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A3226 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 495. Dezember 2003
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iele niedergelassene Ärzte werden in ihren Praxen, unabhängig von Fachrichtung und Qualifikation, mit Reisenden oder Immigranten kon- frontiert, die an tropischen Erkrankun- gen leiden. Dabei handelt es sich nur ge- legentlich um klassische Tropenkrank- heiten wie eine Malaria tertiana, die die Patienten in einem 48-Stunden-Rhyth- mus fiebern lässt. Dass zum Bei- spiel Durchfall häufig das Erst- symptom bei Malaria tropica ist, dass bei Fieber immer nach ei- nem möglichen Reiseland ge- fragt werden muss oder dass Glieder- und Knochenschmerzen auf eine Dengue-Virus-Erkran- kung hinweisen können, sind Dinge, die jeder Internist, Allge- meinmediziner oder Kinderarzt ebenfalls verinnerlichen sollte.Orthopäden werden häufig we- gen unklarer Gelenkbeschwer- den konsultiert, deren Ursache ein in den Tropen vorkommen- der Erreger sein kann, Dermato- logen und Chirurgen werden mit Hauterscheinungen konfrontiert, die es in unseren Breiten gar nicht gibt. Die Unsicherheit in der Diagnostik macht eine Auseinandersetzung mit dem im- mer größer werdenden Spektrum tropi- scher Erkrankungen dringend erforder- lich. Am besten kann man darüber in den jeweiligen Herkunftsländern ler- nen. Dort sieht man Patienten mit den
am häufigsten vorkommenden Sympto- men und erfährt zugleich etwas über Ur- sache, Übertragung, Differenzialdia- gnose und Therapie.
Zu diesem Zweck und um medizini- sche Einrichtungen und Möglichkeiten in einem afrikanischen Land kennen zu lernen, habe ich als Kinderarzt einen zweiwöchigen Kurs am Kilimanjaro
Christian Medical College in Moshi, Tansania, absolviert. „Worldwide Learn- ing“ ist das Motto der Kurse „Clinical Tropical Medicine for Practitioners“, die das Institut für Tropenmedizin Ber- lin in Zusammenarbeit mit dem Zen- trum für Reisemedizin in verschiede- nen Kontinenten durchführt. Das Mo- dul „Clinical Tropical Medicine for
Practitioners“ findet jedes Jahr im März und Oktober statt und ist auf zehn Teil- nehmer ausgerichtet.
Moshi, eine Stadt mit rund 140 000 Einwohnern, liegt am Fuß des schnee- bedeckten Kilimanjaro auf 800 Meter Höhe. Es ist das Zentrum eines der wichtigsten Kaffeeanbaugebiete Tansa- nias und einer der Ausgangspunkte für die Besteigung des Kilimanjaro.
Das Kilimanjaro Christian Medical College wurde 1971 ge- gründet und ist eines von drei Referenzkrankenhäusern in Tansania. In dem 500-Betten- Haus sind die Abteilungen Inne- re Medizin, Mutter-und-Kind- Fürsorge, Pädiatrie, Gynäkolo- gie, Chirurgie, Orthopädie, Uro- logie, Anästhesie, Ophthalmolo- gie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkun- de und Zahnmedizin unterge- bracht, ebenso wie eine Kran- kenschwesternschule. Das Kran- kenhaus ist sehr aktiv in der Lehre. Zahlreiche Studenten und Postgraduierte aus dem In- und Ausland werden dort regelmäßig unterrichtet.
Auf dem Gelände des Medical Col- lege befindet sich eine infusion unit, in der sämtliche Infusionen für den Eigen- bedarf unter sterilen Bedingungen her- gestellt werden. Diese Produktionsstät- te ist die Zentrale für Zweigstellen in ganz Afrika. Hier werden einheimische Männer und Frauen unter fachkundiger Anleitung eingearbeitet und über lange Zeit beschäftigt.
An allen Kurstagen – der Unterricht beginnt um acht und endet um 17 Uhr – finden morgens Visiten auf verschiede- nen Stationen statt. Es werden sehr un- terschiedliche Krankheitsbilder vorge- stellt: viele Malariafälle, HIV-getrigger- te Erkrankungen wie Tuberkulose, Bil-
Tropenmedizin
Konzept des weltweiten Lernens
Ärzte in Deutschland werden zunehmend mit Tropenkrankheiten konfrontiert. Spezielle Kurse vor Ort können helfen, Wissenslücken auf anschauliche Weise zu schließen.
Tansaniawurde 1961 unabhängig. 1964 wurde die Vereinigte Republik Tansania ausgerufen, bestehend aus dem ehemaligen Tanganyika und Sansibar. 1967 bekannte sich das Land zum Sozialismus. Der folgen- de wirtschaftliche Abstieg führte 1992 zur Einführung eines Mehrparteiensystems. 1995 wurden erste Wah- len abgehalten. Tansania ist mit 945 Quadratkilome- tern das größte Land in Ostafrika. Obwohl Dar es Sa- laam die kulturelle, politische und wirtschaftliche
Hauptstadt ist, ist seit 1973 Dodoma offizieller Regie- rungssitz. In Tansania leben rund 31 Millionen Men- schen, die etwa 120 Stämmen angehören. Schät- zungsweise 95 Prozent der Tansanier sind Bantu; klei- nere Gruppen sind zum Beispiel die Massai. KiSwahi- li und Englisch sind die offiziellen Sprachen. Tansania lebt hauptsächlich von Exportgütern wie Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal und Erdnüssen, Sansibar von Ge- würzen wie Vanille, Kardamom und schwarzem Pfeffer.
Visite an der Klinik des Kilimanjaro Christian Medical College:
Der Patient leidet an einer Filariose.
harziose in verschiedenen Stadien, Durchfallerkrankungen, Schlafkrank- heit, aber auch Zivilisationskrankhei- ten wie Bluthochdruck und Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen. Nachmittags fol- gen praktische Übungen im Labor, Fall- vorstellungen und Vorlesungen zu tro- penmedizinischen Themen wie Malaria, Diarrhöen, Helminthen, HIV und Schlafkrankheit. Ist uns beispielsweise morgens bei der Visite ein Patient mit Lymphadenopathie vorgestellt worden, hören wir nachmittags eine Vorlesung zum Thema „HIV – Epidemiologie und Klinik“ und untersuchen danach, bei den histopathologischen Übungen, Präparate eines Kaposi-Sarkoms in ei- nem Lymphknoten.
Prüfung zum Schluss
Bei Exkursionen in umliegende Kran- kenhäuser und Gesundheitsstationen können wir uns ein Bild darüber ma- chen, unter welchen Bedingungen Ärz- te und Krankenschwestern hier arbei- ten und Patienten betreut werden müs- sen. Im privaten Krankenhaus der Tan- zanian Plantation Company beispiels- weise werden die Arbeiter einer großen Zuckerrohrplantage kostenfrei behan- delt. Häufige Einweisungsursache ist dort der Biss der grünen und schwarzen Mamba. Aber auch hier, wie in den an-
deren Krankenhäusern, überwiegen Malaria, Bilharziose, andere Wurmer- krankungen, Pneumonien und HIV. Im Machame Teaching Centre versucht ein Arzt mit einfachen Mitteln Hygiene und Sanitärwesen zu lehren. Dort wer- den Latrinen und Wasserbehälter ge- baut, Dachziegel angefertigt oder auch Elektrizität mithilfe von Kuhdung er- zeugt. Zur Apotheke im Massai-Dorf führt uns der einzige Massai-Arzt der Region in einem mehrstündigen Fuß- marsch durch die Savanne.
Am Ende des Kurses müssen wir uns einer Multiple-Choice-Prüfung unter-
ziehen. Es bleiben noch zwei Tage zur freien Verfügung, an denen man bei- spielsweise einen Ausflug in die Seren- geti oder zum Ngorongoro-Krater un- ternehmen kann. Auch eine Fahrt im
„local bus“ nach Dar es Salaam und von dort per Schiff nach Sansibar hat seine Reize. Manch einer nimmt die Strapazen einer Kilimanjaro-Bestei- gung auf sich und bleibt noch eine Wo- che länger.
Der Unterricht hat dem Umgang mit für uns seltenen Erkrankungen ein Stück Normalität verliehen. Nun ist es selbstverständlich, Patienten nach einer vorangegangenen Reise in ein tropi- sches oder subtropisches Land zu fra- gen, bei entsprechenden Beschwerden an die richtige Krankheit zu denken und bei Verdacht auf Malaria schnell und entschlossen zu handeln.
Der Kurs wird von der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft (Zer- tifikat Reisemedizin), der Ärztekam- mer Nordrhein (Fortbildungspunkte) und der Berufsgenossenschaft (G35) als Fortbildung anerkannt. Er hat mir ei- nen guten Überblick über die häufig- sten Krankheiten in Tansania, epide- miologische Fakten und Präventions- aspekte sowie Einblicke in Gesund- heitssystem und Politik vermittelt. Von daher sehe ich dem nächsten Kurs die- ser Art im kommenden Februar in Thai- land voller Erwartung entgegen.
Dr. med. Bruno Jachertz Facharzt für Kinderheilkunde Hauptstraße 19–21, 50226 Frechen T H E M E N D E R Z E I T
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Jährlich stattfindende Kurse Clinical Tropical Medicine:
Februar und September:
Bangkok, Thailand: Faculty of Tropical Medicine Mahidol University März und Oktober:
Moshi, Tansania: Kilimanjaro Christi and Medical College, Tumaini University
April und November:
Kalkutta, Indien: Jadavput University Mai und November:
Boa Vista, Brasilien: Roraima Federal University
Tropical Dermato-Venereology and Leprosy:
November: Moshi, Tansania: Regional Dermatology Training Centre
Neben den Kursen „Clinical Tropical Medicine for Practitioners“, die das Institut für Tropen- medizin Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Reisemedizin in verschiedenen Kontinenten durchführt, bildet der Arzt Dr.
Kay Schaefer in Zusammenarbeit mit der Uni- versität Nairobi Ärzte auf dem Gebiet der Tro- pen- und Reisemedizin in Kenia und Uganda fort. Kontakt: Dr. Kay Schaefer, Teutoburger Straße 14, 50678 Köln, E-Mail: contact@
tropmedex.com, Internet: www.tropmedex.
com HK
Kinderstation des Distriktkrankenhauses: Die Mütter übernehmen weitgehend die Pflege.
Fotos:Ute Schwarz