Die Etats der gesetzlichen Kran- kenkassen werden mit mindestens drei Milliarden DM krankenversiche- rungsfremder Leistungsausgaben be- lastet (Basis: 1992). Das sind rund 1,65 Prozent aller Gesamtreinausga- ben der Krankenversicherung (bei ei- nem Volumen von rund 177 Milliar- den DM in 1992). Dies hat das Institut für Gesundheits-Systemforschung (GSF), Kiel, in einem Gutachten über
„Fremdleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung“ ermittelt.
Als Fremdleistungen der GKV werden solche Ausgaben bezeichnet, die aus überwiegend gesellschafts-, sozial- und/oder familienpolitischen Gründen den Krankenkassen über- tragen worden sind, ohne daß die da- mit verbundenen Ausgaben von Drit- ten übernommen wurden. Der größte Ausgabenblock bei den Fremdlei-
stungen ist das Sterbegeld mit rund 1,67 Milliarden DM. Danach folgt das Mutterschaftsgeld mit 1,1 Milliarden DM. Die Leistungsausgaben wegen eines „nicht rechtswidrigen Schwan- gerschaftsabbruchs und nicht rechts- widriger Sterilisation“ wurden mit rund 315 Millionen DM in 1992 ermit- telt; davon wurden allerdings die ge- samten Ausgaben den Krankenkas- sen erstattet.
Einnahmenverluste
Das Tableau der von den Kran- kenkassen ohne Erstattung übernom- menen Fremdleistungen ist unvoll- ständig. Nach Angaben des Kieler In- stituts fehlen Angaben für die künstli- che Befruchtung sowie die hauswirt- schaftliche Versorgung bei häuslicher
Krankenpflege und bei Grundpflege.
Das GSF kritisiert, daß die Kranken- kassen oftmals nur unzureichend ihren Erstattungsanspruch an Dritte für geleistete Fremdleistungen durch- setzten. Damit entstünden den Kran- kenkassen erhebliche Einnahmenver- luste – etwa bei der Versorgung der Opfer alkoholbedingter und/oder durch andere Drogen bedingter Un- fälle im Straßenverkehr sowie den Krankenkassenleistungen bei häusli- chen Unfällen in Ausübung von ge- ringfügigen Beschäftigungen.
Das Institut empfiehlt, die Pro- blematik von Fremdleistungen in der Krankenversicherung „umfassend aufzuarbeiten“, um so auch den Aus- gabenanstieg in der Krankenversiche- rung zu bremsen und eine verursa- chergerechte Finanzierung zu errei-
chen. Dr. Harald Clade
A-1824 (32) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 27, 5. Juli 1996
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE
Kassen von
Fremdaufgaben entlasten
Fritz Beske, Juliane Hübener unter Mitarbeit von Christiane Rohde-Kozianka: Fremdlei- stungen in der gesetzlichen Krankenversiche- rung, hrsg. vom Institut für Gesundheits-Sy- stem-Forschung, Kiel, Schriftenreihe, Band 50, 90 Seiten, Kiel, Januar 1996
„Zu meinem großen Erstaunen wurde erstmals auch nach meinem Empfinden gefragt, danach, wie ich mit der Krankheit meines Mannes le- ben kann, mit seiner wachsenden Ag- gressivität, seinen Wahnvorstellun- gen. . . ich lernte es, mich zu offenba- ren.“ Die Frau, die kürzlich auf einer Informationsveranstaltung der Deut- schen Alzheimer Gesellschaft e.V.
und der Hirnliga e.V. in Leipzig sprach, beendete ihre Schilderung mit den Worten: „Nun habe ich die Kraft, meinen Mann bei mir zu behalten. Ich danke allen, die mir geholfen haben, so gefaßt zu sein.“
Doch dieser Dank hat teilweise keine Adresse mehr, denn die profes- sionelle Beratung der Angehörigen von mehr als 250 Alzheimer-Patien- ten wurde vor einigen Wochen in Leipzig eingestellt. Sie war drei Jahre lang angesiedelt an der Abteilung me- dizinische Psychologie und Soziologie
der Universität Leipzig und wurde aus Forschungsmitteln des Bundes finan- ziert. Lange hatten die Leipziger Wis- senschaftler argumentiert, daß man ohne den engen Kontakt zu den Pfle- genden auch die Forschung nicht vor- antreiben könne. Doch das Ende ließ sich nicht mehr hinausschieben.
2 000 DM würden reichen
Zwar arbeitet inzwischen in Leip- zig eine sehr kompetente Selbsthilfe- gruppe, aber, so Psychologin Gabriele Wilz: „Selbsthilfe für Angehörige kann im Fall Alzheimer nur aus einem professionell betreuten Einstieg in die Problembewältigung hervorgehen.
Nach unserer Erfahrung ist es optimal, etwa anderhalb Jahre mit den An- gehörigen zu arbeiten, im Dialog und in der Grupppe, und da wiederum ge- trennt nach pflegenden Ehepartnern
und anderen Angehörigen.“ Gabriele Wilz, die die Betreuungsstelle mit auf- gebaut hatte, macht eine Rechnung auf, was es kosten würde, den Anlauf- punkt zumindest für zwei Gruppenge- spräche pro Woche und ein paar indi- viduelle Beratungen aufrechtzuerhal- ten: rund 2 000 DM im Monat.
Wie also weiter ohne Angehöri- genberatung? Immerhin leben in Leipzig und Umgebung rund 7 000 Alzheimer-Kranke und ein Vielfaches an betroffenen Angehörigen. Ga- briele Wilz will nochmals einen For- schungsantrag stellen und trotz be- reits erfolgter Ablehnung wieder Kontakt zu den Krankenkassen auf- nehmen. Bei der kurzfristigen Über- brückung könnte auch eine ABM- Stelle helfen. Dr. Bodo Gronemann, Leiter des Gesundheitsamtes, und Stadträtin Christine Clauß, Vertrete- rin der AOK, sicherten dem Anliegen Unterstützung zu. Das Thema „Alz- heimer“ wird auf jeden Fall nicht ver- gessen: Bis zum Sommer soll eine Alz- heimer-Gesellschaft Leipzig etabliert werden. Für Juni 1997 wird schließlich ein Alzheimer-Kongreß in dieser Stadt vorbereitet. Marlies Heinz