Von „der gemeinen viel geringern und bloß particulären Religion der Juden“.
Aufklärung, Antijudaismus und
Antisemitismus in Philosophie und Theologie
Prof. Dr. Rainer Kessler, Universität Marburg Hofgeismar, 14. Januar 2021
Tagung: Antisemitismus und alttestamentliche Wissenschaft
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
Das biblische Esterbuch in wörtlicher und allegorischer Auslegung
Wörtlich: Der persische König Ahaschwerosch verstößt seine Frau Waschti und nimmt sich als neue Frau die Jüdin Ester.
Die allegorische Deutung des Rhabanus Maurus (Expositio in librum Esther, 836 n.Chr.):
Ahaschwerosch = Christus.
Dieser verstößt Waschti = das Judentum und erwählt Ester = die christliche Kirche.
PL 109, Sp. 635-670
Martin Luther (1483-1546):
„Das Evangelium ist der
Schlüssel, der die alte Schrift öffnet …
Folglich ist den Juden die Schrift noch verborgen, uns aber ist sie zugänglich.“
Predigt am Ostermontage Nachmittags (2. Apr. 1526), in: WA 20
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung
Luther zu Ester:
„Ich bin dem buch vnd Esther so feindt, ut mallem eos non extare (dass ich wollte, sie wären gar nicht vorhanden),
dan sie judaitzen (var. judentzen) tzu sehr und haben viel
heidnische vnradt (var. vnart).“
Tischreden 1531-46. Dritter Band. Tischreden aus den dreißiger Jahren
Luther zu Ester:
„O, wie lieb haben sie das Buch Esther, das so fein stimmet auff jre blutdürstige, rachgyrige, mördische begir und hoffnung, Kein blutdürstigers und rachgyrigers Volck hat die Sonnen je beschienen, als die sich düncken lassen, Sie seien darumb Gottes Volck, das sie sollen und müssen
die Heiden morden und würgen.“
Von den Juden und ihren Lügen. 1543, in: WA 53
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
Voltaire (1694-1768)
Voltaire
„Sie wurden alle mit rasendem Fanatismus im Herzen geboren, so wie die Bretonen und
Deutschen alle blond sind."
„Mich würde nicht im mindesten wundern, wenn diese Leute eines Tages gefährlich würden für das Menschengeschlecht."
Die Juden seien „das abscheulichste Volk auf Erden“.
„Die Juden sind wie Neger, sie sind eine niedriger stehende Menschenart.“
„Ihr übertrefft sämtliche Nationen mit euren unverschämten Märchen, eurem schlechten
Benehmen und eurer Barbarei. Ihr habt es verdient,
bestraft zu werden, denn das ist euer Schicksal."
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
2.3.1.2 Immanuel Kant
Immanuel Kant 1724-1804:
„Die unter uns
lebenden Palästiner sind durch ihren
Wuchergeist seit ihrem Exil … in den nicht
ungegründeten Ruf des Betruges gekommen.“
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht [1798], Weischedel, Bd. 10, 517f
Kant: Die Euthanasie des Judentums
„Selbst in Ansehung der Juden ist dieses (sc. die Entwicklung hin zur universalen, vernünftigen Religion), ohne die Träumerei
einer allgemeinen Judenbekehrung … möglich, wenn unter ihnen, wie jetzt geschieht,
geläuterte Religionsbegriffe erwachen, und das Kleid des nunmehro zu nichts dienenden, vielmehr alle wahre Religionsgesinnung
verdrängenden, alten Kultus abwerfen. … Die Euthanasie des Judentums ist die reine
moralische Religion, mit Verlassung aller alten Satzungslehren ...“
Der Streit der Fakultäten (1798), Weischedel, Bd. 9, 320f
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
2.3.1.2 Immanuel Kant 2.3.2 Theologische Positionen
2.3.2.1 Johann Salomo Semler
Johann Salomo Semler
1725-1791
Abhandlung von freier Untersuchung des Canon [1771-1776] – Vier Motive
1.) Das Christentum ist dem Judentum überlegen
„Sobald z.E. nachdenkende verständigere Juden über den Inhalt dieser Bücher … und über die Lehre Jesu eine
Vergleichung der gelehrten Sachen anstellen, so lassen sie ihre bisherigen Lehrer und Rabbinen fahren und ziehen einen
bessern Unterricht von einer viel bessern vollkommenern Religion vor …“
2.) Das Judentum ist partikular und nicht universal
Bei der Frage der Kanonizität von Schriften ist auszugehen
„von der Göttlichkeit des Inhalts oder der Wahrheiten, welche wirklich die eigene vollkommenere Religion eines Christen jetzt ausmachen und ihr zugleich einen erweislichen Vorzug
geben ... vor der gemeinen viel geringern und bloß particulären
Religion der Juden …“
3.) Das Judentum ist eine fremde orientalische Religion
„Ein gesunder Auszug aus den Büchern alten Testaments,
worin die kleinen unfruchtbaren Erzählungen und die Stellen
weggelassen werden, welche nur für jene Juden gehörten und
den Stempel der Zeit oder der Provinz so deutlich vorzeigen,
würde die christliche bessere Lehre und Religion viel leichter
überzeugend und durch Erfahrung empfehlen als die kalten
Wiederholungen der Beschreibungen von Begebenheiten, die
ganz und gar ausländisch, ganz fremd und unbekannt für uns
und unsern ganz andern Geschmack in der Erkenntnis und
Moral sind und bleiben.“
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
2.3.1.2 Immanuel Kant 2.3.2 Theologische Positionen
2.3.2.1 Johann Salomo Semler 2.3.2.2 Johann Gottfried Herder
Johann Gottfried Herder
(1744-1803) »
Herder, Bekehrung der Juden [1802]
„Auch über die Grundsätze der Jüdischen Grammatik und
Auslegungskunst, die von der christlichen so verschieden ist, hinweggesehen ...; ist es ausgemacht, daß diese
Vorhersagungen … einen immer geistigern Sinn erhalten haben. Alles hängt an diesem geistigen Sinn symbolisch-
ausgesprochener Hoffnungen und Wünsche. Wer an solchem keinen Geschmack hat, sondern die goldnen Becken und
Schüsseln am neuen Opferaltar … haben und erwarten will, dem kann man nichts sagen, als: warte! Sinnliche Begierden, zumal auf National-Stolz gegründet, lassen sich selten
wegdisputiren ...“
„Das Volk ist und bleibt also auch in Europa ein unserm
Welttheil fremdes Asiatisches Volk an jenes alte, unter einem
entfernten Himmelsstrich ihm gegebne … Gesetz gebunden.“
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
2.3.1.2 Immanuel Kant 2.3.2 Theologische Positionen
2.3.2.1 Johann Salomo Semler 2.3.2.2 Johann Gottfried Herder
2.3.2.3 Wilhelm Martin Leberecht de Wette
Wilhelm Martin Leberecht de Wette
(1780-1849)
Die Zweiteilung der jüdischen Geschichte in Hebraismus und Judentum
de Wette, Biblische Dogmatik Alten und Neuen Testaments.
Oder kritische Darstellung der Religionslehre des Hebraismus, des Judenthums und Urchristenthums, Berlin
11813;
21818
„Das Judenthum ist die verunglückte Wiederherstellung des Hebraismus … Die charakteristischen Merkmale
sind: 1) Statt der sittlichen Richtung meta-physisches Nachdenken … 2) Neben der mißverstandenen Symbolik eine schriftliche Religionsautorität, ohne selbständige Hervorbringungskraft. Daher 3) während der Hebraismus Sache des Lebens und der Begeisterung war, ist das
Judenthum Sache des Begriffs und des
Buchstabenwesens.“
Aufbau des Vortrags:
1. Das christliche Alte Testament bis zum Aufkommen der historischen Kritik
2. Elemente des Antisemitismus in der entstehenden alttestamentlichen Wissenschaft 2.1 Das Hebräische als Sprache
2.2 Abschied von der allegorischen und Hinwendung zur wörtlichen Auslegung 2.3 Aufgeklärter Universalismus und jüdischer Partikularismus
2.3.1 Philosophische Positionen 2.3.1.1 Voltaire
2.3.1.2 Immanuel Kant 2.3.2 Theologische Positionen
2.3.2.1 Johann Salomo Semler 2.3.2.2 Johann Gottfried Herder
2.3.2.3 Wilhelm Martin Leberecht de Wette 3. „Higher Criticism – Higher Anti-Semitism“