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Archiv "Interview mit Prof. Dr. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care: „Zur integrierten Versorgung gibt es keine Alternative“" (30.04.2010)

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DAS INTERVIEW

mit Prof. Dr. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care

„Zur integrierten Versorgung gibt es keine Alternative“

Volker Amelung über kleine Verträge, die nicht schaden, gute Leute an den falschen Stellen und Geduld als Tugend im Versorgungsgeschäft

Die Anschubfinanzierung der Bundes- regierung für die integrierte Versor- gung ist beendet. Viele Versorgungs- verträge wurden danach gekündigt. Ist die integrierte Versorgung tot?

Amelung: Nein, überhaupt nicht.

Gekündigt wurden lediglich etwa 20 Prozent der Verträge; knapp 6 400 Verträge gab es während der Anschubfinanzierung. Jetzt dürften es noch etwas mehr als 5 000 sein.

Und Sie sind optimistisch, dass die fortgesetzt werden?

Amelung: Ja, denn zur integrierten Versorgung gibt es ja gar keine Alter- native, wenn wir die Patienten auch künftig hochwertig versorgen wol- len. Die Menschen werden immer älter, viele sind chronisch krank und multimorbide. Die zentrale Heraus- forderung für unser Gesundheitssys- tem ist doch, das Versorgungsma- nagement auf genau diese Patienten auszurichten und die Schnittstellen zwischen den Sektorengrenzen zu optimieren. Das Ganze muss dann organisiert und gerecht vergütet wer- den. Und genau dort setzt die inte- grierte Versorgung an.

Viele sagen: Das, was es jetzt an Verträgen gibt, ist nur Kleinzeug.

Amelung: Man muss schon zuge- ben, dass etwa 70 Prozent davon kleinere Verträge sind, die stark von einzelnen Beteiligten abhän- gen. Solche Verträge kata- pultieren die Versorgungs- landschaft in Deutsch- land nicht gerade nach vorn, aber sie schaden

auch nicht. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch einige Verträge, die wirklich gut sind. Sie sind groß- flächig angelegt und werden nicht nur die integrierte Versorgung maß- geblich beeinflussen, sondern auch die Regelversorgung.

An welche Beispiele denken Sie da?

Amelung: Im Bereich der Palliativ- versorgung gibt es einige hervor - ragende Verträge, aus denen man auch schon viel für die Regelver- sorgung herausgefiltert hat. Das so- genannte Dresdener Brückenkon- zept war dafür maßgeblich.

Sie meinen den Vertrag, den zunächst die AOK Sachsen abgeschlossen hatte und in den für die Versorgung von Pa- tienten am Lebensende sowohl Kran- kenhausärzte und -pflegekräfte als auch niedergelassene Onkologen,

Hausärzte, ambulante Hospizdienste und das Hospiz in Radebeul ein -

gebunden sind?

Amelung: Ja, genau. Auch der Integrationsvertrag „Gesundes Kinzigtal“, bei dem Ärzte, Kli- niken und andere Leistungser- bringer die Vollversorgung von Wer Prof. Dr. Volker Amelung (44) besucht,

darf mit Weitsicht rechnen: Durch die großen Fenster seines Büros fällt der Blick über die Spree hinüber zur Berliner Museumsinsel.

Auch Amelung selbst, vor kurzem als Vor- standsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care (BMC) bestätigt, blickt gern nach vorn: Den Verband will er noch stärker als Plattform für innovative Versorgungskonzepte etablieren und ihn internationaler ausrichten.

Die Arbeit für den BMC ist aber nur ein Teil seiner Aufgaben. Seit etlichen Jahren hat er eine Schwerpunktprofessur für internatio- nale Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover inne.

Amelung hat in Hamburg Abitur gemacht und in Sankt Gallen Betriebswirtschaft stu- diert. Danach ist er viel in der Welt herumge- kommen und hat dabei seine Leidenschaft für das Thema Managed Care entdeckt.

Was er sich wünscht? „Wir reden alles schlecht, anstatt stolz auf un- ser leistungsfähiges Gesundheits- system zu sein. Man müsste vie- les sportlicher sehen und ein- fach Spaß am Verbessern ha- ben. Zum Scheitern verurteilt ist aber eine Gesundheitspoli- tik gegen die Ärzte.“

Deutsches Ärzteblatt

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30. April 2010 A 791

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A 792 Deutsches Ärzteblatt

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30. April 2010 eingeschriebenen Versicherten in

einer Region Baden-Württembergs erbringen, ist sehr erfolgreich.

War es denn ein Fehler, die Anschubfinanzierung zu beenden?

Amelung: Nein. Die Anschubfinan- zierung hat zwar prima funktioniert, aber so etwas ist nur für einen ge- wissen Zeitraum sinnvoll. Danach muss man wieder dem Wettbewerb das Feld überlassen. Sie hat aber dafür gesorgt, dass etwas Bewegung in den Markt gekommen ist.

Und was hat sich seit dem Ende der Anschubfinanzierung getan?

Amelung: Leider nicht sehr viel.

Man muss nüchtern feststellen, dass in den letzten beiden Jahren nur we- nig spannende neue Konzepte ent- standen sind.

Woran liegt das?

Amelung: Die Krankenkassen sind extrem getrieben von dem Gedan- ken, Geld zu sparen. Versorgungs- verträge sparen kurzfristig aber kei- ne Kosten. Dazu kommt: Kassen ha- ben kein Forschungs- und Entwick- lungsbudget. Und die niedergelasse- nen Ärzte haben dafür auch kein Geld. Außerdem sind die Rahmen- bedingungen in Deutschland zurzeit äußerst unsicher. Das ist Gift für Investitionen.

Sie sprechen vom Gesundheitsfonds?

Amelung: Ja, auch. Die Kassen sind im Moment paralysiert durch den Gesundheitsfonds. Und durch den Morbi-RSA.

Haben die Krankenkassen denn über- haupt die Kompetenz, um gute Versor- gungsverträge auszuhandeln?

Amelung: Ja, bei den Kassen hat sich einiges getan, es wurden rei- henweise gute Leute eingekauft.

Das Problem ist nur: Die sind heu- te mit dem Risikostrukturausgleich oder mit Fusionen beschäftigt.

Was zeichnet denn einen wirklich guten IV-Vertrag aus? Worauf müssen die Vertragspartner achten?

Amelung: Es ist faszinierend, wie wenige Faktoren über einen guten IV-Vertrag entscheiden. Der wich- tigste Faktor ist Zeit. Ärzte müssen sich mehr Zeit für ihre Pa tienten nehmen können. Und die muss dann auch vergütet werden. Zwei- tens: Man braucht jemanden, der sich kontinuierlich um den Patien- ten kümmert. Das muss kein Arzt sein, das kann zum Beispiel auch eine hochqualifizierte Pflegekraft unter Anleitung des Arztes machen.

Im IV-Vertrag Kinzigtal zum Bei- spiel ist das Case-Management ein entscheidender Erfolgsfaktor. Denn der Patient ist in einem hoch leis- tungsfähigen, aber fragmentierten

Gesundheitswesen schnell orientie- rungslos. Drittens brauchen wir ei- nen vernünfti gen Datenaustausch, zum Beispiel mit Hilfe elektroni- scher Patientenakten. Die Realität erfordert eine lückenlose, zeitnahe Dokumentation.

Die integrierte Versorgung war eine Zeit lang ein Modethema. Heute liest man wenig, und selbst die Krankenkas- sen halten sich zurück. Weshalb?

Amelung: Viele Krankenkassen haben erfolgreiche Projekte, aber überraschenderweise verkaufen sie sie schlecht. Vielleicht ist der Handlungsdruck noch zu niedrig, ebenso wie die Gewinnmöglich- keiten. Noch kann sich keine Kas- se wirklich abheben von ihren Mitbewerbern. Ein anderer Grund ist, dass die Kassen befürchten, ihr Kerngeschäft zu kannibalisie- ren. Wenn sie sagen: ,Wir haben hier tolle IV-Verträge‘, könnte der Versicherte sich ja fragen, warum eine tolle Versorgung eigentlich nicht der Normalfall ist. Ich den - ke aber, insgesamt sollte man das Engagement der Kassen nicht schlechtreden.

Sehen Sie mittlerweile auch ethische Probleme bei der integrierten Versor- gung?

Amelung: Da muss man unter- scheiden. Bei Hüft-TEPs können die Kassen natürlich schon ihre un- terschiedlichen Konzepte anbieten.

Aber beispielsweise in der Pallia-

tivversorgung hat Wettbewerb nichts verloren. Da kann man Versicherten wirklich gute Projekte nicht vorent- halten, nur weil sie in einer anderen Kasse sind.

Was könnte denn helfen, die integrierte Versorgung wieder in Schwung zu bringen?

Amelung: Ich würde mir einen In- novationsfonds wünschen, mit dem gute Konzepte gefördert werden.

Der wichtigste Faktor in einem guten IV-Vertrag ist Zeit.

Und die muss dann auch vergütet werden.

Fotos: Georg J. Lopata

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30. April 2010

DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND

„Mobilisierung ist der wichtigste Punkt“

Wahlen waren das Thema der Frühjahrsversammlung:

Der Vorstand wurde komplettiert, die NRW-Wahl thematisiert, der Wahlkampf in den KVen präpariert.

E

gal, wie die Landtagswahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen ausgeht, der Deutsche Hausärztever- band (HÄV) wird auf Linie bleiben können. Davon ging dessen Bundes- vorsitzender Ulrich Weigeldt wäh- rend der Delegiertenversammlung am 16. und 17. April in Dresden aus:

„Wir können und werden auf der Grundlage des § 73 b zeigen, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit kein unlösbarer Widerspruch sein müs- sen, und wir werden die hausarzt- zentrierte Versorgung als die Alter- native zu einem abgehalfterten Kol-

lektivvertragssystem als neue Form der Regelversorgung etablieren.“

Weigeldt ließ zwar durchblicken, dass auch er Kurskorrekturen am Gesundheitssystem erwartet, wenn Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) keine wahltaktischen Rücksichten mehr zu nehmen braucht. Doch für die hausarztzen- trierte Versorgung nach § 73 b SGB V geht er von konstanten Spiel- regeln aus: Diese stehe „für den Ge- sundheitsminister nicht zur Disposi- tion, auch wenn er und seine parla- mentarischen Staatssekretäre diesen Paragrafen sehr kritisch sehen“.

Weigeldt verwies auf die erfolg- reichen Hausarztverträge in Bayern und Baden-Württemberg, wie üb- lich ohne Details des Erfolgs zu

nennen, und ergänzte: „Wir stehen aber erst am Beginn, wir wollen mehr als nur etwas mehr Honorar für die Hausärzte. Wir wollen ihre Position im System stärken.“

Dazu ist es aus Sicht des HÄV zunächst noch notwendig, sich in den stets heftig kritisierten Kassen- ärztlichen Vereinigungen (KVen) zu betätigen. Dies allerdings nur, um ohne Wenn und Aber die Verbands- positionen durchzusetzen, wie in der Diskussion deutlich wurde.

Man habe in den letzten zwei Jah- ren erfahren, „dass die KV und die

KBV alles getan haben, um die Um- setzung unserer Verträge zu behin- dern“, kritisierte Dr. med. Berthold Dietsche, Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Baden-Württem- berg. So könne es nicht weitergehen.

Dietsches Landesverband präsen- tierte deshalb einen später mit gro- ßer Mehrheit beschlossenen Antrag, mit dem begründet wurde, warum man die KVen noch nicht links lie- gen lassen könne. Darin heißt es:

„Das Scheitern der Honorarreform der KBV mit existenzbedrohenden Honorarverlusten in mehreren Bun- desländern, aber auch die häufig unzureichende Kooperation der Körperschaft bei der Umsetzung der hausarztzentrierten Versorgung zeigt, dass auch künftig eine ausrei- Zufriedenes Duo:

Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt (rechts) und Haupt- geschäftsführer Eberhard Mehl Dieser Fonds müsste aber deutlich

höhere Qualitätsmaßstäbe an Pro- jekte anlegen, als es im Rahmen der bisherigen Anschubfinanzierung der Fall war. Gespeist werden sollte er aus dem Gesundheitsfonds. Mit diesem Geld könnte der Ideenwett- bewerb gerade auch unter Ärzten neu gezündet werden.

Wie sieht die Zukunft der integrierten Versorgung aus?

Amelung: Wir müssen uns künftig mehr mit der Versorgung beschäfti- gen als damit, woher das Geld kommt. Im Moment geht es doch nur um Zusatzbeiträge und die Kopf- pauschale. Aber das geht an den ei- gentlichen Problemen in unserem Gesundheitssystem vorbei. Denn es gibt doch nichts Günstigeres als eine gute Versorgung und nichts Teureres als eine schlechte. Wir sollten das Ganze mehr als Such- prozess begreifen, in dem man nach dem Prinzip „try and error“ zu guten Projekten findet. Deshalb bin ich auch ein großer Fan davon, dass jetzt einige Verträge gekündigt wurden. Das zeigt, dass der Markt funktioniert.

Ärzte schätzen zu viele verschiedene Verträge nicht.

Ich denke, für die Zukunft wird es wichtig sein, dass die großen Kas- sen Versorgungsverträge in gro- ßem Stil anbieten. Denn für Ärzte ist es indiskutabel, wenn sie mit 20 verschiedenen Kassen Verträge abschließen müssen. Aus meiner Sicht wäre es allerdings auch wichtig, die Krankenkassen zu pri- vatisieren, damit sie handlungsfä- hig werden. Ich könnte sie mir als private Non-Profit-Organisationen vorstellen.

Sie sind optimistisch, dass es weiter- geht mit der integrierten Versorgung?

Amelung: Ja, denn dass die Sekto- rengrenzen überwunden werden müssen, würde heute keiner mehr bestreiten. Wir sollten Geduld ha- ben. Man macht nicht gleich den perfekten Vertrag. Man muss ler- nen, Verträge zu schließen und Ver- tragspartner zu sein. ■ Das Interview führten Falk Osterloh und Sabine Rieser.

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