– U nt er ne hm en a uf d er S in ns uc he u nd w ie d as C on tr ol lin g d ab ei h el fe n k an n – Sp ez ial au sg ab e S om m er 2 02 1 CONTROLLING
CONTROLLING Spezialausgabe Sommer 2021 www.zeitschrift-controlling.de Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung
UNTERNEHMEN AUF DER SINNSUCHE
PURPOSE PURPOSE
Purpose Controlling:
Public Value in die Balanced Scorecard integrieren Wirkungsmessung:
Was Controller zur Steuerung des Corporate (Social) Purpose brauchen
Wann Purpose mehr ist als ein Lippenbekenntnis
Wie integrieren
Unternehmen
Purpose erfolgreich
in ihre Strategie?
EDITORIAL
Welche Daseinsberechtigung oder auch -verpflichtung hat ein Unternehmen in einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft? Über diese Grundsätze scheiden sich die Auffas- sungen grundlegend. Die klassisch-konservative Sicht – vom amerikanischem Ökonomen Milton Friedman 1970 postuliert – ist, dass Unternehmen über ihre finanzielle Profitabilität ihrer gesellschaftlichen Verantwortung Rechnung tragen sollen.
Nur auf diese Weise entsteht Wohlstand in der Gesellschaft.
Seit Friedmans Postulat ist ein halbes Jahrhundert vergangen.
Inzwischen ist diese Eindimensionalität überwunden: Man beachtet alle Interessengruppen („Stakeholder“) des Unterneh- mens als Ermöglicher des Unternehmenserfolges. Klaus Schwab, der Gründer des World Economic Forum, sieht den heutigen Stand der Entwicklung als „Stakeholder Kapitalismus“. Larry Fink – der CEO des weltgrößten Vermögensverwalters Black- rock – geht noch einen Schritt weiter und fordert, dass Unter- nehmen generell einen gesellschaftlichen Beitrag leisten sollen.
Viele Unternehmen weltweit folgen dieser Aufforderung und legen für sich einen „Purpose“ in diesem Sinne fest. Purpose geht über Corporate Social Responsibilty hinaus und definiert gewissermaßen den übergeordneten Sinn aller unternehmeri- schen Aktivitäten.
Was bedeutet dies heute für die Steuerung eines Unterneh- mens? Wir meinen, dass hier eine doppelte Herausforderung besteht: Einerseits muss das Unternehmen in einer komplexen und turbulenten Welt Kurs halten, andererseits ist der Kom- pass dazu mehrdimensional geworden. In der früheren – eher stabilen – Umwelt war der finanzielle Gewinn die alleinige Orientierungsgröße. Heute ist unter Beachtung von Stakehol- der-Interessen eine „triple bottom line“ (Ökonomie, Ökologie und Soziales) festzulegen. Diese weist inzwischen regelmäßig Bezüge zu einem oder mehreren der 17 Social Development Goals der Vereinten Nationen auf. Übergeordnet zu diesen finanziellen und nichtfinanziellen Organisationszielen (der
selbst festzulegenden „Performance“ einer Organisation) ist der Unternehmenszweck. Die Unternehmenssteuerung hat dazu einen schwierigen Abstimmungs- und Ausrichtungsprozess zu bewältigen.
Dies ist das Thema unseres Spezialheftes: Wie lässt sich ein Purpose erarbeiten? Wie lassen sich Purpose und Strategie für die Unternehmenssteuerung operationalisieren? Das Heft folgt damit dem langjährigen Credo von Controlling und Perfor- mance Measurement: What gets measured gets done!
CFO bzw. Controller sind Gestalter und „Enabler“ der Unter- nehmenssteuerung in dieser unübersichtlichen Situation, die wohl in der Zukunft noch komplexer wird. Dazu haben wir ver- schiedene Zugänge gewählt: Was sagt die Wissenschaft? Welche erfolgreichen Lösungsansätze gibt es in der Praxis? Wir haben für alle relevanten Themen hervorragende Experten versam- melt, die uns wertvolle Anregungen für die unternehmerische Expedition in die Zukunft liefern. Machen Sie sich mit uns auf diese Reise!
Eine lehrreiche Lektüre wünschen Péter Horváth Klaus Möller
PURPOSE MACHT SINN!
31 23
52
Purpose und Controlling
Purpose als Prinzip
Barbara E. Weißenberger und Sonja Schattevoy Abschied von Gewinnmaximierung: Was bedeutet das für den Controller?
Péter Horváth
Sinnstiftung und Steuerungssysteme Klaus Möller und Janine Burghardt
Erfolgreiche Operationalisierung eines „Purpose” in der Unternehmenspraxis
Karl-Heinz Steinke und Heimo Losbichler
Purpose durch Nachhaltigkeit: Zukunftsfähige Zweck
bestimmung für Unternehmen und Controlling Holger Petersen, Stefan Schaltegger und Anne-Katrin Nuzum
Anforderungen an eine echte Purpose– Orientierung von Unternehmen
Thomas Dyllick und Katrin Muff
Purpose Measurement
Purpose in der Praxis: Insights einer Leitbildstudie aus der deutschen Wirtschaft
Nikolai Brosch
Nachhaltigkeitscontrolling bei der BoschGruppe Torsten Kallweit
Corporate Purpose oder die große Unbekannte Jonas Haas, Marvin Kalla und Laura Vetter Impact Messung am Beispiel von Novartis Sonja Haut, Dennis A. Ostwald, Richard Scholz, Denise Weger und Katharina Zubrzycki
Impact Measurement: Was Controller zur Steue rung des Corporate (Social) Purpose brauchen!
Alexander Stehle, Marco Möhrer und Stefan Jordan 4
10
14 19
26
31
36
40 44 51
56
Inhalt
10 Abschied
von Gewinn- maximierung
14 Sinnstiftung und Steuerungs- systeme
40 Nachhaltig- keitscontrolling bei der Bosch-Gruppe
56 Impact Measurement
92
114
INHALT
Purpose und Strategie
Die mentale Prägung entscheidet: Sinnsuche im modernen Unternehmen
Günter Müller-Stewens
Der Sprung auf die nächste Stufe unternehmerischer Nachhaltigkeit
Thomas Wunder Strategy with Purpose
Isabella Grabner und Gerhard Speckbacher
Purpose Controlling: Public Value in die Balanced Scorecard integrieren
Timo Meynhardt und Eduard Frantz
Purpose in verschiedenen Unternehmensformen
Der Dreiklang des Erfolges: Wie Purpose zum kongenialen Partner von Vision und Mission wurde
Oliver Greiner
Stiftungssteuerung: Im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle
Katharina Ander und Andreas Hoffjan Keine Performance ohne Purpose Pepe Strathoff und Tobias Flinspach Purpose bei TRUMPF
Péter Horváth im Gespräch mit Lars Grünert, kaufmännischer Geschäfts führer der TRUMPF GmbH + Co. KG
Purpose als Treiber von Transformation und Performance Dirk Meier und Modelice Nam
Purpose und Resilienz: Wie ein klares Warum dazu beiträgt, Unternehmen robust zu machen
Burkhard Pedell und Birgit Renzl Wie junge Toptalente nach Sinn streben Fabian Buder und Anja Dieckmann Wir leben Purpose mit „ONE LAPP“
62
66
74 78
82
100
106 110
114 120
126 132
Anbieterprofile
IT - Spezial
Softwareanbieter im Portrait
© Kir Smyslov/stock.adobe.com
85
ITSpezial:
Softwareanbieter im Portrait
78 Purpose
Controlling
74 Strategy with Purpose
100
Stiftungssteuerung
120
Purpose und Resilienz
dx+56 +77+87+90+41
WIE JUNGE TOPTALENTE NACH SINN STREBEN
Warum „Purpose beyond Profit“
ein Wett bewerbsvorteil im Kampf um die besten Köpfe ist
von Fabian Buder und Anja Dieckmann
Junge Toptalente sehen einen sinnstiftenden Zweck – oder englisch kurz Purpose – von Unternehmen als unentbehrlich
für die zukünftige Stellung im Wettbewerb. Purpose ist aber kein Element, das Produkten oder Dienstleistungen einfach
hinzugefügt werden kann. Es ist vielmehr ein zentraler Leitgedanke und (unerreichbares) Ziel eines Unter
nehmens, auf das sich verschiedenste unternehmerische Aktivitäten ausrichten.
Zentral für Purpose ist eine klare Definition der Ziele und die Entwicklung
adäquater Kenn zahlen für Fortschritt
in nichtmonetären Dimensionen.
PURPOSE UND ANDERE THEMEN IM UNTERNEHMEN
Wer noch Zweifel daran hegte, dass wir in einer „VUCA“- Welt leben, den hat die Corona-Krise wahrscheinlich eines Bes- seren belehrt. VUCA, ein Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, wurde zuerst vom U.S. Army War College geprägt, um die Geopolitik nach dem Kalten Krieg zu beschreiben. Heute aber dient es angesichts eines dynamischen Wandels, extremer globaler Herausforderungen und exponenti- ellen Fortschritts zunehmend der Beschreibung des Marktum- feldes oder der Welt im Allgemeinen.
Gleichzeitig findet ein tiefgreifender Kulturwandel statt. Die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen haben sich verändert, sowohl die von Konsumenten und Konsumentinnen als auch die der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Organisationen.
Getrieben wird dieser Wandel insbesondere von den jüngeren Generationen, den sog. Digital Natives. Was die nach 1980 Gebo- renen eint, ist ihr Aufwachsen mit und im Internet, sie kennen eine Welt ohne Internet nur aus verblassenden Erinnerungen oder aus Erzählungen. Um in zukünftigen Märkten und bei der Rekrutierung von Talenten wettbewerbsfähig zu bleiben,
müssen sich Unternehmen an die kulturellen Veränderungen durch diese digitale Generation anpassen.
Dieser Artikel will Antworten geben auf die Frage, welche Erwartungen von Spitzentalenten der Digital Natives an die Rolle und Verantwortung von Unternehmen in der Gesellschaft gestellt werden. Sind sie wirklich so sinnorientiert, wie vielfach behauptet wird? Und falls ja, beeinflusst dies ihr Verhalten bei der Arbeitssuche? Was bedeutet das für Unternehmen, die ver- suchen, heute digitale Topkräfte zu gewinnen?
Unternehmen ohne Purpose limitieren ihren Talentpool Gemeinsam mit dem St. Gallen Symposium, einer weltweiten führenden Initiative für generationenübergreifende Debatten über wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungen, befragen wir seit 2014 einmal im Jahr junge Toptalente aus der Generation der Digital Natives zu ihren Vorstellungen von Arbeit, Karriere und Führung sowie zu ihren Werten und Zukunftsvorstellungen (vgl. Buder et al., 2015, 2016, 2018, 2019). Über die bisherigen Erhebungen hinweg war ein
63 %
überprüfen, ob potenzielle Arbeitgeber einen Beitrag leisten zu einem Zweck der ihnen etwas bedeutet.42 %
haben bereits ein geringes Gehalt akzeptiert, um für einen Arbeitgeber zu arbeiten, der einen Zweck ver-40 %
haben sich nicht auf einen zunächst interes- santen Job beworben, weil der Arbeitgeber nicht zur ihren26 %
haben ein konkre- tes Jobangebot abgelehnt, weil der Arbeitgeber nicht zu ihren Werten passte.menschenbezogen und ethisch vertretbar ist. Dies kann es für Unternehmen erforderlich machen, die derzeitigen Geschäfts- praktiken grundlegend zu überdenken. Um wirklich als pur- pose-driven, also von Sinn angetrieben, wahrgenommen zu werden, müssen Unternehmen bereit sein, ihr Business im Sinne des Purpose neu zu erfinden. Isolierte Greenwashing-Kam- pagnen und soziale Aktionen zu reinen Marketingzwecken dagegen werden in der heutigen vernetzten Informationsge- sellschaft schnell enttarnt und können der Glaubwürdigkeit von Unternehmen sogar schaden (Buder et al., 2020).
In einer Welt der zunehmenden Digitalisierung, der margi- nalen Transaktionskosten und des verschärften globalen Wett- bewerbs ist der Hauptunterschied zwischen Unternehmen aus Sicht des Führungsnachwuchses das Warum, der Zweck des unternehmerischen Handelns.
Purpose beginnt für die von uns befragten Toptalente im Unternehmen selbst. Die Basis ist, die Bedürfnisse der Beschäf- tigten zu berücksichtigen – durch Work-Life-Balance und Fle- xibilität. Wichtig sind darüber hinaus Maßnahmen für Vielfalt und Integration am Arbeitsplatz. Dies gilt auch im Hinblick auf Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, im täglichen Umgang miteinander, bei der Besetzung von Positionen und Thema bestimmend: Die Suche nach Sinn in der Arbeit und
einem positiven Einfluss des eigenen Handelns auf Umwelt und Gesellschaft. Das gilt für Befragte, die als Angestellte tätig sind, ebenso wie für den nicht unerheblichen Teil derer, die ein eigenes Unternehmen führen.
Die von uns befragten (zukünftigen) Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen sehen ihr Arbeitsleben als Chance, etwas zu bewirken: In allen Befragungswellen waren ihnen Sinn und positive Wirkung stets wichtiger als das Gehalt oder andere Benefits. Unternehmen, die talentierten Nachwuchs rekrutieren oder halten möchten, müssen also Wege finden, ihren Beschäftigten zu ermöglichen, Umwelt und Gesellschaft mitzugestalten.
Dies als unverbindliche Wichtigkeitsbekundungen abzutun, wäre wohl verfehlt. Konkret zu Erfahrungen bei der Jobsuche befragt, zeigten sich viele der Toptalente jedenfalls bereit, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Zum Beispiel, indem sie Zeit in die Suche nach einem Job, der für sie eine sinnvolle Beschäfti- gung darstellt, investieren, oder indem sie sich vorher die not- wendigen Informationen zu Unternehmen besorgen, um sich ein Urteil über dessen Werte und Mission bilden zu können. Unter- nehmen, die nicht klar formulieren, was ihr Purpose ist und für welche Werte sie stehen, schaffen es wahrscheinlich nicht auf die Liste der Wunscharbeitgeber des hochqualifizierten Nach- wuchses. Dementsprechend kann es sein, dass diese Toptalente interessante und lukrative Stellenangebote ablehnen, wenn der Arbeitgeber nicht ihren Wertvorstellungen entspricht. Zudem sind sie ist bereit, finanzielle Abstriche zu machen, wenn sie dafür eine sinnvollere Tätigkeit ausüben können. Mehr als 40 % der Befragten gaben in unserer Befragung von 2019 (vgl. Buder et al., 2019) an, dass sie bereits ein Stellenangebot mit niedrigerer Bezahlung angenommen haben, um für einen Arbeitgeber zu arbeiten, dessen Ziele und Werte sie teilen.
Ein Purpose, die Verfolgung eines Zwecks jenseits des Profits, kann also ein entscheidender Faktor im „War for Talent“ sein.
Das sollte jene wachrütteln, die nach wie vor glauben, dass die Suche nach Sinn in der Arbeit ein Ausdruck von jugendlichem Idealismus ist, der spätestens dann vorüber ist, wenn es im Berufsleben ernst wird.
Natürlich wäre es naiv zu denken, dass Geld unwichtig für die befragten Toptalente ist. Geld ist aber nur eines der „drei Ps“: Es geht um eine ausgewogene Kombination von Payment, Purpose und People. D. h. die Bezahlung soll angemessen sein, die Tätigkeit sinnvoll und die Menschen sympathisch.
EIN PURPOSE KANN NICHT EINFACH AN EIN PRODUKT ODER EINE DIENST LEISTUNG
„ANGEHEFTET“ WERDEN.
ES IST KEIN PRODUKT- MERKMAL, SONDERN DER
KERN ALL DESSEN,
WAS EIN UNTERNEHMEN,
SEIN HANDELN UND SEINE
ANGEBOTE AUSMACHT.
PURPOSE UND ANDERE THEMEN IM UNTERNEHMEN
Sinn ist der Antrieb und Kern unternehmerischen Handelns, kein AddOn für Produkte
Ein Purpose kann nicht einfach an ein Produkt oder eine Dienstleistung „angeheftet“ werden. Es ist kein Produkt- merkmal, sondern der Kern all dessen, was ein Unternehmen, sein Handeln und seine Angebote ausmacht.
Der Purpose eines Unternehmens muss erkennbar sein in allem, was dieses Unternehmen tut, in jeder Entscheidung, die es trifft, und in jeder Interaktion mit seinen Stakeholdern. Das bedeutet für viele traditionelle Unternehmen nichts Geringeres als einen Wechsel vom kurzfristigen zum langfristigen Denken und von der Fokussierung auf Finanzkapital zur Steuerung von Auswirkungen auf ein breites Spektrum von Kapitalien. Traditi- onelle CSR-Konzepte oder die Ergänzung des Produktportfolios beispielsweise um einige ökologische Modelle werden für die Zukunft als unzureichend betrachtet – oder wie Ökonomin Maja Göpel es in einem Interview 2019 ausgedrückt hat: „Was nicht auf Nachhaltigkeit einzahlt, sollten wir nicht mehr Innovation nennen“. Für die Stellung im Wettbewerb der Zukunft werden jene Maßnahmen als am wertvollsten angesehen, die ein Unter- nehmen wirklich sinngetrieben machen.
Der Top-Nachwuchs sieht für die Zukunft die Notwendigkeit zum Umdenken: Von Employee Satisfaction zu Employee Expe-
den Buy-in des Topmanagements, der Shareholder und auch des Controllings, das den Erfolg des Unternehmens misst und steuert.
Für sinnorientierte Entscheidungen muss Purpose messbar werden
Ein elementarer Aspekt für den Wandel hin zu einer von Pur- pose getriebenen Unternehmensführung ist, sicherzustellen, dass Werte und langfristige Ziele tatsächlich (strategische) Ent- scheidungen leiten.
Wie kann basierend auf einem Purpose beyond Profit dessen Fortschritt und die Erfüllung der langfristigen Ziele gemessen werden? Und wie können solche, häufig non-monetären Fak- toren in Unternehmensentscheidungen adäquat berücksich- tigt werden? Viele der Unternehmer und Unternehmerinnen unter den Befragten nutzen Kennzahlen für Purpose bereits und messen dazu auch Aspekte, die traditionell nicht zu Unter- nehmenskennziffern gehören. Die Toptalente setzen sich zum Beispiel in ihren Unternehmen für nachhaltige Programme zum Wohlbefinden der Beschäftigten ein. Dafür ist die Kommunika- tion mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und deren Feedback für Unternehmen entscheidend. Um sicherzustellen, dass ihre Unternehmen einen Beitrag zu sozialen Fragen leisten, etwa Das Leben von Menschen verbessern
Produkten oder Dienstleistungen sind Mittel um den Purpose erfahrbar zu machen, wenn diese wirklich darauf ausgerichtet sind, das Leben von Kunden zu verbessern.
Zum Beispiel indem bisher nicht beachteten Gruppen Zugang zu wichtigen Produk ten oder Dienstleistungen gegeben wird oder Leistungen zur nachhaltigen Verbesserung des Lebens entwickelt werden.
Verbesserung der lokalen Wirtschaft Die Toptalente in unseren globalen Befra - gungen legen Wert darauf, die Infrastruktur und die Wirtschaft in den Ländern, in denen sie leben, zu verbessern. Unterneh- men sollten über die klassischen geschäft- lichen Austauschbeziehungen hinaus zusammenarbeiten, um die Entwicklung neuer Innovationen zum Nutzen der gesam- ten lokalen Wirtschaft voranzutreiben.
Nachhaltig handeln und die Umwelt schützen
Unternehmen sollen eine aktive Rolle beim Schutz der Umwelt und bei der Sicherung der natürlichen Ressourcen spielen. Das beginnt innerhalb des Unternehmens, durch nachhaltige Geschäftsprozessen und -akti - vi täten. Es bedeutet aber auch, sich z. B.
darum zu kümmern, wie Verbraucher*innen Angebote nutzen und sicherzustellen, dass Ressourcen nicht verschwendet werden, Abfall reduziert und recycelt wird.
Bessere Bildung für alle
Die Verbesserung von Bildung ist ein großes Thema nicht nur für jene Toptalente aus Entwicklungs- und Schwellenländern.
Dazu gehört u. a., den Zugang zu Bildung zu verbessern, insbesondere für weniger privilegierte Gruppen, oder Möglichkeiten zu schaffen, berufliche, technologische und soziale Fähigkeiten auf den neuesten Stand zu bringen.
Verbesserung der Gesundheits versorgung Toptalente finden Unternehmen attraktiv, die sich der Verbesserung der Gesundheits- versorgung verschrieben haben. Etwa indem sie mehr Menschen den Zugang zu effektiver Gesundheitsversorgung ermög- lichen, neue Lösungen für medizinische Probleme erforschen oder für mehr Men- schen erschwingliche Produkte und Dienst - leistungen zur Gesundheitsversor gung anbieten.
Für sozialen Wandel eintreten
Unternehmen sollen Treiber positiven sozia - len Wandels sein und dringende Probleme in der Gesellschaft aufgreifen. Neben der För - de rung von Vielfalt und Gleichberechtigung im Unternehmen selbst, sollen diese eine aktive Rolle übernehmen, u. a. in der Bekämp- fung von Ursachen von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder des ethni- schen Hintergrunds.
F.: Was ist Ihrer Meinung nach generell ein wichtiger Zweck jenseits des Profits, den Unternehmen verfolgen sollten?
N = 1028; „Leaders of Tomorrow – Wave 2019“
© Nuremberg Institute for Market Decisions & St. Gallen Symposium: Voices of the Leaders of Tomorrow 2019 (Buder et al. 2019) Abb. 2: Welcher Purpose treibt Toptalente an?
Mitentscheidung“ gliedern lassen. Diese ergeben gemeinsam die Gemeinwohl-Bilanz von Firmen und Gemeinden. Kritik erfahren diese Indikatoren jedoch für ihre vermeintliche Büro- kratie, Ineffizienz und subjektive Wertungen bei der Festlegung der Indikatoren (vgl. z. B. Steigenberger, 2013).
Wieso das Controlling für Purpose eine zentrale Rolle ein
nehmen kann
Die besondere Bedeutung des Controllings ergibt sich aus einer Schwierigkeit für die Unternehmen: Für eine breite Akzeptanz und Verbreitung alternativer Wirtschaftsmodelle bedarf es der Entwicklung neuer Kennzahlen, die sich möglichst unbürokratisch kontrollieren lassen, transparent und nachvoll- ziehbar sind und weitestgehend manipulationssicher.
Dies würde sowohl die Implementierung also auch die Über- wachung durch unabhängige Parteien erleichtern und gleich- zeitig eine Entscheidungsgrundlage für finanzielle Anreize von staatlicher Seite liefern. Allerdings scheitert dies aus Sicht der Toptalente in etablierten Unternehmen heute noch häufig. Denn es fehlt an Werkzeugen und Techniken zum Einbezug nicht- finanzieller Aspekte in Entscheidungen (Abb. 3).
Bei der Entwicklung geeigneter Kennzahlen kann Wissen und Erfahrung aus dem Controlling wertvolle Dienste leisten.
Um auf unsere Befragung der Toptalente zurückzukommen:
Ressourcen und das Ausmaß der Umweltbelastung gemessen, um das beste Gleichgewicht zwischen Geschäftsaktivitäten und Ökologie zu finden – etwa über den CO2-Fußabdruck oder die Menge der zurückgenommenen, gebrauchten Produkte und recycelter Materialien.
Mit dem Wunsch, dass ihre berufliche Tätigkeit auch ethische Ziele verfolgt, sind die jungen Toptalente nicht allein. Ökono- minnen und Ökonomen haben diverse neue Wirtschaftsmodelle vorgeschlagen als Alternativen zu einseitigen Wachstumsmo- dellen, deren destruktive Nebeneffekte wir aktuell mehr denn je vor Augen geführt bekommen. Dies mag speziell dann gelten, wenn Umbrüche wie die Corona-Pandemie stärker als zuvor das bisherige Handeln infrage stellen. Besonders häufig wird auf das Modell der Donut-Ökonomie von Kate Raworth (2018) verwiesen. Der innere Rand des „Donuts“ sind die Bedürfnisse der Menschen, der äußere Rand die ökologischen Grenzen unseres Planeten. Zwischen diesen beiden Grenzen ist soziales und nachhaltiges Wirtschaften möglich. Entsprechend sollte wirtschaftliche Leistung danach beurteilt werden, inwieweit menschliche Bedürfnisse erfüllt und Überbeanspruchung öko- logischer Ressourcen vermieden werden. Es handelt sich um ein einleuchtendes und eingängiges visuelles Rahmenmodell, für dessen konkrete Umsetzung es jedoch der Entwicklung neuer Kennzahlen bedarf. Im deutschsprachigen Raum gewann
Abb. 3: Es fehlt oft noch an zuverlässigen Instrumenten und Techniken, um non-monetäre Faktoren in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
n=345 Toptalente mit eigenem Unternehmen oder angestellt in for-profit Unternehmen | N = 1028; “Leaders of Tomorrow – Wave 2019”
| © Nuremberg Institute for Market Decisions & St. Gallen Symposium: Voices of the Leaders of Tomorrow 2019 (Buder et al. 2019) Non-monetäre Faktoren werden
umfassend erhoben und beeinflussen die strategische Entscheidungsfindung erheblich
Non-monetäre Faktoren werden als wichtig erachtet und Instrumente und Techniken werden derzeit entwickelt Non-monetäre Faktoren werden als wichtig erach tet, aber es fehlt an zuverlässigen Instru- menten und Techniken, um sie einzubeziehen Entscheidungen werden fast ausschließlich auf der Grundlage finanzieller Erwägungen getroffen – non- monetäre Faktoren werden nicht als wichtig erachtet Keine Antwort
Entrepreneure Angestellte (in for-profit Unternehmen) 7%
23%
28%
24%
18%
2%
7%
22%
28%
41%
0% 10% 20% 30% 40% 50%
Keine Antwort Entscheidungen werden fast ausschließlich auf der Grundlage finanzieller Erwägungen getroffen - non-monetäre Faktoren werden nicht als wichtig
erachtet
Non-monetäre Faktoren werden als wichtig erachtet, aber es fehlt an zuverlässigen Instrumenten und Techniken, um sie einzubeziehen.
Non-monetäre Faktoren werden als wichtig erachtet, und Instrumente und Techniken werden derzeit entwickelt.
Non-monetäre Faktoren werden umfassend erhoben und beeinflussen die strategische Entscheidungsfindung erheblich
Entrepreneure Angestellte (in for-profit Unternehmen)
PURPOSE UND ANDERE THEMEN IM UNTERNEHMEN
LITERATUR
Buder, F./D., Dietrich, H./Stoltenberg, B., Business Challenges for the 2020s.
Nuremberg Institute for Market Decisions, Nürnberg 2020.
Buder, F./Schmitt, N./Kahdemann, D./Artykova, K., Voices of the Leaders of Tomorrow: Purpose Beyond Profit. Nuremberg Institute for Market Decisions
& St. Gallen Symposium, Nürnberg 2019.
Buder, F./Neus, A., Global Perspectives Barometer 2018 - Owning the Future of Work. GfK Verein & St. Gallen Symposium, Nürnberg 2018.
Buder, F./Neus, A./Müller, A–L., Global Perspectives Barometer 2016 – Voices of the Leaders of Tomorrow: Transform Decision Making! GfK Verein & St.
Gallen Symposium, Nürnberg 2016.
Buder, F./Neus, A., Global Perspectives Barometer 2015 – Voices of the Leaders of Tomorrow. GfK Verein & St. Gallen Symposium, Nürnberg 2015.
Felber, C., Gemeinwohl-Ökonomie. München 2018.
Raworth, K., Die Donut-Ökonomie. München 2018.
Steigenberger, K., Gemeinwohlökonomie am Prüfstand – Eine umfassende und kritische Analyse, in: Wirtschaftskammer Österreich (Hrsg.), Dossier Wirtschaftspolitik, Ausgabe 2013/08, Wien 2013.
EIN ELEMENTARER ASPEKT FÜR DEN WANDEL HIN ZU EINER VON PURPOSE GETRIEBENEN UNTERNEHMENS- FÜHRUNG IST, SICHERZUSTELLEN, DASS WERTE UND LANGFRISTIGE ZIELE TATSÄCHLICH (STRATEGISCHE) ENTSCHEIDUNGEN LEITEN.
CONTROLLING KOMPAKT
#1 Toptalente setzen sinnstiftende Tätigkeit vor Geld und traditioneller Karriere.
#2 Ein sinnstiftender Purpose wird im Markt und im War for Talent als Wettbewerbs vorteil gesehen.
#3 Purpose ist kein Produktmerkmal, sondern es ist zentraler Leitgedanke bzw. übergeordnetes Ziel des Unternehmens.
#4 Zentral für Purpose ist eine klare Definition der Ziele und die Entwicklung adäquater Kennzahlen für Fortschritt in nichtmonetären Dimensionen.
AUTORENVORSTELLUNG
Dr. Fabian Buder ist Leiter der Forschungsgruppe Future & Trends Research im Nürnberg Institut für Marktentscheidungen e.V.
E-Mail: fabian.buder@nim.org