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Archiv "Einsatz in Managua: Sprechstunden auch unter freiem Himmel" (04.07.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008 A1519

S T A T U S

E

s ist bereits dunkel, tropisch heiß und schwül, als ich am Abend des 8. Februar 2008 nach lan- gem Flug in Managua, der Haupt- stadt Nicaraguas, ankomme. Ich nehme an einem mehrwöchigen ärztlichen Einsatz in Ciudad Sandi- no für das Komitee „Ärzte für die Dritte Welt“ teil und bin froh, von unserem Fahrer am Flughafen abge- holt zu werden. Er fährt mich durch das schlecht beleuchtete Managua nach Ciudad Sandino, einer Satelli- tenstadt circa elf Kilometer nördlich von Managua, die nach dem schlim- men Erdbeben 1973 erbaut wurde.

Im ärmsten Viertel dieses riesigen Slumgebiets wohnen und arbeiten wir (zwei Ärzte und eine Zahnärz- tin) in den nächsten Wochen. Alle hier tätigen Ärzte arbeiten unentgelt- lich, weil sich die Organisation aus- schließlich über Spenden finanziert.

Die Armenviertel der Großstädte sind wohl überall ähnlich: Befestig- te Straßen gibt es nicht, nur Sandwe- ge mit vielen, tiefen Schlaglöchern, die bei Regen unpassierbar werden können. Rechts und links der Straßen laufen die Abwässer in stin- kenden Bächen und Rinnsalen ent- lang, weil die notdürftig aus Holz- brettern, Wellblech oder Plastiktei- len gebauten Hütten keine Kanalisa- tion haben. Klapprige Pferde mit Holzkarren dienen als Transport- mittel. Überall liegt Müll, dazwi- schen spielen Kinder. Händler fah-

ren mit Dreirad-Motorrädern durch die Viertel und bieten lautstark ir- gendwelche Waren zum Verkauf an.

Es ist laut: Hunde kläffen, Hähne krähen, laute Musik dröhnt aus ein- zelnen Hütten, vereinzelt hört man sogar Schüsse. Hinzu kommen di- verse Gerüche, vor allem nach Müll, Abwässern und verbranntem Plas- tik. Man erlebt Ciudad Sandino zwangsläufig mit allen Sinnen.

50 Patienten je Vormittag

Unser Arbeitsplatz für die Vormitta- ge, das Consultorio „San Francisco Javier“, liegt etwa fünf Minuten vom Wohnhaus der Ärzte entfernt. Be- reits der Weg dorthin gestaltet sich zuweilen abenteuerlich, weil wir über Abwasserkanäle springen müs- sen und wegen des teilweise stark blasenden Winds oft völlig einge- staubt im Consultorio ankommen.

Unsere Sprechstunden beginnen täglich um acht Uhr morgens, wobei uns bei Eintreffen meistens schon rund 100 Patienten erwarten. Die meisten Patienten sind Kinder und Frauen, wobei auch die Mütter oft noch Kinder sind. Manche sind erst 14, 15 Jahre alt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Nicaraguas ist jün- ger als 16 Jahre. Sehr viele Frauen le- ben allein mit ihren oft fünf bis sechs Kindern. Die Männer haben die Fa- milie verlassen oder arbeiten weiter weg, manche haben Arbeit im Nach- barland Costa Rica gefunden.

Von den nicaraguanischen Kran- kenschwestern und Helfern werden Blutdruck, Gewicht und Temperatur der Patienten gemessen, bevor sie ei- nem der Ärzte zugewiesen werden.

Jeder von uns sieht und behandelt je Vormittag 40 bis 50 Patienten. Die Patienten bezahlen einen mehr sym- bolischen Preis von fünf Córdobas pro Behandlung. Medikamente sind gratis. Schwerer erkrankte Patienten, darunter vor allem Kinder mit Fieber, werden von den Schwestern direkt zu uns gebracht. Bei den meisten Er- krankungen handelt es sich um In- fektionskrankheiten, die auf Wasser- mangel, Schmutz, das warme Klima und schlechte Ernährung zurückzu- führen sind. Fast alle Kinder sind von Darmparasiten geplagt, haben zu- sätzlich Hauterkrankungen, Infektio- nen der Ohren oder Anämien und lei- den oft unter einem chronischen Hus- ten, der auf das ständige Einatmen von Staub und Dämpfen durch die Müllverbrennung zurückzuführen ist. Hier können wir mit wenigen Mitteln oft gute Hilfe leisten.

Eine Behandlung ist oft nur begrenzt möglich

Schwieriger ist die Behandlung der Erwachsenen, überwiegend Frauen, bei denen psychosomatische Be- schwerden im Vordergrund stehen.

Die häufigsten Beschwerden sind chronische Kopfschmerzen, Schmer- zen am ganzen Körper, Schlaf- störungen, Hautjucken. Daneben gibt es aber auch einige Diabetiker, Patienten mit arterieller Hypertonie oder KHK. Hier ist eine Behandlung nur begrenzt möglich, obwohl wir einige Laboruntersuchungen durch- führen oder auch ein EKG, eine Ul- traschalluntersuchung oder ein Röntgenbild im nahe gelegenen

„Centro Diagnostico Americano“

veranlassen können. Allerdings muss man sich bei jeder Untersu-

EINSATZ IN MANAGUA

Sprechstunden auch unter freiem Himmel

Sechs Wochen war die Autorin für die Hilfsorganisation „Ärzte für die Dritte Welt“ in der Hauptstadt Nicaraguas tätig. Ein Erfahrungsbericht

Warten auf das Ärzteteam:In den Randgebieten Ma- naguas haben die Menschen zum Teil keinen Zugang zu medizinischer Hilfe.

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A1520 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008

S T A T U S

chung vorher genau überlegen, ob das zu erwartende Ergebnis eine Konsequenz für die Behandlung ha- ben wird. Patienten mit einem aku- ten Koronarsyndrom können sowie- so keine teure Behandlung im stän- dig überfüllten Krankenhaus bezah- len – abgesehen davon, dass sie auch dort nur konservativ behandelt würden. Tumoren sind meist weit fortgeschritten, sodass auch nur noch eine symptomatische Therapie erfolgt. Außerdem ist die Qualität der durchgeführten Diagnostik eher fragwürdig. Man lernt dadurch vor allem wieder, dass – wie bei uns in Westeuropa – oftmals eine gute Anamnese sehr viel hilfreicher ist.

Besonders eindrucksvoll sind für mich die Nachmittagssprechstunden.

Jeden Nachmittag um 13 Uhr holt uns der Bus des Komitees ab, und wir fahren in noch ärmere Randgebiete Managuas oder aufs Land, wo die Menschen zum Teil gar keinen Zu- gang zu medizinischer Hilfe haben.

Die Hin- und Rückfahrt dauert min- destens eine Stunde, weil die Straßen oft in sehr schlechtem Zustand sind, manchmal geht es über holprige Sandpisten steil bergauf und bergab.

Auch hier haben wir meist mehr als 100 Patienten zu versorgen, die zum Teil mehrstündige Fußwege zu uns auf sich genommen haben und auch schon auf die Ankunft des Bus- ses warten. Unsere Sprechstunden finden entweder unter freiem Him- mel, in Schulen oder Kirchen statt.

Auch hier handelt es sich vor allem um Kinder mit Infekten, ab und zu auch mit Mangelernährungen. Die Menschen in den ländlichen Gegen- den sind wirklich sehr arm. Viele ernähren sich überwiegend von Reis und schwarzen Bohnen. Sie leben auf engstem Raum zusammen und schlafen auf dem Boden. Eine Koch- stelle auf einem Holzfeuer befindet sich vor den Hütten, Wasser wird aus Brunnen geholt, Latrinen sind nur manchmal vorhanden.

Auch hier werden alle Kinder re- gelmäßig „entwurmt“ und bekom- men zusätzlich Vitaminpräparate.

Stuhluntersuchungen sind meist überflüssig oder nicht möglich:

Würmer haben die Kinder oder Mütter oft schon selbst entdeckt.

Die Mütter berichten, dass ihre Kin- der „nachts mit offenen Augen schlafen“, was für sie offenbar ein Hinweis auf eine Wurminfektion ist.

Wenn keine Besserung eintritt, die Kinder weiterhin unter Bauchbe- schwerden, Durchfällen und Appe- titlosigkeit leiden und blass sind, be- handeln wir antibiotisch gegen Amöben und Lamblien.

Schön und anstrengend

Meistens kommen mehrere Kinder gleichzeitig mit ihren Müttern zur Sprechstunde, was auch oft sinnvoll ist, weil ohnehin alle unter den glei- chen Infektionen leiden. Wenn ein Kind Krätze hat, dann sind die Ge- schwister auch alle betroffen. Die Behandlung ist oft schwierig, weil die Mütter nicht immer die Möglich- keit haben, die Kleidung richtig zu waschen oder auszukochen, und manchmal auch die Medikamente nicht richtig angewendet werden.

Kompliziert ist die Versorgung schwerer erkrankter Patienten. Kin- der mit starken Durchfällen, die be- reits deutlich ausgetrocknet sind, müssen ins Krankenhaus gebracht werden. Meistens gibt es aber kein Transportmittel, die Leute gehen lan- ge Strecken zu Fuß und müssen dann einen Bus nehmen, der auch nicht immer kommt. Unser Fahrer kann ab und zu einen Transport übernehmen.

Die Zeit in Managua war schön und anstrengend zugleich. Anstren- gend wegen der vielen Patienten, die täglich unter einfachsten Bedingun- gen zu versorgen waren. Dazu kamen der ständige Lärm, Staub, Wasser- und Strommangel. Schön wegen der vielen, sehr herzlichen und dankba- ren Menschen, die großen Eindruck hinterlassen haben. Ich kann nur er- ahnen, wie schwierig es für viele sein muss, den Alltag zu bewältigen. I Dr. med. Friederike Orellana E-Mail: friederike.orellana@hirslanden.ch

RECHTSREPORT

Fehlerhafte Diagnose im Bereitschaftsdienst

Eine oberflächliche Untersuchung und eine feh- lerhafte Diagnose während des Bereitschafts- dienstes stellen einen schwerwiegenden Pflich- tenverstoß eines Arztes dar. Das hat das Berufs- gericht für Ärzte in Stuttgart entschieden.

Im entschiedenen Fall wurde der beschuldigte Arzt während seines Bereitschaftsdienstes zu ei- ner 84-Jährigen gerufen, die seit Jahren an Mor- bus Wegener litt und von ihrem Hausarzt medi- kamentös behandelt wurde. Fünf Tage vor dem Einsatz des besagten Arztes hatte der Hausarzt eine Verschlechterung des Allgemeinzustands der 84-Jährigen mit vermehrtem Husten und Auswurf festgestellt und deshalb die Medika- mentendosis erhöht.

Gleichwohl stellte die Tochter am Samstag- morgen fest, dass es ihrer Mutter schlechter ging. Sie benachrichtigte den Bereitschaftsdienst

und erklärte dem eingetroffenen Arzt, dass ihre Mutter an Polyangiitis leide. Der Arzt missver- stand den Hinweis und dachte, die beiden Frau- en sorgten sich wie viele zu dieser Zeit um eine Erkrankung an Vogelgrippe. Diese werde es wohl nicht sein, scherzte er. Die Bitte der Tochter, die Mutter ins Krankenhaus zu bringen, ignorierte er.

Hätte der Arzt im Bereitschaftsdienst die Pati- entin sorgfältiger untersucht und auch die Toch- ter ernsthaft befragt, hätte er von der Systemer- krankung gewusst. Dann hätte er auch die Ent- zündung im Mund nach der erhöhten Medika- mentengabe als deutliches Zeichen für einen drohenden Zusammenbruch des Immunsystems zu werten gewusst. Stattdessen beließ er es bei einer oberflächlichen Anamnese und diagnosti- zierte eine Mandelentzündung. Dieser Pflichtver- stoß wiegt schwer. Eine Geldbuße in Höhe von 1 500 Euro wurde als angemessen betrachtet.

(Urteil vom 5. Dezember 2007, Az.: BGÄS 5/07) RA Barbara Berner Fast alle Kinder

leiden unter chroni- schem Husten, der auf das ständige Ein- atmen von Staub und Dämpfen durch die Müllverbrennung zurückzuführen ist.

Weitere Informationen im Internet www.aerzte3welt.de

@

Fotos:Frederike Orellana

Referenzen

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