• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Allgemeinmedizin in Kanada: Der Hausarzt als „Allrounder“" (23.01.2004)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Allgemeinmedizin in Kanada: Der Hausarzt als „Allrounder“" (23.01.2004)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aus Sicht der Industrie bemängelte Olaf Winkler, Bundesverband Medizin- technologie e.V., dass die Begriffsdefini- tionen des HTA-Prozesses uneinheitlich seien, ebenso die Standardisierung der Evaluierungsmethoden. Die Multifunk- tionalität der Fragestellung führe häufig zu unklaren Ergebnisdarstellungen.

Darüber hinaus seien HTA-Berichte wenig geeignet für Innovationen, weil HTA auf der Analyse von vorhandenem Material fuße. Um Planungssicherheit für die Entwicklung von Produkten und Verfahren zu erhalten und die Akzep- tanz bei allen Beteiligten zu fördern, müsse der HTA-Prozess offen gestaltet und klar definiert werden. Winkler for- derte eine Antragsberechtigung der In- dustrie für HTA-Berichte. Die Evalua- tionsmethodik müsse gemeinsam mit al- len Zulassungsbeteiligten erstellt wer- den. Bei der Bewertung von Verfahren sollten auch Experten durch die Indu- strie benannt werden können. Darüber hinaus müssten auch gesundheitsökono- mische Kriterien für HTA-Berichte defi- niert werden. Sein Fazit: „Innovative Medizintechnologien dürfen den Patien- ten nicht vorenthalten werden, denn neue Behandlungsmethoden der Medi- zintechnologiebranche verkürzen die Genesungszeiten der Patienten und er- möglichen diesen, schneller wieder am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben teilzuhaben.“

Für die Wissenschaft gelte es, HTA- Berichte an die Evidenz zu binden, erläu- terte Dr. med. Stefan Sauerland, Univer- sität zu Köln. Die Ergebnisdarstellung sollte möglichst zahlenbasiert und kon- kret sein. Aus Transparenzgründen soll- ten auch Studien, die im HTA-Bericht ausgeschlossen werden, verfügbar sein.

Unklarheit gebe es außerdem über das

„Verfallsdatum“ für HTA-Berichte. Die Autorenauswahl sollte ebenfalls transpa- renter werden, forderte Sauerland. Auch die Themenvergabe ist häufig problema- tisch: Ist das Thema zu groß formuliert, erhalte man ein unscharfes Ergebnis. Sei das Thema zu eng, betreffe es nur eine ge- ringe Patientenzahl. Nach Sauerland ha- ben HTA-Berichte bei den Entscheidern noch zu wenig „Impact“. Die HTA-Kom- petenz des DIMDI und die Implementie- rung durch den Gemeinsamen Bundes- ausschuss sollten stärker aufeinander ab- gestimmt werden. Heike E. Krüger-Brand

D

as Städtchen Hinton hat 6 000 Ein- wohner und liegt am Fuß der Rocky Mountains. Allgemeinarzt Prof. Hugh Hindle hat heute Notdienst.

Er praktiziert zusammen mit zwölf wei- teren Hausärzten (family physicians) am örtlichen Krankenhaus. Am Sonntag- abend wird eine 73-jährige Patientin mit akuten Brustkorbschmerzen ins Kran- kenhaus eingeliefert. Sie hat keine Atem- not, das EKG zeigt T-Negativierungen im Vorderwandbereich, der Troponin-Test ist positiv. Mit dem Dienst habenden Kardiologen in Edmonton, der 400 Kilo- meter entfernten Provinzhauptstadt, be- spricht Hindle die unmittelbar durchzu- führende Thrombolyse. Unter Analgesie mit Morphinen ist die Patientin schmerz- frei, rhythmusstabil, auch im Röntgen- Thorax finden sich keine Zeichen der Herzinsuffizienz. „Eine Verlegung per Flugzeug wird somit nicht erforderlich“, sagt Hindle, „spätestens in drei Wochen wird sie in unser örtliches Programm der ambulanten kardiologischen Rehabilita-

tion aufgenommen, das ich selbst hier aufgebaut habe.“

Er macht auf derselben Etage noch eine Visite bei einem 69-jährigen pensionierten Far- mer, der zwei Tage zuvor mit dem Krankenwagen aus der Orthopädie der Landeshauptstadt gekommen ist.Dort hatte man ihm eine Knie-Totalendopro- these implantiert.

Nach insgesamt acht Tagen stationärem Aufenthalt wird der Patient zur ambulanten Rehabilitation nach Hause entlassen. Um den weiteren Ablauf kümmert sich die Kranken- schwester des regionalen Gesundheits- bezirks. Sie organisiert unter anderem die Physiotherapie zu Hause, Familien- hilfe bei der Pflege, technische Hilfen für daheim, regelmäßige Transporte zu Ver- laufskontrollen. Hindle kann sich hier ganz auf die post-operativen Befunde konzentrieren, die sehr zufriedenstellend ausfallen. „Die zentrale Organisation un- serer Gesundheitsversorgung entlastet uns als Hausärzte sehr. Wir können uns um wesentliche medizinische Dinge kümmern“, stellt Hindle fest.

Seit fast zehn Jahren engagiert sich der Arzt, der auch Lehrbeauftragter der Uni- versität von Alberta in Edmonton ist, in den Weiterbildungsprogrammen für All- gemeinmedizin. Deren hohen Stellen- wert im kanadischen Gesundheitssystem beschreibt er so: „Unsere Patienten fin- den es selbstverständlich, dass sie im T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 423. Januar 2004 AA171

Allgemeinmedizin in Kanada

Der Hausarzt

als „Allrounder“

Narkosen, Appendektomien, Geburtshilfe: Vor allem auf dem Land haben die kanadischen Hausärzte ein enorm breites Aufgabenspektrum.

Hausarzt Frank Janke betreut im Krankenhaus seine Patientin. Er ist auch verantwortlich für ein hausärztliches Weiterbildungsprogramm.

(2)

Hausarzt einen stets verlässlichen An- sprechpartner finden. Sie wollen gar nicht direkt zum Facharzt gehen. Für die allermeisten ist der Weg dorthin ohnehin recht aufwendig. Ihnen ist die ,Rundum- versorgung vor Ort‘ wichtiger.“

In Kanada werden die Patienten primär von Hausärzten versorgt. Darauf basiert das Gesundheitswe-

sen. Die Regierung glaubt, dass nur so eine kostengün- stige Versorgung zu errei- chen sei. Noch immer stellen Allgemeinärzte mit rund 60 Prozent die Mehrheit der Ärzte. Mit höheren Ver- dienstmöglichkeiten in spe- zialärztlichen Fächern droht jedoch auch in Kanada ein Umschwung, der die breite hausärztliche Versorgung

gefährden könnte. Ein Arzt muss nach Beendigung der Medical School in der Regel einen Schuldenberg von rund 100 000 CN-Dollar abtragen. So orientie- ren sich mehr Weiterbildungsassisten- ten als früher bei der Wahl ihres Fach- gebietes an höheren

Einkommen. „Insge- samt 90 000 kanadi- sche Ärzte“, so Prof.

Walter Rosser von der Universität Toronto,

„sind in die USA aus- gewandert, die meisten von ihnen in der Hoff- nung auf ein hö- heres Einkommen.“

Um diese Lücke in Kanada zu schließen, werden Nachwuchs- ärzte aus Südafrika und anderen ehemali- gen Commonwealth- Staaten angeworben.

An den kanadischen Medical Schools sollen Absolventen mit Werbebotschaf- ten wie „Family Medicine: A Breath of Fresh Air“ (Allgemeinmedizin: Ein Hauch frischer Luft) für entsprechende Weiterbildungsprogramme angeworben werden. Den Ehepartnern wird bei der Stellensuche Hilfe angeboten, Umzugs- kosten werden bezahlt und besondere Weiterbildungen finanziert. Ein hoher technischer Standard ist beispielsweise in der Provinz Alberta für die Weiterbil- dungsassistenten selbstverständlich: In

regelmäßigen Runden tauschen sie sich mithilfe der Telemedizin mit weit ent- fernten klinischen Zentren aus. Die Be- dienung der Fernsehkameras ist ihnen dabei ebenso vertraut wie das Einbrin- gen von Computerpräsentationen in die laufenden medizinischen Fachge- spräche. Notebook und Handheld sind Teil ihrer Ausrüstung und werden von der Regierung zur Verfügung gestellt.

„Wir versuchen unse- ren jungen Kollegen inter- essante Zusatzqualifika- tionen zu vermitteln“, be- tont Dr. Fred Janke, Haus- arzt aus Sylvan Lake und verantwortlich für ein hausärztliches Weiterbil- dungsprogramm. „Einige von uns können komplet- te Narkosen leiten, in kleineren Kran- kenhäusern wie in Hinton eine sehr wichtige Hilfe. Andere qualifizieren sich, um selbstständig Laparoskopien, Appendektomien oder Herniotomien durchzuführen. Dies erspart vielen Pati-

enten einen aufwendigen Transport“, er- klärt Janke weiter. Schwangeren-Be- treuung und Geburtshilfe gehörten schon immer zum Repertoire der Hausärzte. Einige sind auch speziell da- zu ausgebildet, einen Kaiserschnitt durchzuführen.

Dr. Lora Ligate arbeitet zusammen mit drei weiteren Hausärzten in einer Praxis in Red Deer. Behörden und Be- triebe mittlerer Größe, vorwiegend der Ölindustrie, prägen die 60 000-Einwoh- ner-Stadt. Das örtliche Krankenhaus

verfügt über 300 Betten, eine Intensiv- station und viele Spezialisten. Mehr als 100 Familienärzte versorgen im Kran- kenhaus „ihre Patienten“ und entbin- den ganz selbstverständlich auch die Pa- tientinnen, die sie während der Schwan- gerschaft betreut haben. Mit 1 600 Ge- burten jährlich übertrifft Red Deer wahrscheinlich die meisten geburtshilf- lichen Kliniken Deutschlands. Bemer- kenswert ist, dass nur in wenigen Fällen Gynäkologen hinzugezogen werden und auch die Säuglinge von den Hausärzten versorgt werden. Ligate be- zeichnet die Zusammenarbeit mit den Fachkollegen am Krankenhaus oder im 250 Kilometer entfernten Calgary als

„in der Regel unproblematisch“.

Sie hält es für sinnvoll, dass die Pati- enten im kanadischen Primärarztsy- stem einen Facharzt nur nach Überwei- sung konsultieren dürfen. Ein schriftli- cher Befund des Hausarztes ist dabei ebenso selbstverständlich wie die schriftliche Antwort des um Konsil ge- betenen Fachkollegen. So werden die Patienten in der Zusammenarbeit

der Fachdisziplinen unter Koordinati- on des Hausarztes effizient versorgt, Doppeluntersu- chungen und Ko- sten vermieden.

Manchmal stellen längere Wartezei- ten für MRT oder Arthroskopien die Geduld von Pati- enten und Haus- ärzten auf eine harte Probe. Auch auf Totalendopro- thesen-Operationen müssen die Patien- ten etliche Monate warten. Von diesen Einschränkungen abgesehen, identifizie- ren sich die Ärzte stark mit dem Gesund- heitswesen. Akzeptiert ist auch die im 5-Jahres-Turnus stattfindende Reeva- luierung zur Verlängerung der ärztlichen Zulassung. Ebenso belegen Patienten- interviews eine hohe Zustimmung zum Gesundheitssystem.Hausarzt Hindle weist darauf hin, „dass selbst in den USA die breite Versorgung der Bevölkerung nicht so gut gewährleistet ist wie in Kanada“. Dr. med. Heinz-Peter Romberg T H E M E N D E R Z E I T

A

A172 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 423. Januar 2004

Fotos:Heinz-Peter Romberg

Im Bereich der Rezeption des Sylvan Family Health Centre stapeln sich die Akten von rund 3 000 Patienten. In Kanada werden die Patienten primär von Hausärzten versorgt.

„Die zentrale Orga- nisation unserer Gesundheitsversor-

gung entlastet uns als Hausärzte sehr.

Wir können uns um wesentliche medizinische Dinge

kümmern.“

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der „Rocky Moun- taineer“ windet sich als eiserner Bandwurm durch Canyons, vorbei an stillen Seen, ächzt und knarrt nur durch das Rainbow Valley und den Thompson River Canyon. An

Der „Rocky Moun- taineer“ windet sich als eiserner Bandwurm durch Canyons, vorbei an stillen Seen, ächzt und knarrt nur durch das Rainbow Valley und den Thompson River Canyon.. An

Das wird übrigens so gehand- habt, daß man im Pauschalar- rangement beispielsweise für eine bestimmte Zeit 30 000 Meter Hubschrauberflug bucht (Höhenmeter, nicht Entfernung;

Ein Blick auf die Mißerfolgs- quoten ergibt, daß nach dem ersten Jahr etwa 15 Prozent der Studenten während der vorlesungsfreien Zeit einem Tutor zugewiesen werden, rund 2 bis

> Es muß aber betont werden, daß unabhängig von den angeführten Erwartungen, die von außen auf die Ärzte zukommen, es auch der An- sporn innerhalb der Ärzteschaft selbst

Das Paul-Wunderlich- Haus wird ganzheitlich als Ausstel- lungsfläche genutzt: Die Werke des heute 80-jährigen Künstlers und Namensgebers Paul Wunderlich werden im Rahmen einer

Das schöne London in der Provinz Ontario wird für die nächsten 2 Monate für mich und meine beiden Kollegen unsere neue Heimat sein.. Nach insgesamt 10 Stunden Flugzeit landen

Stand der wissenschaftli- chen Erkenntnisse bedenk- lich ist, dürfen alle Arznei- mittel, die Borsäure enthal- ten, gemäß § 5 AMG nicht mehr in den Verkehr ge- bracht werden.