ARGUMENTE
AUS DER FORSCHUNG
FACHBEREICH ZENTRALE DIENSTE
Vom Nutzen des Waldes im Wandel der Zeit
Alois Kempf
Gru e Dokumentation
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Der Wald hat bei uns als Ressource der Urproduktion an Bedeutung eingebüsst. Holz findet zwar immer noch vielfältige Verwendung als Rohmaterial und als Energie
träger, doch häufig sehen Waldbesitzer darin nicht mehr die Hauptfunktion des Waldes. Den sich rasch wandeln
den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbe
dingungen kann die Entwicklung des Waldes nur lang
sam folgen. Alois Kempf interpretiert Fotografien als Dokumente sich verändernder Ansprüche an den Wald.
■ In einer Ausstellungshalle liegt eine grosse Holzscheibe einer alten Arve aus den Schweizer Bergen. An einigen Stellen wurden Stecknadeln befestigt, die mit farbigen Fäden auf eine Zeittafel verweisen. Dort liest man unter anderem: 1798 Zusammenbruch der Alten Eidge
nossenschaft, 1882 Eröffnung der Gotthard
Bahn, 1947 Obligatorische Alters- und Hinter
lassenenversicherung (AHV), ... Der Besucher betrachtet kurz die eng aneinander liegenden Jahrringe der Arve, erinnert sich an das eine oder andere der markierten Ereignisse aus dem Geschichtsunterricht, murmelt vielleicht noch
"Dreihundertfünfunddreissig Jahre, hrnhm", und wendet sich wieder der Gegenwart, dem nächsten Ausstellungsgegenstand, zu.
■ Die Geschehnisse sind im Zeitraffer kaum zu fassen. Und dennoch: die Holzscheibe ist ein historischer Zeuge in zweifacher Hinsicht. Es gibt zweifellos bestimmte Gründe dafür, dass der Baum, von dem die Holzscheibe stammt, meh
rere Jahrhunderte überleben konnte. Ausser den naturräumlichen Voraussetzungen müssen auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine solche Entwicklung er
laubt haben.
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Abb. 1: Oppligen, Kanton Bern, Juni 1927 - Bauernhaus im Bau (Fotoarchiv WSL, H. Burger)
■ Nun gibt es verschiedene Ansätze, um forst
geschichtlich die sich wandelnden Ansprüche an den Wald aufzuspüren und nachzuzeichnen (Leit
faden 1973, Schuler et al. 1990, Schuler 1987). Statistische Daten zur Entwicklung eines Waldbestandes, einschliesslich der ein
gangs erwähnten Jahrringmessung, sind einer der Ansätze, die Interpretation von B�ldern ein anderer. In diesem Beitrag möchte ich mit drei ausgewählten Bildern unterschiedliche Nutzungsweisen andeuten. Das Bild ist ja in unserer Zeit zwar ein nicht zweifelsfreier, aber an Bedeutung gewinnender Informationsver
mittler geworden. Andererseits wirft die digi
talisierte, computergestützte Fotografie der Gegenwart gerade für die historische Forschung
ARGUME NTE
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Schwarz-Weiss-Negative auf Glasplatten
In der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts wurden oft Glas
platten als Träger für Foto-Ne
gative verwandt. Die WSL ver
fügt über mehrere Tausend solcher schwarz-weiss Negati
ve aus verschiedenen Archiv
Beständen:
a) eigene Sammlung der ehe
maligen 'Forstlichen Ver
suchsanstalt' mit Bildern von Prof. H. Burger, Dr. W. Nägeli, u.a. (Zeitraum 1902-1958);
b) Sammlung von Dr. F. Fank
hauser, eidgenössischer Forstinspektor, (Zeitraum 1902-1932);
c) Sammlung von Prof. H.
Knuchel, tätig an der ETH Zürich, (Zeitraum 1892-1952).
Viele Aufnahmen sind von dokumentarischem Wert für das schweizerische Forstwe
sen. Einige sind ebenfalls aus kulturhistorischer Sicht von Interesse.
in Zukunft Probleme auf, weil eine Original
aufnahme nach Belieben verändert werden kann.
Holznutzung
■ "Wer Wald will, muss auch Holz wollen", lau
tet ein Werbespruch aus unserer Zeit, wo die Verwendung von Holz in seinen unterschiedli
chen Formen keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Demgegenüber zeigt Abb. 1 ein Berner Ge
höft von 1925 mit viel Holzkonstruktionen. Der Fotograf H. Burger, damals noch wissenschaft
licher Assistent der forstlichen Versuchsan
stalt, hebt diesen Aspekt in der Bildlegende hervor: "Oppliger Bauernhaus im Bau, mit
100 m3 verwendetem Holz". Und es ist unschwer zu erkennen, dass Holz damals auch für Wagen, , Geräte und Zäune verarbeitet wurde. Der land- wirtschaftlichen Bevölkerung brachte Wald Arbeit und Verdienst.
■ Nach Jahrzehnten intensiver Holznutzung bis in die Alpentäler hinein hatte im 19. Jahrhun
dert die Eisenbahn durch Einfuhr von Kohle und Eisenprodukten allgemein eine Entlastung bei der Brennholznachfrage bewirkt. In unserem Jahrhundert kamen als Folge der industriellen Produktion viele Ersatzstoffe für Bauholz dazu. Doch solche allgemeine Entwicklungsten
denzen zeigen ein sehr unterschiedliches Muster in ihrer räumlichen Ausdehnung. Zudem haben wirtschaftliche Ausnahmesituationen wie der zweite Weltkrieg in der Schweiz vorüberge
hend völlig veränderte Nutzungsbedürfnisse ge
schaffen. Denken wir nur an Motoren mit Holz
vergaser oder an die Rodungen, um die Anbau
flächen für Grundnahrungsmittel auszuweiten.
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Der Zuwachs von Holz am Baum dürfte sich kaum im gleichen Tempo angepasst haben. Die raum
zeitliche Zuordnung von Ressourcen und Bedarf ist mancherorts eine existenzielle Frage: Wäh
rend Frauen in Addis Abeba täglich für Stunden unterwegs sind, um das nötige Brennholz für eine warme Mahlzeit einzusammeln, kann man bei uns das Chemineeholz mit dem Auto auf dem
Holzlagerplatz abholen.
Abb. 2: Sturmschaden in Toggenburger Alpwald, um 1925. (Fotoarchiv WSL, Sammlung Prof. Knuchel)
landwirtschaftliche Nebennutzungen im Wald
■
Das zweite Bild, aus demselben Zeitraumstammend, kann auf den ersten Blick für vieles stehen: Naturgefahren, Schäden, Verjüngung, Bergwald. Ausgewählt wurde es aber wegen des
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Forstliche Bibliographie der Schweiz
Mit Dr. Ph. Flury ist die
Schweiz in den 1930er-Jahren auf dem Gebiet der forstlichen Klassifikation und Bibliographie international bekannt gewor
den. Erfreulicherweise kann der forstgeschichtlich Interes
sierte noch heute etwas von diesen Aktivitäten profitieren.
Der sogenannte 'Flury-Katalog' zur schweizerischen Forstlite
ratur (bis Ende 1950er-Jahre) und die Kapitel 'Forstwissen
schaften' aus der 'Bibliographia scientiae naturalis Helvetica' (kurz BSNH genannt) der Jahre 1958-1991 sind gegen
wärtig an der WSL auch in elektronischer Form abfragbar.
Die computergestützte Suche kann damit den Zugang zu äl
teren forstlichen Publikationen der Schweiz erleichtern. In ver
gleichbarer Weise sind ferner bibliographische Hinweise zum Naturschutz in der Schweiz (BSNH-Kapitel 1925 bis 1991) verfüabar.
Begleittextes, der auf etwas aufmerksam macht, was.man nur indirekt sieht. H. Knuchel kommen
tiert das Bild (Abb. 2) wie folgt: "Sturmscha
den im Toggenburg: Schwendibaumwald, Alt St.
Johann; nun servitutenfreier Alpwald. Bis vor 2 0 Jahren mit Holzbezugs- und Weideservituten der Alp Schwendi belastet."
■
Die Bemühungen um eine Ausscheidung von Wald- und Weideflächen und die Unterbindung von Streunutzung zum Schutze des Waldes hat viele Förster über Jahrzehnte hinweg beschäftigt. Viehtritt und verbiss von Jungpflanzen verhinderten nämlich mancherorts eine natürli
che Verjüngung der aufgelösten Bestände. Die Legende zur Abb. 2 berichtet von einer solchen territorialen Bereinigung. Das Bild macht aber auch deutlich, dass die Bestandesentwicklung infolge natürlicher Ereignisse nicht immer wie geplant verläuft.
■
Dass die traditionellen Formen der Nebennutzungen in den Alpen und Voralpen mit dem Rückgang gesömmerter Grossvieheinheiten und dem Wandei in der Landwirtschaft abnahmen oder ganz verschwanden, ist verständlich. In der Schweiz bleibt aber die Unterscheidung zwi
schen Waldeigentümern und Nutzniessern am Wald weiterhin hilfreich, um raumplanerische Kon
flikte an Zonengrenzen (z.B. Wald - Bauzone) oder die Rolle von Nicht-Holznutzungen (z.B.
touristische Einrichtungen im Wald) zu ver
stehen.
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Abb. 3: Blick von SW auf Pontresina (Kanton Graubünden), Februar 1915. (Fotoarchiv WSL, Sammlung Dr. Fankhauser)
Wald für die Freizeit
■
Mit einer Aufnahme von Pontresina zu Beginn dieses Jahrhunderts (Abb. 3) wird die Nutzung des Waldes als Erholungsgebiet angesprochen.Die Situation um 1915 war, nicht bloss wegen des ersten Weltkrieges, eine ganz andere als heute. Fremdenverkehrszentren gab es schon da
mals, doch waren die damit verbundenen Ansprü
che an den Wald, beziehungsweise die daraus sich ergebenden Einflüsse auf den Wald, ver
schieden von jenen der Gegenwart. Wintersport
aktivitäten, Motorisierung, Siedlungsausdeh
nung und Besucherintensität sind nur einige veränderte Faktoren, die sich auf die Nutzung des Raumes und damit natürlich ebenfalls auf den Wald auswirken.
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■
Verschiedene Bürgergemeinden, Korporationen und andere öffentliche Waldbesitzer haben in den vergangenen Jahrzehnten aus solchen Gründen eine Neuorientierung für die Hauptfunktion ihrer Wälder vorgenommen. Dies belegen Wald
wirtschaftspläne wie z. B. diejenigen der Bür
gergemeinde von Basel, wo für die stadtnahen Wälder die Bewirtschaftungsweise den vielsei
tigen Wohlfahrtsfunktionen angepasst wurden.
Der im schweizerischen Zivilgesetzbuch seit Jahrzehnten verankerte freie Zugang zum Wald, auch dem Privatwald, spielt hier eine beson
dere Rolle.
■
In jüngster Zeit ist bei uns eine Gewichtsverlagerung in der Bewertung des Waldes als Ressource und als Areal festzustellen. Wald als "forstwirtschaftlicher Sektor " der Urpro
duktion hat an Bedeutung eingebüsst gegenüber Forderungen, das Ökosystem Wald und seine Fläche in unserer hochtechnisierten Gesell
schaft als 'ergänzenden Lebensraum' für die Menschen, als Rückzugsgebiet für bedrohte Tie
re und als Ort der pflanzlichen Vielfalt zu betrachten. Einige dieser Ansprüche sind be
reits vom neuen Bundesgesetz über den Wald anerkannte Leistungen.
Schlussbemerkungen
■
"Historia docet", oder "Aus der Geschichte kann man lernen", besagt eine lateinische Redensart. So lässt sich feststellen, dass wach
sen Zeit braucht und forstliches Handeln sich somit langfristig auswirkt. Auf der anderen Seite machen die rasanten technischen Verän
derungen deutlich, dass sich Geschichte nicht
AB.GlJlVIENTE
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Literaturnachweis
Leitfaden für die Bearbeitung von Regionalwaldgeschichten, Revierge
schichten und Bestandesgeschichten. IUFRO Subject Group S6.07 (ehemals Sektion 07 Forstgeschichte), Unterausschuss Revier- und Bestandesgeschichte. Zürich, 1973. 39 S.
Küchli, C.; Chevalier, J.: Wurzeln und Visionen. Promenaden durch den Schweizer Wald. Aarau: AT Verlag, 1992. 214 S.
Schuler, A.: Der Mensch und der Wald gestern und heute; unter beson
derer Berücksichtigung der schweizerischen Forstgeschichte. Schweiz.
Z. Forstw., 138, 1987, 12: 1055-1067.
Schuler, A. et. al.: Forstgeschichte in der Schweiz. Forest history in Switzertand. Histoire des forets en Suisse. News of Forest History, Nr. 11/12. Wien: Forstliche Bundesversuchsanstalt 1990. 27 S.
einfach wiederholt. Die Nutzung des Waldes und damit seine Erscheinungsform sind deshalb
nicht zuletzt von gesamtwirtschaftlichen Gege
benheiten abhängig. Dieser Lokalbezug ("Busi
ness is local") gilt ganz besonders auch für Waldnutzungen.
■ Es ist mir klar, dass mit den gewählten Beispielen viele Gesichtspunkte nur angetippt wurden. "Waldbilder" im mehrfachen Sinne des Wortes, und mit forstgeschichtlicher Tiefe, sind seit einigen Monaten aus Anlass des 150- jährigen Bestehens des Schweizerischen Forst
vereins in Buchform erhältlich und in natura zu betrachten (Küchli/Chevalier 1992). Wer selber tiefer graben will, dem sei die forst
liche Bibliographie der Schweiz (siehe Kasten 2) oder die 'Bibliographie der Schweizerge
schichte ' empfohlen, wo durch Mitarbeit der Forschungsstelle für Forstgeschichte an der ETH Zürich (Prof. Dr. A. Schuler) einschlägige Arbeiten Eingang gefunden haben.
Alois Kempf, Geograph Dr. phil, vermittelt durch computergestützte Informationsrecherchen für Forschende an der WSL Zugang zu externen Wissensspeichern (z.B. Literaturdatenbanken). In der Gruppe Dokumentation wurden ferner ausgewählte Nachweise zu forstlichen Text- und Bilddokumenten der Schweiz für die elektroni
sche Abfrage aufbereitet die für forstgeschichtliche Arbeiten nützlich sein könnten.