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Flexible Handhabung des Zentrale-Orte- Konzepts am Beispiel der Region Braunschweig

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1 Polyzentrische Siedlungsstruktur

Der Großraum Braunschweig, der sich aus den drei kreisfreien Städten Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie den fünf Landkreisen Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel zusammensetzt und insgesamt 1,16 Mio. Einwohner zählt, ist neben seiner naturräumlichen Vielfalt durch eine ausgeprägt polyzentrische Sied- lungsstruktur gekennzeichnet: Insgesamt elf Mittelzentren umgeben die drei benach- barten Oberzentren Braunschweig, Salz- gitter und Wolfsburg, und in den fünf Land- kreisen befinden sich 45 kreisangehörige Städte und Gemeinden.

Der Großraum Braunschweig verfügt über eine Fläche von 5 078 km2. Die größte Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 120 km, die größte Ost-West-Ausdehnung ca. 40 km.

Damit erreicht dieser Großraum in etwa die Dimension des Rhein-Main-Gebietes zwi- schen Hanau und Wiesbaden bzw. Gießen und Darmstadt, ohne jedoch annähernd die entsprechende Einwohnerzahl zu erzie- len.

Die polyzentrische Siedlungsstruktur wird überlagert durch teilräumliche Schwer- punkte der Wirtschaftsstruktur. Zu nennen sind hier vor allem die Automobilproduk- tion in Wolfsburg, die Stahlherstellung und -verarbeitung in Salzgitter, die Metallurgie im nördlichen Landkreis Goslar, die Ener- giewirtschaft in Helmstedt und die zentrale Dienstleistungs- und Wissenschaftsfunk- tion Braunschweigs im Kern der Region.

Neben dieser wirtschaftsstrukturellen Glie- derung spielt auch die administrative Auf- teilung in fünf Landkreise und drei kreis- freie Städte eine wichtige Rolle bei der Ausformung der genannten polyzentri- schen Strukturen.

Seit 1992 versucht der vom Landesgesetz- geber initiierte Zweckverband Großraum Braunschweig, in den Bereichen öffent- licher Personennahverkehr (Schiene und Straße) sowie Regionalplanung durch Auf- stellung und Fortschreibung von Nahver- kehrsplänen und einem einheitlichen Re- gionalen Raumordnungsprogramm eine

kooperative Regionalentwicklung zu initi- ieren.

Während vor der Gründung des Zweckver- bandes Großraum Braunschweig im Jahre 1992 die fünf Landkreise und drei kreisfrei- en Städte selbst Träger der Regionalpla- nung waren, gibt es auf der Ebene der Raumordnung nunmehr – der Funktion der Region entsprechend – nur noch einen Pla- nungsträger. Bei der Aufstellung und Fort- schreibung des Regionalen Raumord- nungsprogramms ist die polyzentrische Siedlungsstruktur besonders zu beachten und zu stärken, um insgesamt zu einer aus- geglichenen Regionalentwicklung gemäß

§ 2 Abs. 2 ROG zu gelangen.1

2 Demographische Entwicklung

Bezogen auf seine frühere Randlage im al- ten Bundesgebiet hatte die Region bereits seit dem Mauerbau 1961 mit einer eher rückläufigen Bevölkerungszahl zu kämp- fen. Erst mit den Zuwanderungswellen ost- europäischer Aussiedler und ab 1989 ge- folgt von Zuwanderungen aus den neuen Bundesländern setzte vorübergehend eine positive Bevölkerungsentwicklung ein, die bereits seit 1995 wieder stagniert bzw. leicht rückläufige Tendenzen zeigt. Ursache hierfür ist bei inzwischen wieder weit- gehend ausgeglichener Wanderungsbilanz ein durchgehend bestehendes Geburtende- fizit.

Während also in der zweiten Hälfte der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre die Zuzugsge- winne die Gesamtbevölkerungsentwick- lung prägten, war es davor und ist es danach allein die natürliche Bevölkerungs- entwicklung (siehe Abb. 1 nächste Seite).

Nach den aktuellen Prognosen wird sich der heutige Bevölkerungsstand noch etwa bis 2004/2005 halten, um danach kontinu- ierlich abzusinken. Nach dem Jahr 2030 wird der Bevölkerungsstand nach diesen Prognosen auf einen Wert abgefallen sein, der etwa den Stand Mitte der 80er Jahre mit 1 110 000 Einwohnern erreicht. Demnach ist der Gesamtbevölkerungsverlust der

Ulrich Kegel

Ulrich Kegel

Zweckverband Großraum Braunschweig

Frankfurter Straße 2 38122 Braunschweig E-Mail: u.kegel@zgb.de

Flexible Handhabung des Zentrale-Orte-

Konzepts am Beispiel der Region Braunschweig

Das Zentrale-Orte- Konzept trägt besonders unter Deglomerations- bedingungen zu einer geordneten und auf Ausgleich ausgerichte- ten Regionalentwicklung bei.

(2)

nächsten Jahrzehnte noch relativ über- schaubar, wobei innerhalb der Region mit erheblichen Divergenzen zu rechnen ist, wie aus Abbildung 2 hervorgeht. Bei der Be- völkerungsprognose für die Region Braun- schweig wurden in einem weiteren Progno- segang die innerregionalen Wanderungen und demographischen Grundlagendaten herangezogen und auf Gemeindeebene be- rechnet.2

Bei dieser Prognosevariante wurde ange- nommen, dass die Kernstädte, die in den vergangenen Jahren besonders viele Ein- wohner verloren haben, im Rahmen ihrer Baulandpolitik insgesamt dazu beitragen, die Abwanderungstrends in den suburba- nen Raum zu senken. Bei einer solchen Per- spektive würde sich der Bevölkerungsrück- gang in den Kernstädten deutlich verlang- samen bzw., wie am Beispiel Wolfsburg zu sehen ist, sogar stabilisieren. Gleichzeitig würde aber auch der periphere ländliche Raum überproportional Einwohner verlie- ren. Der suburbane Raum dagegen ist bei Abbildung 1

Bevölkerungsstand, Zu- und Fortzüge, Geburten und Sterbefälle im Großraum Braunschweig 1987 bis 2000

diesem Szenario weiterhin als Zuzugsraum zu verstehen.

Mit einer solchen Perspektive wird deut- lich, dass die einzelnen Gemeinden inner- halb der Region sich in Gewinner und Ver- lierer ausdifferenzieren lassen. Gerade unter dem Gesichtspunkt rückläufiger Be- völkerungszahlen wird damit der Grund- satz einer ausgeglichenen Stadt- und Re- gionalentwicklung weit verfehlt.

Eine Betrachtung der bisherigen Entwick- lung macht deutlich, dass die Prognose auf einem sehr realistischen Hintergrund be- ruht. Bei einer Betrachtung der Binnen- und Außenwanderungssalden der Jahre 1997 bis 1999 für den Großraum Braun- schweig wird unschwer erkennbar, dass die Region insgesamt über ausgeglichene Wan- derungssalden verfügt, zwischen den Land- kreisen und kreisfreien Städten jedoch er- hebliche Defizite zulasten der Kernstädte zu verzeichnen sind. Die erwähnte Perspek- tive des Auseinanderdriftens kommuna- ler Entwicklungen im Großraum Braun- schweig ist also bereits in der Grundstruk- tur angelegt und setzt sich je nach raum- ordnerischer Rahmensetzung mehr oder minder fort (vgl. Abb. 3).

Nicht nur die generelle Umverteilung der Bevölkerung in der Region ist von raumord- nerischem Interesse, sondern auch der al- tersstrukturelle Wandlungsprozess, der mit diesen Wanderungsbewegungen einher- geht.

Vergleicht man beispielsweise die Alters- struktur der Kernstadt Braunschweig mit der des benachbarten Landkreises Gifhorn und vergleicht dies wiederum mit dem Lan- desdurchschnitt, so wird deutlich, dass in der Kernstadt Braunschweig bei Kindern und Jugendlichen ein deutliches Defizit ge- genüber dem Landesdurchschnitt besteht, während im Landkreis Gifhorn hier diese Altersgruppe überproportional vertreten ist. Genau umgekehrt verhält es sich bei der Ausbildungs- und Berufsanfängergenera- tion der 20- bis 30-Jährigen. Entsprechend dem hohen Kinderanteil leben im Land- kreis Gifhorn im Vergleich zum Landes- durchschnitt natürlich auch mehr Perso- nen, die der Elterngeneration angehören.

Besonders deutlich werden die altersstruk- turellen Unterschiede dann wieder bei der Betrachtung der über 65-Jährigen, die im Landkreis Gifhorn eher unterrepräsentiert

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Bevölkerungsbestand

Fortzüge Zuzüge

Sterbefälle Geburten 1 180 000

1 160 000

1 140 000

1 120 000

1 100 000

1 080 000

100 000

80 000

60 000

40 000

20 000

0

Quelle: Niederschächsisches Landesamt für Statistik

(1)§ 2 Abs. 2 Raumordnungsge- setz des Bundes, BGBl. I S. 2081, 2102, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.1997, BGBl. I S. 2902

(2)Kleinräumige Bevölkerungs-, Haushalts- und Wohnungsbe- darfsprognose 1999–2015 für den Großraum Braunschweig, IES-Bericht Nr. 102.02. Hrsg.:

Zweckverband Großraum Braunschweig

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sind, während in der Kernstadt Braun- schweig deutliche Überalterungstenden- zen im Vergleich zum Landesdurchschnitt festzustellen sind (vgl. Abb. 4). Mit diesem Vergleich wird deutlich, dass innerhalb der einzelnen Gebietskörperschaften mit den ausgeprägten Stadt-Land-Wanderungen erhebliche altersstrukturelle Verände- rungsprozesse einhergehen, die die Kom- munen heute und in Zukunft noch mehr vor höchst unterschiedliche Aufgaben stel- len.

3 Das Prinzip der dezentralen Konzentration

Diese Entwicklung sehend, wurde bei der Aufstellung des neuen Regionalen Raum- ordnungsprogramms für den Großraum Braunschweig das eigentlich für das euro- päische Städtenetz entwickelte Prinzip der dezentralen Konzentration auf die Region heruntergebrochen. Während das Landes- raumordnungsprogramm bereits die Ober- und Mittelzentren festgelegt hat, war es Aufgabe des Regionalen Raumordnungs- programms, auf der Ebene der kreisange- hörigen Gemeinden grundzentrale Stand- orte zu definieren.

Nach Ziel D 1.5 03 Regionales Raumord- nungsprogramm für den Großraum Braun- schweig3 gilt, die Siedlungsentwicklung vorrangig auf die zentralen Standorte aus- zurichten. Dies ermöglicht gleichwohl eine bedarfsgerechte Siedlungsentwicklung in den Mitgliedsgemeinden und Ortsteilen der Samtgemeinden und den Ortschaften der Einheitsgemeinden, deren Entwicklung in der Summe nicht zulasten der Funktion des zentralen Standortes gehen darf.

Mit dieser Zielformulierung auf der Ebene des Regionalen Raumordnungsprogramms wurde sichergestellt, dass die vorrangige Entwicklung je nach Gemeindeorganisa- tion einer Einheits- oder Samtgemeinde auf den festgelegten grundzentralen Standort auszurichten ist.

Besonders in den Samtgemeinden verfügen die Mitgliedsgemeinden über eigene Rech- te; z.B. sind sie Träger der verbindlichen Bauleitplanung, während die Samtgemein- de die Verantwortung für den Flächennut- zungsplan trägt. In der Praxis ergeben sich daraus Abhängigkeiten; so geben die Mit- gliedsgemeinden ihre jeweilige Zustim-

mung zu Änderungen eines Flächennut- zungsplans in der Regel nur dann, wenn ihre Gemeinde bei Entwicklungsmaßnah- men ebenfalls in den Genuss einer Bau- landausweisung kommt. Allein wegen die- ser gemeindeverfassungsrechtlichen Situa- tion ergibt sich in den Gebieten mit Samtgemeinden eine überproportionale Baulandausweisung, die die Suburbanisie- rung noch gefördert hat.

Abbildung 2

Bevölkerungsentwicklung in den Einheits- und Samtgemeinden des Großraumes Braunschweig bis 2030 (Szenario)

Quelle: Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung – Kartografie: Zweckverband Großraum Braunschweig

(3)Regionales Raumordnungs- programm 1995 für den Groß- raum Braunschweig – Beschrei- bende Darstellung. Hrsg.:

Zweckverband Großraum Braunschweig. – Braun- schweig 1996

30,1 u.m.

20,1 bis 30 10,1 bis 20 0 bis 10 Veränderung in % gegenüber 2000

SG Hankensbüttel

Wittingen

SG Wesendorf

Sassenburg

SG Meinersen

SG Brome

SG Boldecker Land

Wolfsburg Gifhorn

SG Isenbüttel

SG Papenteich

Peine Edemissen

Vechelde Wendeburg

Ilsede Hohenhameln Lahstedt

Lengede

Braunschweig

SG Velpk e

Königslutter Lehre

SG Nord-Elm SG Grasleben

Helmstedt Cremlingen

SG Sickte

Wolfenbüttel

Schöningen

SG Heeseberg SG Schöppenstedt

SG Oderwald SG Asse

SG Schladen Liebenburg

Goslar Vienenburg

Seesen Bad Harzburg

Salzgitter

Braunlage SG Hankensbüttel

Wittingen

SG Wesendorf

Sassenburg

SG Meinersen

SG Brome

SG Boldecker Gifhorn Land

SG Isenbüttel

SG Papenteich

Peine Edemissen

Vechelde Wende-

burg

Ilsede Hohen-

hameln Lahstedt

Lengede

Braunschweig

SG Velpke

Königslutter Lehre

SG Nord-Elm SG Grasleben

Helmstedt Cremlingen

SG Sickte Wolfenbüttel

SG Heeseberg SG Schöppen- stedt

SG Oderwald SG Asse

SG Schladen Liebenburg

Goslar Vienenburg

Seesen

Salzgitter -0,1 bis -10

-10,1 bis -20 -20,1 bis -30 -30,1 u.w.

0 20 km

Samt-/Einheitsgemeinde Landkreis

Zweckverband Großraum Braunschweig

gemeindefreies Gebiet Langelsheim

Wolfsburg

Büdden- stedt Büdden- stedt Schöningen

SG Lutter a.B.SG Lutter a.B.

SG BaddeckenstedtSG Baddeckenstedt

Braunlage St. Andreasberg

SG Oberharz

Bad Harzburg

(4)

Um nunmehr gleichwohl eine ausgegliche- ne Regionalentwicklung anstreben zu kön- nen, wurde der Eigenbedarf in den Mit- gliedsgemeinden darauf abgestellt, dass die Summe der Eigenbedarfsentwicklungen nicht zulasten des zentralen Standortes ge- hen darf.

Seit Bestehen des Zweckverbandes Groß- raum Braunschweig setzt sich dieses auf ge-

genseitige Rücksichtnahme aufbauende Planungsprinzip zunehmend durch und hat bereits heute zu einer deutlichen Ver- langsamung des Wachstums der nichtzen- tralen Standorte geführt.

4 Steuerungswirkung der Raum- ordnung bei stadtregionalen Schrumpfungsprozessen

Obwohl das Regionale Raumordnungspro- gramm für den Großraum Braunschweig eine stringente Handhabung des Zentrale- Orte-Konzeptes vorsieht, ist dessen Steue- rungswirkung gleichwohl zu hinterfragen.

Zunächst ist festzustellen, dass der Zweck- verband Großraum Braunschweig als Trä- ger der Regionalplanung zugleich Untere Landesplanungsbehörde für seinen Pla- nungsraum ist und damit die Belange der Raumordnung bei Planverfahren aller Art, insbesondere bei der gemeindlichen Bau- leitplanung vertritt.

Anhand eines inzwischen aufgebauten Bauleitplankatasters, das in einer Daten- bank alle Planungsvorhaben in der Region nach Fläche und Bauvolumen erfasst, kann in der Unteren Landesplanungsbehörde bei neuen Planverfahren sehr schnell fest- gestellt werden, ob das Vorhaben orts- angemessen ist und den Zielen der Raum- ordnung entspricht oder widerspricht.

Bestehen Bedenken gegen eine zu opulente Baulandausweisung an einem nichtzentra- len Standort, also einem peripher gelege- nen Ortsteil, kommt es im Regelfall – im Zu- sammenwirken mit der Bezirksregierung Braunschweig als Genehmigungsbehörde – zu Verhandlungslösungen.

Gelegentliche Versagungen eines Flächen- nutzungsplans oder allein die Androhung einer Versagung bewirken, dass die Ge- meinden zunehmend ihre Bauleitplanung an die oben formulierten Ziele der Raum- ordnung anpassen. Wegen des bereits be- schriebenen generellen Bevölkerungsrück- gangs sowie des altersstrukturellen Wan- dels ist seit wenigen Jahren ein Rückgang der Baulandnachfrage festzustellen, so dass vor diesem Hintergrund die Gemeinden auch eher gewillt sind, sich mit den Grund- sätzen und Zielen einer nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung auseinander zu setzen.

Abbildung 3

Binnen- und Außenwanderungssalden im Großraum Braunschweig 1997 bis 1999

Quelle: Niedersächsisches Landesamt für Statistik – Kartografie: Zweckverband Großraum Braunschweig

1172 3761 4933

= Außenwanderungssaldo

= Binnenwanderungssaldo

= Wanderungssaldo 1997-1999

3348 -6298 -2950

-887 -2427 -3314

581 -2405 -1824 1172

3761 4933

-1614 764 -850

25 448 473 680

2826 3506

WOB

GS

104 3331 3435

GF

SZ BS PE

GS

Außenwanderungssaldo 1997 bis 1999 Binnenwanderungssaldo 1997 bis 1999 (Salden unter 250 Personen sind zeichnerisch nicht dargestellt)

5000

100 500 1000

Symbolgröße: Wandernde Personen

0 20 km

Landkreis Zweckverband Großraum Braunschweig

(5)

Es ist aber auch festzustellen, dass verein- zelt Gemeinden insbesondere im suburba- nen Raum massiv ihre Eigeninteressen ver- treten und feststellen, dass angesichts der nachlassenden Baulandnachfrage und ge- nerell rückläufiger Bevölkerungszahlen in wenigen Jahren ohnehin keine Zuzüge mehr generiert werden können und des- halb gerade jetzt, solange überhaupt noch eine Nachfrage spürbar ist, eine entspre- chende Baulandausweisung erfolgen müs- se. Hintergrund solcher Strategien ist die Tatsache, dass viele Gemeinden im sub- urbanen Raum ihre finanzielle Einnahme- situation ausschließlich über den einwoh- nerabhängigen Anteil am Einkommen- steueraufkommen rekrutieren.

Es geht im Kern also nicht um die Bereit- stellung von Wohnraum im Sinne des Bau- gesetzbuches, sondern allein um die Sicherstellung der kommunalen Einnah- mesituation. Damit werden natürlich in er- heblichem Maße die Grundsätze und Ziele der Raumordnung bezüglich einer nach- haltigen Stadt- und Regionalentwicklung unterlaufen. Je mehr Gemeinden diesem rein fiskalischen Prinzip folgen, desto stär- ker nimmt die kommunale Konkurrenz um Einwohnerverlagerungen zulasten des Nachbarn zu und umso stärker entwickeln sich die Divergenzen zwischen wachsen- den und schrumpfenden Gemeinden. Von einem interkommunalen und regionalen Interessenausgleich kann bei dieser Verfah- rensweise keinesfalls die Rede sein.

Es bedarf daher dringend neuer Erkennt- nisse und Dialogformen, um die hier be- schriebenen kommunalen Konkurrenzen zu überwinden.

5 Das stadtregionale Forschungs- vorhaben „Stadtleitbild 2030“

Mit dem Ideenwettbewerb „Stadt 2030“

hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2000 die Städte und Gemeinden in Deutschland aufgerufen, ganzheitliche Perspektiven und Leitvisio- nen für die Stadt der Zukunft im Jahr 2030 zu entwerfen. Das Forschungsprojekt STADT+UM+LAND 2030 Braunschweig – Salzgitter – Wolfsburg hat zum Ziel, Leit- bilder und Strategien für die Region zu ent- werfen, die zu einer nachhaltigen Entwick-

lung der Stadt – Region beitragen. Im Rah- men eines innovativen Arbeitsprozesses versuchen Wissenschaftler, Politiker, Ver- waltungsvertreter, Wirtschafts- und Sozial- partner sowie Bürgerinnen und Bürger gemeinsam die regionseigenen Möglich- keiten und Potenziale für einen Interessen- ausgleich zu entwickeln.

Der beschriebene Bevölkerungswandel stellt dabei besondere Anforderungen an die Akteure in diesem Forschungsvor- haben, und für die Politik ist es ein „unbe- quemes“ Thema, da es neben Gewinnern bisher auch Verlierer mit sich bringt.

So dürften mögliche Projektvorschläge, beispielsweise die Siedlungsentwicklung deutlicher als bisher auf Schwerpunkte zu konzentrieren, durchaus Widerstand derje- nigen Kommunen auslösen, die sich dadurch in ihren kommunalen Entwick- lungsmöglichkeiten eingeschränkt sehen.

Weitere Konflikte sind abzusehen, wenn es um die kommunale Infrastruktur geht.

Neue Organisationskonzepte werden ver- schiedene Betroffenheiten auslösen, z.B.

durch Ausdünnung bzw. Zusammenfüh- rung von Angeboten.

Abbildung 4

Abweichung der Altersstruktur in den kreisfreien Städten und Landkreisen im Großraum Braunschweig im Vergleich zum Landesdurchschnitt Nieder- sachsen (in %)

Quelle: Niedersächsisches Landesamt für Statistik

-25 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 25

0 - 4 5 - 9 10 - 14 15 - 19 20 - 24 25 - 29 30 - 34 35 - 39 40 - 44 45 - 49 50 - 54 55 - 59 60 - 64 65 - 69 70 - 74 > 74

Alter

LK Gifhorn Braunschweig

Prozent

Stand: 31.12.1995

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Zugleich erfordert der Umgang mit dem Be- völkerungswandel ein hohes Maß an Inno- vationsfähigkeit, da gewohnte und bewähr- te Vorgehensweisen überdacht werden müssen. Dabei stellt sich die Frage, wie In- novationen erreicht und wie diese zugleich in den regionalen Dialog einfließen kön- nen.

Gegenüber der Bevölkerung stellt sich die Aufgabe, trotz der abstrakten Handlungs- ebene der Stadt – Region und der weit ent- fernt liegenden Zukunftsprojektion auf das Jahr 2030 Interesse für eine Mitarbeit zu wecken. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, ist es zudem nötig, möglichst viele Bevölkerungsgruppen einzubeziehen.

Der Zukunftsdialog STADT+UM+LAND 2030 besteht deshalb aus drei parallelen Strängen: dem Bürgerdialog, dem stadt- regionalen Dialog und dem Expertendialog.

Dieser dreidimensionale Zukunftsdialog zielt darauf, ein Leitbild mit dem Zeithori- zont 2030 für die Stadt-Region Braun- schweig zu erarbeiten:

• Im Expertendialog entwickeln die For- schungspartner Vorstellungen aus wis- senschaftlich-fachlicher Sicht, wobei durch Expertenworkshops Fachleute von außen eingebunden sind.

• Der stadtregionale Dialog führt Vertre- terinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung und gesellschaftlicher Inter- essen aus der Stadtregion zusammen. Er soll dazu beitragen, das Thema in den Köpfen der Akteure zu verankern.

• Im Mittelpunkt des Bürgerdialogs steht ein Bürgergutachten. Etwa 100 Bürger- innen und Bürger wurden repräsentativ ausgewählt und erarbeiten in 4-tägigen Intensivklausuren ihr eigenes, lebens- weltliches Leitbild für 2030.

Die drei Dialogstränge sind miteinander verknüpft, so dass unterschiedliche Ein- schätzungen und Meinungen aufeinander- treffen können. Die Ergebnisse werden in einem gemeinsamen Zukunftsforum zu- sammengeführt.

Innerhalb der drei Dialogstränge sind fol- gende Schwerpunktsetzungen erfolgt:

• Arbeitsstadtregion 2030

Welche Auswirkungen bringt der Bevöl- kerungsrückgang für den Arbeitsmarkt?

Sinkt die Arbeitslosigkeit? Kommt es gar zu einem Mangel an Fachkräften? Dies würde nicht nur die Großbetriebe in der Region treffen, sondern vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen, da sie um qualifiziertes Personal mit konkurrieren müssen. Wie können Lö- sungsansätze aussehen, mit denen die Stadtregion frühzeitig auf diese Anforde- rung reagieren kann?

• Wohn- und Versorgungs-Stadtregion 2030

In den Städten zeigt sich bereits heute, dass ein besonderer Handlungsbedarf im Geschosswohnungsbau der 60er und 70er Jahre sowie in innerstädtischen Wohnbereichen besteht. Im Umland ste- hen vor allem die Siedlungen der 30er und der 50er Jahre sowie gesichtslose Neubauquartiere vor der Aufgabe, Quali- täten zu entwickeln. In ländlichen Ge- meinden werden Strategien für den Rückbau und die mobile Versorgung in gewachsenen, aber peripheren Ortschaf- ten nötig.

• Stadt-Landschaft 2030

Übergangslose Stadt-Landschaften sind eine Folge des Siedlungswachstums der vergangenen Jahre – und ein Ende der Suburbanisierung ist wie bereits er- wähnt trotz Bevölkerungsrückgang nicht in Sicht. Orte und Landschaften prägen aber das Wohnen und Leben in der Re- gion. Wie können diese als Qualitäten lesbar und für die Bevölkerung zugleich erlebbar gemacht werden?

• Mobilitätsstadtregion 2030

Der Bevölkerungsrückgang stellt für den öffentlichen Personennahverkehr eine unmittelbare Gefahr dar, denn die not- wendige Auslastung wird bei einem Be- völkerungsrückgang nur schwer zu er- zielen bzw. zu erhalten sein. Welche Angebote können gleichwohl auch zu- künftig eine Versorgung ermöglichen?

Und wie kann eine vorausschauende Siedlungsplanung dazu beitragen?

(7)

• Kooperative Stadtregion 2030

Damit die Städte und Gemeinden in der Lage sind, ihre Infrastruktur- und Ser- viceangebote auch in Zukunft auszu- lasten, gewinnen Partnerschaften als Formen regionaler Selbstorganisation an Bedeutung. Dies betrifft z.B. soziale Dienste, Schwimmbäder, Büchereien und Schulen. Dabei rücken fünf Formen von Partnerschaften in das Blickfeld:

– interkommunale Kooperationen, – Public-Private-Partnership zwischen

öffentlicher Hand und Wirtschaft, – Bürgerbeteiligung/Partizipation zwi-

schen öffentlicher Hand und Bürger- schaft,

– Corporate Citizenship zwischen Wirt- schaft und bürgerschaftlichem Enga- gement sowie

– bürgerschaftliches Engagement.

Der Bevölkerungsrückgang und die Alte- rung in der Bevölkerung sind große Heraus- forderungen für die Stadtregion Braun- schweig. Das Projekt STADT+UM+LAND 2030 will mit dem Zukunftsdialog dazu bei- tragen, die nötigen Diskussionen anzusto- ßen und eine Plattform für gemeinsam ge- tragene Umsetzungen zu bilden.

Von besonderer Bedeutung wird sein, dass die Akteure aus Städten und Gemeinden, Unternehmen, Wohnungsbaugesellschaf- ten usw. ihr Handeln zukünftig auf die neue Situation ausrichten. Erforderlich sind maßgeschneiderte Antworten – in Wirt- schaft und Arbeitsmarkt, Wohnen, Versor- gung und Infrastruktur, Landschaft und Städtebau sowie Verwaltung und Politik – auf die Herausforderungen einer „implo- dierenden“, d.h. alternden Stadtregion mit abnehmender Bevölkerungszahl.

Mit und vor dem Hintergrund einer klaren raumordnerisch-konzeptionellen Umset- zung des Zentrale-Orte-Konzeptes wird also versucht, über den stadtregionalen Dialog diese Ziele in eine breite bürger- schaftliche und regionalpolitische Diskus- sion zu transferieren. In jedem Fall ist so ein größeres Verständnis der stadtregionalen Zusammenhänge und Entwicklungsme- chanismen zu erwarten, als dies bei einem alleinigen Beharren auf raumordnerischen Zielvorgaben gegeben ist.

Ausgehend von dem Zentrale-Orte-Kon- zept und deren Untervariante einer regio- nalen dezentralen Konzentration ertüchtigt der stadtregionale Dialog die Region, die Struktur- und Entwicklungsprobleme, die da sind oder auf sie zukommen, zu diagnos- tizieren, neue Zielvorstellungen zu verabre- den und entsprechende Umsetzungsmaß- nahmen einzuleiten.

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