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Archiv "Carl Gustav Jung: „Seelenverlust“ als Problem der modernen Welt" (23.09.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 38

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23. September 2011 A 1975 CARL GUSTAV JUNG

„Seelenverlust“ als Problem der modernen Welt

Vor 50 Jahren starb der Begründer der „Analytischen Psychologie“.

N

ach Sigmund Freud und Al- fred Adler gilt Carl Gustav Jung als dritter Pionier der Tiefen- psychologie. Während Freud sei- nem Werk eine systematische Form gab, hinterlässt Jung seine Schriften weniger geordnet. Dazu trägt vermutlich bei, dass die Psy- che ihm zufolge „unabsehbar kom- pliziert“ ist und sich eindeutigen Beschreibungen entzieht. Und während Freuds Variante der Tie- fenpsychologie Seelisches mit Hil- fe der Schrift zu entziffern sucht, bezieht Jung sich vor allem auf das Bild. „Man darf sich keinen Au- genblick der Illusion hingeben, ein Archetypus könne schließlich er- klärt und damit erledigt werden.

Auch der beste Erklärungsversuch ist nichts anderes als eine mehr oder weniger geglückte Überset- zung in eine andere Bildsprache“, schreibt er 1940.

Jung wird 1875 in einem Dorf am Schweizer Ufer des Bodensees geboren. Der Vater ist evangeli- scher Pfarrer, die Mutter interessiert sich für Spiritismus und Okkultis- mus. Ab 1895 studiert Jung Medi- zin, 1902 promoviert er mit einer Arbeit zur „Psychologie und Patho- logie sogenannter okkulter Phäno- mene“. Bei seinen „Assoziations- studien“ an der Zürcher Psychiatri- schen Klinik Burghölzli stößt er auf

„Teilpersönlichkeiten“ oder „Kom- plexe“. Komplex im Jung’schen Sinn bezeichnet etwas Unerledig- tes, Konflikthaftes, das Entwick- lung sowohl behindern als auch an- regen kann. Freud ist zunächst be- geistert, 1907 besucht Jung ihn in Wien. Doch im Lauf der Jahre tre- ten die Unterschiede zutage. Den Begriff der Libido fasst Jung nicht ausschließlich als sexuellen Trieb, sondern als allgemeine psychische

Energie. Während Freud das Kau- salitätsprinzip der Naturforschung auch auf die Seelenkunde anwen- det, ergänzt Jung Kausalität um Finalität: Wichtig für das Verständ- nis der Psyche ist nicht so sehr, wo- her sie kommt, sondern wohin sie strebt.

Freud hatte sich bereits vom Traum einen „Einblick in die phy- logenetische Kindheit“ des Men- schen versprochen. Diese Annah- me führt Jung zum Konzept des kollektiven Unbewussten und der Archetypen aus. Ihm zufolge ist ein Archetyp ein „vererbter Modus der psychischen Funktionen“, eine

„a priori gegebene Möglichkeit der Vorstellungsform“. Demnach kommt ein Säugling nicht als „tabu- la rasa“ zur Welt, sondern bringt ei- ne komplette Lebensmatrix mit, die er durch seine Beziehungen zur Umwelt inhaltlich füllt. Die Ent- wicklung des Selbst, die „Indivi- duation“, vollzieht sich in der Aus- einandersetzung mit archetypischen Leitbildern – der Persona, dem Schatten, den „Seelenbildern“ Ani- ma und Animus, der Großen Mutter und dem Alten Weisen.

Das Konzept der Archetypen wirkt sich auf den Umgang mit Träumen aus. Für Jung sind Träume nicht nur sexuellen Ursprungs, son- dern dringen zu Grundfragen der menschlichen Existenz vor. Einer Deutung bedarf der Traum nicht, weil er den wahren Inhalt maskiert, sondern weil die bildhafte Sprache des Traums dem Ich nicht ohne weiteres verständlich ist. Seine Pa- tienten behandelt Jung so individu- ell wie möglich und empfiehlt, die Behandlung etwa alle zehn Wochen zu unterbrechen. Etwa ein Drittel seiner Patienten leidet ihm zufolge an der „Sinn- und Gegenstandslo- sigkeit ihres Lebens“. Den „Seelen- verlust“, nicht so sehr die sexuelle Unterdrückung, hält er für das Pro- blem der modernen Welt. Er selbst integriert Philosophie, christliche Gnosis, Alchemie und Mystik zu ei- ner eigenen Religiosität, die nicht konfessionell gebunden ist.

Am 6. Juni 1961 ist Carl Gustav Jung in Küsnacht am Zürichsee ge-

storben.

Christof Goddemeier

Zeichnung: Elke R. Steiner

K U L T U R

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