leidenschaft. Häufig genug sind es solche, die auch über deren Verhältnisse gehen. Man merkt, dass nicht sie selbst, sondern der Erzähler diese Einfälle hatte. Möchte er zeigen, wie gut er mit der Sprache umzugehen versteht? Oder will dieser Roman, wie seine Vorgänger, einfach nur wieder verfilmt werden?

iYANN QUEFFÉLEC: Die Macht der Liebe. Roman. Aus dem Französischen von Michael Hoffmann.

Frankfurt am Main (Frankfurter Verlagsanstalt) 1997. – Original: Et la force d'aimer. Paris (Grasset

& Fasquelle) 1996.

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